Die englisch-französischen Generale im Orient

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Die englisch-französischen Generale im Orient
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 536–538
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die englisch-französischen Generale im Orient.

„Ich male keinen Engländer!“ lautete die von patriotischem Hasse eingegebene Antwort des Malers David, als nach dem Einzuge der Verbündeten in Paris der Herzog von Wellington sein Portrait von der Hand des berühmten Künstlers wünschte. Und dieser Haß war nicht etwa nur dem Künstler, war nicht blos dieser oder jener Klasse der Franzosen eigen, nein er nagte am ganzen Volke, und von allen ihren Besiegern wählten sich die Franzosen gerade die Engländer zum bittern Hasse aus. Der Haß zwischen beiden Nationen war übrigens seit vielen Jahrhunderten traditionell geworden, … Waterloo und St. Helena verliehen ihm aber neue Nahrung, und wenn später auch in uns noch nicht zu fern liegender Zeit viel von dem „herzlichen Einverständniß“ zwischen England und Frankreich gesprochen wurde, so dauerte doch die Abneigung der Einen gegen die Andern nicht minder fort.

Erst die jüngste Zeit gewährt uns das außerordentliche Schauspiel einer englisch-französischen Kriegsallianz, des Fraternisirens alter Feinde, wobei es scheint, als sollten alle störenden Erinnerungen früherer Zeiten für immer begraben sein; denn wenn Lord Raglan, der im Jahre 1815 bei Waterloo die Franzosen mitbekämpfte, und mehrere Decennien lang die Feier dieses Siegestages in London nie versäumte, vor einigen Monaten nebst seinen Begleitern enthusiastisch in Paris begrüßt wurde, so müssen die Franzosen allerdings viel vergessen haben. Gewiß muß es aber Vielen von ihnen wie ein Traum vorkommen, daß die englischen Nationalmelodien: „God save the queen“ und: „Rule Britannia“ unter das Repertorium der französischen Militärmusik aufgenommen worden sind.

Heute, wo wir dieses schreiben, haben die Soldaten Englands und Frankreichs bereits gemeinschaftlich die Schlacht an der Alma geschlagen, und betreiben eben jetzt im Verein die Belagerung von Sebastopol, so daß ihr Bündniß auf dem Schlachtfelde geweiht worden. Aus dem glänzenden Reigen ihrer Führer hat aber zugleich auch schon der Tod Einen herausgerissen, Einen der Sechste, die unser heutiges Bild den Lesern vorführt.

Leroy de St. Arnaud stammt aus einer angesehenen Bürgerfamilie zu Paris, wo er auch im Jahre 1801 geboren wurde. Er trat 1816 in die königl. Leibgarde, verließ aber bald darauf den aktiven Dienst und wendete sich erst 1831 der militärischen Laufbahn wieder zu. Nach kurzer Zeit erhielt er das Lieutenantsportepée, zwanzig Jahre später wurde ihm der Marschallrang zu Theil, ein Avancement, so schnell wie es gegenwärtig sonst in keiner andern Armee stattfindet. St. Arnaud durchschritt in der

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Der Herzog von Cambridge.     General Brown.     Canrobert.     St. Arnaud.     Prinz Napoleon.
Lord Raglan. 

[538] Zwischenzeit alle Stufen der militärischen Hierarchie; er diente dabei wechselsweise auch in der Fremdenlegion, eben so unter dem berühmten Corps der Zuaven, und erntete überhaupt seine Grade und Lorbeern auf den Schlachtfeldern Afrika’s. Im Jahre 1851 kommandirte er eine Division in Paris, wurde bald darauf von Ludwig Napoleon, der damals noch Präsident war, zum Kriegsminister ernannt, und erwies sich in dieser Eigenschaft als Hauptbeförderer des Staatsstreichs vom 2. December 1852, für welche Leistungen ihm auch der Marschallsstab zufiel. Als moralischer Charakter schon vorher wenig geachtet, trug seine damalige Handlungsweise nicht dazu bei, ihn in den Augen rechtlicher Leute zu heben, er blieb indessen als Kriegsminister im Amt, bis beim Ausbruch des Krieges mit Rußland er sich zum Oberbefehlshaber der Armee im Orient zu ernennen lassen wußte. Der Tod, in Folge eines alten Körperleidens, ereilte ihn, als er eben nach monatlanger Unthätigkeit den Angriff auf die Krim begonnen hatte. St. Arnaud war ein tapferer Soldat, mehr läßt sich nicht von ihm sagen.

Nicht so wie St. Arnaud hat der englische Oberbefehlshaber im Orient, James Henry Fitzroy Somerset, Lord Raglan, den größten Theil seines Lebens auf den Schlachtfeldern zugebracht. Geboren 1788, verdankte er seine ersten militärischen Grade nicht dem Verdienste, sondern der Geburt, was ihn jedoch nicht hinderte, sich bald als ausgezeichneten Generalstabsoffizier zu beurkunden, so daß ihn auch Wellington 1809 zu seinem Adjutanten wählte. Während des ganzen Krieges auf der pyrenäischen Halbinsel fungirte er als Sekretär des Generalstabs, wobei er im Felde ebenso tapfer war als im Kriegskabinet umsichtig. Er nahm an allen blutigen Schlachten, Kämpfen und Belagerungen jenes Feldzuges Theil, und avancirte dabei vom Kapitän bis zum Oberstlieutenant (1812). In der Schlacht bei Waterloo (1815) büßte er den rechten Arm durch eine Kanonenkugel ein, worauf er sich aus dem aktiven Kriegsdienste zurückzog, und nach einander mehrere Militärverwaltungsstellen bekleidete. In der Armee fortavancirend, erhielt er nach Wellington’s Tode die Würde eines General-Feldzeugmeisters, und wenn auch in einem langen Zeitraume dem Kriegsleben selbst fremd geworden, scheint bei seiner hohen militärischen Bildung seine Ernennung zum Oberbefehlshaber im Orient doch kein Mißgriff des englischen Ministeriums gewesen zu sein.

An der Seite des Lords Raglan steht der durch seine Tüchtigkeit bekannte General Brown, ein Mann, der wenig aus dem aktiven Kriegsdienst kam und im englischen Hauptquartier dieselbe Rolle spielt, welche dem General Canrobert im französischen zugefallen ist. Brown und Canrobert können daher als die Doppelseele der orientalischen Armee betrachtet werden.

Der englischen wie der französischen Regierung hat unbestritten eine besondere Absicht untergelegen, daß jede von ihnen einen Prinzen von Geblüt, mit einem Commando betraut, der Expeditionsarmee beigab. Englischer Seits wurde hierzu der Herzog von Cambridge, Sohn des ehemaligen Vicekönigs von Hannover und geboren 1819, ausersehen, der in prinzlicher Weise seine Generalsstelle erlangt hat. Von Seiten Frankreichs fiel die Wahl auf den Prinzen Napoleon Bonaparte, den Sohn des ehemaligen westphälischen Königs Jerome. Von den militärischen Fähigkeiten dieses Prinzen, der 1822 zu Triest geboren wurde, weiß man so wenig als von denen des Herzogs von Cambridge. Er stand früher einige Zeit in der würtembergischen Armee (seine Mutter war eine Tochter des Königs Friedrich I. von Würtemberg), führte aber später ein ungebundenes Leben und befand sich meist auf Reisen. Nach der Februarrevolution wählten ihn die Korsen in die verfassunggebende, ebenso in die gesetzgebende Nationalversammlung und er bekannte sich als Volksvertreter zu entschieden social-demokratischen Grundsätzen. Die social-demokratische Partei, mißtrauisch gegen alle Napoleoniden, ließ sich jedoch nicht mit ihm ein, selbst dann nicht, als er, im April 1849, zum Gesandten in Madrid ernannt, plötzlich von diesem Posten zurückgerufen wurde, weil er sich mit offnem bittern Tadel über die Politik seines Vetters, des Präsidenten, ausgesprochen hatte. Nach der Wiederherstellung des Kaiserreichs eventuell zum Thronfolger ernannt, scheint sich der Prinz Napoleon mit dem Kaiser wieder ausgesöhnt zu haben, doch mag sich gleichwohl der Sohn Jerome’s von seinen alten Ansichten noch nicht ganz frei gemacht haben, denn beim Beginn des Feldzugs im Orient sah man wenigstens die ewigen Juden der Revolution zahlreich um ihn geschaart und seine Verbindungen mit den ungarischen, polnischen und italienischen Flüchtlingen veranlaßten endlose Zwistigkeiten zwischen ihm und St. Arnaud, zu deren Beilegung es eines gegen den Prinzen gerichteten, kaiserlichen Machtspruches bedurfte. Der Prinz hat von allen Napoleoniden die größte, ja wirklich eine auffallende Ähnlichkeit mit dem berühmten Kaiser; wie viel er von dessen militärischem Genie besitzt, hatte er noch nicht Gelegenheit darzuthun; als unbestritten geistreich und energisch jedoch hat er sich überall, wo und wie er bisher auftrat, gezeigt.

Als befähigtsten unter den französischen Generalen im Orient dürfen wir den Generallieutenant Canrobert betrachten, dem auch durch den Tod St. Arnaud’s zur Stunde das Oberkommando zugefallen ist. Ein Zögling der Militärschule von St. Cyr steht er jetzt im Alter von 45 Jahren, gehört ebenfalls zu den in Afrika herangebildeten Offizieren und zeichnet sich ebenso sehr durch Kaltblütigkeit und glänzende Tapferkeit als durch seine strategischen Kenntnisse aus. Wie St. Arnaud diente er eine Zeit lang in der Fremdenlegion und später unter den Zuaven. Von seinen zahlreichen glänzenden Waffenthaten (er nahm an fast allen Kämpfen und Expeditionen in Afrika Theil) sei hier nur des Mordgefechts bei Bahl erwähnt, wo er sich mit 150 Mann gegen 3000 Feinde siegreich vertheidigte. Noch mehr zeichnete er sich 1849 aus, wo er seine von der Cholera arg mitgenommenen Zuaven von Aumale aus nach der Zaatscha führen mußte und mit der kranken Mannschaft, der er ein besorgter Pfleger war, die größten Heldenthaten ausführte.

Um seiner strategischen Kenntnisse willen wurde er vorzugsweise dem Marschall St. Arnaud beigegeben, und der Operationsplan in der Krim ist auch fast ausschließlich sein Werk. Die speziell von ihm befehligte Division war es, welche auf dem bekannten entsetzlichen Marsche durch die Dobrudscha mit unsäglichen Leiden zu kämpfen hatte, mit der Ungunst des Klimas und den Verheerungen der Cholera, die ihm dem General, wie damals auf dem Marsche durch die Zaatscha, Gelegenheiten gaben, seine rastlose Fürsorge für die Truppen zu bewahren. Canrobert, seit 1850 General, gehört zu den auserlesenen Günstlingen des Kaisers, dem er zur Zeit des Präsidiums schon als Adjutant diente und diesen Posten erst aufgab als er das Commando einer Division im Orient erhielt. Er ist, wie fast die ganze französische Generalität, klug genug, sich den am Kaiserhofe herrschenden Modeansichten zu fügen. Zu wundern braucht es uns daher nicht, wenn der tapfere General nach der Schlacht an der Alma an die Kaiserin der Franzosen schrieb, daß die ihm von Ihrer Majestät verehrte Medaille der Jungfrau Maria zur unbefleckten Empfängniß ihre Wunderkraft bewährt habe und er inmitten des Kugelregens verschont geblieben sei. Mit einem Wort, der General Canrobert ist ein kluger Mann, bei dem Alles mithelfen muß.