Die elektrische Kraftübertragung

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Autor: A. Hollenberg
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Titel: Die elektrische Kraftübertragung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 682–683
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.

Die elektrische Kraftübertragung.

Schon seit längerer Zeit hielt der mit der Frankfurter elektrotechnischen Ausstellung in Beziehung stehende, mit Mühe und großen Kosten vorbereitete Versuch, eine elektrische Uebertragung von annähernd 300 Pferdekräften auf eine Entfernung von 175 Kilometern zu bewirken, nicht nur die Elektrotechniker, sondern die ganze gebildete Welt in erwartungsvoller Spannung. Wie unsern Lesern aus einer früheren Mittheilung über „das Ende der Steinkohle und ihren Ersatz“ erinnerlich sein wird (siehe Nr. 13 dieses Jahrgangs), ist es vom wirthschaftlichen Standpunkte aus geboten, im Verbrauche der Kohle die möglichste Sparsamkeit walten zu lassen und an Stelle derselben die täglich sich erneuernden Naturkräfte heranzuziehen. Als die am bequemsten zu verwerthende Naturkraft bietet sich uns das Wasser unserer Flüsse und Ströme, und man war sich daher wohl bewußt, daß im Falle glücklichen Erfolges der Lauffen-Frankfurter Versuche die Kraftfrage der Lösung um ein gutes Stück entgegengeführt war: man braucht sich ja nur zu vergegenwärtigen, daß die Kraft unserer fließenden Wasser ein Mehrfaches der für die gesammte Industrie erforderlichen Kraft zu liefern vermag. Bisher war man jedoch nur in sehr beschränkter Weise imstande, die Kraft dahin zu übertragen, wo man ihrer bedurfte. War also jener Versuch von Erfolg begleitet, so war eine gänzliche Aenderung der jetzigen Kraftbetriebe und damit des ganzen gewerblichen Lebens angebahnt. Neben die Kohle, die seither eine hervorragende und herrschende Stellung als Kraftquelle einnahm, trat dann als gleichberechtigt das ewig sich erneuernde Wasser.

Die Heißsporne unter den Elektrotechnikern meinten sogar, unsere Dampfmaschinen und Lokomotiven seien dann sofort überflüssig und nur noch geeignet, im Museum für Alterthümer aufgestellt zu werden – späteren Geschlechtern ein Zeichen unseres strebsamen, aber in bemitleidenswerthem Irrthume befangenen Jahrhunderts. Die häßlichen, mit ihrem Rauch und Ruß die Luft verpestenden Kamine müßten nach ihrer Ansicht schleunigst niedergelegt werden. Alle Lampen, und wären es die schönsten Million- oder Generatorlampen, werden ohne Erbarmen in die Rumpelkammer getragen und durch Glüh- und Bogenlicht ersetzt; in 20 Jahren sind sie eben so unbekannt wie der jetzigen jungen Welt die Lichtputzschere. Entsprechend große Aenderungen sollten dann auch auf dem Gebiete des Post- und Eisenbahnwesens bevorstehen. Der Betrieb aller Wagen wird natürlich elektrisch eingerichtet; wie schon jetzt bei den wenig Kraftbedarf erfordernden Straßenbahnen sollen dann die Eisenbahnzüge mit der zur Verfügung stehenden größeren Kraft betrieben werden. Kurz, eine völlige Umwälzung soll sich auf die sämmtlichen gewerblichen Gebiete erstrecken.

Der entscheidende Versuch hat vor kurzem stattgefunden und hat ein äußerst befriedigendes Ergebniß geliefert.

Die erste Verwendung des übergeleiteten Stromes bestand darin, daß man Hunderte von Lampen der Ausstellung an die Kraftleitung anschloß. Und siehe da, sie strahlten im hellsten Glanze, ein leuchtendes Sinnbild des Fortschritts, den der menschliche Geist damit zum Licht der Erkenntniß hin gemacht hat.

Eine der hübschesten Zierden der Frankfurter Ausstellung bildet der Wasserfall. Von einer künstlich angelegten, thurmgekrönten Anhöhe stürzt ein malerischer Wasserfall herunter, der allabendlich spielt und, vom Innern her elektrisch beleuchtet, in glänzender Farbenpracht seine Fluthen herniederschickt. Bisher wurde derselbe von einer mächtigen, durch Dampf getriebenen Schleuderpumpe in Bewegung gesetzt, welche das erforderliche Wasser dem Main entnimmt und etwa 10 Meter emporhebt. Diese Arbeit hat man nun auch dem von weither übertragenen elektrischen Strome aufgebürdet. Kräftige Dynamomaschinen sind an die Stelle der Dampfmaschine getreten. So entsteht in der That ein wunderbarer Kreislauf! Der Wasserfall des Neckars, der auf die Lauffener Turbine geleitet wird, hebt auf eine Entfernung von mehreren Tagereisen, in einem Augenblick den weiten Raum überwindend, das Mainwasser in die Höhe und zwingt dasselbe, den Lauffener Wasserfall in Frankfurt gleichsam zu wiederholen und aufs Neue hervorzubringen. Das Mittel dazu, die Kraftleitung, besteht aus einigen Kupferdrähten, die so ruhig auf den Telegraphenstangen liegen, als wenn sie die ganze Geschichte überhaupt gar nichts anginge.

Nach diesem gelungenen Versuche ist jeder Zweifel an der Durchführbarkeit der Uebertragung von Elektricität auf weite Strecken gehoben, und wir stehen thatsächlich an einem der entscheidendsten Wendepunkte auf dem Felde der Technik. Den weiteren Verlauf können wir nur ahnen, und die kühnste Phantasie läßt uns hier ebenso im Stich wie etwa vor 25 Jahren bezüglich der Entwicklung der Telephonie, der elektrischen Beleuchtung und der elektrolytischen Metallgewinnung. Allerdings brauchen wir nicht gleich morgen mit dem Abbruch der Dampfmaschinen, Kessel und Kamine zu beginnen; denn „gut Ding will Weile haben“, heißt es wie im gewöhnlichen Leben so besonders auch in der Technik.

Wie ist nun die Lösung jener Aufgabe möglich geworden?

Das am Neckar gelegene Portlandcementwerk Lauffen besitzt eine Wasserkraft von etwa 1500 Pferdestärken. Ein Theil derselben, etwa 300 Pferdekräfte, wird von einer Turbine nutzbar gemacht, welche diese Kraft auf eine elektrische Kraftmaschine, Elektromotor oder Dynamo genannt, überträgt. In dieser Dynamomaschine spielt sich der eigenthümliche Vorgang ab, durch welchen die mechanische Kraft der Turbine in elektrische Kraft verwandelt wird. Die elektrische Kraft hat nun ganz wunderbare, in ihrem eigentlichen Wesen noch geheimnißvolle Eigenschaften. Eine der hervorragendsten ist die, daß sie sich mit einer fabelhaft großen Geschwindigkeit fortpflanzt; sie ist z. B. imstande, in einer verschwindend kurzen, kaum meßbaren Zeit die Strecke von Lauffen nach Frankfurt zu durchlaufen. Freilich muß man ihr einen passenden Weg bahnen: sehr gern folgt sie den Metalldrähten, insbesondere dem Kupfer. Man nennt deshalb das Kupfer einen guten Leiter der Elektricität. Damit die Elektricität nicht auf Abwege geräth, legt man den Kupferdraht auf Porzellan, welches als Nichtleiter der Elektricität das Abspringen verwehrt. Bei der Ueberleitung kommt aber noch ein anderer Umstand in Betracht. Eine bestimmte Elektricitätsmenge verlangt nämlich einen und unter Umständen mehrere Drähte von einem bestimmten Querschnitt. Ist letzterer nicht genügend groß, so bringt der Strom den Draht zum Glühen und wohl gar zum Abschmelzen. Ferner hat man durch die Erfahrung gelernt, daß Ströme von niedriger Spannung einen großen Querschnitt verlangen, während Ströme von hoher Spannung sich mit viel dünnerem Drahte begnügen.

Diese Verhältnisse waren für die Lauffener Anlage von Wichtigkeit. Weil die von der Turbine in der Dynamomaschine erregte Elektricität nur von geringer Spannung ist, so hätte man eigentlich für dieselbe eine ungemein theure Leitung verwenden müssen. Man ordnete deshalb gleich neben der Dynamomaschine noch einen Spannungsumwandler (Transformator) an, in welchem sich die niedrig gespannte Elektricität in eine solche von hoher Spannung umwandelte. Diese ist nun befähigt, mit Leitungsdrähten von geringem Querschnitt auszukommen. Während für die Leitung der niedrig gespannten Elektricität, wie sie auf dem kurzen Wege von der Dynamomaschine bis zum Transformator noch vorhanden ist, Kupferkabel mit einem Durchmesser von 27 Millimetern erforderlich sind, genügen für die Fortleitung auf der eigentlichen Leitungsstrecke drei dünne blanke Kupferdrähte von je 4 Millimetern Durchmesser. Trotzdem erreicht die ganze Leitung das bedeutende Gewicht von 60 000 Kilo, entsprechend einem Geldwerthe von 120 000 Mark. Ohne diese Spannungsumwandlung würde die Anlage an der Höhe der Kosten gescheitert sein.

Da nun aber ein Strom von hoher Spannung sich nicht [683] für den praktischen Gebrauch eignet, so ist an der Verwendungsstelle Frankfurt ein zweiter Spannungsumwandler angeordnet, welcher die hochgespannte Elektricität wieder in niedriggespannte verwandelt. Die letztere ist nun gebrauchsfähig und geeignet, ohne weiteres zur Beleuchtung zu dienen. Man kann sie aber auch in eine Dynamomaschine leiten, wo der geheimnißvolle Vorgang der Umwandlung elektrischer in mechanische Kraft noch einmal vor sich geht. Eine Maschine letzterer Art nennt man sekundäre Dynamo, während die in Lauffen die primäre Dynamo genannt wird. Der Kreislauf ist also folgender: 1. Lauffener Turbine als mechanische Kraft; 2. Primäre Dynamo zur Erzeugung der Elektricität; 3. Stromumwandlung zur Erhöhung der Spannung; 4. Streckenleitung; 5. Stromumwandlung zur Erniedrigung der Spannung; 6. Sekundäre Dynamo zur Verwandlung der Elektricität in mechanische Kraft.

Vor dem Versuche hatte man insbesondere von der Neigung des hochgespannten Stromes, sich über die Isolatoren hinüber einen Weg zu bahnen, Schwierigkeiten befürchtet. Indeß hat dieser Umstand nur in geringem Grade Störungen veranlaßt, was wohl in erster Linie dem Umstande zuzuschreiben ist, daß man die Leitungen mit der größten Sorgfalt anlegte und außerdem eine mit Oelrinnen versehene Sicherheitsisolierung benutzte, welche sich gut bewährte.

Was die vielbesprochenen Gefahren der Leitung bei zufälliger Berührung anbetrifft, so sind diese auf derjenigen Strecke überhaupt nicht zu befürchten, wo der Strom die niedrige Spannung hat. Die Leitung für den hochgespannten Strom aber ist innerhalb der Umwandlungsräume sorgfältig in Verschluß gelegt und für Unberufene unzugänglich. Eine Berührung der Leitung mit hochgespannter Elektricität würde freilich unbedingt tödlich sein. Es ist daher bei der Lagerung der Leitung auf der Strecke alle mögliche Sorgfalt verwendet worden, die Drähte ruhen auf zuverlässigen Stangen in acht Metern Höhe. Der Strom kann zudem gebotenen Falls augenblicklich abgestellt werden. Wer also die Gefahr nicht sucht, wird von ihr auch nicht betroffen werden, und die getroffenen Vorkehrungen scheinen um so sicherer, als die Leitung entlang der Bahn angelegt ist und mithin jederzeit unter Aufsicht steht.

Zur Zeit werden von berufenen Technikern unter Mitwirkung der in erster Linie interessierten Staaten Preußen und Württemberg weitere Versuche angestellt, welche den Zweck haben, einzelne Mängel aufzufinden und abzustellen, sowie auch alle Vortheile im Betriebe zu erforschen. Insbesondere gilt es, das Verhalten des „Drehstromes“ näher zu untersuchen, den Dolioo-Dobrowolski, der Oberingenieur der Allgemeinen Elektricitätsgesellschaft in Berlin, vor kurzer Zeit erfunden hat. Dieser Drehstrom scheint wegen seiner vorzüglichen Brauchbarkeit dem Streite zwischen den bisher verwendeten Strömen „Gleichstrom“ und „Wechselstrom“ kurzer Hand ein Ende machen zu wollen und hat zum glücklichen Ergebniß der umliegenden Versuche wesentlich beigetragen.

Es sei hier noch anerkennend hervorgehoben, daß sich die eben genannte Allgemeine Elektricitätsgesellschaft, sowie die Maschinenfabrik Oerlikon-Zürich durch ihre elektrischen Maschinen und Apparate, ferner die Firma F. A. Hesse in Heddernheim durch die Lieferung der Leitung um die technische Ausführung der Anlage besonders verdient gemacht haben.

Und so hoffen wir, daß das mit so vielem Fleiße, so großem technischen Wissen und Können, mit opferwilliger Unterstützung der interessierten Staaten und Freunde durchgeführte Werk auf dem ganzen Erdenrund Anerkennung finden und segensreich wirken werde!

Wird nun aber die Technik bei dem erreichten Ziele stehen bleiben? – Sicherlich nicht! Sehen wir uns doch den jetzigen Kreislauf etwas näher an! Fern im Atlantischen Ocean oder wer weiß wo lockt der warme Sonnenstrahl den Wassertropfen als unsichtbares Gas zum Aether empor. Dort vereinigt sich das Gas mit seinesgleichen zu himmelhohen Wolken, fällt aus großer Höhe als Regen herunter, treibt – etwa in Lauffen – unsere Turbine und fließt dann wieder dem Meere zu. Das ist ein weiter Umweg! Wäre es denn da nicht einfacher, die Wärme der Sonne ohne weiteres in elekrische Kraft zu verwandeln? Was ist Wärme, was ist Licht, was ist Kraft? Die Naturphilosophen vermuthen aus guten Gründen, das sei alles eins und dasselbe, nur in anderer Erscheinungsform. Was ist also anzustreben? Einfach die unmittelbare Uebertragung der Sonnenwärme und Sonnenkraft in eine solche Kraft, wie sie sich für unsere Verbrauchszwecke eignet. Jeder muß sich irgendwo, womöglich auf seinem eigenen Dache, den hellen warmen Sonnenschein sammeln können, ihn aufspeichern, etwa wie wir jetzt in den Speicherbatterien die Elektricität ansammeln, um zu gelegener Zeit damit seine Maschinen, seine Beleuchtung, seine Wärme und Kochvorrichtung in Thätigkeit zu setzen.

Die bisher schon erreichten Ziele sind so überraschend und wunderbar, daß wir schon ein Recht haben, dieser Träumerei ein wenig nachzuhängen. A. Hollenberg.