Die kranke Frau
[113] Die kranke Frau
Wer kennt die Zahl von so viel bösen Dingen,
Die uns um die Gesundheit bringen!
Doch nöthig ists, daß man sie kennen lernt.
Je mehr wir solcher Quellen wissen,
Um desto leichter wird das Uebel selbst entfernt.
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Des Mannes theurer Zeitvertreib,
Sulpitia, ein junges schönes Weib,
Gieng munter zum Besuch, krank aber kam sie wieder,
Sie röchelt. Wie? Vergißt ihr Blut den Lauf?
Geschwind löst ihr die Schnürbrust auf!
Geschwind! doch läßt sich dieß erzwingen?
Sechs Hände waren zwar bereit;
Wieviel erfordert dieß nicht Zeit!
Der arme Mann schwimmt ganz in Thränen;
Mit Recht bestürzt ihn diese Noth.
Zu früh ists, nach der Gattinn Tod
Er schickt nach einem Arzt. Ein junger Aeskulap
Erscheint sogleich in vollem Trab,
[114] Und setzt sich vor das Krankenbette,
Vor dem er sich so eine Miene gab,
Er fragt den Puls; und da er ihn gefragt,
Schlägt er im Geiste nach, was sein Receptbuch sagt,
Und läßt, die Krankheit zu verdringen,
Sich eilends Dint und Feder bringen.
Den so erfahrnen Arzt bey Seite,
Und fragt, was doch der Zufall wohl bedeute?
Der Doktor sieht ihn lächelnd an:
„Sie fragen mich, was es bedeuten kann?
„Sie wissen schon, es zeigt viel gutes an,
„Wenn sich die jungen Weiber klagen.“
Den Mann erfreut ein solcher Unterricht.
Die Nacht verstreicht, der Trank ist eingenommen;
Drum muß der zweyte Doctor kommen.
Er kömmt. Gedult! Nun werden wirs erfahren.
Was ists? was fehlt der schönen Frau?
Der Doctor sieht es ganz genau,
Sulpitia! Erst sollst du schwanger seyn?
Nun sollst du gar die Blattern kriegen?
Ihr Aerzte schweigt, und gebt ihr gar nichts ein,
Denn einer muß sich doch betrügen.
Und dem ihr so getreuen Bette;
Gesetzt, daß sie die schlimmste Krankheit hätte:
So ist sie nicht so schlimm, als eure Cur.
Gedult! Vielleicht genest sie heute.
Und eh die Stunde halb verfließt,
Fragt er sie hundertmal, obs noch nicht besser ist?
Ach! ungestümer Mann, du nöthigst sie zum Sprechen!
Wie? wird sie nicht das Reden schwächen?
Und an der Sprache hörst du schon,
Daß sich die Schmerzen stets vergrößern.
Bald wird es sich mit deiner Gattinn bessern!
Der Tod, der Tod dringt schon herein,
Wer pocht? Es wird der Doctor sein;
Doch nein, der Schneider kömmt, und bringt ein Kleid getragen.
Sulpitia fängt an, die Augen aufzuschlagen.
Er kömmt, so stammelt sie, er kömmt zu rechter Zeit;
Ja, wie er sieht, so werd ich bald erblassen;
Doch hätte mich der Himmel leben lassen:
So hätt ich mir ein solches Kleid bestellt,
Von solchem Stoff, als er, er wirds schon wissen,
Es ist nichts Schöners auf der Welt.
[116] Als ich zuletzt Besuch gegeben:
So trug sie dieses neue Kleid;
Doch geh er nur. O kurzes Leben!
O fasse dich, betrübter Mann!
Du hörst ja, daß dein Weib noch ziemlich reden kann.
O laß die Hoffnung nicht verschwinden!
Der Athem wird sich wieder finden.
Sie reden heimlich vor der Thüre.
Der Schneider thut die größten Schwüre,
Und eilt, die Sache zu vollziehn.
Noch vor dem Abend kömmt er wieder.
Und dankt ihm seufzend für den Gruß.
Allein wer sagt, was doch der Schneider bringen muß?
Er hat es in ein Tuch geschlagen,
Er wickelts aus. O welche Seltenheit!
Allein was soll es ihr? Sie kann es ja nicht tragen.
Ach Engel, spricht der Mann bei sanftem Händedrücken,
Mein ganz Vermögen gäb ich hin,
Könnt ich dich nur gesund in diesem Schmuck erblicken.
[117] So kann ich Ihnen doch, mein Liebster, nichts versagen.
Ich will mich aus dem Bette wagen;
So können Sie noch heute sehn,
Wie mir das neue Kleid wird stehn.
So schwach, als ob sie schon ein Jahr gelegen hätte.
Man putzt sie an, geputzt trinkt sie Caffee.
Kein Finger thut ihr weiter weh.
Der Krankheit Grund war bloß ein Kleid gewesen,
So heilt des Schneiders kluge Hand
Ein Uebel, das kein Arzt gekannt.