Die barmherzige Schwester
Die barmherzige Schwester.
(Mit Abbildung S. 5.)
Fremde Leiden, fremde Sorgen
Treiben dich von Haus zu Haus,
Und kein goldner Frühlingsmorgen
Lockt dich mehr zum Licht heraus
Aus der dumpfen, trüben Kammer,
Wo ein Leben schmerzvoll ringt
Und der allerschwerste Jammer
Sich um Menschenherzen schlingt.
Mit der Röthe deiner Wangen,
Ach, ist auch dein Glück verblüht,
Ist die Freude hingegangen,
Die an treuer Brust nur glüht.
Nicht am Abend, nicht am Morgen
Beut dir Liebe ihren Strauß –
Fremde Leiden, fremde Sorgen
Treiben dich von Haus zu Haus.
Und in stummverhalt’ner Klage
Hebst das Kindlein du empor,
Das an seinem ersten Tage
Auch sein Bestes schon verlor.
Weinst du? Darf das junge Leben,
Das so warm sich an dich schmiegt,
Neu um’s Herz dir Träume weben,
Die du doch schon längst besiegt?
Darf der Wünsche gold’ner Reigen
Dich umgaukelnd neu dir nah’n?
Nein, du nennst kein Herz dir eigen,
Einsam wallst du deine Bahn.
Fremde Noth und Thränen borgen
Lieb’ und Treue bei dir aus –
Fremde Leiden, fremde Sorgen
Treiben dich von Haus zu Haus.
Hermann Oelschläger.