Textdaten
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Autor: Martin Hartmann
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Titel: Die letzten Rebellen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 672–673, 687–688
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[672–673]

Die letzten Rebellen.
Nach dem Gemälde von B. Constant.

[687] Die letzten Rebellen. (Zu dem Bilde S. 672 und 673.) Muß es einen „Imam“, ein Staatsoberhaupt geben, und wer ist dazu berufen? Darüber haben die Juristen und Dogmatiker des Islams gar gelehrte Bücher geschrieben. Freilich die, welche die thatsächliche Macht hatten, haben sich an die Theorien der Büchermacher wenig gekehrt. In manchen Fällen haben sie der öffentlichen Meinung, die sich ja doch auch im Orient nicht einfach durch die Behauptung, sie existiere nicht, aus der Welt schaffen läßt, durch eine freche Fälschung ein Zugeständnis gemacht, wie jener kühne Gründer der Fatimidendynastie von dunkler Herkunft, Ubaidallah, der mit einem von gefälligen Leuten wohl bescheinigten Stammbaum als Abkömmling Alis auf die Bühne trat, freilich auch, als sich Zweifel gegen die Echtheit seiner Abstammung erhoben, sein Schwert als den sichersten Beweis seines Herrschaftsanspruches selber bezeichnete. Daß unter solchen Verhältnissen der Tod eines Herrschers fast immer eine Quelle innerer Unruhen bildet, ist kein Wunder, und unsere Zeitungen belehren uns zur Genüge, daß dem Ableben eines orientalischen Fürsten nicht bloß von dessen Unterthanen, sondern auch von den europäischen Kabinetten mit ernsten Besorgnissen entgegengesehen wird. Kaum hat der Fürst, der scheinbar allmächtig geherrscht hat, in Wirklichkeit aber entweder das Werkzeug einer kleinen Schar von Intriganten war oder seine Stellung nur durch Lavieren zwischen verschiedenen Einflüssen mühsam aufrecht erhalten konnte, die Augen geschlossen, so werden die von ihm getroffenen Anordnungen über die Nachfolge von zahlreichen Personen bekämpft, und derjenige unter den Prätendenten, dem es endlich gelingt, obenauf zu kommen, hat noch lange mit zahlreichen Gegnern im Innern zu kämpfen. Nur dem Einfluß der europäischen Mächte ist es zu danken, wenn sich ein Thronwechsel im Orient so friedlich vollzieht wie der jüngste in Marokko.

In dieses Land, das Maghreb el-aksa, dessen Majestäten vor ihren Kollegen den Ehrentitel „Scherifisch“, d. h. „der Familie des Propheten angehörend“, voraushaben, und in Zeiten, wie sie eben geschildert wurden, führt uns Benjamin Constants Gemälde „Die letzten Rebellen“, dessen Original eine Zierde des Luxemburg-Museums in Paris bildet. Hoch zu Roß, und zwar allein zu Roß, beschattet von dem mächtigen Schirm, der hier [688] vielmehr Sinnbild der Würde als Schutz ist, nimmt der Gewaltige Kenntnis von den Thatsachen, welche die Sicherung seiner Herrschaft verbürgen: hingestreckt liegen vor ihm die Leichen der gefährlichsten unter den Feinden, und der Kamelreiter, der ihm gegenüber auf einer kleinen Erhöhung hält und soeben eingetroffen ist – sei es nun wirklich, sei es bloß zum Schein für den Zweck der Scene – berichtet, daß der ganze Anhang jener Gefährlichen vernichtet sei und überall eitel Begeisterung für die erhabene Person des edelsten aller Fürsten herrsche. Wer die Macher sind, wessen Hände all die Fäden gesponnen, die in dem grausigen Schauspiel einen vielleicht nicht einmal endgültigen Abschluß finden, ist aus der Darstellung nicht deutlich zu erkennen, denn mit Ausnahme einiger wenigen, die allerdings desto bösartiger dreinschauen, sind die Personen, die den Mittelpunkt umgeben, zu sehr vermummt, um einen Schluß zu gestatten. Sollte nicht der Turm rechts im Hintergrunde zur Lösung des Rätsels helfen? Es ist der einer Moschee, doch nicht von der Gestalt jener zuweilen etwas gar zu schlanken, wie sie in den östlichen Ländern des Islams üblich sind, sondern einer jener massiven, viereckigen, wie sie allein in Marokko angetroffen werden. Wie bei uns im Mittelalter, so spielt noch heute im Orient die Priesterschaft eine wichtige, ja die Hauptrolle bei allen Staatsaktionen!

Noch etwas anderes zeigt der Hintergrund: ein Stück der fernen Höhen des Atlas, an dessen Fuß die Stadt Marokko, der Schauplatz der Scene, liegt. Die Berberstämme dort waren allezeit unbotmäßig, aber man nahm es mit der Erfüllung ihrer Unterthanenpflichten nie zu genau. Jetzt aber hatten sie sich um den Prätendenten geschart, der ihnen freilich wohl nicht ernst gemeinte Versprechungen gemacht; er wurde zerschmettert, und sie mit ihm. Wer kann sagen, ob die unter ihnen, die am eifrigsten für die ihnen gut scheinende Sache gekämpft und darum am meisten gelitten haben, nicht viel vornehmer, edler waren als die „Edelsten“, denen geschicktes Ränkespiel, günstige Zufälle die Macht in die Hand gespielt haben? Wer freilich kann auch sagen, ob nicht die, die sich eben an dem Anblick der Zerschmetterten weiden, morgen selbst Augenweide für einen neuen Zerschmetterer sind? Martin Hartmann.