Die künftige Residenz des Papstes

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die künftige Residenz des Papstes
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 100–102
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[100]
Die künftige Residenz des Papstes.


Die neuerdings durch die Presse gehenden Nachrichten von einer beabsichtigten Uebersiedelung des „Gefangenen des Vaticans“ nach Malta, und einer Verlegung der Papstwahl von Rom nach La Valetta, Nachrichten, welche von Zeit zu Zeit immer wiederkehren, veranlassen uns zu den folgenden historischen Mittheilungen über diese Insel der kreuzgeschmückten Ritter, und wir glauben, daß unser Aufsatz gerade jetzt, wo die Blicke Aller sich auf’s Neue gen Malta wenden, auf das Interesse der Leser rechnen darf.

Kaum dürfte es einen zweiten Ort auf unserer Erde geben, der so von der Vergänglichkeit der Völker und ihrer Macht predigte, wie die kleine Insel Malta, die, von der Gluth afrikanischer Sonne beschienen, als weißglänzender Fels aus den schäumenden Wogen des Mittelmeeres auftaucht. Hier war es, wo vor mehr als dreitausend Jahren, als die Geschichte zu dämmern begann, das see- und handelskundige Volk der Phönicier festen Fuß faßte, hier saßen Griechen und Römer, denen im Sturm der Völkerwanderung Vandalen, Gothen und die Byzantiner folgten, bis das nach Westen strömende Volk der Araber, vor jetzt gerade tausend Jahren, sich auf Malta niederließ und ihm den Grundstock seiner heutigen Bevölkerung verlieh, bei der in Sprache, Sitten und Gebräuchen, nur nicht in der Religion, das arabische Wesen noch jetzt das Uebergewicht behauptet. Doch nicht genug mit diesen kaleidoskopisch wechselnden Völkerschaften! Als achte Nation traten die sicilischen Normannen hinzu, welche die Insel unterwarfen und ihrerseits abgelöst wurden durch den Johanniterorden, der aus Malta das feste, ruhmgekrönte Bollwerk schuf, an dem die Macht der Türken zerschellte, der den Namen des kleinen Eilandes weltberühmt machte, so daß, wo von ausdauernder Opferfreudigkeit, von todesmuthiger Vertheidigung ein Beispiel aufgestellt werden soll, das kleine Eiland in erster Linie genannt zu werden verdient. Vor Napoleon’s Macht sank auch Malta, mit ihm der Johanniterorden dahin und die Insel wurde französisch – seit dem Untergange des gewaltigen Corsen flattert aber dort Englands stolzes Banner, und die blondhaarigen, blauäugigen Söhne Albions herrschen jetzt über die Insel, welche vor ihnen zehn andere Völker besaßen. Und England hat guten Grund, daß es sich hier festgesetzt und den Felsen gleichsam mit Kanonen gespickt hat; denn hier ist seine bedeutendste Dampferstation im Mittelmeer; hier ankert die Panzerflotte, die von dem ewig drohenden Gespenst der orientalischen Frage in diese Gewässer gelockt wurde; hier wird der Ueberlandweg nach Indien, Englands kostbarstem Kleinod, bewacht. Was Wunder, daß das große Inselreich weit über dritthalb Millionen Thaler jährlich darauf verwendet, den wichtigen Punkt zu erhalten, und daß hier auch in Friedenszeiten mehr als sechstausend Mann garnisoniren!

Wer mit dem Dampfer sich dem sonnengebadeten Eilande nähert, um in die Marsa, den großen Hafen, einzulaufen, Dem wird es durch die zahllosen Forts und Festungsmauern sofort klar, daß nur übermenschliche Anstrengungen den heutigen Besitzer aus diesen trotzigen Wällen zu vertreiben vermögen. Dort oben leuchtet mit Thürmen und Zinnen das berühmte Castell Sanct Elmo, hier links am Eingange des Hafens das von Doppelbastionen gegürtete Ricasolifort; dort starren die Mauern des Borgo di La Sangle auf weit vorspringender Felsenzunge mit ihren Schießscharten uns entgegen, und hinter diesen imposanten Fortificationen steigt malerisch, dicht gedrängt in stolzem Amphitheater, die Stadt La Valetta mit ihren Palästen und Schlössern terrassenförmig empor, grell den Lichtstrom der afrikanischen Sonne von ihren weißen Häusern zurückwerfend, daß er weit herausleuchtet in das blaue Meer.

Wir landen und treten durch das Thor, welches den Namen des Großmeisters Lascaris führt, in die Stadt. Ist es nicht, als ob die ganze Levante sich hier ein Stelldichein gegeben habe? Wer kennt die Völker, nennt die Namen? Von Afrikas heißer Küste kam der schwarze Sohn der Wüste und der schlanke Berber herüber. Die griechische Inselwelt sendet ihre schlauen Söhne in der reichen Fustanella. Der dunkeläugige Italiener kreuzt sich mit der blonden britischen Rothjacke, und Frankreichs leichtblütige Kinder treffen auf die würdigen Gestalten der Türken. Ein babylonisches Sprachgewirr schwirrt durcheinander, und fast ist es, als hätten alle Nationen, die hier einst weilten, ihre Vertreter zurückgelassen, um dem Forscher eine ethnographische Musterkarte vor Augen zu führen.

Doch lassen wir die Menschen von heute, steigen wir hinauf in die Stadt und erfreuen wir uns an den Erinnerungen der Vergangenheit, an der Stein gewordenen Geschichte, die auf Schritt und Tritt uns entgegenblickt! Zwischen stolzen, reichverzierten Palästen mit orientalischen Balconen sind wir auf steilen Treppen hinaufgelangt zur Strada reale. Sie ist die Hauptpulsader des Verkehrs und durchschneidet die Stadt ihrer ganzen Länge nach, während neben ihr noch zehn andere, gerade und schöngelegte Parallelstraßen hinlaufen. Nur in diesen Längenstraßen, die auf dem Rücken des Berges liegen, vermag man zu fahren, während in den kleinen, aber höchst malerischen, sie im rechten Winkel durchschneidenden Quergassen nur Fußgänger sich bewegen können; so sehr steigen sie auf und ab. Doch das ist gerade, was La Valettas Bauart nicht einförmig erscheinen läßt, ein Eindruck, den sonst unwandelbar alle nach der modernen quadratischen Schablone gebauten Städte hervorrufen.

Am Giorgioplatze, nach dem wir, von Wißbegierde getrieben, zuerst uns begaben, liegt der Palast der Großmeister, von dem aus die tapferen Führer des geistlichen Ritterordens gleich souverainen Fürsten ihre Befehle ertheilten. Das Gebäude zeigt eine lange, drei Stockwerk hohe Façade mit massivem Thurme, bewahrt aber im Innern nur noch wenig, was an die alte Zeit erinnert; denn heute ist es Wohnung des englischen Gouverneurs, der es nach Möglichkeit modernisirt hat. Aber nicht weit davon treffen wir auf die altehrwürdige Kathedrale des heiligen Johannes, im Aeußeren wohl ein schwerfälliger Bau, aber durch den Inhalt geeignet, uns ganz zurückzuversetzen in jene großen Tage, als hier im frommen Gebete, angethan mit dem kreuzgeschmückten Mantel, die muthigen Ritter sich zum Siegen oder Sterben vorbereiteten. Der Marmorboden des kühn gespannten Domes ist gepflastert mit den Grabsteinen der muthigen Kämpen für den christlichen Glauben, die hier zur letzten Ruhe eingingen. Da liegen sie friedlich beisammen, Männer aus deutschem, französischem und spanischem Blute, die alle zu einem Zwecke sich zusammenfanden, für eine Idee fochten. Unten in der Krypta aber, wo schauerliche Grabesluft uns entgegenweht, ruhen, abgesondert von den übrigen, die größten Meister, die dem Orden vorstanden: La Valette und Villiers de l’Isle Adam.

Doch nicht hier in der Gruft, sondern draußen in der freien Natur lernen wir ihre Großthaten kennen, wenn wir den Blick über die Stadt mit ihren Kuppeln, Thürmen, Terrassen, Wällen und Bastionen schweifen lassen. Außer dem Elmoschloß, welches ein geschlossenes Ganze mit furchtbaren, mit den Felsen verwachsenen Doppelbastionen und vierfacher, den Hafen vertheidigender Batterienreihe bildet, schützen noch andere, nicht minder starke Befestigungen diesen Hafen, der einen Theil der britischen Panzerflotte beherbergt. Fünf Felsenzungen springen nämlich gegenüber der Stadt in die Marsa vor und bilden auf diese Weise vier Seitenhäfen, die rings von Forts und Batterien geschützt sind, so daß kein Zollbreit Landes unvertheidigt daliegt.

Der innerste dieser Häfen trägt den Namen des Großmeisters La Sangle, während Jean de la Valette es vorbehalten blieb, seinen Namen der Hauptstadt zu geben, welche er nach der denkwürdigen Vertheidigung des S. Angeloschlosses gegen Mustapha-Pascha anlegte und die heute, von Tag zu Tag an Bedeutung zunehmend, mit ihren Vorstädten neunzigtausend Einwohner zählt. Von heißer Luft überweht, ist sie, in der Fahrbahn der Dampfer gelegen, die das Mittelmeer kreuzen, eine der Pforten des Orients, ein Punkt von hoher strategischer Wichtigkeit, über den der britische Leu schützend seine Pranken hält, wie über Gibraltar, Perim, Aden, Singapur, Hongkong und die vielen anderen festen Plätze, von denen seine Flotten auslaufen, um das Wort wahr bleiben zu lassen: Britannia, rule the waves (Britannia, beherrsche die Wogen)!

[101] 

Ansicht von La Valetta auf Malta.

[102] Ob die bisher noch unverbürgte Mittheilung von der in Aussicht genommenen Uebersiedelung des Pio nono nach La Valetta Wahrheit werden, ob der Vertreter Petri hinter dem mit Kanonen gespickten Felsenbollwerk Malta’s eine sicherere Stätte für seinen päpstlichen Stuhl und im Schatten der britischen Fahne ein sanfteres Ruhekissen für sein heiliges Haupt finden wird – die Zeit wird es lehren.