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Titel: Die englische Küche
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 215-216
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[215] Die Englische Küche. „Sage mir, mit wem Du umgehst und ich will Dir sagen, wer Du bist,“ ist ein Sprichwort, das wir überall wiederfinden, weil es auf einer tiefliegenden psychologischen Wahrheit beruht, die in jedem Clima dieselbe bleibt. „Sage mir, was Du ißt und ich will Dir sagen, wer Du bist,“ möchte nicht minder seine Berechtigung finden, wenn man im neunzehnten Jahrhundert noch mit einem Sprichworte hervortreten dürfte. Aber die Zeiten sind lange dahin! Die gute Gesellschaft, die so genannte, wo Wachskerzen brennen, und der Fuß auf spiegelglatten Parkets ausgleitet, hat sich eine eigene Sprache geschaffen, die ohne Fallen und Steigen der Stimme, das Wort, wie Bachesmurmeln, über die Lippe trägt; hier ist kein kerniger Spruch, der mit drei Worten eine Lebenswahrheit hinstellt, mehr gebräuchlich, denn man kommt nicht zusammen der Wahrheit halber. Im Gegentheil! – Im Volke hört man dann und wann noch so ein Wort aus alter Zeit, das einst der Lippe eines Weisen entfallen, im frommen Glauben an die Autorität von Mund zu Mund getragen wurde, und sich bis heute mit schwachen Nachklängen erhält, denn auch hier wird es seltener. – Was die Bildersprache dem Oriente, das war vielleicht einst dem Deutschen sein Sprichwort. Er konnte sich damit bei wenigen Worten so gar Vieles denken. Jetzt ist die Sprache so reich, daß man der Gedanken entbehren kann. Gesetzt aber, wir dürften uns des Sprichworts bedienen, so wäre ein auf die Speise bezügliches gewiß recht gut angebracht; besonders mit Bezug auf den Engländer, der in diesem Punkte sehr systematisch zu Werke geht. Wohin der Sohn des nebeligen Albion auch seine Schritte lenkt, überall wird seine Hauptsorge darauf gerichtet sein, daß er sich angemessen nähre. Der Wohlgeschmack einer Speise wird ihn nimmer dafür entschädigen, daß sie an Nahrungsstoffen arm! Er ist sich auf jedem Schritte durch das Leben bewußt, daß sein physischer Mensch der Träger des geistigen Menschen ist, und wird darum seine Basis stets im Auge behalten.

In jedem Volke ist das Clima in gewissem Sinne die Begründerin seiner Küche. England, mit seiner feuchten Luft, bedingt daher eine Lebensweise, die dem Bewohner des Continents befremdend ist. Er hat es keinem Zufall überlassen seine Küche zu bilden, kein Gastronom hat ihm verschreiben dürfen, wie er seine Speisen bereite, sondern Vernunft und Erfahrung haben hier das entscheidende Urtheil gesprochen. Das ist gesund, und das ist nicht gesund, sind daher Worte, die bei seinen Mahlzeiten unzählige Anwendung finden. Und selbst die Wissenschaft hat man sich in dem Punkte dienstbar gemacht. Sie half nicht allein Spinnmaschinen erfinden, Pferde diätetisch auf die erste Stufe bringen, den Menschen an äußerer Schönheit der kaukasischen Race wieder nähern; sie lehrte ihnen auch eine Biscuit-Torte durch Soda, statt mit Eiern, locker zu machen, ein Fortschritt den jede Hausfrau mit Dank in ihren Rechnungsbüchern verzeichnet.

Der Engländer, das wissen wir alle, ist ein durchaus praktischer Mensch, der gerne weiß, warum er eine Sache thut. Setzt er sich zu Tische, so geht er nicht leichtsinnig dabei zu Werke, er betet, denn er ist sich bewußt, daß es sich hier um sein oder nicht sein handelt; – er betet, daß ihm seine Speise bekommen möge. Nachdem er sich auf diese Weise christlich mit der Gottheit verständigt, beginnt er seinen Act der Pietät – der Erhaltung seines Lebens.

Nur drei Mal täglich speist der Engländer. – Je schwerer das Clima, je langsamer die Verdauung, darum auch genießen diejenigen, die geistig arbeiten, gewöhnlich vom Frühstück bis zum späten Mittagsessen um acht Uhr Abends keine Speise. Er steht nicht früh auf, – vom weichen Pfühle und Morgenroth darf man bei ihm nicht reden; entschlüpft er seiner harten Matratze, so fällt sein Auge sogleich auf seine Marter-Instrumente, seinen härenen Hausschuh, sein rauhes Handtuch, womit er sich nach dem kalten Bade sofort reibt, bis er einem gekochten Krebse gleicht: Die praktischen Morgenträume sind nun schon alle dahin und mit Vergnügen sieht er la tête – mit Herrn von Le Mâistre zu reden, die Treppe hinunter steigen, und eine Portion heißen gebratenen Speckes mit Andacht verschlingen. Eier und Speck sind die Lieblingsessen des Engländers bei seinem Frühmahle, grade wie bei dem Chinesen, der von diesen beiden Speisen, nebst Reis, existirt – und da beide dem Gehirne Nahrung zuführen, so hat er dadurch allerdings einen Vorzug vor den Kaffee trinkenden Geschöpfen, die einzig ihre Einbildungskraft füttern. – Gleich nach dem Frühstück geht es in die frische Luft hinaus, wäre es auch nur um – eine Cigarre zu rauchen. Denn dies Geschäft wird er unter keiner Bedingung im Zimmer vornehmen.

Zu seinem Mittagsmahle bedarf der Engländer keiner Suppe, aber Fleisch, nur immer Fleisch. Suppe ist in England ein Luxus, denn man ißt sie nur sehr stark, so wie überhaupt alles kräftig sein muß, und das Fleisch wovon sie bereitet werden, wird nicht genossen, weil es keinen Nahrungsstoff enthält. Ein Haushalt, der nicht auf Luxus eingerichtet ist, bietet daher keine Suppe. Gekochtes Fleisch ißt man nur stewed, das heißt, ganz kurz in seiner eigenen Brühe eingekocht, und ein großes Stück Rindfleisch auf diese Art zubereitet, ist ein Lieblingsessen der Engländer. Fleisch und Gemüse werden aufgetragen, beide ohne Zuthat von Butter, – nach Moses Vorschrift, möchte man sagen. Aber das Fleisch ist so vortrefflich und die Gemüse sind so schön cultivirt, daß beide der Zuthat entbehren können. Ein Beefsteak schwimmt in seinem eigenen Blute, eine Cotellet von Hammelfleisch ist gleichfalls en naturel bereitet, und zugleich die gesundeste Speise, für [216] die der Engländer schwärmt – eben so dreht sich ein Braten lustig vor dem rothen Kohlenfeuer, bis ihm die hellen Tropfen von der Haut herabrieseln und unten in eine Pfanne fallen, die diesen Lebenssaft bewahrt und in seiner natürlichen Güte auf die Tafel sendet. Das Gemüse kocht indessen auf dem Feuer lustig fort und zwar, – sei es ein Blumenkohl so groß wie ein Menschenkopf, oder eine Pfund schwere Kartoffel – in seiner natürlichen Größe – und je größer je schöner, und erscheint auch in seiner riesigen Schönheit auf dem Tische. Die Köchin ist so gut wie unbeschäftigt; denn diese Gerichte kochen sich nun selbst, und sie mag vornehmen was der Haushalt sonst erfordert. – Der Pudding – bei uns Mehlspeise genannt – wird bei dem nächsten Bäcker gebacken. In einem kleinen Haushalte will man nicht deshalb allein den kleinen Ofen heizen, in dessen Röhre er bäckt. Der ganze Reis mit Milch ist aufgequollen, die Köchin hat ihn in eine weiße Schüssel gefüllt, ein, oder zwei Eier hineingeschlagen – und auch das nicht immer – der Bäckerjunge mit seiner weißen Mütze hat einen sonderbaren unarticulirten Ton ausgestoßen, der sein Dasein verräth, sie ist mit ihrer Schüssel hinausgeeilt, und hat diese auf sein weißes Brett gesetzt, das er auf seinem Kopfe trägt und mit einer Hand hält – und ihr Pudding macht ihr nun keine weitere Sorge. Pünktlich um die anberaumte Zeit wird derselbe Ton sie rufen, und hellbraun und dampfend wird ihr der Reis in ihrer Schüssel entgegen lachen. Ihre Mehlspeisen wechseln aber auch, sie nimmt nicht immer Reis, sie nimmt auch Gries und Sago und Arrowroot und was es sonst an körnigen Gewächsen giebt, die sich mit Milch vertragen. Das ist für den Winter, und für die Kinder, die neben dem kräftigen Fleische stets auch etwas Hülsenfrucht haben müssen. Kommt aber im Sommer die Obstzeit, dann werden auch Früchte hinzugezogen, und die berühmten Obstpasteten und Obstpuddings kommen an die Reihe. Aber auch diese verursachen der Köchin wenig Mühe. Die Obstpastete ist schnell gemacht. Das Obst wird, roh wie es ist, in eine Schüssel gethan und oben mit einer dünnen Schicht Butterteich überdeckt, in die man mit einer Gabel einige Stiche macht. Die Nothwendigkeit dieser Stiche kennt jede Köchin; aber die Ursache dieser Nothwendigkeit begreift sie nicht. Wären in dem Butterteiche nicht diese kleinen unsichtbaren Höhlchen, so würde die Schüssel, wenn sich die Hitze in derselben ausdehnt und keinen hinreichenden Raum mehr findet, zerspringen; darum die weißen Löcher. – Der Bäcker bäckt die Torte nun, und die berühmte Obstpastete ist fertig. Mit dem Obstpudding ist schon ein wenig mehr Mühe verbunden; aber auch nur wenig. Die Köchin muß da früh schon das schöne weiße Rindertalg mit feinem Mehl vermischen und dünne ausrollen; dann legt sie rohes Obst darauf, schlägt den Teich dicht darum zu, bindet ihn in ein Tuch, stellt dies in ein Gefäß und kocht es eine Stunde lang; dann öffnet sie es, und in einer grauen Rinde verborgen, stecken die duftenden Aepfel, die bei dem ersten Schnitte mit einer wohlschmeckenden Brühe herausfallen. In der Zusammenstellung dieser Speisen sind die Nahrungsstoffe stets, wie durch eine Inspiration, sehr glücklich gemischt, und das Obst, mit solcher Zuthat, wird zu einer gesunden, nahrhaften Speise.

Auch das Geflügel röstet der Engländer nur vor seinem Kohlenfeuer, das Huhn und das Hühnchen müssen gleich sehr in ihrem eigenen Fette schwimmen, eine Aufgabe, die sie nicht immer gebührend lösen. Dafür gibt man ihnen dann aber eine weiße Sauce bei, bereitet von Semmel und Milch mit etwas Zwiebel und Pfeffer und ißt kleine Saucisses dazu, oder auch geröstete Speckscheiben.

Reine Luft, kaltes Baden, und die nahrhafte einfache Diät verleihen dem Engländer jene Muskelkraft und rosige Gesichtsfarbe, die schönen Zähne und die kräftige Gestalt, durch die er sich auszeichnet. – Die Speisen, die man auf seinem Tische sieht, sind der Ausdruck des ganzen Menschen. – Kräftig, solide und einfach wählt er alles, und vor allem dem Zwecke entsprechend. Der gesunde Egoismus, mit dem sich sein „Ich“ so lange mit einem großen Buchstaben dem kleinen „sie“ gegenüber behauptet, legt er stets bei der Wahl seiner Speisen an den Tag. An eine Nachahmung des Fremden ist dabei nicht zu denken, Frösche, Schnecken und Vogelnester läßt er unberührt an sich vorübergehen; denn sie nähren ihn nicht, ein Beefsteak aber und ein Glas Porter wird unter allen Umständen sein Herz erfreuen und den Vorzug erhalten, – und sieht man ihn essen, sei es auch an den äußersten Polen, so wird man sogleich errathen, daß es ein Sohn des grünen Albion ist, der hier die höchste Pflicht gegen sich selbst erfüllt. –