Die letzten Ehren einer deutschen Sängerin

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Titel: Die letzten Ehren einer deutschen Sängerin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 256
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[256] Die letzten Ehren einer deutschen Sängerin. Es war im Juni des Jahres 1854. Die Glocken des Klosters von St. Fernando tönten ernst und feierlich. Ein unabsehbares Menschengewoge wälzte sich durch die Straßen von Mexico. Man hörte Vorübergehende den Namen Henriette Sontag flüstern – den Namen der deutschen Sängerin, die hier so jäh und plötzlich, auf fremder Erde, sterben sollte (17. Juni). Noch vor wenigen Tagen hatte sie mit ihrer wunderbaren Stimme eine Welt begeistert, hatte bei glänzendem Lampenschein mit vollendeter Meisterschaft als „Tochter des Regiments“ die Herzen für sich eingenommen, und heute bewegte sich langsam und schwer der Leichenzug durch die Straßen, der ihre entseelte Hülle zur letzten Ruhestätte begleiten sollte.

Es war wohl kein Herz unter ihren Landsleuten, welches nicht bang und bewegt schlug, wenn es der Frau gedachte, die da unter den Blumen, die in so übergroßer Fülle ihren Sarg deckten, still und für ewig schlummern sollte.

Aus glänzender Sphäre herausgerissen, hatten sie Verhältnisse gezwungen, noch einmal die Bühne zu betreten, und mit dem ganzen Heldenmuth der Gattin und Mutter war sie über den Ocean gesegelt, um zu arbeiten für die Ihrigen. Mit Begeisterung war sie hier begrüßt worden, und als sie zum ersten Male die Bretter betrat – in unveränderter Jugendfrische, mit der anmuthigen Eigenart ihres Wesens, dem Ausdruck der Seelengüte und Tiefe in den lieblichen Zügen – da wollte der Jubel kein Ende nehmen. Der Genius aber mit der Leyer im Arm, der sie an ihrer Wiege so überreich bedachte, er senkte weinend sein Gesicht. Die Blume, die so wunderbar geblüht, sie sollte nicht langsam verwelken; die Saite der Harfe zersprang – und die Seele von Henriette Sontag war bei Gott.

Die Sonne schien hell und glänzend; unermeßlich und blau dehnte sich der Himmel über die Erde. Mir war es in tiefster Seele, als müßte es plötzlich dunkel werden, wo sich der Zug hinausbewegte, als wäre die Fackel, mit der diese große Künstlerseele die Erde erleuchtete, so hell und strahlend gewesen, daß es Nacht werden müsse, nun sie erloschen.

Aber sie sollte nicht allein und einsam zu Grabe gehn – hinter ihrem Gatten folgten ihre deutschen Brüder in Mexico. Da war wohl nicht Einer, der es nicht an diesem Sonntagmorgen als heiliges Bedürfniß empfunden hätte, die Heimath hier zu vertreten. Als der wunderschöne Choral „Wie sie so sanft ruhn, alle die Seligen“, von einigen hundert Männerstimmen gesungen, durch die Kirche brauste, da bebte gewiß das Gefühl durch alle Seelen, daß es gehobene Momente giebt im Menschenleben, Momente, wo Raum und Zeit verschwindet.

Der Sarg wurde in die Gruft gesenkt und ein deutsches Gebet gesprochen. Die feierliche Stimmung, in welcher sich die Menschenmasse nach und nach verlor, hallte noch lange nach in den deutschen Herzen.

Als man die Krankheit und den plötzlichen Tod der berühmten Frau eingehender besprach, da tauchten fabelhafte Geschichten auf, die sich fast zu den grauenhaftesten Verbrechen gestalteten. Man wollte wissen, daß Henriette Sontag nicht an der Cholera verschieden, sondern daß sie vergiftet worden. Unglaubliche Märchen entstanden aus hingeworfenen Worten und flogen von Mund zu Mund. Die deutsche Bevölkerung war so aufgeregt wie nie, und wollte die Sache ergründen.

Gingen ihrem Sterben wirklich so tragische Scenen voraus, wie sie im Publicum verbreitet waren? Was hilft die Frage? Ihr Herz hat ja aufgehört zu schlagen. Die deutsche Gesellschaft, die sich in Mexico ein freundliches Asyl gegründet, hat ihr Bild in ihrem schönsten Saale aufgehängt; ein unverwelklicher Lorbeerkranz umgiebt seinen Rahmen, und unter dem Namen Henriette Sontag stehen die Worte:

„Wo man singt, da laßt Euch ruhig nieder!
Böse Menschen haben keine Lieder.“

Ein deutsches Herz vergißt schwer, was es geliebt, und die Frau, die dort so glänzend und so flüchtig als Meteor geleuchtet, ist selbst bei denn Mexicanern unvergeßlich. Als man einige Monate später ihre Gruft geöffnet und den Sarg herausgehoben, um ihn zur Heimath zu befördern, da waren es wieder unzählige Freunde, die ihn geleiteten.