Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Die gefährliche Belohnung
Untertitel:
aus: Chinesische Volksmärchen, S. 189–191
Herausgeber: Richard Wilhelm
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Eugen Diederichs
Drucker: Spamer, Leipzig
Erscheinungsort: Jena
Übersetzer: Richard Wilhelm
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
E-Text nach Digitale Bibliothek Band 157: Märchen der Welt
Eintrag in der GND: [1]
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63. Die gefährliche Belohnung

Bei dem Großen Berge lebte ein Mann namens Hu Wu-Bau. Der ging einmal auf dem Berge spazieren. Da traf er unter einem Baume einen Boten in rotem Gewande, der ihm zurief: „Der Herr des Großen Berges möchte dich sehen!“ Der Mann erschrak gar sehr, doch wagte er keinen Widerspruch. Der Bote hieß ihn die Augen schließen, und als er sie nach einer kleinen Weile wieder öffnen durfte, da stand er vor einem hohen Palast. Er trat ein, um den Gott zu sehen. Der richtete ihm ein Mahl zu und sprach: „Daß ich Euch heute rufen ließ, hat keinen andern Grund, als daß ich gehört habe, Ihr wolltet nach Westen reisen. Da möchte ich Euch gern einen Brief mitgeben für meine Tochter.“

„Wo ist denn Eure Tochter?“ fragte der Mann.

„Sie ist an den Flußgott verheiratet“, war die Antwort. „Ihr braucht nur diesen Brief da mitzunehmen. Wenn Ihr mitten im gelben Flusse seid, so schlaget an das Schiff und rufet: Grünrock! Dann wird jemand kommen, der Euch den Brief abnimmt.“

Mit diesen Worten gab er ihm einen Brief, und er ward wieder an die Oberwelt zurückgebracht.

Als er auf seiner Reise an den gelben Fluß kam, da tat er nach den Worten des Königs und rief: Grünrock! Und richtig kam ein Mädchen in grünen Kleidern hervor, das nahm ihn bei der Hand und hieß ihn auch die Augen schließen. So führte sie ihn in den Palast des Flußgotts, und er übergab den Brief. Der Flußgott bewirtete ihn prächtig und bedankte sich aufs beste. Beim Abschied sprach er [190] noch: „Ich danke Euch, daß Ihr den weiten Weg zu mir gemacht habt. Ich habe nichts, das ich Euch schenken könnte, als dies Paar grüner Seidenschuhe. Wenn Ihr sie tragt, so könnt Ihr gehen, soviel Ihr wollt, und werdet doch nicht müde. Auch werden Eure Augen aufgetan, daß Ihr Geister und Götter sehen könnt.“

Der Mann bedankte sich für das Geschenk und kehrte auf sein Schiff zurück. Er setzte seine Reise fort nach Westen, und nach einem Jahr kam er wieder zurück. Am Großen Berge angekommen, dachte er, es schicke sich doch wohl, wenn er dem Gotte Antwort sage. So schlug er wieder an den Baum und nannte seinen Namen. Schon tauchte auch der rote Bote wieder auf und führte ihn vor den Herrn des Berges. Dem erzählte er, daß er den Brief beim Flußgott abgegeben habe und wie es dort stehe. Der Berggott dankte sehr. Während des Essens, das der Berggott für ihn bereitet hatte, zog er sich für einen Augenblick an einen stillen Ort zurück. Da sah er plötzlich seinen verstorbenen Vater, gefesselt und in Ketten, der mit mehreren hundert Verbrechern zusammen unwürdige Dienste leisten mußte.

Zu Tränen gerührt, fragte er ihn: „Vater, warum seid Ihr hier?“

Der Vater sprach: „Ich habe während meines Lebens auf Brot getreten; darum ward ich verurteilt, hier an diesem Orte Dienst zu tun. Zwei Jahre sind schon vorüber, doch ist die Bitternis unsäglich. Du bist mit dem Berggott bekannt, da magst du für mich bitten, daß er mir diesen Dienst erläßt und mich zum Ackergott in unserem Dorf ernennt.“

Der Sohn versprach es ihm. Er kehrte wieder zurück und bat den Berggott für seinen Vater. Der zeigte seiner Bitte sich geneigt, doch sprach er warnend: „Tod und Leben haben verschiedene Wege. Es ist nicht gut, dauernd einander nah zu sein.“

Der Mann kehrte heim. Doch als etwa ein Jahr vergangen war, da waren seine Kinder beinahe alle gestorben. In [191] seiner Herzensangst wandte er sich an den Gott des Großen Berges. Er klopfte an den Baum; der Rotrock kam und führte ihn in den Palast. Da brachte er seinen Jammer vor und bat den Gott um gnädigen Schutz. Der Berggott lächelte: „Ich hab’ es Euch ja gleich gesagt, daß Tod und Leben verschiedene Wege haben und daß es nicht gut sei, einander dauernd nah zu sein. Das kommt nun davon.“ Doch sandte er einen Boten, den Vater zu holen. Der Vater kam, und der Gott sprach also zu ihm: „Deine Schuld habe ich dir vergeben und habe dich in deine Heimat zurückgeschickt als Ackergott. Da war es deine Pflicht, den Deinen Glück zu bringen. Statt dessen sind deine Enkel fast alle weggestorben, warum?“

Der Alte sprach: „Solange war ich von zu Hause fort, da war ich froh, wieder zurückzukommen. Auch hatt’ ich Wein und Speise in Hülle und Fülle. Da dachte ich an meine Enkelchen und rief sie zu mir.“

Der Berggott ernannte darauf einen neuen Ackergott für jenes Dorf und gab dem Vater eine andre Stelle. Von da ab kam kein weiterer Unglücksfall in der Familie vor.

Anmerkungen des Übersetzers

[400] 63. Die gefährliche Belohnung, vgl. Sou Schen Gi.

Über den Gott des Großen Berges vgl. Nr. 23 und 62.