Die kleinen Wohltäter
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Die kleinen Wohltäter.
(Siehe hierzu das Farbenbild)
Die Fluren verschneit und die Pfade verweht —
Nach Moosen die Hirsche scharren,
Und durch die Kronen der Tannen geht
Ein ängstliches Stöhnen und Knarren.
Feldein mit hungrigem Kreischen;
Die Schaar der Vögel zum Menschen flieht,
Um dort ein Körnchen zu heischen.
Es machte sie alle der Hunger kirr,
Das ist ein Flattern und ein Geschwirr
Vor allen gastlichen Schwellen!
Sie kennen die Fenster weit und breit,
Die ihn spenden, den Brosamenregen —
An die Scheiben halb zag, halb verwegen.
O möchte es nimmer vergebens sein,
Dies hoffende Bitten und Werben,
Und möchte vor Hunger kein Vögelein
So manchen Sänger aus Feld und Hag
Errettet, was Menschen verschwenden, —
Und diese Gabe, die helfende, mag
Die Hand euer Kinderchen spenden.
Ist das so schwer zu entdecken?
Schwärmen nicht beide, wenns sonnig im Land,
Lärmend durch Busch und Hecken?
Vögel und Kinder haben sich lieb —
Selber den Sperling, den zirpenden Dieb,
Mögen die Kinder leiden.
Und Kinder lernen zu zeitig nie
Das freundliche Helfen und Geben,
Mit allem, was atmet im Leben,
Ob im Palaste das Füßchen glitt
Ueber die marmornen Stufen,
Ob unterm Schilfdach der Hütte mit
Wer in den Tagen der Kindheit gelernt
Mildes und sanftes Erbarmen,
Fühlt sich im Leben minder entfernt
Von den Aermsten und Armen.
Hunger der Vögel zu lindern,
Findest den Weg zu der Armut du auch
Und zu verschmachtenden Kindern.
Blicktest zum Vogel, von Weh durchzuckt,
Der in den Schnee vor dem Fenster sich duckt,
Fröstelnd gesträubt das Gefieder,
Rührt dich als ernsten, gefesteten Mann
In einer Weltstadt Mitte
Eines Kinderblicks stumme Bitte.
Innerlich nah bis zum letzten Tag
Bleibt allem menschlichen Wesen,
Wer’s noch in Alter und Kummer vermag,
Allen Jubel und alles Weh
Fühlet er mit uns noch heute,
Weil er als Kind den Vögeln im Schnee
Körner und Bröckchen einst streute.
R. Lavant.