Die erste Aufführung von „Wallensteins Lager“

Textdaten
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Autor: J. F.
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Titel: Die erste Aufführung von „Wallensteins Lager“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 653, 666–667
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[653]

Wallensteins Lager.
Nach der ersten Aufführung in Weimar am 12. Oktober 1798 dargestellt von G. M. Kraus.

[666]
Die erste Aufführung von „Wallensteins Lager“.
(Mit dem Bilde S. 653.)

Am 12. Oktober 1798 fand im Weimarischen Hoftheater das lebensprühende Vorspiel zu Schillers Wallensteintragödie die erste Aufführung. So jährt es sich nunmehr zum Hundertstenmal, daß das lustbewegte Bild deutschen Soldatenlebens, in welchem die Zeit des Dreißigjährigen Krieges sich so farbenecht spiegelt, erstmals in Scene ging, daß die köstlichen Knittelreime der Kapuzinerpredigt und die mutvollen Klänge des Reiterlieds mit dem Reiz völliger Neuheit auf ein Publikum wirkten.

„Wallensteins Lager“ ist Schillers humoristischste Schöpfung; in Bezug auf dramatisches Temperament bezeichnet es den Höhepunkt seines Schaffens, wie ja der ganze Wallenstein anerkanntermaßen das größte und vollendetste ist, was Schiller für die Bühne gedichtet hat. Dies wäre schon Anlaß genug, den hundertjährigen Gedenktag dieses Theaterabends festlich zu begehen. Die Aufführung fand aber unter so bedeutsamen Umständen statt, daß der Rückblick auf sie für jeden idealgesinnten Deutschen die stolzesten Erinnerungen weckt.

Mit der Erstaufführung von „Wallensteins Lager“, welcher der berühmte Prolog Schillers vorausging, leiteten Goethe und Schiller ihre gemeinsame Thätigkeit an der Hofbühne Weimars ein, die von grundlegender Bedeutung für das klassische Repertoire des gesamten deutschen Theaters wurde. Der Erfolg dieses Abends und der im Winter folgenden Erstaufführungen der „Piccolomini“ und von „Wallensteins Tod“ bewirkten Schillers Entschluß, sein Leben hinfort der Bühnendichtung zu widmen, der er sich seit Vollendung des „Don Carlos“ entfremdet hatte und der er nun bis zu seinem Tode treu blieb. In dem kurzen Zeitraum von sechs Jahren entstanden jetzt „Maria Stuart“, „Die Jungfrau von Orleans“, „Die Braut von Messina“, „Tell“ und das Fragment des „Demetrius“. Jener Erfolg bewog ihn auch, von Jena ganz nach Weimar überzusiedeln, um als Dramaturg dem ihn in inniger Freundschaft verbundenen Goethe in seinem siegreichen Bemühen zu unterstützen, das Weimarische Hoftheater zu einer weithin wirkenden Musterbühne im Sinne ihres klassischen Kunstideals zu machen.

Mit der Erstaufführung von „Wallensteins Lager“ eröffnete Goethe zielbewußt diese neue Aera, die Shakespeare und Lessing ebenso zu gute kam wie seiner und Schillers Dichtung. Als er 1791 die Leitung des Theaters übernahm, sah er sich an den herrschenden Geschmack gebunden, und dieser Geschmack war im Publikum wie bei der Mehrzahl der Schauspieler auf die Darstellung des Alltäglichen und auf rohen Naturalismus gerichtet. Auch die von ihm geschulten Künstler zeigten sich lange Zeit unfähig, Dramen von rhythmischem Stil, wie seine „Iphigenie“, seinen „Tasso“, zu spielen. Mit unsäglicher Mühe gelang es ihm, allmählich eine Truppe heranzubilden, die sich solchen Aufgaben gewachsen zeigte. Der Freundschaft mit Schiller verdankte er dabei die wertvollsten Anregungen. Während beide Dichter im regen Verkehr miteinander freudig sich der Gemeinsamkeit ihres Zieles in wachsendem Maße bewußt wurden, während sie in befruchtendem Wetteifer auf dem Gebiet der Ballade ihr Reifstes und Schönstes schufen, stand ihnen die Bühne als höchste Etappe für ihren Siegeslauf immer vor Augen. Goethes ermunternder Zusprache war es zu danken, daß Schiller den schon 1791 ins Auge gefaßten Wallensteinstoff im Herbst 1797 energisch aufnahm, wobei er die in Prosa begonnene Gestaltung aufgab und nach dem Muster von Shakespeares historischen Dramen an die Ausführung des Werkes in Jamben ging. In dem „Musenalmanach“ für dasselbe Jahr hatten sie beide vereint gegen die Herrschaft der Banalität in der Litteratur den Kampf aufgenommen, dessen Waffen die „Xenien“ waren. Hier hatte Schiller den Schatten Shakespeares beschworen und dessen Fragen nach dem Stand der deutschen Bühne mit ironischen Ausfällen auf die sie beherrschenden Günstlinge der Mode beantwortet, vor allem auf Kotzebue. Heftig hatten die Angegriffenen erwidert. Für Schiller und Goethe aber waren der Worte genug gewechselt, jetzt sollten Dichterthaten den Kampf entscheiden. Goethe hatte die günstige Gelegenheit des neuen Schloßbaus in Weimar, den der Stuttgarter Thouret ausführte, benutzt, durch diesen auch den Innenraum des Theaters in künstlerischem Geschmack neu herstellen zu lassen. Die Eröffnung des neuen säulengetragenen Saals gab den Dichtern den Vorwand, auch im Sinn ihrer hohen Pläne von dem Beginn einer neuen Aera zu reden. Schiller that dies in dem Prolog, der dem „Lager“ vorangeschickt wurde und welcher seitdem ein laut zeugendes Denkmal der Bedeutung des 12. Oktobers 1798 in der Litteratur- und Bühnengeschichte unserer Nation geblieben ist …

     „Die neue Aera, die der Kunst Thaliens
Auf dieser Bühne heut beginnt, macht auch
Den Dichter kühn, die alte Bahn verlassend,
Euch aus des Bürgerlebens engem Kreis
Auf einen höhern Schauplatz zu versetzen,
Nicht unwert des erhabenen Moments
Der Zeit, in dem wir strebend uns bewegen.
Denn nur der große Gegenstand vermag
Den tiefen Grund der Menschheit aufzuregen;
Im engen Kreis verengert sich der Sinn,
Es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken.
     Und jetzt an des Jahrhunderts ernstem Ende,
Wo selbst die Wirklichkeit zur Dichtung wird,
Wo wir den Kampf gewaltiger Naturen
Um ein bedeutend Ziel vor Augen sehn
Und um der Menschheit große Gegenstände,
Um Herrschaft und um Freiheit, wird gerungen,
Jetzt darf die Kunst auf ihrer Schattenbühne
Auch höhern Flug versuchen, ja sie muß,
Soll nicht des Lebens Bühne sie beschämen.
     Zerfallen sehen wir in diesen Tagen
Die alte feste Form, die einst vor hundert
Und fünfzig Jahren ein willkommner Friede
Europens Reichen gab, die teure Frucht
Von dreißig jammervollen Kriegesjahren.
Noch einmal laßt des Dichters Phantasie
Die düstre Zeit an euch vorüberführen,
Und blicket froher in die Gegenwart
Und in der Zukunft hoffnungsreiche Ferne!“

Die letzteren Verse vergegenwärtigen uns die politische Bedeutung unseres Gedenktags; doch nicht nur durch den Hinweis auf den Westfälischen Friedensschluß vor damals hundertundfünfzig Jahren. Nirgends hat sich Schillers hohes Nationalgefühl unmittelbarer ausgesprochen als im „Wallenstein“. Aus seiner Seele stammte der große patriotische Zug in dem düsteren Charakter seines Helden, daß dieser sich gegen seinen Kaiser auflehnt um der Wohlfahrt des Reiches willen. Ein kampfbereites, dem Führer vertrauendes Heer wie das Wallensteins, aber der Führer einig mit dem Staatsoberhaupt: das war das Hoffnungsbild, welches aus Schillers Dichtung der Nation erwuchs, während die Schwäche der deutschen Diplomaten das linke Rheinufer den Franzosen preisgab und das Siegesgestirn Bonapartes mit drohendem Schein über Deutschland aufging. Als 1813 die deutsche Jugend, [667] die Heldengestalt des Max Piccolomini im Herzen, sich waffenfroh um den „Marschall Vorwärts“ scharte, ging Schillers Dichterprophetie aufs herrlichste in Erfüllung.

Eine feine Ironie Goethes war es, daß er an dem Eröffnungsabend dem Prolog und dem „Lager“ ein schwaches Schauspiel von Kotzebue, „Die Corsen“, vorausgehen ließ, dessen konventionelle Theatereffekte in grellem Kontrast zu Schillers Dichtungen standen. Der glänzende Erfolg, den diese in dem dichtbesetzten Haus davontrugen, ist von allen bezeugt, die über den denkwürdigen Abend berichtet haben. Goethe selbst bedachte in einem Briefe, den er in Cottas „Allgemeiner Zeitung“ veröffentlichte, die Schauspieler mit hohem Lob wegen der ausdruckvollen Natürlichkeit, mit der sie die Verse gesprochen hatten. Besonders rühmte er Vohs, der den Prolog in der Kürassieruniform vortrug, in welcher er später in den „Piccolomini“ als Max zu erscheinen hatte. Im „Lager“ spielte Beck den Bauer, seine Frau die Marketenderin, Weyrauch den Wachtmeister, Leißring den ersten, Becker den zweiten Jäger, Genast den Kapuziner, Haide den Kürassier. Am Schluß hob Goethes Bericht besonders hervor, daß die Kostüme nach Abbildungen zugeschnitten waren, die aus damaliger Zeit herstammten.

Als ein künstlerisches Gedenkblatt an den bedeutungsvollen Theaterabend ist der alte Kupferstich auf uns gekommen, der sich auf S. 653 verkleinert wiedergegeben findet. Er stellt das heitere Wiedersehen des langen Peters aus Itzehoe mit der Gustel aus Blasewitz dar und läßt im Hintergrunde bereits den Kapuziner erscheinen, der gleich in den übermütigen Lagerlärm mit seinem höhnischen „Heisa, juchheia!“ hereinplatzen wird. Die Mitteilung des interessanten Kunstblatts verdankt die „Gartenlaube“ auf Befragen dem Direktor des Großherzoglichen Museums in Weimar, Dr. C. Ruland. Der kolorierte Stich stammt von dem Weimarer Kupferstecher C. Müller und ist nach einem Aquarell des Malers Georg Melchior Kraus ausgeführt worden, der im November 1806 in Weimar verstarb. Kraus war wie Goethe ein geborener Frankfurter; er bildete sich unter H. Tischbein, besuchte darauf 1761 Paris, wo Greuze und Boucher auf ihn einwirkten. 1774 traf er in Ems mit Goethe zusammen, der Interesse an seinen Aufnahmen der Lahngegenden fand. Durch Goethes Vermittelung kam er 1776 nach Weimar, wo er in Diensten Karl Augusts die Zeichenakademie gründete. Ruland hat nicht den geringsten Zweifel, daß Kraus die Scene auf unserem Bild so dargestellt hat, wie sie auf der Weimarischen Bühne eingerichtet war. Der Müllersche Stich wurde, wie Ruland weiter mitteilt, populär: er findet sich noch heute eingerahmt und verräuchert in manchem alten Hause. Das Bühnenbild des Dichters aber ersteht immer aufs neue auf unseren Theatern in jugendlicher Frische und wirkt auf die heutige Generation noch mit derselben Kraft wie auf die Zuschauer vor hundert Jahren. J. F.