Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Die drei Reimer
Untertitel:
aus: Chinesische Volksmärchen, S. 5–7
Herausgeber: Richard Wilhelm
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Eugen Diederichs
Drucker: Spamer, Leipzig
Erscheinungsort: Jena
Übersetzer: Richard Wilhelm
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
E-Text nach Digitale Bibliothek Band 157: Märchen der Welt
Eintrag in der GND: [1]
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Bearbeitungsstand
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2. Die drei Reimer

In einem Hause waren drei Töchter. Die älteste heiratete einen Doktor, die zweite heiratete einen Magister, die dritte aber, die besonders klug war und geschickt im Reden, heiratete einen Bauer.

Nun traf es sich, daß ihre Eltern Geburtstag feierten. Da kamen die drei Töchter mit ihren Männern, um ihnen Glück und langes Leben zu wünschen. Die Schwiegereltern bereiteten für ihre drei Schwiegersöhne ein Mahl und tischten ihnen Geburtstagswein auf. Der Älteste aber, welcher wußte, daß der dritte Schwiegersohn die Schule nicht besucht, wollte ihn in Verlegenheit bringen.

„Das ist doch gar zu langweilig“, sagte er, „wenn wir nur so trinken; wir wollen ein Trinkspiel machen. Auf die Worte: am Himmel – auf Erden – am Tische – im Zimmer – soll jeder ein Gedicht machen, das sich reimt und Sinn hat. Wer’s nicht kann, der muß zur Strafe drei Gläser leeren.“

Alle Anwesenden warens zufrieden. Nur der dritte Schwiegersohn kam in Verlegenheit und wollte durchaus [6] gehen. Aber die Gäste ließen ihn nicht fort und nötigten ihn zum Sitzen.

Da begann der älteste Schwager: „Ich will mit dem Reimen anfangen. Ich sage:

Am Himmel stolz der Phönix fliegt,
Auf Erden zahm das Schäflein liegt,
Am Tische les ich alte Weise,
Im Zimmer ruf der Magd ich leise.“

Der zweite fuhr fort: „Und ich sage:

Am Himmel fliegt die Turteltaube,
Auf Erden wühlt der Ochs im Staube,
Am Tisch studiert man, was gewesen,
Im Zimmer führt die Magd den Besen.“

Der dritte Schwiegersohn aber stotterte und brachte nichts hervor. Als alle ihn nötigten, da brach er mit grobem Ton heraus:

„Am Himmel fliegt – eine Bleikugel,
Auf Erden geht – ein Tigertier,
Am Tische liegt – eine Schere,
Im Zimmer ruf ich – dem Stallknecht.“

Die beiden Schwäger klatschten in die Hände und begannen laut zu lachen.

„Die vier Zeilen reimen sich ja gar nicht“, sagten sie, „und außerdem ist kein Sinn darin. Eine Bleikugel ist doch kein Vogel, der Stallknecht tut seine Arbeit draußen, willst du ihn etwa zu dir ins Zimmer hereinrufen? Unsinn, Unsinn! Trink’ aus!“

Aber noch ehe sie fertig geredet hatten, da hob die dritte Tochter den Vorhang des Frauengemachs und trat heraus. Sie war ärgerlich, konnte aber doch ein Lächeln nicht unterdrücken.

„Wieso haben wir keinen Sinn in unseren Zeilen?“ sagte sie. „Hört nur zu, ich will’s euch erklären: Am Himmel die Bleikugel wird euren Phönix und eure Turteltaube totschießen. Auf Erden das Tigertier wird euer Schaf und euren Ochsen fressen. Am Tisch die Schere wird all eure [7] alten Schmöker zerschneiden. Im Zimmer der Stallknecht endlich, nun – der kann eure Magd heiraten.“

Da sagte der älteste Schwager: „Gut gescholten! Schwägerin, du weißt zu reden. Wärst du ein Mann, du hättest längst den Doktor in der Tasche. Wir wollen zur Strafe unsere drei Gläser leeren.“

Anmerkungen des Übersetzers

[387] 2. Die drei Reimer. Quelle: mündliche Überlieferung.