Die deutschen Fehmgerichte in Wahrheit und Dichtung

Textdaten
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Autor: Friedrich Helbig
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Titel: Die deutschen Fehmgerichte in Wahrheit und Dichtung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 358–360
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die deutschen Fehmgerichte in Wahrheit und Dichtung.

Von Fr. Helbig.

Wer in Heinrich von Kleist’s anmuthigem Schauspiele „Das Käthchen von Heilbronn“ beim Aufzuge des Vorhangs die vermummten Gestalten in der nur düster von einer Lampe erleuchteten „unterirdischen Höhle“ um einen Tisch herum hat sitzen sehen, auf welchem der Todtenkopf und ein blankes Schwert liegen, der weiß, daß hier das heimliche Gericht der Fehme seines furchtbaren Richteramtes waltet. Es ist so tief geheim, daß Kläger, Angeklagter und Zeugen nur mit verbundenen Augen hinein- und herausgeführt werden. Die andächtige Menge im Theater hält dabei auch an dem Glauben fest, daß dies Alles so gewesen ist, die Sage hat es ja so überliefert, der Glaube des Volks so festgehalten, die Feder des Dichters und der Pinsel des Malers es also verewigt.

Im Lichte der Geschichte ist das freilich ganz anders gewesen.

Der nüchterne Geschichtsforscher, der seine Weisheit nicht aus der Phantasie, sondern aus vergilbten Pergamenten und verstaubten Akten herausholt, hat vom Institute der Fehme schon längst den geheimnißvollen Nimbus abgestreift, er weiß, daß dieselbe ihre Gerichtssitzungen weder in Höhlen und Verstecken noch im Dunkel der Nächte abhielt, vielmehr im Freien möglichst auf einer luftigen Anhöhe, von der aus man einen weiten Umkreis beherrschen konnte, und in der Zeit vom Sonnenaufgange bis zum Sonnenuntergange, wie es die alten Fehmordnungen vorschreiben. Auch waren Haupt und Angesicht der Richter bloß und unbedeckt zum Wahrzeichen, „daß sie kein Recht mit Unrecht bedeckt haben noch decken wollen“.

Ebenso wenig waren die Fehmgerichte Gerichte, welche das Richteramt gewissermaßen auf eigene Faust vollzogen, eine Art Lynchjustiz übten ohne Titel und Recht. Im Gegentheil hatten sie das Recht zu richten unmittelbar vom Kaiser. Es waren kaiserliche Gerichte in aller Strenge des Wortes.

Das war so zugegangen.

In Westfalen hatten sich neben den herrschaftlichen Gaugerichten, als Bruchstücke der alten, schon von Karl dem Großen eingesetzten Grafengerichte, Freigerichte (Freistühle) erhalten, in denen ein vom Stuhl- oder Gerichtsherrn ernannter Freigraf mit den zum Freistuhle gehörenden Schöffen unter Königsbann richtete. Die Belehnung mit letzterem erfolgte durch den Kaiser selbst, später in des Kaisers Namen durch den Erzbischof von Köln, nachdem Westfalen unter dessen Botmäßigkeit gekommen war. Obwohl diese Frei- oder Fehmgerichte nur „auf rother Erde, im Land Westfalen“ tagten, konnte doch Jedermann im Reiche sich dort sein Recht holen, und zwar hauptsächlich in dem Falle, wenn er vor den Gerichten im eigenen Lande kein Recht fand. Das war das besondere Privileg der kaiserlichen Gerichte.

Nun war in Deutschland, begünstigt durch das lange Interregnum zwischen dem letzten Hohenstaufen und dem ersten Habsburger, jener „kaiserlosen schrecklichen Zeit“, im 13. und im Anfange des 14. Jahrhunderts eine große Rechtsunsicherheit eingetreten. Es waren die Zeiten des Faustrechts, da allein der Starke und Mächtige regierte, der Arme und Schwache aber ihm machtlos preisgegeben und geradezu rechtlos war. Da wandten sich Alle, die in ihrem guten Rechte gekränkt waren, an das Freigericht in Westfalen. So wurde dasselbe geradezu ein Hort aller Bedrängten, ein Schutzherd der Kleinen wider die Gewalt der Großen. Und damit erlangten diese westfälischen Stuhlgerichte eine von ihnen selbst wohl nicht geahnte Bedeutung.

Die Zahl der Freischöffen beschränkte sich nicht mehr auf die im Stuhlbezirke sässigen Freien, sondern sie verbreitete sich über das ganze Reich. Selbst Fürsten und Herren drängten sich dazu, Freischöffen zu werden, da man dadurch einen gewissen Schutz vor der vernichtenden Gewalt der Freigerichte bekam. Alle diese Schöffen wurden von einem westfälischen Freigrafen, der in den meisten Fällen nichts war als ein schlichter Bauersmann, durch einen feierlichen Eidschwur und unter geheimnißvollem Ceremoniell verpflichtet. Knieend und entblößten Hauptes, den Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand auf ein bloßes Schwert legend, hatte der Aufzunehmende zu geloben, daß „er die heilige Fehme fortan wolle helfen halten und verhehlen vor Weib und Kind, vor Vater und Mutter, vor Schwester und Bruder, vor Feuer und Wind, vor alldemjenigen, was die Sonne bescheint und der Regen bedeckt, vor alledem, was zwischen Himmel und Erde ist, und daß er dem freien Stuhle, darunter er gesessen sei, Alles vorbringen wolle, was in die heimliche Acht des Kaisers gehört, er für wahr wisse oder von wahrhaften Leuten habe sagen hören, das zur Rüge oder Strafe geht, das Fehmwrogen (d. h. ein vor die Fehme gehörendes Verbrechen) sei, auf daß es gerichtet oder mit Willen des Klägers in Gnaden gefristet werde und daß er das nicht (unter-)lassen wolle um Lieb noch um Leid, um Gold noch Silber noch um Edelgestein und er stärken dies Gericht und Recht nach allen seinen fünf Sinnen und Vermögen und daß er das Gelobte wolle festhalten, als ihm Gott helfe und sein heiliges Evangelium.“

Nach Leistung dieses Eides wandte sich der Freigraf zu dem anwesenden Frohnboten mit der Frage: „Ich frage Dich, Frohne, ob ich diesen Mann zu Recht gestürt habe des Eides und der heimlichen Acht und ob er mir auch zu Recht gefolgt habe?“

Der Frohn antwortete hierauf: „Ja, Herr Graf, Ihr habt dem Manne den Eid zu Recht vorgestürt und er hat dem Recht nach gefolgt und geschworen.“

Die Freischöffen erkannten sich gegenseitig an gewissen Erkennungszeichen als „Wissende“. Sie begrüßten sich beim Begegnen unter Auflegung der rechten Hand auf die linke Schulter mit der Anrede: „Ich grüße Euch, lieber Mann, was fanget Ihr hier an?“ worauf der Begrüßte erwiderte: „Alles Glück kehret ein, wo die Freischöppen sein.“ Das Geheimzeichen bestand in den vier Buchstaben S. S. G. G. (Stock und Stein, Gras und Grein, das heißt Ast). Bei Tisch hielten sie das Messer immer mit der Spitze gegen sich gekehrt. Auf diese Weise nahm der Schöffenbund den Charakter eines Geheimbundes ganz unwillkürlich an, der in seiner guten Zeit den Wahlspruch: „Gott, König und Recht“ immer treu und hoch hielt.

Die Aufgenommenen wurden vom Freigrafen in das Schöffenbuch eingetragen; sie gehörten nun zu den „Wissenden“ und hatten die in dem Eide enthaltenen Verpflichtungen sowohl des Anklägers (Rügers) als des beisitzenden Richters. Ja sie hatten nach Findung des Urtheils aber auch die Pflicht, dasselbe an dem Verurtheilten zu vollstrecken. Der Eidbruch eines Schöffen wurde furchtbar bestraft. „Wäre es,“ heißt es in einer Fehme-Ordnung, „daß ein Freischöffe die Heimlichkeit und Losung der heimlichen Acht oder irgend etwas davon in das Gemeine brächte oder unwissenden Leuten einige Stücke davon klein oder groß sagte, den sollen die Freigrafen und Freischöffen greifen unverklagt und binden ihm seine Hände vorne zusammen und ein Tuch vor seine Augen und werfen ihn auf seinen Bauch und winden ihm seine Zunge hinten aus seinem Nacken und thun ihm einen dreisträhnigen [359] Strick um seinen Hals und hängen ihn sieben Fuß höher als einen verfehmten verurtheilten missethätigen Dieb!“

Von dem gefundenen Urtheile durfte der Freischöffe nichts verrathen bei Strafe des Todes, auch nicht mit der leisesten Andeutung, und wäre der Verurtheilte sein eigener Bruder gewesen. Dies Urtheil lautete aber, sobald der Angeschuldigte des Verbrechens schuldig befunden wurde, nie anders, als auf den Tod durch den Strang. Das dabei beobachtete Verfahren war ein ebenso eigenartiges als rasches. Nachdem die vom Kläger vorgetragene Sache als zur Zuständigkeit des Freigerichts gehörig, als „Fehmwroge“, erkannt worden war, und dazu gehörten mit der Zeit alle schweren Verbrechen, so wurde der Verklagte in förmlicher Weise vorgeladen. Dabei wurde ihm zum Erscheinen eine Frist von sechs Wochen und drei Tagen gegeben. Für den Fall seines Ungehorsams wurde dem Geladenen angedroht, daß man Urtheil und Proceß und hernach die letzte Sentenz wider ihn ergehen lassen werde.

War der Aufenthalt des Angeschuldigten unbekannt, so erfolgte die Ladung durch vier Ausfertigungen, die man an Kreuzwegen in der Richtung der vier Himmelsgegenden, jede mit einer Königsmünze beschwert, niederlegte. Auch begnügte man sich, statt die Ladung dem zu Ladenden persönlich zu überreichen, dieselbe an Orte niederzulegen, wo der Letztere sie leicht finden mußte, so an der Hausthür, an seinem Platze in der Kirche. Wurden, wie dies auch vorkam, ganze Städte vorgeladen, so hefteten die Schöffen die Ladung Nachts an das Stadtthor. Saß der Angeklagte „auf einem Schloß, darein man ohne Sorg und Abenteuer nicht kommen mochte“, so sollen, lautete eine alte Vorschrift, die Schöffen, die ihn heischen wollen, eines Nachts oder wenn es ihnen taugt, vor das Schloß reiten oder gehen und aus dem Rennbaum oder Riegel drei Späne hauen und die Stücke behalten zum Gezeugniß und den Ladungsbrief in die Kerben oder Grindel stecken und dem Burgwächter zurufen: „sie hätten einen Königsbrief in den Grindel gesteckt und eine Urkunde mit sich genommen, und er solle Dem, der in der Burg ist, sagen, daß er seines Rechtstages warte an dem freien Stuhl bei den höchsten Rechten und des Kaisers Bann.“

Auch dieses einfach durch die unsicheren Verhältnisse der gewaltthätigen Zeit gebotene Ceremoniell hat durch die schaffende Volksphantasie allerlei Ausschmückungen erfahren, die in Romanen und Schilderungen gelegene Aufnahme fanden. So fabelte man, der Angeklagte habe sich eine Stunde vor Mitternacht auf einem Kreuzwege einfinden müssen, dort seien ihm von einem Freischöffen die Augen verbunden und er vor Gericht geführt worden.

Erschien der Angeklagte, leugnete aber die Klage, so konnte er sich durch Eidschwur mit dreizehn Eideshelfern von der Schuld reinigen, jedoch konnte ihn der Kläger dann noch mit zwanzig Eideshelfern überbieten. Ward der Angeklagte nun durch die Schöffen, deren immer sieben zugegen sein mußten, der That für schuldig befunden oder war er derselben geständig, so wurde er von den Freischöffen mit einem aus Weiden geflochtenen Stricke – von ihm entstand der Name „Fehme“ – wie er nebst blankem Schwerte auf dem steinernen Gerichtstische lag, an dem nächsten Baume, gewöhnlich an der Linde oder dem Hagedorne, unter welchem das Gericht saß, sofort aufgehangen.

Blieb der Angeklagte – und das war wohl das Gewöhnliche – aus, obwohl auf ihn gewartet worden war, „bis die Sonne auf dem Höchsten gewesen, bis Mittags um die dritte Uhr“,- so wurde sein Name viermal aufgerufen und hatte der Ankläger seine Anklage knieend und die rechte Hand auf des Freigrafen Schwert gelegt, mit sechs Eideshelfern, die des Klägers Glaubwürdigkeit bekräftigten, zu beschwören. Das genügte, den Angeklagten zu überführen, und nun folgte die Verkündung des von den Schöffen gefundenen Urtheils durch den Freigrafen. „Den beklagten Mann mit Namen N.,“ so lautete die grausige Formel, „nehme ich hiermit aus dem Frieden, aus den Rechten und Freiheiten, die Kaiser Karl eingesetzt und alle Fürsten, Herren, Ritter und Knechte, Freie und Freischöffen beschworen haben im Lande zu Westfalen, und werfe ihn nieder und setze ihn aus allem Frieden, Freiheiten und Rechten in Königsbann und Wette in den höchsten Unfrieden und Ungnade und mache ihn unwürdig, achtlos, rechtlos, siegellos, ehrlos, friedlos und untheilhaftig alles Rechts und verführe ihn und verfehme ihn und weihe seinen Hals dem Stricke, seinen Leichnam den Thieren und Vögeln in der Luft zu verzehren und befehle seine Seele Gott im Himmel in seine Gewalt und setze sein Leben und Gut ledig, sein Weib soll Wittwe, seine Kinder Waisen sein.“

Sodann warf der Freigraf den weidenen Strick aus dem Gerichte und die anwesenden Freischöffen „spieen aus dem Munde, gleich als ob man den Verfehmten sofort in der Stunde henkte.“

Gegen den abwesenden Verurtheilten fertigte der Freigraf eine Urkunde aus, und gegen Vorzeigung dieser Urkunde wurde der Verurtheilte überall da auf gleiche Art gerichtet, wo ihn ein Freischöffe traf. Nur hatte der letztere noch zwei andere Schöffen hinzuzuziehen. Zum Wahrzeichen dessen, daß nicht die Hand eines Frevlers, sondern die Vehme den Todten gerichtet, steckte der Schöffe ein Messer in den Baum, an welchem er die Exekution vollzog. Wurde ein Verbrecher von Freischöffen auf „handhafter That“, das heißt bei der Begehung des Verbrechens selbst betroffen, so bedurfte es gar nicht erst eines Urtheilsspruchs durch das Freigericht, die Schöffen konnten den Betroffenen sofort an Ort und Stelle richten. Nur bedurfte es der Anwesenheit von mindestens drei Schöffen. Dieses entsetzlich rasche Verfahren wurde ohne Beanstandung und Widerspruch vielfach auch wirklich in Scene gesetzt. So meldet eine alte Chronik von Thüringen und Hessen, wie der Ritter von Waldstein, der ein Wissender war, mitten in einem Mahle, an dem im Jahre 1402 zu Hersfeld Kaiser Ruprecht und viele Fürsten und Herren theinahmen, einen der letzteren, der im übermüthigen Muthwillen sich eines Verbrechens bekannte, ohne Weiteres vom Tische hinwegführte und draußen an einen Baum aufhängen ließ. Von diesem Simon hieß es, daß er schon vierundzwanzig Bösewichter auf gleiche Weise habe henken lassen. „Damals,“ schreibt der Chronist, „war Zucht und Ehre unter dem Adel, denn jedermann forchte die schnelle Strafe.“

Es konnte nicht ausbleiben, daß diese schnelle Procedur zu Mißbrauch führte; so in dem bekannten Fall zwischen Herzog Ulrich von Württemberg und Hans von Hutten. Jener hatte diesen in dem Verdachte der Untreue mit der Herzogin. Und als er einmal auf der Jagd in dem Umstand, daß Hutten der Herzogin Ring trug, diesen Verdacht bestätigt glaubte, stieß er den Verräther mit dem Schwerte nieder, hing den Leichnam an einen Eichbaum und steckte als Zeichen der wissenden Fehme das Schwert in den Baum, denn der Herzog war Freischöffe. Die Verwandten des Gemordeten erhoben indeß wegen dieses zu formlosen Verfahrens – es fehlten unter Anderem die beiden andern Schöffen bei dem Akte – Beschwerde beim Kaiser, und Herzog Ulrich verfiel in Reichsacht.

Nur insoweit war die Fehme ein „heimliches“ Gericht (Stillgericht), als in einzelnen Fällen, wo es galt, über den abwesenden Verklagten oder über einen „Wissenden“ zu urtheilen, die Oeffentlichkeit, um in heutigem Gerichtsstile zu reden, ausgeschlossen war und alle „Nichtwissenden“ bei Todesstrafe sich entfernen mußten.

Die Zahl der Freischöffen wuchs ins Große, da sich Viele zu dem Amte drängten, weil es ihnen, wie gesagt, einen gewissen Schutz vor denn Fehmspruche bot. Ums Jahr 1500 soll dieselbe im Reiche gegen 100 000 betragen haben.

Aber gerade diese furchtbare Macht, welche die Fehmgerichte erlangten, wurde, wie man das immer in der Geschichte beobachten kann, auch die Ursache ihres Verfalles und ihrer Entartung. War man doch so übermüthig, Kaiser Friedrich III. selbst einmal vor den Freistuhl zu laden. Im fünfzehnten Jahrhundert begannen bereits die Klagen über Willkür und Parteilichkeit des Verfahrens und über die leichtfertige Aufnahme von Freischöffen. In Folge dessen erwirkten einzelne Städte für sich und ihre Bürger das Privileg, der Ladung der Fehme nicht folgen zu müssen. Auch thaten sich mißbräuchlich und gesetzlos einzelne Fehmgerichte außerhalb Westfalens, wie in Sachsen und dem Odenwalde, auf.

Was aber vor Allem der Fehme das Leben entzog, war die Wiederbefestigung der Rechtssicherheit, der vom Kaiser gebotene Landfriede und die Erstarkung der Landeshoheit. Man fand jetzt im eignen Lande Recht und brauchte es nicht mehr auf rother Erde zu suchen. Die Territorialherren mochten die Eingriffe in ihre Justizfreiheit nicht länger dulden. Einer der Ersten, welche gegen das eingerissene Unwesen einschritten, war der thatkräftige Markgraf Christoph von Baden (1475 bis 1527). Hugo Knorr, der talentvolle Maler des unserer heutigen Nummer beigegebenen Bildes, hat dieses Vorgehen in einer dramatisch sehr lebendigen Scene zur Anschauung gebracht. Nächtlicher Weile beim Fackelscheine [360] überrascht der Markgraf mit seinen Reisigen die ihres Amtes waltende Fehme und befreit eine Frau, die trotz ihrer Unschuld dem blutigen Urtheil schon verfallen war. Wirkungslos verhallt der Protest des Freigrafen, der das Kreuz drohend erhebt; denn die Macht der entarteten Richter ist bereits gebrochen und die Zeiten sind dahin, da vor dem Freigerichte selbst Fürsten erzitterten. Bei dieser Darstellung machte Hugo Knorr allerdings von der Freiheit des Künstlers Gebrauch, der poetischen Ueberlieferung der Sage treuer zu folgen als der nüchternen Forschung der Geschichtsschreiber. Er hat aber dabei dennoch wahr und volksthümlich eine der großen geschichtlichen Wendungen in dem Leben unseres Volkes dargestellt: den Sieg der lichten Gerechtigkeit über die finsteren Mächte eines zur Willkür und zu Unrecht entarteten Gerichts.