Die drei Schrecklichen von Venedig
Die drei Schrecklichen von Venedig.
Seit dem Beginn des vierzehnten Jahrhunderts war die Herrschaft der Nobili in der Republik Venedig mehr und mehr befestigt worden und schuf zu ihrem eigenen Schutze ein geheimes Gericht, welches Jahrhunderte lang die Bürger der großen Handelsrepublik mit Furcht und Schrecken erfüllte. Es war der berühmte „Rath der Drei“, welcher von dem „Rathe der Zehn“ gewählt wurde und dem die Aufgabe zufiel, über die Sicherheit des Staates zu wachen und jede Auflehnung gegen die bestehenden Gesetze im Keime zu ersticken. Mit weitgehenden Machtmitteln ausgestattet, bildete er bald, geheimnißvoll wie die Fehme wirkend, die oberste Staatsbehörde, über welcher der gewählte Doge nur in Scheinherrlichkeit thronte. Man wußte, daß diese furchtbare Behörde verfassungsmäßig bestand, aber nicht, wer dazu in geheimer Wahl der Zehn als Mitglied hervorgegangen war. Man erfuhr ihre Urtheile, aber dieselben trugen nur die Unterschrift des Sekretärs. Man sah die Leichen der öffentlich Enthaupteten oder Gehenkten vor dem Dogenpalast, aber über deren Proceß hatte man nichts gehört. Wie eine überirdische Gewalt schwebte sie über Allen in der venetianischen Republik. Selbst die einzelnen drei Staatsinquisitoren waren vor ihrer eigenen gemeinsamen Furchtbarkeit nicht gesichert; denn es gab noch einen ernannten Stellvertreter, den zwei Inquisitoren sich zugesellen konnten, um über den dritten zu richten, wenn es ihnen nöthig schien.
Zwei von ihnen fungirten während eines Jahres und trugen eine schwarze Talarkleidung; der dritte Inquisitor war in rother Tracht und gehörte als specieller Rath des Dogen dieser Behörde nur acht Monate lang an. Keine Regel band sie bei ihrem Verfahren, als nur die Uebereinstimmung ihres Urtheils; die Mittel der Erforschung eines Verbrechens, die Beschaffung von Zeugen, die Anwendung der Folter, um Geständnisse zu erpressen, die Wahl der Strafen, die geheime oder öffentliche Ausführung derselben, Alles war ihnen in völlig unverantwortlichem Absolutismus überlassen. Spione in allen Schichten der Bevölkerung, bis in den Rath der Vierzig und des Dogen hinauf, standen in ihrem Dienst; geheime Agenten waren überall, in Stadt und Provinzen, für sie thätig; jeden Augenblick auch geheime, unbekannte Henker oder gedungene Mordgesellen, die Bravi, bereit, ihre Befehle oder Winke zu vollstrecken. Offenbar aber hat Venedig dadurch den festen Bestand seines aristokratischen Regiments so lange zu erhalten vermocht und es auch mehr dem Ehrgeiz und der Leichtfertigkeit des heimischen Adels gefährlich, als dem buon populino, dem harmlosen Volke, drückend gemacht.
Einer von den Ersten mit, welcher diesem Gericht der drei Schrecklichen, ehe sie noch Staatsinquisitoren hießen, zum Opfer fiel, war der sechsundsiebzigjährige Doge Marino Falieri. Zunächst angestachelt durch die Frechheit Michael Steno’s, eines jener drei Richter, gegen sein junges und schönes Weib, verschwor er sich mit einigen Leuten aus den niedrigsten Volksklassen zur Rache an einer Aristokratie, deren Hochmuth und tyrannische Macht ihm längst tief in der Seele verhaßt waren. Die Nacht des 15. April 1355 war zur Niedermetzelung der Vornehmsten Venedigs, wie sie im Rath der Vierzig und Zehn allein zu sitzen berechtigt waren, bestimmt, und diese That sollte durch die Umwandlung der Verfassung im Interesse des Volkes gekrönt werden. Aber am Tage vorher erhielten die Räthe durch ihre Spione Kenntniß von diesem Komplott. Die Theilnehmer aus dem Volke wurden sofort gehängt; um über den Dogen zu richten, gesellten sich die Richter noch eine Anzahl der angesehensten Adeligen zu. Am 17. April wurde Falieri im Hofe des Dogenpalastes enthauptet. So zeigte das Gericht an einem schrecklichen Beispiel schneller Justiz, daß ihr auch die höchste Person des Staates verfallen sein kann. Uebrigens hütete man sich seitdem im Rath, Dogen zu wählen, die noch eine junge Frau hatten.
Einem anderen Dogen, Franzisco Foscari, geschah es, daß ihm der Sekretär der Drei in gebührender Ehrfurcht auf den Knieen das Dekret überreichte, das seinen Sohn zum Tode wegen Staatsgefährlichkeit verurtheiltc, und er konnte die Vollstreckung nicht hindern.
Ein junger Nobile, Giovanni Moncenigo, ließ sich in seinem Leichtsinn hinreißen, bei einer Opernvorstellung in Venedig zwei Pistolenschüsse auf die Brüder Foscarini abzufeuern, die sie verwundeten. Er entfloh augenblicks. Vergebens versuchte man wegen der Jugend des erst zweiundzwanzigjährigen Mannes, wegen der Verdienste seines Geschlechts, welches auch vier Dogen gegeben hatte, den Rath der Drei gnädig zu stimmen. Sein junges Weib flehte für ihn, die Foscarini’s selber verwendeten sich hochherzig. Der Rath blieb unerbittlich, und sein Spruch machte die venetianische Aristokratie zittern. Denn Moncenigo wurde seines Adels für verlustig und in contumaciam zum Tode verurtheilt, seine Güter, auch die noch zu erhaltenden, wurden für konfiscirt erklärt, ebenso für nichtig alle Verträge, die er während der letzten sechs Monate eingegangen und zu denen auch wohl der seiner Heirath gehörte. Eine bedeutende Belohnung und Straflosigkeit für jedwede Art von Verbrechen, sei es für sich, sei es für eine andere Person, verhieß man demjenigen, der ihn todt oder lebendig einliefere. Alle Gemeinden in den Provinzen erhielten Befehl, auf ihn zu fahnden und ihre Macht zu seiner Verhaftung, wenn er auf ihrem Gebiet betroffen werde, bei Galeerenstrafe für die Vorsteher, aufzubieten. Kein Unterthan der Republik, kein Verwandter des Verurtheilten durfte ihn sehen, ihn sprechen, ihm schreiben, irgend eine Verbindung mit ihm unterhalten, irgend einen Beistand ihm leisten, wenn er sich nicht der Einziehung seines Vermögens und zehnjähriger Galeerenstrafe mit Ketten an den Füßen ausgesetzt wissen wollte. Einer Geldbuße von zweitausend Dukaten verfiel, wer zu seinen Gunsten [121] spräche, und damit gar nicht irgend eine Möglichkeit gegeben sei, die diesen furchtbaren Spruch jemals mildern könnte, wurde er für unwiderruflich erklärt und durch den Zusatz verstärkt, daß er alle anderen Strafen von Acht und Bann mit verhänge.
Furchtbar wollte der Rath der Drei als oberste Kriminaljustiz dem Adel erscheinen, weil dieser in Venedig die herrschende Kaste war, und dem Volke, damit es vor jedem Versuch einer Auflehnung scheue. Darum wurde es sein Princip, niemals ein gefälltes Urtheil abzuändern oder gar durch einen Gnadenspruch wieder aufzuheben. Es sollte die Unfehlbarkeit des Gerichts damit bezeugt sein. Selbst in den Fällen sich erweisenden Irrthums der Inquisitoren, entschiedener Ungerechtigkeit oder übermäßiger Härte ihres Urtheils gingen sie nicht wieder davon ab, und schon der Versuch, eine Milderung des Urtheils herbeizuführen, war selbst für Mitglieder angesehenster Familien mit Gefahr verbunden. Denn diese Drei duldeten es nicht, daß Jemand eine Art Kritik ihrer geheimnißvollen Thätigkeit sich erlaube, sei er nun Doge, Rath oder irgendwer von Ansehen und Verdienst im Staate; ja, gegenüber den Civilgerichten, deren es drei gab und deren Mitglieder aus den Räthen erwählt wurden, zeigten sie sich am allereifersüchtigsten auf ihr Vorrecht unanfechtbarer Unverantwortlichkeit. Sie scheuten sich nicht, wenn ihnen ein solches Civilgerichtsurtheil mißfiel oder bedenklich für die Staatssicherheit erschien, es kraftlos zu machen, am einfachsten, indem sie die Person verschwinden ließen, welche dies ermöglichte, sei es nun die des Klägers oder des Verklagten. Ein Wink, und er kam in die unterirdischen Verließe oder in ein Gemach unter dem Bleidach des Dogenpalastes; ein Befehl an den Kerkermeister, und der Unglückliche wurde erdrosselt in den Kanal geworfen, der dicht vor den unterirdischen Gefängnissen sein trübes Wasser in die Lagunen ergoß. Der Tod stand zu ihren, und nur zu ihren Diensten, sobald sie ihn in ihrer Dreieinigkeit riefen; und wo es galt, Venedigs Ordnung zu wahren, einen politisch Verdächtigen unschädlich zu machen, der vielleicht in der Provinz mit einem der italienischen Nachbarstaaten im Bunde sein Wesen trieb, oder einmal wieder durch einen blutigen Justizakt zu schrecken, da zauderten sie nicht, offen oder heimlich ihren Blutspruch vollstrecken zu lassen.
Dem Prinzen von Craon, der sich in Venedig zum Besuch aufhielt, wurde seine Börse gestohlen. In seinem Aerger darüber ließ er sich verleiten, über die venetianische Polizei böse Reden zu führen und auch zu sagen, daß sie sich mehr mit der Spionage der Fremden, als mit deren Sicherheit beschäftige. Einige Tage darnach reiste er ab. Als seine Gondel, deren er sich zunächst bediente, vom venetianischen Ufer etwas entfernt war, hielten die Ruderer plötzlich an und erklärten furchtsam auf Befragen des Prinzen, daß sie nicht weiter fahren dürften, da ihnen das Polizeischiff mit dem rothen Signal entgegen käme. Der Prinz, indem er sich seiner unvorsichtigen Reden erinnerte, gerieth in Angst, schutzlos hier zwischen Meer und Himmel der Heimtücke venetianischer Bravi vielleicht verfallen zu sein. In der That, das Schiff näherte sich und der Befehlshaber desselben lud den Prinzen ein, es mit seiner Gondel zu vertauschen. Wohl oder übel mußte er sich dazu verstehen.
„Mein Herr,“ redete ihn sogleich am Bord ein Mann an, „sind Sie nicht der Prinz von Craon?“
„Ja.“
„Wurden Sie nicht am letzten Freitag bestohlen?“
„Ja, Signor.“
„Um welche Summe?“
„Fünfhundert Dukaten.“
„Wo befanden sich dieselben?“
„In einer grünseidenen Börse.“
„Haben Sie Verdacht auf Jemand, der den Diebstahl begangen haben könnte?“
„Auf einen Lohndiener, den ich mir genommen.“
„Erkennen Sie ihn wieder?“
„Ohne Zweifel.“
Sofort stieß der unheimliche Mann einen schlechten Mantel von sich, der ihm zu Füßen lag und unter dem nun ein Todter sichtbar wurde. In der Hand desselben war eine grüne Börse.
„Hier haben Sie ihn,“ sagte der Agent des Raths der Drei; „hier ist Ihr Geld, nehmen Sie es zurück und reisen Sie weiter. Doch merken Sie sich, daß man nicht wieder in ein Land kommt, dessen gute Regierung man verkannt hat.“
Eine ähnliche Geschichte erzählt Schiller in seinem „Geisterseher“. Der darin auftretende Prinz, der in einem Kaffeehause auf dem Markusplatze von einem Venetianer schwer beleidigt worden war und vor dessen Drohungen laute Befürchtungen um sein Leben äußerte, wurde bald darnach von einigen Bediensteten der Staatsinquisition abgeholt und zunächst bis zum Kanal geleitet. Hier erwartete ihn eine Gondel, in die er sich setzen mußte. Ehe er mit seinem Begleiter ausstieg, wurden ihnen Beiden die Augen verbunden, und dann führte man sie eine große steinerne Treppe hinauf, durch einen langen Gang über Gewölbe, wie sie aus dem vielfachen Echo schlossen, das unter ihren Füßen hallte. Endlich gelangten sie vor eine andere Treppe, auf welcher sie 26 Stufen in die Tiefe stiegen. Hier öffnete sich ein Saal, wo man ihnen die Binde wieder von den Augen nahm. Sie befanden sich in einem Kreise ehrwürdiger alter Männer, alle schwarz gekleidet, der ganze Saal mit schwarzen Tüchern behangen und sparsam erleuchtet, eine Todtenstille in der ganzen Versammlung, was Alles einen schrecklichen Eindruck machte. Einer von den Greisen, vermuthlich der oberste Staatsinquisitor, näherte sich dem Prinzen und fragte ihn mit einer feierlichen Miene, während man ihm den Venetianer vorführte:
„Erkennen Sie diesen Mann für den nämlichen, der Sie in dem Kaffeehause beleidigt hat?“
„Ja,“ antwortete der Prinz.
Darauf wandte sich Jener zu dem Gefangenen: „Ist dies dieselbe Person, die Sie heute Abend wollten ermorden lassen?“
Der Gefangene konnte nicht leugnen.
Sofort öffnete sich der Kreis, und mit Entsetzen sah der Prinz den Kopf des Venetianers vom Rumpfe fliegen.
„Gehen Sie nun,“ sagte der Inquisitor mit unheimlicher Betonung, indem er sich gegen ihn richtete, „und urtheilen Sie künftig weniger vorschnell von der Gerechtigkeit in Venedig!“
Zahllose ähnliche Geschichten sind erhalten, welche dies jahrhundertelange unerschütterliche Nobiliregiment in Venedig und seine drakonische Justiz in ihrer principiellen Größe wie in ihren vielen Unmenschlichkeiten charakterisiren. Nur zu sehr und nur zu oft war diese Justiz die von Mördern, die nach ihrer Meinung, nicht nach dem Gesetze, den Tod ihres Opfers für das Beste fanden. In diesen Fällen waren den drei Inquisitoren die Bravi zur Hand. Die Illustration nach dem Piloty’schen Gemälde in unserer heutigen Nummer führt die Scene packend vor Augen, wie drei Bravi vor dem Blutgericht Rechenschaft über die ihnen aufgetragene Erledigung des letzten Falles ablegen. Der Eine giebt die Beweise der gelungenen That, indem er die Kleider des Ermordeten vorzeigt; die Anderen harren des dafür ausbedungenen Lohnes. Der Sekretär ist beauftragt, ihnen denselben in Dukaten aus der Kassette zu zahlen. Der Rothe hinter dem Krucifix sieht mit kalter Gemüthsruhe der amtlichen Abfertigung der drei Mordgesellen zu; der Eine der Schwarzen hält noch einmal mit seinem Gewissen Rath darüber, ob die Blutthat wirklich nothwendig zum allgemeinen Wohl gewesen, und der andere Inquisitor, indem er gefühllos mit seinem Stocke das Kleidungsstück des Getödteten lüpft, bricht seinen Verkehr mit den Bravi wohl mit dem Gedanken ab, den Bolingbroke in Shakespeare’s Richard II. gegen den von ihm gedungenen Mörder des Königs ausdrückt:
„Nimm für die Mühe des Gewissens Schuld,
Doch weder meinen Dank, noch meine Huld.“
Venedigs Regiment, Justiz und staatliche Selbständigkeit fielen auf einmal ruhm- und wehrlos, unter dem Jubel des Volks, am 12. Mai 1797, als das angerückte französische Republikanerheer die Unterwerfung verlangte. Das Erste, was die französischen Eroberer thaten, war die Zerstörung der Inquisitionsgefängnisse. An deren Stelle errichteten sie eine Tafel mit der Inschrift:
„Kerker der aristokratischen Drei-Raths-Barbarei, zerstört durch die provisorische Gemeindeverwaltung von Venedig im Jahre I der italienischen Freiheit, 25. Mai 1797.“
Am 4. Juni wurde auch das „goldene Buch“, welches das Verzeichniß der amtsfähigen venetianischen Nobili enthielt, feierlich zu Füßen eines Freiheitsbaumes verbrannt!
Sic transit gloria mundi!