Die jetzigen Herrscherinnen Aegyptens

Textdaten
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Autor: C. Greiner
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Titel: Die jetzigen Herrscherinnen Aegyptens
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 424–426
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die jetzigen Herrscherinnen Aegyptens.

Als der Khedive vor sechs Jahren seine seitdem dahingegangene Tochter Zenab-Hanem mit dem Prinzen Ibrahim-Pascha und Faika-Hanem, das Adoptivkind seiner dritten Gemahlin, mit Mustapha-Pascha vermählte, fiel mir an den mit Goldschrift versehenen Karten, welche die vornehme Herren- und Damenwelt Kairos und Alexandriens zu den für die Doppelhochzeit veranstalteten Festlichkeiten luden, Eines auf: all diese Karten sprachen von einer Hochzeit, nannten den Namen des Bräutigams, verschwiegen aber den der Braut. Ich war damals noch ein Neuling im Lande der Muslimen und wußte nicht, was ich seitdem erfahren, daß sich nämlich die orientalischen Frauen nicht nur nicht zeigen dürfen, sondern auch für jeden Fremden als nicht existirend zu gelten haben. Haremsverhältnisse sind als unter Schleier (sitr) stehend zu betrachten, und was hinter demselben vorgeht, was er verhüllt, darüber fragt kein Orientale den andern, giebt kein Mohammedaner dem andern Auskunft, geschweige denn einem Nichtmohammedaner. Nur aus diesem Grunde war bisher eine Volkszählung in unserm Sinne in Aegypten unausführbar.

In den höchsten Kreisen wird indessen der den Harem verhüllende Sitr mit jedem Tage durchsichtiger, und wie der Gesichtsschleier jetzt nur noch von seiner Gaze, von jenem verschönernden Gewebe, das die Frauen tulle illusion nennen, ist, ein Schleier, der die Züge der sogenannten gefangenen Schönen keineswegs verhüllt, so ist auch der Vorhang, welcher den Harem von der Welt abschließt, nicht mehr so dicht, daß diese Welt nicht die Silhouetten derjenigen erkennen könnte, welche sich hinter demselben bewegen. Namen und Alter der weiblichen Mitglieder des ägyptischen Herrscherhaus stehen bereits in dem Gothaischen Hofkalender, und es dürfte die Zeit nicht mehr fern sein, wo unter den fürstlichen Portraits dieses Almanachs auch eine ägyptische Königstochter zu bewundern sein wird. Ja, zu bewundern, denn beide Töchter Ismail-Paschas sind von seltener Schönheit. Es sei mir gestattet, dem Gothaischen Kalender zuvorzukommen und den Lesern der „Gartenlaube“ die durch geistige oder physische Eigenschaften hervorragenden Frauen der viceköniglichen Familie vorzuführen! Leider kann ich dem verehrten Leserkreise nicht auch die Portraits dieser so einflußreichen Persönlichkeiten zeigen, nicht weil dieselben nicht existiren, sondern weil diese Photographien mit dem Versprechen angenommen wurden, sie keinen Sterblichen sehen zu lassen, und ich überzeugt bin, daß sowohl meine Leserinnen wie meine Leser eine solche Indiscretion nicht billigen würden.

Wie es das mohammedanische Gesetz verlangt, will ich vor Allen von der Mutter des Khedive sprechen. In muslimischen Familien nimmt die Mutter, wenn der Vater nicht mehr am Leben ist, den ersten Platz ein, den sie lebenslänglich bewahrt, von dem sie keine Schwiegertochter verdrängen kann, wie es leider nur allzu häufig in unseren Familienkreisen geschieht.

Es ist gesagt worden, daß die Orientalen der Mutter nur deshalb den ersten Rang in ihrem Harem einräumen, weil sie diesen bevorzugten Rang keiner der ihnen gesetzlich erlaubten vier Frauen geben wollen, um die übrigen drei nicht zu erbittern, ihnen gegenüber nicht im Unrechte zu sein, da ja im Koran geschrieben steht, daß derjenige Muslim, welcher gegen vier Frauen nicht gerecht sein könne, sie nicht alle mit gleicher Liebe zu behandeln im Stande wäre, nur ein legitimes Weib heimführen dürfe. Diese Behauptung ist indeß nicht richtig – dem Muttercultus der Mohammedaner liegt ein tieferes, aus dem Herzen quellendes Gefühl zu Grunde. Die wenigsten Muslimen können die Kosten bestreiten, welche die Unterhaltung mehrerer Frauen mit sich bringt, und müssen sich mit einer begnügen, aber auch dann bleibt die Mutter im Hause die Erste. Auch hat der Prophet Mohammed, als er gefragt wurde, welches Glied der Familie das größte Anrecht auf Ehrfurcht und Liebe habe, ausgerufen: „Die Mutter! Die Mutter!“

So nimmt auch die Mutter des Khedive den ersten Rang im viceköniglichen Harem ein. Ismail-Pascha hält es für seine Sohnespflicht, Prinzessin Tschachma zu Rathe zu ziehen, wenn er auch weiß, daß er, da sie eine Zelotin und Feindin aller Neuerungen ist, nicht oft in die Lage kommen kann, ihre Rathschläge zu befolgen. Sie allein trägt sich noch immer orientalisch; das verleiht ihr ein charakteristisches Aussehen, welches den übrigen Frauen des viceköniglichen Harems leider fehlt, weil diese sämmtlich der Pariser Mode huldigen. Monatelang kämpfte die Königin-Mutter gegen die den Fremden entlehnte Sitten sie ganz abzuschaffen gelang ihr nicht, doch sie erlangte vom Khedive, daß sich die fürstlichen Gattinnen und Töchter auf offener Straße nicht ohne Rob oder Sebleh, einen hellfarbigen seidenen Mantel mit großen Aermeln, der die ganze Gestalt verhüllt, zeigen dürfen. Der Prinzessin Tschachma wird auch jene vor drei Jahren eingetretene antieuropäische Strömung zugeschrieben, welche die Abschaffung der europäischen Hofmeister, Erzieherinnen und Kinderwärterinnen zur Folge hatte. Diese Stellen wurden damals durch einheimische und türkische Persönlichkeiten besetzt, weil man endlich zur Ueberzeugung [425] gekommen war, daß das europäisch gebildete Personal schlechterdings nicht in den uralten Bau des Harems hineinpasse.

Den zweiten Platz im viceköniglichen Harem nimmt die erste Gattin Ismail-Paschas als Mutter des Kronprinzen Teufik-Pascha ein. Indeß übt sie trotz ihres hohen Ranges so viel wie gar keinen Einfluß über ihren fürstlichen Gemahl aus, der sie, die ehemalige Sclavin nimmermehr auf die Höhe, wo sie sich jetzt befindet, gestellt hätte, wäre sie nicht als Mutter des Erbprinzen bestimmt, dereinst die Erste im ägyptischen Reiche zu sein. In der Stelle, welche diese Prinzessin nur dem Namen nach einnimmt, [426] befindet sich Kudschuk-Hanem, die zwar nur die dritte, folglich die „kleine Gemahlin“ des Khedive ist, aber weit mehr über ihren Gatten vermag, als alle seine anderen Frauen, Odalisken und Sclavinnen insgesammt vermögen, obgleich sie nur wenig durch körperliche Reize ausgezeichnet ist. Sie hat aber Geist, viel Geist, eine bei den Orientalinnen höchst seltene Eigenschaft.

Diese Eigenschaft besitzt indeß auch Teufide-Hanem, die älteste Tochter des Khedive, welche sowohl durch Schönheit wie durch Klugheit sich einen Einfluß erworben hat, der sie zur merkwürdigsten Figur unter den Frauen der viceköniglichen Familie macht. Sie hat röthliches Haar, wie die Schönen Tizian’s, ist üppig und dennoch schlank, von hoher Gestalt; Gang und Haltung königlich. Ihr Teint ist so zart und weiß, daß unsere nordischen Damen sie darum beneiden möchten; ihre Züge sind regelmäßig und von merkwürdiger Schönheit. Unter den kühn gewölbten Brauen ihrer hohen, weißen Stirn leuchten zwei große Augen, deren Farbe unbeschreiblich ist, weil sie mit der sehr wechselvollen Stimmung ihrer Eigenthümerin von dem schönsten Blau in’s Graue und Grünliche übergehen. Schöne Augen sind’s, wenn sie milde Blicke ausstrahlen, furchtbare, wenn sie wetterleuchten. Im Freien trägt Teufide-Hanem entweder Brillen oder einen Zwicker. Daran ist sie, wenn sie in ihrem eleganten Coupé mit den riesigen Eunuchen und den grünen, goldgestickten Vorläufern durch die Straßen Kairos saust, leicht zu erkennen. Diese Brillen sind der alten Königin-Mutter ein Gräuel. Kurzsichtigkeit sei Einbildung, sagt sie, und wenn es auch wirklich Augen gäbe, die nicht viel sähen, so sei das noch immer kein Grund, solche abscheuliche Gläser zu gebrauchen. Alle mohammedanischen Frauen hätten bisher ohne Brillen gelebt und wären glücklich gewesen, und so könne auch Teufide-Hanem ein Gleiches thun. Eine gute Muslimin brauche überdies gar nichts von dem zu sehen, was auf der Straße vorgeht. Diese Meinung scheint nun die ägyptische Königstochter nicht zu theilen. Sie lehnt sich während der Spazierfahrt nie in die Polster ihrer Equipage zurück, sitzt immer ganz aufrecht und mustert die Vorübergehenden mit hohem Interesse. Es sind dies ja auch ihre Unterthanen, deren Geschicke sie, so wunderbar dies auch klingen mag, nicht selten leitet. Ihrer besonderen Aufmerksamkeit erfreut sich ihr Gemahl, über dessen Lebensweise sie bis in die geringfügigste Einzelheit sich unterrichten läßt.

Diese Eifersucht soll ganz ungerechtfertigt sein, denn der dicke Pascha, welcher das Glück hatte, die ägyptische Khedivetochter zu ehelichen, habe, so sagen kundige Leute, gar nicht die Schwäche, sich anderen Frauen zuzuwenden, eine Schwäche, welche zu haben ihm als Gemahl einer fürstlichen Frau auch gar nicht gestattet wäre.

Teufide-Hanem wurde mit Manßur-Pascha, dem Sohne eines Neffen Mohammed-Ali’s, im Jahre 1868 vermählt, als sie selbst achtzehn Jahre zählte. Sie schenkte ihrem Gatten in diesem ersten Jahrzehnt ihrer Ehe drei Kinder, von denen die beiden ersten zwei ungemein reizende Geschöpfe sind. Wer diesen lieblichen Kindern begegnet, wenn sie in ihrer prächtigen offenen Equipage mit ihren Miniaturlakaien spazieren fahren, bleibt unwillkürlich stehen, um die blonden zierlichen Geschöpfe zu bewundern.

Der Luxus Teufide-Hanem’s, oder Madame Manßur-Paschas, wie sich die ägyptische Königstochter sehr gern nennen läßt, grenzt an’s Fabelhafte, an’s Haarsträubende. Wie alle orientalischen Frauen ist Teufide-Hanem ungemein launisch. Bildet sie sich ein, es sei in den Gemächern ihres Gatten weit kühler, als in den ihrigen: flugs müssen dann die zahllosen Möbel ihrer zahllosen Gemächer von dem ersten Stocke in das Erdgeschoß hinunter- und die Ausstattung desselben hinaufgeschafft werden, und zwar in einem Tage. Hört sie von irgend einem in Paris aufgetauchten Stoffe, dessen Nuance oder Gewebe neu ist, so müssen sofort Möbel herbeigeschafft werden, die aus dem neumodischen Stoffe verfertigt sind. Und was für Möbel! Ebenso geht es mit den Toiletten, den Tischgeräthschaften, den Wagen, dem Geschirre der Pferde, kurz mit Allem im Hause und in den Stallungen. Die sogenannten alten Möbel und Geräthe werden in die Daira geschafft, wo alle verpönten Einrichtungen der viceköniglichen Paläste aufgestellt werden. Aus dieser „Rumpelkammer“, in welcher lauter Möbel stehen, wie sich der prachtliebendste Fürst des Abendlandes keine schöneren wünschen könnte, erhalten die Ministerien, die Wohnungen der männlichen und weiblichen Günstlinge des ägyptischen Hofes die glänzendsten Ausstattungen. Nicht mit Unrecht sagt man, die Hareme verzehrten das Mark Aegyptens.

Die nächsthervorragende Persönlichkeit ist Frau Said-Pascha, die Wittwe des früheren Vicekönigs, des Oheims Ismail-Paschas. Sie war zu Lebzeiten ihres Gatten ebenso einflußreich wie schön; jetzt sind Einfluß und Schönheit bis auf wenige Spuren verschwunden. Ihr Antlitz ist noch immer höchst interessant, und die Art, mit welcher der Khedive mit seiner Tante verkehrt, beweist, daß er in ihr die Gemahlin eines Fürsten ehrt. Ihre Wünsche sind ihm Befehle, und auch sonst widmet ihr Ismail-Pascha immer die zarteste Galanterie. So hat der Khedive z. B. bei dem Wohlthätigkeitsbazar, der zu Gunsten der im „Moskovi-Kriege“ verwundeten türkischen Soldaten unlängst in Kairo stattfand, ein geschlossenes Briefcouvert, welches die Worte „de la part de Madame Veuve Saïd-Pacha“ trug, um eine hohe Summe Geldes erstanden, indem er vor aller Welt erklärte, daß ein Geschenk seiner hohen Tante in keine andere Hand gelangen dürfe, als in die seine. Ismail-Pascha öffnete das Couvert vor Aller Augen. Es enthielt ein Päckchen Charpie, welche sinnig genug an die Verwendung der Summe, die für dasselbe ausgegeben worden, erinnerte.

Durch Liebenswürdigkeit und Anmuth zeichnen sich im viceköniglichen Hause die seit zwei Jahren verwittwete Gemahlin Tussum-Paschas, die goldhaarige Fatma-Hanem, eine jüngere Schwester Teufide-Hanem’s, und die schwarzäugige Faika-Hanem aus, die Schwiegertochter jenes unglücklichen ägyptischen Finanzministers, welcher auf dem Wege nach dem Sudan auf geheimnißvolle Weise aus dem Leben schied. Faika-Hanem wurde unmittelbar nach dem Sturze des Finanzministers von ihrem Gatten geschieden. Wenn sie aber auch die Gemahlin eines Mannes war, dessen Vater von dem Khedive geächtet wurde, so ist sie dennoch im viceköniglichen Palais ein allgemeiner Liebling, eine im Orient allerdings seltsame Thatsache, wo es ja bekanntlich Sitte ist, allen Verwandten eines beim Landesherrn in Ungnade Stehenden den Rücken zu kehren oder sie zu schmähen. „Fliehe eine Mauer, die einfällt, oder die im Begriffe steht, einzufallen!“ das heißt: „Fliehe Denjenigen, den Gefahr bedroht, oder dessen Macht im Sinken ist!“ Nach diesem Sprüchworte richten sich Araber und Aegypter. Die anmuthsvolle Faika hat dies nicht erfahren, weil sie das Adoptivkind der vielgeliebten dritten Gattin des Khedive ist, der selbst der Muttersegen versagt worden. Ismail-Pascha behandelt die von seiner Lieblingsgemahlin an Kindesstatt angenommene reizende Circassierin stets wie sein leibliches Kind, und diese Thatsache ist’s, welche Faika-Hanem von dem Abgrunde rettete, in den der unglückliche Finanzminister sammt seiner Familie stürzte. –

Das sind die hervorragendsten Gestalten des heutigen ägyptischen Königshauses – wie oft ruht das Geschick des so reichen und doch so unglücklichen Landes in ihren weißen, weichen, kleinen Händen! So manche seltsamen Wandelungen der ägyptischen Politik könnte nur Derjenige erklären, welchem die Geheimnisse des viceköniglichen Harems keine Geheimnisse sind.

C. Greiner.