Die drei preußischen Wehs

Textdaten
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Autor: R.
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Titel: Die drei preußischen Wehs
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 665–667
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die drei preußischen Wehs.

Die großen Ereignisse, durch welche in diesem Augenblick Spanien die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zieht, decken das Bild einer Günstlingswirthschaft auf, die allerdings hinsichtlich ihrer Versündigung gegen Staats- und Volkswohl ihres Gleichen sucht. Wir kennen indeß kein Land, dessen Geschichte sich rühmen könnte, ganz frei von ähnlichen Bildern zu sein. Wenn wir nun gerade in dieser Beziehung Preußen durchaus nicht mit Spanien, wo die Weiberherrschaft das Staatselend herbeiführte, in gleiche Linie stellen dürfen, so ist dennoch auch ihm das Unglück nicht erspart worden, durch freche Abenteurer und unfähige Günstlinge seiner Fürsten beherrscht und dem Verderben nahe gebracht zu werden. Schon der Vorgänger des großen Kurfürsten ließ sich von seinem Minister, dem Grafen Schwarzenberg, leiten, der notorisch im Solde Oesterreichs stand und eine verrätherische Rolle spielte. Diese Günstlings-Wirthschaft erreichte jedoch ihren Höhepunkt unter dem ersten König Friedrich, dessen Minister, der berüchtigte Kolbe von Wartenberg, im Verein mit seinen ergebenen Creaturen, den Grafen Wittgenstein und Wartensleben, ein verrufenes Kleeblatt bildete, welches der damalige Volkswitz mit dem Namen der „drei Wehs“ belegte, da der Anfangsbuchstabe dieser Camarilla von einem „W“ gebildet wurde.

Johann Casimir von Kolbe stammte aus einer heruntergekommenen pfälzischen Familie von Adel und trat noch sehr jung in die Dienste der Pfalzgräfin von Simmern, einer geborenen Prinzessin von Oranien. Bei einem Besuche, den dieselbe ihrer Schwester, der Gemahlin des großen Kurfürsten, abstattete, kam der gewandte Höfling nach Berlin, wo er sich durch sein einschmeichelndes Wesen zu empfehlen wußte. Ein Anerbieten, in die Dienste Brandenburgs zu treten, konnte er damals nicht annehmen, da er mit seiner galanten Gebieterin in einem zärtlichen [666] Verhältnisse lebte. Erst nach ihrem Tode, der kurz vor dem Ableben des großen Kurfürsten erfolgte, nahm er die Stelle eines Schloßhauptmanns und Oberstallmeisters an, worauf er bald zum Oberkammerherrn befördert wurde, so unentbehrlich wußte er sich seinem neuen Gebieter zu machen!

Der Kurfürst Friedrich der Dritte zeichnete sich besonders durch seine Prachtliebe und unbegrenzte Eitelkeit aus, die ihn auch hauptsächlich zur Annahme der preußischen Königskrone trieb. Seine erste Prinzensorge war die Stiftung des Ordens de la générosité, und das höchste Ziel seines damaligen Ehrgeizes war – der englische Hosenbandorden, um den er seinen eigenen Vater beneidete. Im Anfange seiner Regierung überließ er sich ganz der Leitung seines früheren Erziehers, des verdienstvollen Eberhard Dankelmann, dem er wegen Rettung seines Lebens zum größten Danke verpflichtet war. Derselbe war von Geburt ein Bürgerlicher und wurde auf Wunsch des Kurfürsten von dem Kaiser Leopold mit seinen sieben Brüdern in den Freiherrnstand erhoben, nachdem er seine Ernennung zum Grafen abgelehnt hatte, um mit seinen Brüdern in gleichem Stande zu verbleiben. Streng gegen sich und Andere, sparsam und gewissenhaft, vermehrte Dankelmann die Staatseinkünfte, indem er Handel und Ackerbau beförderte, so daß er mit Recht von seinen Zeitgenossen der „preußische Colbert“ genannt wurde.

Hochgeachtet und vom Volke geliebt, war der würdige Minister ein Dorn in den Augen der damaligen Junkerpartei, welche ihm seine bürgerliche Abkunft und sein entschiedenes Auftreten nicht verzeihen konnte. Seine Feinde vereinigten sich zu seinem Sturz; an ihrer Spitze befand sich der undankbare Herr von Kolbe, der hauptsächlich dem arglosen Dankelmann seine schnelle Beförderung und hohe Stellung zu verdanken hatte. Die Gelegenheit ließ sich leicht finden, und die Verschworenen benutzten die bekannte Verschwendungssucht und Eitelkeit des Kurfürsten, um den treuen Diener zu verderben. Die Prachtliebe des Gebieters, besonders die Erhaltung eines unverhältnißmäßigen Hofstaates und eines zahlreichen Heeres verschlangen die Revenuen des Landes und leerten den Staatsschatz. Dankelmann rieth zu Ersparnissen und sah sich genöthigt, ernste Vorstellungen zu machen, wobei er vielleicht den Ton des früheren Erziehers nur zu sehr vorwalten ließ. Mit schlauer List nährte Kolbe den unausbleiblichen Zwiespalt, indem er die gereizte Stimmung des Kurfürsten durch scheinbar absichtslos hingestreute Bemerkungen und hämische Einflüsterungen noch zu schärfen verstand. „Dankelmann,“ sagte der Kurfürst bei einer solchen Gelegenheit, „will den Kurfürsten spielen, doch ich werde ihm zeigen, daß ich selbst Herr bin.“

Der treue Diener ahnte seinen nahen Fall. Bei einem Feste in seinem Hause auf dem Werder in Berlin, welches jetzt „das Fürstenhaus“ heißt, trat der Kurfürst in das Arbeitszimmer Dankelmann’s, dessen Einrichtung und schöne Gemälde er laut bewunderte. „Alles, was Ihre Hoheit hier sehen,“ entgegnete der Minister, „wird bald Ihr Eigenthum sein.“ Als aber der Kurfürst verwundert ihn nach dem Sinne dieser räthselhaften Worte fragte, antwortete er: „Ich werde in Ungnade fallen, gefangen gesetzt und aller meiner Würden und Aemter beraubt werden. Aber eines Tages wird meine Unschuld an den Tage kommen und Ihre Gnaden werden mir Gerechtigkeit widerfahren lassen.“ Gerührt sah der Kurfürst seinem ehemaligen Erzieher in das würdige Gesicht, dann ergriff er ein auf dem Tische befindliches Neues Testament und schwor, solches solle nimmer geschehen, „so wahr – – “ Aber Dankelmann unterbrach ihn und ließ ihn nicht den Schwur vollenden, indem er behauptete, es werde dennoch so kommen, da der Kurfürst selbst ihn nicht vor den Feinden schützen könne.

Nur zu bald sollten seine Befürchtungen in Erfüllung gehen. Auf Anstiften der Junkerpartei wurde dem Kurfürsten von dem Kammermohren und Hofnarren eine Schaumünze in die Hände gespielt, welche die Freunde und Verehrer Dankelmann’s ihm zu Ehren prägen ließen. Auf der einen Seite war das Wappen der Familie, ein wachthabender Kranich, auf der anderen das Siebengestirn der „Plejaden“, eine Anspielung auf die sieben Brüder Dankelmann, am Himmel über einer Stadt angebracht.

Dieser Anblick genügte, um die Eitelkeit des Kurfürsten so sehr zu verletzen, daß er bald darauf den ausgezeichneten Staatsmann unter den frivolsten Vorwänden verhaften und wie einen gemeinen Verbrecher auf die Festung Spandau und später nach Peitz bringen ließ, wo er Jahre lang schmachtete und erst nach dem Tode des Kurfürsten die Freiheit erlangte, nachdem er ohne Recht und Urtheil seines ganzen Vermögens beraubt worden war.

Nach dem Sturze des ehrlichen Dankelmann wurde der zum Reichsgrafen von Wartenberg erhobene Herr von Kolbe der allmächtige Minister des Kurfürsten. Mit ihm kam die schamloseste Günstlingsherrschaft zur Regierung, indem dieser das Land aussog und sich mit dem Blut und Schweiße des armen Volkes bereicherte. Er selbst bezog ein festes Gehalt von hunderttausend Thaler, ungerechnet der Geschenke und Bestechungen, die er von allen Seiten erhielt und zu erpressen wußte, so daß er in kurzer Zeit ein Vermögen von mehreren Millionen aufhäufte. Um sich für die Zukunft zu sichern, beredete er den Kurfürsten ihm eine Urkunde auszustellen, durch welche er im Voraus von jeder Rechenschaft für seine Amtsführung entbunden wurde.

Die Hälfte der Staatseinkünfte wurde durch die Unterhaltung des Heeres verschlungen, die über zwei Millionen betrug, während die ganzen Revenuen sich auf vier und eine halbe Millionen Thaler beliefen. Fast eben so große Summen forderte der verschwenderische Hof, der einen nie vorher gekannten Luxus entfaltete. Das Gefolge des Kurfürsten war so groß, daß zu seiner Krönungsreise nach Königsberg in Preußen allein dreißigtausend Pferde zum Vorspann gebraucht wurden, während die damit verbundenen Festlichkeiten viele Millionen erforderten. Um dem fortwährenden Geldmangel abzuhelfen, wurden die drückendsten Steuern auferlegt, sogar eine Perrücken-, Karossen- und Schweineborstensteuer. Aber das Alles reichte nicht hin, und so suchte der Minister stets nach neuen Quellen, um die Ansprüche seines Gebieters und seine eigene Raubsucht zu befriedigen. Er nahm keinen Anstand, die wichtigsten Aemter den Meistbietenden zu überlassen und gegen Subsidien das Blut und Leben der eigenen Landeskinder an fremde Fürsten im Kriege zu verkaufen, wie es später der berüchtigte Landgraf von Hessen in dem nordamerikanischen Freiheitskampfe that. Ja, ein Werkzeug des Ministers machte dem Kurfürsten den Vorschlag, die elf Tage, die bei Annahme des neuen verbesserten Kalenders im Februar 1701 ausfielen, den Beamten an ihrem Solde abzuziehen, was er jedoch mit den Worten zurückwies: „Ich will, daß meine Leute mich nicht chicaniren, ich sie aber auch nicht.“

Während Graf Wartenberg sich in dieser Weise bereicherte und der Hof von einem Fest zum andern taumelte, starben Tausende durch Hunger und Pest, die, von Polen eingeschleppt, die Ostseelande zwischen der Memel und der Oder verwüsteten. Die Provinz Preußen verlor allein durch sie zweihundertsiebenundvierzigtausend Menschen, ein Drittel ihrer Bewohner, in Königsberg starben siebentausend, in Danzig zweiunddreißigtausendsechshundert Menschen und viele Städte und Dörfer in Pommern verloren fast ihre sämmtlichen Einwohner. Noch trauriger sah es auf dem platten Lande ans, wo die strengen Jagdgesetze zur Schonung des Wildes den Landmann seiner Saaten beraubten und oft zur Verzweiflung trieben. Jeder Versuch, diesem unerträglichen Zustand ein Ende zu machen, wurde auf das Härteste bestraft, und als eine Anzahl von einsichtsvollen Männern, an deren Spitze der Feldmarschall Barfuß, die Grafen Dohna, Lottum, Dönhoff und der Hofmarschall von Wersen standen, den Minister wegen seiner Unterschleife, Erpressungen und Gewaltthaten anklagten, mußten sie ihr Erkühnen mit Gefängniß, Verbannung vom Hofe und Dienstentlassung büßen.

Mehr als je beherrschte der frivole Günstling seinen verblendeten Herrn, unterstützt von seiner intrignanten Gemahlin, welche die Tochter eines Schiffers Nickers aus Emmerich im Herzogthum Cleve war. Ihr Vater, der nebenbei eine gemeine Winkelschenke hielt, benutzte die Reize seiner Töchter, um die Gäste herbeizulocken. So lernte sie auf einer Reise der kurfürstliche Kammerdiener Bidecap kennen, der sich in die schöne Katharina verliebte und sie mit sich nach Berlin führte. Hier sah sie Herr von Kolbe und knüpfte mit der nur zu gefälligen Frau ein Verhältniß an, worauf sie sich von ihrem Manne scheiden ließ und den Günstling so zu fesseln wußte, daß er sie wirklich heirathete. Das ränkevolle Weib erhielt mit der Zeit Zutritt am Hofe und wurde sogar die Titular-Favorite des Kurfürsten, nicht nur mit Bewilligung, sondern hauptsächlich auf Betrieb ihres würdigen Gatten, der keinen Anstand nahm, den Neigungen seines Gebieters, der auch in dieser Beziehung seinem Vorbilde, Ludwig dem Vierzehnten von Frankreich, nacheiferte, die eigene Ehre zu opfern. Indeß soll sich nach glaubwürdigen Berichten das Verhältniß [667] lediglich, darauf beschränkt haben, daß der Kurfürst, der seine Gemahlin, die berühmte Sophie Charlotte, aufrichtig und treu geliebt hat, nur zu gewissen Stunden des Tages in einer besonderen Galerie des Schlosses mit seinen Favoriten gravitätisch auf und nieder ging, um die Mode jener Zeit mitzumachen, zu der an jedem Hofe auch eine wirkliche oder Titular-Favorite gehörte.

Einmal zu dieser Höhe gelangt, kannte das würdige Paar keine Grenzen mehr für seinen Stolz und Uebermuth. Die frühere Schifferstochter forderte und verlangte den Vortritt vor allen Damen am Hofe, und selbst die Herzogin von Holstein verkaufte ihr für eine Summe von zehntausend Thalern dieses Recht, so daß ihr nur die Prinzessinnen des königlichen Hauses vorgingen. Die stolzen märkischen Damen von Adel mußten sich fügen oder sich zurückziehen. Selbst die Königin Sophie Charlotte hatte von der Frechheit dieser Parvenue zu leiden, da sie zu stolz und ehrenwerth war, der Gräfin den Zutritt zu ihren geistreichen Kreisen zu gestatten, und sich mit ihren Vertrauten und Freunden über die ungebildete Titular-Favorite moquirte. Die Letztere rächte sich dadurch, daß sie Zwietracht zwischen dem hohen Paare säete und außerdem die Einkünfte der Königin durch den Günstling schmälerte. Es kam selbst zu argen Auftritten und Conflicten mit den Frauen der fremden Gesandten. Bei der Taufe einer neugeborenen Prinzessin verlangte die Gräfin Wartenberg wie gewöhnlich den Vortritt vor allen übrigen eingeladenen Damen. Diesen unverschämten Ansprüchen wollte sich Frau von Lintlo, die Gemahlin des holländischen Gesandten, nicht fügen. Hinter einer Draperie versteckt, nahm sie den günstigen Augenblick wahr, um der Gräfin zuvorzukommen. Diese erholte sich jedoch bald von ihrer Ueberraschung und packte die Gesandtin bei ihrem Kleide, um sie zurückzuzerren. „Frau von Lintlo,“ so erzählt ein Augenzeuge, „machte jedoch eine geschickte Wendung, that einen Seitensprung und richtete im Kopfputz der Gräfin eine große Unordnung an, welche von der Gräfin durch einige Rippenstöße ripostirt wurde.“

Dieser Damenkampf drohte eine ernste politische Verwickelung herbeizuführen. Die Gräfin verlangte und erhielt die gewünschte Satisfaction, indem der Gesandtin der fernere Besuch des Hofes verboten und eine feierliche Abbitte von ihr gefordert wurde. Als der Gesandte dagegen opponirte, erließ Graf Wartenberg eine Note an die Generalstaaten, worin er drohte, die im Dienste der Generalstaaten stehenden preußischen Hilfstruppen zurückzuziehen; gleichzeitig erließ er an den commandirenden General den Befehl, Alles zum Rückmarsch anzuordnen. Unter diesen Umständen sah sich Frau von Lintlo durch die Instruktionen der Generalstaaten gezwungen, ihrer Gegnerin öffentlich eine vorher genau stylisirte Abbitte zu leisten.

Aber nicht immer war die Gräfin so glücklich, das Feld zu behaupten. Die zweite Gemahlin des Königs war nicht so nachsichtig wie die liebenswürdige Sophie Charlotte, die sich mit einigen Spöttereien begnügte. Als die Königin mit ihren Damen, unter denen sich auch die Favorite befand, an einem Teppich arbeitete, ließ diese sich von ihrem eigenen Bedienten den Kaffee in einer silbernen Tasse serviren. Ueber diese maßlose Unverschämtheit erzürnt, befahl ihr die Königin, sich mit ihrem Bedienten zu entfernen und ihren Kaffee zu Hause zu trinken. Da die Gräfin sich jedoch nicht stören ließ, rief die wüthende Königin einen Lakaien, um „diese Frau da“ und ihren Bedienten aus dem Fenster zu werfen. Auch die russische Gesandtin, Gräfin Matuoff, war nicht geneigt, den frechen Ansprüchen der Gräfin zu weichen. Bei einem Diner, das der Ersteren zu Ehren gegeben wurde, weigerte sich die Favorite zu erscheinen, wenn ihr nicht vorher der Vortritt zugestanden würde. Da dem Könige damals viel an der Freundschaft des russischen Hofes lag, so mußte sich in diesem Falle die Gräfin Wartenberg, wenn auch mit Widerstreben, zur Abbitte bequemen.

Solche Vorfalle mußten auf die Länge der Zeit selbst den gutmüthigen König auf das Treiben seines Günstlings aufmerksam machen und sein unbegrenztes Vertrauen erschüttern. Dazu kamen noch Klagen gegen Wartenberg und seinen Anhang. Diesmal trat der Kronprinz selbst, dem bei seiner Sparsamkeit die Verschwendung des Günstlings besonders verhaßt war, an die Spitze einer Partei, welche um jeden Preis den Minister entfernen wollte.

Die gefährliche Rolle des Anklägers übernahm der „ehrliche Kamecke“, ein biederer, anspruchsloser Mann, der dem verblendeten Könige die Augen öffnete. Durch das Schicksal des unglücklichen Werfen gewarnt, richtete er seine Beschuldigungen nicht direct gegen den Grafen Wartenberg, sondern gegen den Grafen Wittgenstein, dessen ergebenste Creatur. Kamecke führte nämlich den Beweis, daß Wittgenstein sich eigenmächtig eine Gehaltszulage von fünftausend Thalern zugetheilt, große Summen, die zur Unterstützung der durch die Pest heimgesuchten Provinzen bestimmt waren, unterschlagen und außerdem siebenzigtausend Thaler, die der König für die abgebrannte Stadt Crossen bewilligt, für sich zurückbehalten habe. Wittgenstein wurde für schuldig befunden und auf die Festung Spandau gebracht, trotzdem er sich in seiner Vertheidigung auf die Befehle des Grafen Wartenberg berief. So groß war die Wuth des erbitterten Volkes, daß bei seiner Abführung ihn seine militärische Begleitung vor Mißhandlung schützen mußte.

Bald folgte ihm der Günstling nach, obgleich der König nur ungern in seine Entlassung willigte. Der Graf, welcher seine Schwäche nur zu gut kannte, forderte nur noch einmal seinen Gebieter zu sehen; er ließ sich vor ihm auf ein Knie nieder und bat ihn flehentlich, ihm nicht seine Gnade zu entziehen, da er lieber sterben als den Anblick seines gütigen Herrn missen wolle. Es gelang ihm in der That, den gutmüthigen Friedrich bis zu Thränen zu rühren; er umarmte den Grafen und schenkte ihm noch einen Ring im Werthe von sechsundzwanzigtausend Thalern, aber trotzdem blieb er fest, indem er die Nothwendigkeit der Trennung einsah und deshalb den Grafen vom Hofe verbannte. Vor seiner Abreise schrieb er noch einmal dem König und ersuchte ihn, seinen Palast in der Poststraße und den Garten Monbijou, den die Gräfin nach dem Tode der Königin Sophie Charlotte zum Geschenk erhalten hatte, sowie sein kostbares Porcellan-Cabinet von ihm annehmen zu wollen. Der König bewilligte dies Gesuch, ließ ihm aber den vollen Werth der Schenkung in baarem Gelde auszahlen. Mit dieser Summe und den Millionen, die er dem Lande abgepreßt, zog sich der gestürzte Günstling nach Frankfurt am Main zurück, wo er unangefochten bis zum Jahre 1712 lebte und bis zu seinem Tode noch eine Pension von vierundzwanzigtausend Thalern bezog. Seine Bestrafung konnte nicht erfolgen, da er von jeder Verantwortung durch die oben angedeutete Urkunde freigesprochen wurde, deren bemerkenswerther Passus lautet: „daß, wenn bei des Oberkämmerers Verwaltung der Domänen und Schatullengüter irgendwelche Unrichtigkeiten in den Rechnungen, Versäumnisse und Vernachlässigungen der kurfürstlichen Interessen vorkommen sollten, nicht er, der Oberkämmerer, sondern die Subalternen zur Verantwortung gezogen werden sollten.“

Auch Graf Wittgenstein wurde schon nach einem halben Jahre wieder von der Festung entlassen, mußte aber achtzigtausend Thaler Strafgelder zahlen und das Land meiden. Trotz dieser milden Behandlung erhoben seine Standesgenossen Beschwerde beim Kaiser, indem sie dem Könige das Recht bestritten, einen deutschen Reichsgrafen, der in seinen Diensten und Sold stand, zu bestrafen, auch wenn er ein notorischer Verbrecher und überführter Betrüger wäre. Der Dritte in dem sauberen Bunde, Graf Wartensleben, war ein gutmüthiger Mann, nur gegen den allmächtigen Günstling allzu nachgiebig und gefällig; er wurde deshalb nur seiner Aemter entsetzt und vom Hofe verwiesen. Die verbannte Favorite begab sich nach dem Ableben ihres Gatten nach Paris, wo sie ihr Leben fortsetzte und so viele Liebschaften hatte, daß man, wie sie selbst frivol von sich rühmte, eher die Muscheln am Strande von Scheveningen zahlen könne, als ihre galanten Abenteuer.

Trotz aller Beweise schwerer Schuld bewahrte der König dem gefallenen Günstling eine fast unbegreifliche Freundschaft. Am Tage, wo die Leiche des Grafen Wartenberg laut seiner testamentarischen Anordnung nach Berlin gebracht wurde, um in der dortigen Parochialkirche beigesetzt zu werden, vergoß Friedrich Thränen der Trauer und ließ sich längere Zeit von Niemand sprechen. Das preußische Volk aber bewahrte dem Günstling und seinen Creaturen ein wohlverdientes schimpfliches Andenken durch den Namen der „drei Wehs“.

R.