Die geheimnißvollen englischen Lockteiche

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Titel: Die geheimnißvollen englischen Lockteiche
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 65-67
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die geheimnißvollen englischen Lockteiche.




So eng England in den meisten Gegenden der dichten Bevölkerung und auch uns im Vergleich zu andern Ländern erscheint, erfreut es sich doch natürlicher und noch mehr künstlicher Wildnisse, welche nie von dem Laute einer civilisirten Thätigkeit erschreckt werden, in denen der schrille Pfiff einer Locomotive, das heisere Geräusch einer gewetzten Sense, das ferne Aechzen eines Segels, der Anblick, ja der Geruch eines Menschen zum unerhörtesten Verbrechen würde. Schon die berühmten „Fen-districts“ (Moorgegenden) lassen oft blos Menschen zu, insofern sie den darin herrschenden befiederten und besinnten Geschöpfen, den lebendigen Vorrathskammern der Wild und Geflügel essenden Standes- und Geldaristokratie, der Helden in der Geflügel-Ausstellung des Krystallpalastes als Wärter und Erzieher, als Einfänger und Vertheidiger dienen. Die darin gehegten und gepflegten Moor- und Sumpfvögel, Teichfische und Amphibien sind heilig, aristokratische Jagd-, Fischerei-, Angel- und Lockteich-Privilegien. Ja selbst das gemeine, wilde Kaninchen, unabsehbare Strecken mit Millionen bevölkernd, ist heilig, so heilig, daß die Magistrate Jungen schon wegen des Verdachts, daß sie möglicher Weise die Absicht gehabt haben könnten, mit einem „Karnikel“ Streit anzufangen, hart bestrafen.

Der Mensch hat immer eine große Vorliebe für das Geheime und Verbotene, sei’s für Geheimrath werden oder verbotene Bücher, für die Geheimnisse der Chemie oder der Kabinette. Sobald ich hörte, daß diese künstlichen Wildnisse dem gewöhnlichen Sterblichen hermetischer verschlossen seien, wie dem besten Riesen-Teleskope die Grenzen des Himmels, nahm ich mir vor, um jeden Preis Zutritt in diese verbotensten Heiligthümer der englischen Jagd- und Wildprivilegien zu bekommen. Ich hatte keine Wahl mehr, es ließ mir keine Ruhe.

Was sonst noch kein Fremder gewagt, sollte es einem courageusen Deutschen nicht möglich werden, in die verborgenen Heiligthümer der Moore von Norfolk und Lincolnshire, in einen Ententeich, einzudringen? Das nagte an meinem patriotischen Herzen. Ich konnt’s nicht ertragen. Jeder Engländer sagte mir: „Nicht möglich! Lächerlich, dies zu versuchen! Ist noch niemals Jemandem gelungen.“

Was liegt daran, einen Ententeich zu sehen, denn darin besteht das ganze Geheimniß. Nichts! Nicht das Geringste. Aber die Unmöglichkeit, ihn zu sehen, das war der meinen Augen hingeworfene Fehdehandschuh, den ich nicht liegen lassen durfte. Ich glaube, es würde nicht halb soviel gestohlen, wenn das siebente Gebot nicht wäre. Wenigstens bin ich überzeugt, daß ich nie daran gedacht hätte, den Ententeich in Lincolnshire zu besehen, wenn ich nicht Jahre lang von allen Seiten gehört hätte, so etwas sei absolut unmöglich und wenn ich nicht Jahre lang mit allen Gesuchen und Petitionen um Zulassung entschieden und einige Male grob abgewiesen worden wäre, wie ich die meisten Merkwürdigkeiten großer Städte, die umsonst zu sehen sind, während Jahre langen Aufenthalts keines Blicks gewürdigt und nur denen meinen Besuch abgestattet habe, die ummauert, mit Brettern und Leinwand vernagelt, nur für Geld zu sehen waren.

Man halte dies nicht für überflüssige Einleitung in die Geheimnisse eines Ententeichs. Es ist kein gewöhnlicher Ententeich, sondern ein Entenlockteich „a decoy“, wie’s die Engländer nennen, ohne daß 10 Menschen eine richtige Vorstellung davon haben. Ich habe in illustrirten Magazinen, ja in naturwissenschaftlichen Büchern der Engländer nur ganz verkehrte Beschreibungen und Abbildungen davon gesehen. Man sieht Jäger mit Flinten in solchen abgebildeten „decoy’s“ mit Jagdhunden. Aber diese künstlichen Wildnisse für wilde Enten und Wasser- und Zugvögel ähnlicher Art sind so empfindlich, daß der bloße Gedanke an einen Schuß die Ernte eines ganzen Jahres verderben kann.

Ich glaube, noch Niemand in England, der schriftstellern und zeichnen kann, hat jemals einen solchen Teich gesehen, wenigstens lassen sich die falschen und verkehrten Schilderungen und Abbildungen davon, die von einer einzigen falschen Phantasiezeichnung in alle Bücher, selbst naturwissenschaftliche übergegangen sind, nicht anders erklären. Um aber nicht zu lange einzuleiten, übergehe ich die ganze merkwürdige Geschichte meiner Liste und Ränke und Diplomatieen, die endlich doch (Ende vorigen Novembers) zum Ziele führten. Es war freilich auch Glück dabei, da ich Zutritt zu einem Lockteich-Eigenthümer ausfindig machte, der sein ganzes Geschäft selbst besorgte, so daß Alles von ihm allein abhing. In größern Anstalten der Art, der Aristokratie gehörig, ist der Zutritt wohl allerdings absolut unmöglich, schon deshalb, weil der einzige Mensch, der die Geheimnisse dieser merkwürdigen Schonungen größtentheils allein betritt, so voller Aberglauben und so eifersüchtig auf sein Monopol ist, daß ihn kein Herr und Eigenthümer zwingen und bewegen kann, nur ihn zuzulassen.

Nachdem mir der aufgeklärte Eigenthümer einer kleinen Anstalt der Art feierlich Eid und Ehrenwort abgenommen, daß ich nie seinen Arm loslassen, mich nicht sehen, nicht hören, nicht riechen lassen, nicht sprechen, nicht husten, nicht niesen wolle, schlichen wir vorsichtig unsern Weg durch Gebüsch und Schilf in das Heiligthum seines Teiches an, Jeder ein Stück glimmenden Torfes in durchlöcherter Blechbüchse vor uns tragend, das beste Mittel, die „Witterung“ menschlicher Nähe für die Bewohner des Teiches zu zerstören.

Seltsamste, panischste aller Naturscenen! Schon meilenweit vor der Wohnung meines „Decoy-man“ (Verwalters und Eigenthümers des Wild-Enten-Lockteichs) hatte jede Spur von Civilisation und deren Geräusch aufgehört. Ein trüber, schwerer Nebel hing über dem niedrigen Buschwerk und in den unabsehbaren Bayonnetten von Schilf-Armeen, die nach allen Seiten hin in trauriger Ebene sich in’s nebelhaft Unbestimmte verloren. Schweigend schlichen wir durch die schweigenden Fußpfade, die durch Schilf über dumpfen Boden hinirrten, hinter uns ein jämmerliches, merkwürdiges Exemplar von stummen Hunde. Die leiseste Luftbewegung wurde laut im seidenen, scharfen Seufzen des Schilfes, das bald mauerartig dicht vor uns stand. Wir waren vor der äußersten Verzäunung angekommen, der äußersten, höchsten Schilffestungsmauer, deren mehrere den sechsstrahligen Teich umgeben und gegen Geräusch und Aussichten schützen. Weitere Umgebungen müssen durch anderes Gestrüpp und Dickicht mindestens anderthalb englische Meilen ringsum jedes lautere Geräusch ausschließen. Diese Umgebungen müssen also künstlich vereinsamtes, wild liegendes Eigenthum des Teichbesitzers und weit und breit vor Menschen und deren Thun und Treiben gewahrt sein. Das macht solche Anlagen in einem Lande, wo Grund und Boden fast überall schon zu enge und deshalb theuer ist, ungemein kostspielig und immer mehr zu Seltenheiten großer aristokratischer Grundbesitzer. Das Pfeifen oder Zurufen eines Pflugknechts, das Geklingel einer Schafglocke, eine gewetzte Sense darf hier nie vernommen werden. Straßen mit knarrenden Wagen, die knirschende Takelage eines Bootes, das fernste Aufkreischen einer Locomotivpfeife entvölkert den geheimnißvollen Teich oft auf ein ganzes Jahr und macht ihn werthlos. Mein Führer, der 1/2 Meile weit von seinem Teiche wohnte, hatte sich einmal die ganze Ernte verdorben, blos durch heftiges Einschlagen eines Nagels in sein Hausthor. Der Lockteich darf mit einem Worte von keinem Geräusch, das die wilden Bewohner selbst nicht machen, berührt werden. Sie sind natürlich, je nach den Mitteln, verschiedener Größe. Der, welchen ich zu sehen auserkoren war, bestand aus einem etwa drei Morgen bedeckenden See mit sechs regelmäßigen, sich einengenden Ausläufen, „pipes,“ Pfeifen, genannt. Aus der Vogelperspektive würde er daher wie ein sechsmahliger Stern oder eine sechsfüßige Spinne aussehen. Von jeder „Pfeife“ krümmen und engen sich rundbogig überdeckte dunkle Graben, in welche die wilden Enten gelockt, von unsichtbarer Hand geräuschlos gewürgt und auf den Markt (à Stück 11/2 bis 3 und mehr Thaler) gebracht werden. Die am See mit 18 Fuß Weite anfangenden und sich dann von allen Seiten, auch in ihren Ueberdachungen einengenden Pfeifen laufen in den sechs Hauptrichtungen des Kompasses in’s Land hinein, um sich immer der bedienen zu können, gegen welche der Wind kommt und so den Geruch des einzigen Menschen in ihrer Nähe wegzublasen. Bei Windstille muß nicht selten glimmender Torf diesen Menschengeruch (gegen den alles Wild die fabelhaft feinste Nase des Abscheues und der Furcht hat) zerstören, wie wir ihn, weil ihrer Zwei, der Vorsicht wegen bei uns [66] trugen. Am Ende dieser Pfeifen liegen Netze auf dem Grunde, die mit einem einzigen Ruck über die Exemplare, welche sich von der „Lockente“ zu dem Tode des Verraths ködern ließen, gezogen und dann wieder unter Wasser gebracht werden, wo der listige Fänger sie lautlos erwürgt, so daß nicht einmal ihr Angstgeschrei die andern warnen kann. Wie aber werden die wilden, scheuen, ungemein scharf besinnten und mißtrauischen Thiere in diese Kanäle des Verraths geködert? Das ist die merkwürdigste List, die mir je vorgekommen: mit einem Judas, einem gewerbsmäßigen, einstudirten Judas unter ihnen, und einem seltsamen Exemplare von Hunde, dessen Erziehung, wie so häufig unter Menschen, blos in künstlicher Verblödsinnigung bestand. Man läßt ihn erst zu Hause zwischen Oeffnungen nach durchgeworfenem Brote springen und dabei auf stummen Wink gehorchen. Außerdem wird er künstlich stumm gemacht und jeder leiseste Laut, den er von sich gibt, so lange bestraft, bis er niemals mehr muckst. Auch bekommt er keinen Namen und muß ausschließlich auf Winke gehorchen lernen. Ist diese Erziehung des Hundes vollendet, wird er examinirt und angestellt, um ihn mit der „Lockente“ um die Wette unbewußt zum Morde zu führen.

Die Lockente (decoy-duck) wird aus jungen zahmen Enten vom Eie weg gewählt, insofern ihr Gefieder dem der wilden Ente entspricht. Nur die eine Person, welche sie einst gebrauchen will, füttert sie ausschließlich, wobei ihr jedesmal ein bestimmter Passus von Tönen ganz leise vorgepfiffen wird. Auch bekommt die zum professionellen Verrath erzogene Ente während des ganzes Jahres ihrer einsamen Schule keinen andern Menschen zu sehen. Versteht sie das leise Gepfeife, den Schritt, die „Witterung“ ihres Erziehers und frißt sie ihm aus der Hand, wird sie angestellt. Decoy-man, decoy-duck und decoy-dog, Lockmann, Lockente und Lockhund, das ist das ganze Künstlerpersonal, welche die Enten „wirken“, um den professionellen Ausdruck für das Locken derselben in die Todeskanäle wörtlich wiederzugeben.

Die wilden Enten verlassen ihre Tagesresidenz auf dem Lockteiche jeden Abend in der Dämmerung, um während der Nacht in den benachbarten Mooren Frösche und dergleichen wohlschmeckendes Gethier unglücklich zu machen und sich zu laben, kehren mit Tagesanbruch gesättigt zurück und schlafen bis Mittag und amüsiren sich dann wieder bis gegen Abend. Gleich nach dem Erwachen waschen und putzen sie ihr Gefieder und ordnen es mit der größten Koketterie. Dann vertheilen sie sich in Gruppen und schwatzen und lachen mit einander aus verschiedenen Entfernungen. Im Frühjahre gibt’s viel Liebesangelegenheiten für’s Leben zu ordnen, wobei viel duellirt wird, da die wilden Enten die unter zahmen anerkannte Institution der Polygamie durchaus nicht dulden, so daß Nebenbuhler energisch und für immer abgewiesen werden müssen. Dabei gibt’s unter den jungen Enterichen, wie Enten, manche Koketten und Courmacher, worüber es viel zu klatschen gibt, mit den Flügeln, wie mit den skandalsüchtigen Breitschnäbeln. Aeltere, gesetzte, verheirathete Herren und Damen setzen sich während solcher Liebes- und Ritterkämpfe der Jugend auf dem Wasser gern ruhig an den Ufern, die unmittelbar am Rande von Schilf und sonstigem Wuchs frei gehalten werden, zur Sonnung und ruhiger Unterhaltung, zum Zusehen und zur Kritik. Alles benimmt sich ganz ungenirt, wie in den fernen Wildnissen von Bothnia u. s. w., wo manche von ihnen gelegt und ausgebrütet wurden.

Sie ahnen nicht, daß gierige Menschenaugen durch künstlich in die Schilfmauern gebogene Oeffnungen jede ihrer Bewegungen studiren. Der Lockmann fängt unter gewöhnlichen, nicht durch Wetter u. s. w. gestörten Verhältnissen etwa um 2 Uhr sein listiges, dem Gewetze des Schilfs abgelauschtes, leises Pfeifen an, das die Lockente für Einladung zu Tische nimmt. Von ihr hängt jetzt Alles ab. Ist sie sehr hungrig, so macht sie durch ungestümes Klatschen und Flattern nach der für sie bestreuten Speiseröhre (der „Pfeife,“ nach welcher ihr gepfiffen wird) die wilden Collegen stutzig und mißtrauisch. Hat sie die Nacht über gut geschmaust, folgt sie der Einladung entweder gar nicht oder nachlässig. In beiden Fällen verfehlt sie, Nachfolger hinter sich herzulocken. Sie muß mit einer gewissen vornehmen, leidenschaftlosen Zutischegehmiene den Locktönen ihres Meisters folgen, wenn ihr ein guter Theil der wilden Gesellschaft folgen soll. Sobald nur einige, geführt von der Lockente, in einer bestimmten Richtung schwimmen, denken andere am Ufer: da muß was los sein, wollen doch sehen! und schließen sich neugierig dem Zuge an bis zur Oeffnung der „Pfeife,“ wo die Lockente, der hier nun bald Leckerbissen hereingestreut werden, zurückbleibt, während die andern „auf den Hund“ kommen. Der Lockmann wirft jetzt weiter nach innen der Pfeife ein Stück Brot durch eine Oeffnung der innersten Schilfmauer, welches sich der Hund holt und zurückspringt. Die Enten mußten ihn dabei sehen und schwimmen neugierig nach dem Orte, wo ihnen das merkwürdige Phänomen erschien und verschwand. Inzwischen schleichen Mann und Hund nach der nächsten Oeffnung, durch welche den Enten dieselbe flüchtige Hundeerscheinung auffällt, so daß sie ihre Forschungen auch auf diesen Punkt ausdehnen. So geht es fort, bis sie eingeengt und umnetzt, gepackt, gewürgt und den Epikuräern der englischen Standes- und Geldaristokratie zugeschickt werden.

Die „Strippen,“ an welchen die beiden Hülfsverräther geleitet werden, sind sehr einfach. Hund und Ente gehen nach Brot. Ihre ganze Dressur besteht darin, daß sie in dieser bestimmten Weise ihr Brot zu suchen gewöhnt wurden. Von der teufelischen Lust, mit welcher die Lockente ihre Mitbürger in die Falle des Verraths führen soll, wie mehrere englische Dichter gesungen haben, weiß der Lockmann nichts, wohl aber steckt er voll des seltsamsten Aberglaubens, den er aus seiner einsamen, menschenscheuen, sumpfigen Lebens- und Geschäftsweise zog. Ich erwähne hier nur einen Zug. Der Mann schreitet nie zur Blüthe und Frucht seiner merkwürdigen Arbeit, dem Halsumdrehungsgeschäfte, wenn die Lockente zufällig einmal mit in die „Pfeife“ hineinschwimmen sollte, weil er sich schämt, sich ihr, die ihn blos als treuen Freund und Fütterer kennt, in seinem wahren Charakter zu verrathen. Er wacht, oft gegen seinen augenblicklichen Vortheil, eifersüchtig darüber, daß ihm die Liebe und das Vertrauen der Lockente bleibe. „Hab’ ich doch sonst keinen Freund auf Erden!“ setzte der Mann hinzu, als er mir später dieses Herzensgeheimniß nicht ohne Anflug von Gefühl enthüllte.

Die Rolle des Hundes mag auffallend erscheinen, läßt sich aber aus der auf Enten ausgedehnten menschlichen Natur sehr einfach erklären. Wo’s etwas Neues zu sehen gibt, drängen sich die Leute zu. Eben so machen’s[WS 1] die Enten, denen, namentlich beim ersten Anblick, nichts Merkwürdigeres in ihrer ausschließlichen Wildniß verkommen kann, als ein plötzlich hervorspringender und scheinbar erschreckt und furchtsam wieder ausreißender naseweiser Hund. Neue Ankömmlinge benehmen sich beim ersten Anblick auch so neugiertoll, wie kaum Krethi und Plethi unter den Menschen, denen zum ersten Male Gelegenheit geboten wird, eine Mißgeburt, einen persischen Prinzen oder dreibeinigen Hasen zu sehen. Man kann übrigens leicht an zahmen Enten beobachten, was hier die wilden thun. Trinkt ein Hund aus ihrem Teiche, schwimmen sie mit langen Hälsen und bedeutungsvollen Zuckungen und Winken auf ihn zu, um ihm zu drohen oder ihn näher zu besehen. Dem gesättigten und davonlaufenden Hunde quärren sie dann einen jubelnden Hohn nach, stolz auf ihre vermeintliche Courage und den feigen Rückzug des Hundes.

Das ist ein Bild des regelmäßigen Geschäfts. Aber es wird nicht selten entsetzlich aus der Natur desselben heraus gestört. Es gibt viele Arten von wilden Enten, die beim Lockmann alle ihre verschiedenen Namen haben: „teal, widgeon, gewöhnliche wilde Ente, pochard, shoveller, pin-tail“ u. s. w. Unter ihnen ist die „Pochard“ ein wahrer Satan von List und Pfiffigkeit. Sie riechen die Gefahr, das Netz auf dem Grunde und tauchen oder fliegen dann blitzschnell und stürmisch genau in der Richtung, in welcher sie kommen, zur Pfeife hinaus, wodurch sie die andern Arten so in Furcht setzen, daß sie ihnen nachstürmen und oft alle entkommen. Man hat schon Netze vor ihnen, näher der Mündung der Pfeife plötzlich aufgezogen, um ihre Flucht unmöglich zu machen, sie aber nie gefangen. Durch Fliegen, Tauchen, Stürmen gegen das Netz u. s. w. fanden sie stets, entweder oben oder unten eine Stelle ausfindig, um zwischen Netz und Boden oder Netz und Netz oben zu entkommen. In der Regel folgen sie aber gar nicht in die Pfeife hinein, sie scheinen die Gefahr darin genau zu kennen. Sie schwimmen höhnend vor der Mündung der Pfeife umher, machen listige Winke, schwimmen davon, nicht selten gefolgt von allen andern. „Das ist zum Todärgern,“ sagte der Mann, „zumal da die Pochards mit ihrem feinen Fleische den berühmten amerikanischen Canevas-Enten gleichkommen und mit Gold aufgewogen werden.“

[67] Noch schlimmer ist der Hecht von unten. Daß er junge Enten verschlingt, ist durchaus nicht sein schlimmster Fehler. Wenn er wie eine Boa Constrictor gefressen, legt er sich gern im seichten Wasser zur Verdauung, nicht selten an der Mündung einer Pfeife.

Kommen nun die Enten, geführt von ihrer Lockerin, wie eine kleine Flotte angeschwommen, dreht er sich unwillig, zu sehen, was los sei, schlägt mit dem Schwanze, und bringt die ganze Flotte fliehend auf ihre Flügel. So verliert der Mann durch diesen Hechtschwanz vielleicht einen Fang von 100 bis 150 Thalern an Werth.

Und dann der langbeinige Reiher! Wie in Stein gehauen steht er da am Rande, den langen Hals zusammen geklappt, mit funkelnden, kleinen runden Augen, um den Fisch in seiner Nähe blitzschnell mit langem Schnabel zu spießen, zu verschlingen und dann wieder wie steinern still zu stehen, bis wieder ein Fisch in das Bereich seines Spießes schwimmt. Das würde noch nicht so viel schaden, aber er wittert noch viel feiner, als die Enten. Selbst der glimmende Torf entgeht ihm nicht. Mit eigenthümlichem Jammergeschrei fliegt er davon, und warnt damit auch die Enten, die insofern viel Sprachkenntnisse zu haben scheinen, als sie den Warnungsruf einer ganz andern Thiergattung sofort verstehen, danach fliehen und die Mitte des Teiches den ganzen Tag nicht wieder verlassen.

Die Geschäftszeit für den Lockmann ist vom Oktober bis März. Einige Entenarten bleiben das ganze Jahr. Die besten aber kommen vom Oktober an aus den großen Sumpfgegenden von Nordeuropa, und bleiben bis zum Frühlinge, wenn ihre Sommerwohnungen wieder aufgethaut sind.

Diese hocharistokratischen künstlichen Wildnisse und Wildstände haben im Hechte, im Reiher und dem schwarzbraunen pfiffigen Pochard arge Feinde, ärgere aber in der Art, der Schaufel, der niedrigen Karre, dem gemeinen Pfluge. Die französische Aristokratie opferte ihre Vorrechte in einer heißen Augustnacht; der englischen, zäheren, werden sie langsamer, nüchterner, aber gründlicher abgepflügt, und durch Schürfen und Schaufeln sehr allmälig abgewonnen.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: manchen’s