Die heitere Muse und der Selbstmord

Textdaten
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Titel: Die heitere Muse und der Selbstmord
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 722
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[722] Die heitere Muse und der Selbstmord. Es ist eine keineswegs neue Erfahrung, daß beliebte Komiker, welche durch ihre Scherze auf der Bühne das ganze Publikum erheitern und oft schon durch ihr bloßes Erscheinen in die beste Laune versetzen, im Leben große Hypochonder sind. Wer gedenkt nicht hierbei des Wiener Komikers Ferdinand Raimund, dem seine Freunde und Anhänger am 5. September d. J. eine Todtenfeier veranstalteten? Fünfzig Jahre sind verflossen, seitdem der Dichter des „Verschwenders“ zum Terzerol griff und sich erschoß mitten in einer erfolgreichen Laufbahn als dramatischer Dichter und darstellender Künstler. Doch Raimund war kein Possendichter im Stile seines Genossen Nestroy, der frisch aus dem Wiener Leben seine burlesken Gestalten herausgriff und in lustigen Verwickelungen über die Bühne führte. Raimund’s Muse war der Humor, der die lachende Thräne im Wappen führte; in seinen Zauberpossen „Der Diamant des Geisterkönigs“, „Der Bauer als Millionär“, „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ sowie in seiner besten „Der Verschwender“ ist neben dem genrebildlich Heiteren, neben dem phantastisch Nebelhaften einer Bühnenromantik, welche Himmel und Erde mit allerlei sagenhaften Gestalten bevölkert, ein melancholischer Zug unverkennbar, ein düsteres Brüten über den Geheimnissen des Menschenlebens, eine sinnige Vertiefung, welche in dem schönen Hobellied einen unvergänglichen Ausdruck gefunden hat. Ein Dichter wie Raimund stand der eigentlichen Possenkomik, so glücklich er sie in einzelnen Scenen zu verwerthen wußte, doch fern genug, und man begreift es eher, wie er düsteren Anwandlungen verfallen konnte, welche viele schwermüthige Dichter zum Wahnsinn geführt oder ihnen die Pistole in die Hand gedrückt haben.

Eine merkwürdigere Erscheinung ist es, daß neuerdings Künstlerinnen, welche das Reich der leichtgeflügelten Operette, des gesungenen und gespielten Leichtsinns beherrschen, freiwillig den Tod gesucht haben. Schon in der vorigen Saison und neuerdings wiederum wurden aus der Reichshauptstadt derartige Fälle gemeldet: Vor allem aber kam die traurige Kunde, daß die erste Soubrette des Walhalla-Theaters, die anmuthige Ungarin Eugenie Erdösy, sich im Thiergarten erschossen habe; sie hatte sich die Schläfe verletzt und erlag bald darauf ihren Verwundungen. Um so überraschender kam diese Nachricht, als noch an demselben Tage mehrere Bekannte und Freunde die junge Dame gesprochen und nicht bemerkt hatten, daß ihre unverwüstliche gute Laune die geringste Einbuße erlitten. Fräulein Erdösy gehörte überdies zu den glücklichen und erfolgreichen Künstlerinnen; sie war bei Publikum und Kritik beliebt, eine gewinnende Bühnenerscheinung, und hatte sich durch ihre Kunst ein Vermögen erworben. Aus so glänzenden, von allen jungen Kunstnovizen beneideten Verhältnissen schied sie freiwillig; so konnte nur ein entscheidender Grund vermuthet werden: unglückliche Liebe. Und in der That hat diese Vermuthung sich bestätigt; darin stimmen alle Berichte überein, daß Enttäuschungen der Liebe sie zum Selbstmorde geführt haben: eine Verlobung mit einem jungen Aristokraten war rückgängig geworden, vermuthlich weil die Familie eine Verbindung mit einer leichtlebigen Soubrette nicht wünschte oder die Verleumdung ihr Vorleben anklagte. Gleichviel: es bleibt Stoff genug übrig zum Nachdenken über das Trauerspiel in der Operette, über eine ernste Liebesleidenschaft in dieser Welt des bunten Scheins, in welcher die Liebe ihre tollsten Maskeraden aufführt und dabei verspottet wird von Offenbach’s leichtfertigen Rhythmen und dem bacchantischen Taumel der Strauß’schen Walzer. Da flüchtet sich die Reigenführerin dieser oft zügellosen Tänze in die Schatten des einsamen Waldes und stirbt einer ihr ganzes Herz ausfüllenden Liebe nach. Die Lippen schließen sich, die manch keckes Wort sprechen mußten, von denen das Herz nichts wußte; denn die Priesterin am Altare der leichtgeschürzten Theatermusen war eine edle und reine Jungfrau. †