Textdaten
<<< >>>
Autor: Gustav Rasch
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die danisirte Domschule
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 393–395
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[393]

Vom verlassenen Bruderstamme.

Nr. 5. Die danisirte Domschule.

„Der deutsche Schulunterricht in der deutschen Sprache wird in vielen Gemeinden theils auf zwei Stunden, theils überhaupt nur auf die obern Abtheilungen beschränkt, während die Sprachrescripte diese Beschränkung nicht kennen; in andern Gemeinden hat ihn das Kirchenvisitatorium ganz abgeschafft, damit die Kinder erst ordentlich dänisch lernen. Selbstverständlich hat die dänische Sprachpropaganda insonderheit auf die Schulen auch in den deutschen Districten ihre Aufmerksamkeit gerichtet. Von den frühern vier von Alters her deutschen Gelehrtenschulen im Herzogthum Schleswig besteht nunmehr nur noch die schleswigsche Domschule als die einzige deutsche Gelehrtenschule des Landes. An derselben sind aber bereits von 13 Lehrern 11 geborne und des Deutschen zum Theil nur in sehr geringem Grade mächtige Dänen als Lehrer angestellt. Eine deutsche Realschule in der als deutsch anerkannten Stadt Schleswig ist mit Aufhebung bedroht, und dieselbe bisher nur noch durch den eben entlassenen und durch einen Dänen ersetzten Propst Thieß hinausgeschoben, der sich weigerte, „diesen Act der schnödesten Willkür“, wie er sich ausdrückte, vollziehen zu lassen.“

„In der ebenfalls zum rein deutschen District gehörigen Stadt Husum ist die gelehrte Schule in eine Realschule umgewandelt und mit dänischen Lehrern versehen worden, deren Unterricht freilich so wenig Anklang findet, daß die einst stark besuchte Anstalt im Herbste dieses Jahres in der dritten Classe nur einen einzigen Schüler zählte. Selbst die Danisirung in den in rein deutschen Districten belegenen Volksschulen ist in diesem System der Consequenzen nicht außer Acht gelassen worden, und für diesen Zweck wird selbst der Unterricht in deutscher Sprache benutzt.“

Dies sind die trockenen Worte eines diplomatischen Actenstückes, der preußisch-ministeriellen Denkschrift vom Juli 1860. Ich hätte mich, um die in Schleswig durch die dänische Regierung eingeführte Knechtschaft der Geister in den Schulen zu charakterisiren, auf andere Zeugnisse beziehen, ich hätte von jenen „Allotriis, von jenen Carricaturen des Heiligen, von jenen Faustschlägen, die der Moralität in’s Gesicht versetzt worden, von der in Schleswig um sich greifenden geistigen Verdummung“[1] sprechen können; ich habe absichtlich hier die höchst mäßigen Worte eines diplomatischen Actenstückes gebraucht. Aber wie viel Jammer, wie viel Schmerz, welch’ tolle Willkür liest sich aus diesen trockenen Worten heraus! Wie müssen die Mitglieder des Wiener Cabinets geschüttelt haben, als sie diese Schilderung dänischer Wirthschaft in einem deutschen Lande in der preußischen Denkschrift lasen! Wahrhaftig, da konnten sie mit einem Gefühl innerster Befriedigung an ihre eigene Regierung in Venetien denken und sich mit Recht sagen: „Einer so brutalen und dummen Willkür gegenüber fühlen wir uns rein, wie neugeborene Lämmer.“ Mir aber klingt, wenn ich an diesen geistigen Kindermord denke, den ich im verflossenen Sommer täglich in Schleswig vollziehen sah, die alte Klage durch die Seele: „Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehört, viel Klagens, Weinens und Heulens. Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen.“ – –

Ich werde nun den schlagendsten Commentar zu den Worten der preußischen Denkschrift liefern, den ich zu schreiben im Stande [394] bin, eine Skizze des Unterrichts und der dänischen Lehrer an der ersten deutschen Gelehrtenschule in Schleswig, an der Schleswiger Domschule. Meine Skizze wird oft wie eine alberne Farce klingen, wie ein Stück aus einer halb burlesken, halb obscönen Posse auf einem der niedrigsten Vorstadttheater; – in den Seelen der Mütter, deren Kinder geistig gemordet und körperlich mißhandelt werden auf den Bänken dieser Schule, klingt sie wie ein Stück bitterer Tragödie voll Herzeleid und Jammer! - -

Treten wir ohne Weiteres in die erste beste Classe dieser deutschen Gelehrtenschule. Der Adjunct Quistgaard Munsmann steht gerade auf dem Katheder. Seit August 1855 fungirt er als Lehrer. Als er sein Katheder in der Domschule bestieg, sprach er einzig und allein die Sprache von Kopenhagen. Deutsch sprach und verstand er gar nicht. Während der sieben Jahre, daß er nun deutschen Schulunterricht giebt, hat er nur so viel deutsch radebrechen gelernt, um sich mit Mühe verständlich machen zu können. Aus dem Schulprogramm von 1856 entnehme ich, daß er ein Jüte ist und 1822 in Aarhuus geboren wurde. Seine Bildung erhielt er auf der dortigen Kathedralschule und auf der Kopenhagener Universität, absolvirte das philologisch-philosophische Examen, hielt sich in Norwegen, Paris und Oxford auf und kehrte dann nach dem dänischen Mekka des Nordens, nach Kopenhagen zurück, um eine Lehrerstelle an der Domschule in Schleswig anzunehmen, als deren Danisirung begann. Wie er diese letztere betreibt, zeige das folgende Beispiel: Der Sohn eines Schleswiger Bürgers, eines braven Handwerkers, wurde von Munsmann in der Schreibestunde gefragt, wo die Stadt Schleswig liege.

„In Schleswig,“ antwortete natürlich der zehnjährige Knabe.

„Nein,“ schrie der Lehrer das Kind an, „in Südjütland in Dänemark. Weißt Du nun, wo Schleswig liegt?“

Keine Antwort. Der Knabe konnte sich nicht überzeugen, daß Schleswig plötzlich „Südjütland“ geworden sein solle. Nochmals wurde er von dem Lehrer in der barschesten Weise angefahren; aber seine Erwiderung lautete:

„In Schleswig!“

Da stieg dem Dänen der Eiderdanismus zu Kopfe. Roth vor Wuth und Erbitterung schlug er das Kind mit der Faust. – „Wo liegt Schleswig?“

Ein langes Schluchzen des mißhandelten Knaben war die einzige Antwort. Wiederholte Ohrfeigen und Faustschläge. Endlich hörte man die leise Antwort des Kindes:

„In Dänemark!“

Wie wird sich Orla Lehmann, der jetzige Minister in Kopenhagen, gefreut haben, als er diesen Act der Brutalität gegen ein armes Kind vernahm! Das war so recht in seinem Sinn gehandelt. „Man soll es den Schleswigern mit blutiger Schrift auf den Rücken schreiben, daß sie „Dänen“ sind!“ Das Wort stammt von ihm, als er noch Amtmann in Veile war. Aber auch Du, deutsches Volk, erinnere Dich einst des mißhandelten Knaben! Der Tag wird kommen, wo all das Bullbeißergebell und die Gladiatorenstellungen jenseit der Eider auf einmal ein plötzliches und rasches Ende nehmen werden, und Orla Lehmann zum zweiten Mal gefangen eingebracht wird!

Ein deutscher Renegat, seit Kurzem aus seinem Amte geschieden, um für seine glänzenden Verdienste um die Wissenschaft würdig belohnt zu werden, heißt Christian Claus Lorenzen. Er ist der Verfasser des berüchtigten „Lesebuchs für deutsche Volks- und Gelehrtenschulen“, welches der loyale dänische Propst Thieß sich durchaus weigerte, in die Schulen der deutschen Propstei Gottors einzuführen, „weil es ebenso unchristlich wie unsittlich und undeutsch“ sei,[2] und lieber seinen Abschied nahm. Wie Lorenzen’s pädagogische Fähigkeit und Lehrunterricht gewesen sein mag, möge man aus jeder Seite dieses berüchtigten Lesebuchs beurtheilen; trotz alledem ist der Verfasser aber durch allerhöchste Resolution zum Prediger in Angeln – in einem ganz deutschen District – zur besondern Belohnung für seine genialen Leistungen an der Schleswiger Domschule ernannt worden.

Mit ihm verließ der Lehrer Gilbert Preysz die danisirte Domschule. Seit dem August 1852 half er die deutsche Gelehrtenschule danisiren. Auch er war ohne jedes pädagogische Talent, dazu der deutschen Sprache nur insoweit mächtig, um sich eben verständlich machen zu können, und zeigte ganz deutliche Spuren des Irrsinns. Ende 1853 endigte dieser halbblödsinnige Zustand, wie es im Schulprogramm heißt, mit einer derartigen allgemeinen Nervenschwäche, daß er den Unterricht vollkommen aufgeben mußte. Trotz alledem bestieg er später noch einmal das Katheder, bis sein Zustand sich dermaßen verschlimmerte, daß er zur Cur eine Reise in’s Ausland machen mußte. Man sah in Kopenhagen denn doch endlich ein, daß es mit dem Dociren nicht weiter ging – und da wurde er zur Belohnung für seine vielfachen Verdienste und Danisirungsbestrebungen – – zum Prediger in einem ganz deutschen District in der Nähe von Flensburg ernannt.

Werfen wir nun einmal einen Blick in die Classe, wo Unterricht in der Mathematik gegeben wird. Vor der schwarzen Tafel steht, ein Stück Kreide in der Hand, ein hektisch aussehender Mensch. Er scheint höchst jähzorniger Natur zu sein; oder vielleicht ist es die Krankheit, welche ihm das Blut in den Kopf treibt? Heute jagt in seinem Vortrag ein Zornausbruch den andern. Er spricht in Ausdrücken und Redensarten, welche nur in der Mathematikclasse der danisirten Domschule, aber nicht in der Gartenlaube öffentlich wiederholt werden können. Sowie ein derartiger Ausdruck gefallen ist, entsteht unter den Schülern ein Murren der Entrüstung. Es wird mit den Füßen getrampelt, ein schallendes Gelächter folgt dem andern. Das Deutsch des Vortrages ist ganz miserabel. „Ein neues Punkt“ – „Der Quadrat“ – „Nordenwind“ – „Die mütterliche Schatten“ – „Tempus heißt eine Zeitveränderung“ – „Der Satz sollte in Conjunctiv übergehen“ – „Dazu zeugen“ (soll heißen: Eid leisten) – „Da ist keine neue Griffel zu Dir“. – So geht es eine Zeit lang fort. Dann zeichnet der geistreiche Mathematiker eine Mondscheibe auf die schwarze Tafel. Er fragt einen Schüler, was diese Mondscheibe bedeute. Niemand weiß eine Antwort. Da lacht der Mathematiklehrer laut auf, sein hektisches Gesicht überfliegt eine purpurne Röthe. Er schreit: „Ich will es sie sagen. Es ist Euer schleswig-holsteinsches Vaterland.“

Und nun folgt ein fürchterlicher Spectakel, den der Lehrer, dem der Eiderdanismus zu Kopfe gestiegen ist, durch die rohsten Ausbrüche zu überbieten trachtet.

Soll man etwa über derartige Scenen lachen? – Ich dachte daran, von welcher Wichtigkeit die Mathematik in der geistigen Ausbildung unserer Jugend ist, und wie dieser Zweig der Wissenschaft in der ersten Gelehrtenschule des Landes selbstredend bei einem solchen Vortrage vernachlässigt werden muß! –

In der zweiten Classe des Gymnasiums fungirt der Subrector Henning Niß Lorenzen als Lehrer. Er gehört jedenfalls zu den dänischen Lehrern an der Domschule, welche der deutschen Sprache am wenigsten mächtig sind. Aus seinen Vorträgen sind mir unglaubliche Dinge mitgetheilt worden, welche mit darin ihren Grund haben müssen, daß der Lehrer die deutsche Sprache in einer ganz miserablen Weise spricht. „Die Königin Margarethe legte den Thron nieder,“ sagte er in einem Vortrage über nordische Götterlehre, und in einer Lehrstunde der Geschichte äußerte er: „Das Concil versetzte sich nach Basel und starb daselbst.“ Zuweilen wurde der Vortrag so unverständlich, daß die Schüler glauben mußten, vollkommenen Unsinn zu hören. „Es war ein unehelicher Sohn seiner im vierten Lebensjahre verstorbenen Schwester,“ ist doch wohl eine Probe dieses vollkommenen Unsinns.

Ich kann und darf es mir nicht nehmen lassen, noch einige Specialitäten aus den geistvollen Geschichtsvorträgen Lorenzen’s anzuführen, da sie oft ganz sinnlose Dinge enthalten. Ob die Unkenntniß der deutschen Sprache oder Mangel an historischen Kenntnissen die Ursache dieser sinnlosen Mittheilungen ist, wage ich nicht zu entscheiden. „Franz des Ersten Mutter war acht Jahr alt,“ äußerte er, „Franz war zwanzig Jahre alt, so legen wir noch zwanzig Jahre hinzu, so ist sie volle dreißig Jahre“ – „Wie bekannt, wurde Alexander der Große in Abwesenheit seiner Eltern geboren“ – „Wenn der Menschen Leichnam stirbt“ – „Konnte denn Marcus auch Latein sprechen?“ fragte er einmal in höchst geistreicher Weise, und ein anderes Mal warf er die höchst naive Frage auf: „Wie heißt die Sprache der Araber?“ – „Wie sahen die Säulen aus, Herr Subrector, auf denen die Säulenheiligen lebten?“ fragte einst ein etwas neugieriger Schüler. Der Lehrer gerieth in sichtbare Verlegenheit. Dann antwortete er in einem etwas schwankenden Tone: „Ich weiß es nicht ’mal, ich habe sie nicht gesehen.“

Eduard Sidonius Boje lehrte an der Domschule Geographie und Geschichte. Vollkommen indolent, versteht er fast gar kein Deutsch. Zu seinen Vortragen über Geschichte und Geographie ist [395] da er mit seiner Kenntniß des Schwerpunktes und der zur Erhaltung desselben nöthigen Bewegungen lange nicht so weit reicht, als die automatischen Gegenwirkungen ohne Eingreifen des Willens, so stört er leicht das Gleichgewicht und stürzt. Die mesmeristischen Thoren müssen von ihrer eignen geistigen Befähigung sehr gering denken, wenn sie das Gebahren des Nachtwandlers für einen erhöhten Seelenzustand ansehen, denn sie stellen sich damit noch unter die geistige Stufe einer Katze, die ja auch mit aller Sicherheit, und zwar aus denselben Gründen wie der Nachtwandler, auf der Dachfirste dahinschreitet. –

Und noch eine andere Erscheinung hängt hiermit zusammen, die den meisten Menschen noch viel wunderbarer vorkommt. Es sind in der That einige Beispiele constatirt, daß ein Mensch einen Gegenstand, ein wichtiges Document oder dergleichen viele Tage vergebens suchte, bis ihm im Traume der Ort sich darstellte, wo es lag. – Wer den Mechanismus des Erinnerungsvermögens kennt, wird sich nicht darüber wundern. Wir erinnern uns einer Sache, weil eine Vorstellung, die wir haben, direct oder durch viele Zwischenvorstellungen eine frühere Vorstellung wieder belebt. Es ist die durch Gleichzeitigkeit, Reihefolge und dergleichen gebildete Association der Vorstellungen, die hier eintritt. Sobald diese Reihe der Wiederbelebungen ungestört abklingt, führt sie nothwendig, ich möchte sagen mechanisch, zu der gesuchten Vorstellung; greift aber der Wille nach bestimmten Ansichten über vermeintliche Verbindungen in dieses Spiel ein, so führt er leicht diese Associationen immer wieder auf falsche Reihen; sowie aber der Wille aufhört einzuwirken, so stellt sich die richtige Verknüpfung von selbst her. Ist es doch ein bekanntes Mittel, wenn man sich mit aller Mühe auf etwas nicht besinnen kann, eine Zeitlang nicht an die Sache zu denken. – Wie eigensinnig in dieser Beziehung die Associationen sind, zeigt das Beispiel, welches Richerz von sich erzählt: Der Name einer Person, für den er noch dazu ein lebhaftes, wenn auch unangenehmes Interesse hatte, fiel ihm immer nur dann ein, wenn er in dem Zimmer war, wo er den Namen zuerst hatte nennen hören, und das auch nur dann, wenn er nicht an die Sache dachte; sowie er das Zimmer verließ, war der Name seinem Gedächtniß wieder entfallen.

Mit Anwendung dieser ganz feststehenden und ziemlich allbekannten Erfahrungen und Gesetze in der Lehre vom Gedächtniß auf die zuletzt erwähnten Traumerscheinungen hört aber jeder Schein des Wunderbaren sogleich auf; man wundert sich höchstens noch darüber, daß die Erscheinung leichter und sicherer Erinnerung im Traum nicht noch weit öfter vorkommt, und sieht, daß diese Thatsachen, weit entfernt ein höheres Geistesleben zu bekunden, vielmehr ein Zurückgehen auf den rein materiellen Mechanismus darstellen.

Auf diese Weise erklären sich uns leicht alle scheinbar rätselhaften Vorgänge auf diesem Gebiete als ganz natürliche, ja nothwendige Folgen psychologischer und physiologischer Verhältnisse, wenn wir nämlich kritisch zu Werke gehend unzählige Ammenmärchen, die erzählt, geglaubt und weitergetragen werden, aus der Sammlung wirklicher Thatsachen ausscheiden. Hier wie auf allen anderen ähnlichen Gebieten hat sich noch nie eine der viel verbreiteten Wundergeschichten einem zugleich welterfahrenen und kenntnißreichen Naturforscher zur Prüfung gestellt oder, wenn sie es that, die Prüfung bestanden. – Hat doch vergebens die Pariser Akademie jahrelang einen Preis von 3000 Franken der Somnambule geboten, die mit wirklich verbundenen Augen aus einem wirklich geschlossenen Briefe auch nur ein einziges Wort lesen könnte. Ohne Ausnahme sind alle, die sich meldeten, als entlarvte Betrügerinnen fortgejagt worden.

So hätten wir denn das ganze Gebiet, wegen der Fülle des Stoffes mehr andeutend als ausführend, durchschritten und können als Resultat hinstellen: Traum ist das zufällige Spiel der Vorstellungen bei im Schlafe aufgehobenem Bewußtsein. – Hat der Traum darin eine Aehnlichkeit mit dem wachen Leben? Gewiß! Denn, wenn auch nicht aufgehoben, ist unser Bewußtsein doch auch im wachsten Zustande in mannigfacher Weise beschränkt. Um nur Eins zu erwähnen: wie unendlich wenig von dem ganzen Besitzthum unserer Seele können wir in jedem Augenblicke übersehen! Wie Vieles liegt im dunklen Hintergrunde verborgen, wie vieler Mühe, welch’ künstlicher Veranstaltungen bedarf es oft, um Einzelnes davon wieder in unser Bewußtsein zurückzurufen! Wohl können wir uns einen Zustand in einem Jenseits denken, in dem unser Bewußtsein, von allen Beschränkungen befreit, jeden Augenblick unser ganzes geistiges Eigenthum als gegenwärtig beherrscht. Ein solcher Zustand würde sich dann zu unserm wachen Leben, wie dieses zum Traum verhalten. – Aber ein wesentlicher Unterschied bleibt doch bestehen zwischen Traum und Wachen, auf den wir oben schon hingedeutet. Der Traum hat nichts Festes. Aber durch die schwankenden Nebelbilder des Erdenlebenstraumes zieht sich ein unerschütterlicher Gedanke, der dem Ganzen Halt verleiht, die Idee der Sittlichkeit, und so dürfen wir unsere ganze Betrachtung wieder mit den Worten des Prinzen Sigismund schließen:

Doch sei’s Traum, sei’s Wahrheit eben:
Recht thun muß ich; wär’ es Wahrheit,
Deshalb, weil sie ’s ist; und wär’ es
Traum, um Freude zu gewinnen,
Wenn die Zeit uns wird erwecken.



  1. Schleswig-Holsteinische Briefe von Moritz Busch. Bd. II. S. 65.
  2. So wörtlich in der Preußisch-ministeriellen Denkschrift.