Die amerikanische Nationalhymne

Textdaten
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Autor: Eduard Leyh
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Titel: Die amerikanische Nationalhymne
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 204–206
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[204]
Die amerikanische Nationalhymne.


Von Eduard Leyh.


Auch in unseren aufgeklärten, nüchternen Tagen giebt es noch Zauberlieder, welche mit unwiderstehlicher Gewalt die Gemüther ergreifen und selbst philisterhafte Naturen aus ihrem Gleichmuthe rütteln, Lieder, die in der Hand des Zeitgeistes zu Ruthen werden, mit denen er die Völker aus dem warmen Bette träger Gewohnheit scheucht. Meistens entstehen dieselben wie über Nacht, mitunter aber kennt man Text und Melodie jahrelang, das Lied bleibt jedoch unbeachtet, weil seine Stunde noch nicht geschlagen hat. Kommt dann endlich die rechte Zeit, dann erhält plötzlich jedes Wort einen tieferen Sinn, jede Strophe der Melodie einen eigenen, früher nie geahnten Reiz, und wie ein geistiges Contagium fliegt das Lied durch die Nation; im Palaste und in der Hütte, im Putzzimmer und in der Küche, in der Schenke und im trauten Familienkreise singt, trillert, brüllt, summt und pfeift man die geheimnißvolle Weise; im Norden und im Süden, auf dem Markte, und auf dem Felde, im rasch pulsirenden Leben des Städters und in der tiefsten Waldeinsamkeit, allüberall ist das Lied; es macht Greise zu Jünglingen und Hasenherzen zu Helden; es erzeugt todesfreudige Begeisterung und reißt Tausende mit sich in das Gewühl der mörderischen Schlacht.

Luther’s mächtiger Choral war seiner Zeit ein solches Zauberlied und derselbe hat seine Kraft durch drei Jahrhunderte hindurch bewährt bis auf den heutigen Tag. Der rauschende Schlachtgesang des spanischen Erbfolgekrieges gehört in diese Classe. Er wurde fast gleichzeitig am Rheine, in den Niederlanden, in den Urwäldern Nordamerikas gehört, und das Marlborough-Lied hatte noch gegen Ende des letzten Jahrhunderts seine Macht über die Gemüther nicht verloren, sagt nicht Goethe in seinen römischen Elegieen:

„So verfolgte das Liedchen ‚Marlbrough‘ den reisenden Briten.
 Einst von Paris nach Livorn; dann von Livorno nach Rom,
Weiter nach Napel hinunter, und wär’ er nach Smyrna gesegelt,
 ‚Marlbrough‘ empfing ihn auch dort! ‚Marlbrough‘ im Hafen das Lied.“

Der Gesang vom meerumschlungenen Schleswig-Holstein darf unter die Zauberlieder gerechnet werden, sogar Niklas Becker’s Rheinlied hat gewissen Anspruch auf diesen Rang. – Und erst die „Wacht am Rhein“! Welcher Deutsche wüßte nicht, was dieses Lied für das neue Reich gethan hat! Es wird kaum festzustellen sein, welcher Antheil des Verdienstes an Deutschlands glorreichem Feldzuge auf den Schmalkaldener Liedercomponisten Karl Wilhelm kommt, aber Niemand kann es wagen, dessen Anspruch in Abrede zu stellen. Die „Wacht am Rhein“ half Schlachten gewinnen und Festungen erobern. Sie half Mühsale und Strapazen ertragen; sie hat Gefangene getröstet und Verwundeten ihre Schmerzen erleichtert, und unter ihren Klängen stürzten sich Tausende freudig in den blitzenden, qualmenden Tod. Es ist wohl kaum eine Uebertreibung, wenn man sagt: „Moltke hat Tausend, die ‚Wacht am Rhein‘ aber hat Zehntausend geschlagen;“ Schneckenburger’s Lied war der Ausdruck nationaler Begeisterung und dasselbe wird auf lange Zeit den Rang als deutsche Nationalhymne behaupten.

Auch andere Völker haben den Zauber solcher Lieder erfahren; noch heute lebt im Munde der Schotten das Cameron’s gathering, und das alte Lied, welches bereits vor Jahrhunderten die sächsischen Feinde der Hochländer hörten, übte am Tage von Waterloo aus Hochländer und Anglo-Sachsen auf’s Neue seinen Zauber aus. Die Marseillaise war ein solches Zauberlied und hat unter Hoche, Marceaux und Kleber, vor allen Dingen aber unter Napoleon Bonaparte Wunder gewirkt; daß ihre Wunderkraft im letzten Kriege entschwunden war, ist selbstverständlich, hatte doch Napoleon der Dritte während seiner Regierungszeit dieses Lied streng verboten.

Die amerikanische Republik hat gleichfalls ihre Marseillaise; der Zauber derselben ist noch ungeschwächt, hat doch erst neuerdings ein Enthusiast dreihunderttausend Dollars verwilligt, um dem Dichter der amerikanischen Nationalhymne ein Monument zu errichten. Dieser Umstand, speciell aber die Thatsache, daß viele Tausende von Lesern der „Gartenlaube“ das Lied kennen und lieben, veranlaßt mich, eine deutsche Uebersetzung desselben, sowie eine kurze Geschichte seiner Entstehung hier mitzutheilen.


Das Sternenbanner.

O sprich! kannst du seh’n bei der schwindenden Nacht,
Was wir freudig noch grüßten im Abendrothsglanze,
Uns’re Streifen und Sterne, die während der Schlacht
Im Winde geflattert, dort, hoch auf der Schanze?
Der Raketen Gesaus, – und der Bomben Gebraus
Verkünden durch’s Dunkel: die Flagge hält aus!
O sprich! weht das Banner im Morgenlichtsschein
Noch über den Helden, im Lande der Frei’n?

[205]

Was ist’s, das am Strande im Nebel dort weht,
Wo die muthlosen Heere des Feindes jetzt rasten?
Was ist’s, das so stolz auf der Wallhöhe steht,
Das die Lüfte des Morgens so flatternd erfaßten?
Sieh’ es glänzen im Licht – wo der Morgen anbricht –
Hellstrahlend und leuchtend – jetzt ist es in Sicht.
’S ist das Sternenbanner; lang weh’ es allein
In der Heimath der Helden, im Lande der Frei’n!

Und wo ist das Heer, das so prahlend einst schwur,
Durch verheerenden Krieg uns und blutige Thaten
Die Heimath zu rauben, die heilige Flur? –
O, ihr Blut hat verlöscht jede Spur, die sie traten.
Kein Hort schützte mehr das gemiethete Heer –
Sie entfloh’n oder fielen; das Grab deckt sie schwer.
Und das Sternenbanner weht siegreich allein
In der Heimath der Helden, im Lande der Frei’n.

O stets sei es so, wenn sich Männer bewehrt,
Zu vertheid’gen ihr Land gegen feindliche Horden!
Der Sieg und der Frieden sei ihnen bescheert.
Preist den Himmel, daß endlich wir frei sind geworden!
Recht siege hinfort – an jeglichem Ort.
Und dies ist der Wahlspruch: „Sei Gott unser Hort!“
Und das Sternenbanner weh’ immer allein
In der Heimath der Helden, im Lande der Frei’n!


Die Fahne mit den Sternen und Streifen wurde im October 1775 zuerst im Hafen von Baltimore entfaltet, indem der damals in Philadelphia tagende Colonialcongreß die neue Flagge, über deren Farben man sich soeben geeinigt hatte, dem Commandeur des ersten ordentlichen Kriegsschiffes der aufständischen Colonien, der von Bermuda gekauften Schaluppe „Hornet“ zusandte, welcher sie unter Musik und Kanonendonnern aufhißte. Wenige Wochen später war die Rebellenflagge der Schrecken der caraibischen See. Merkwürdiger Weise wurde in demselben Hafen neununddreißig Jahre später auch das Lied des von einer Rebellenstandarte zur Nationalflagge avancirten Sternenbanners gedichtet.

Die amerikanische Nationalhymne entstand in der Nacht vom 12. zum 13. September 1814 während des zweiten Krieges zwischen England und den Vereinigten Staaten unter folgenden Umständen. Die Engländer waren nach verschiedenen im Norden erlittenen Niederlagen in Maryland eingefallen, hatten bei Bladesburg eine Schlacht gewonnen und das offene Washington eingeäschert. Der britische Admiral Cockburn segelte sodann in die Chesapeakebai, um die damals bedeutende Handelsstadt Baltimore zu zerstören. Die Baltimorer griffen prompt zu den Waffen; die wackeren Freisassen von Maryland eilten herzu. Pennsylvanien schickte seine Milizen, und die in Zwillich und „Homespun“ gekleideten, größtentheils nur mit Jagdausrüstung versehenen Bauern traten auf der Landspitze von North-Point, zwölf englische Meilen von der Stadt, Wellington’s „Invincibles“ gegenüber und – schlugen sie. Während die Schlacht auf der Landzunge tobte, engagirte die britische Flotte das Fort Mac Henry, um die Einfahrt in den Hafen zu erzwingen. Von der Besatzung des Forts wurde am Abende des 12. Septembers ein Parlamentärboot nach dem Admiralschiffe geschickt, um die Freilassung eines gefangenen Arztes zu erwirken. Sprecher der Parlamentäre war der junge Francis S. Key, Neffe des Richters Nicholson, welcher das Fort vertheidigen half. Die Engländer behielten die Parlamentäre während der Nacht am Bord und setzten in Folge ihrer Niederlage auf dem Lande die Beschießung des Forts um so eifriger fort. Dort unter dem Dröhnen der Breitseiten, dem Bersten der Bomben und dem Zischen der Raketen dichtete der junge Key sein unsterbliches Lied. Er warf seine Gedanken flüchtig auf einen Briefumschlag und als er am folgenden Morgen entlassen wurde und glücklich in’s Fort zurückgekehrt war, schrieb er seinen Gesang ins Reine. Richter Nicholson erkannte sofort den Werth des Gedichtes und schickte es nach der Officin des „American“. Redacteure und Setzer des Blattes waren jedoch in Reih’ und Glied, nur ein halbwüchsiger Lehrling, Namens Samuel Sands, war zur Beaufsichtigung des Locales zurückgeblieben. Dieser Junge zeigte übrigens, daß er ein Amerikaner war; er setzte das Gedicht sofort ab, machte einige hundert Abzüge und vertheilte dieselben in den Straßen und unter den Milizen; noch an demselben Abende wurde das Lied vom sternbesäten Banner gesungen. Ein Schauspieler, Namens Charles Durang, wird als der Urheber der Melodie genannt.

Mein alter Freund und Mentor, der 1871 in Cincinnati verstorbene Journalist August Becker, welcher meine vorstehende Uebersetzung vor dreizehn Jahren während des Bürgerkrieges zuerst publicirte, wollte übrigens dem armen Durang seinen Ruhm niemals gönnen; er meinte, eine so herrliche Melodie könne gar kein Amerikaner erfinden, dieselbe sei entschieden deutsch. Als Beweis führte er den Endreim eines hessischen Soldatenliedes an, welcher lautet:


„Unser Landgraf, der soll leben, und die Landgräfin daneben!
Hesse-Darmstädter sein mir, ja Hesse-Darmstädter sein mir.“


Becker argumentirte nun, daß die damals von ihren sauberen Fürsten an die Engländer verschacherten Hessen dieses Lied auf amerikanischem Boden häufig gesungen hätten und die Melodie hier von den Amerikanern aufgegriffen worden sei. Thatsächlich herrscht zwischen dem Liede der Darmstädter Patrioten und dem Endreime unserer Nationalhymne große Aehnlichkeit und ich war immer geneigt, Herrn Becker in diesem Punkte Recht zu geben; aber deshalb wollen wir doch den Ruhm des Schauspielers Durang nicht antasten, zumal die Melodie der sechs ersten Verse entschieden originell und, was noch mehr sagen will, amerikanisch ist.

Wer niemals mit Amerikanern verkehrt hat, der weiß nicht, welche magische Gewalt dieses Lied auf die Bürger der großen Republik ausübt; die Union verdankt demselben verhältnißmäßig ebenso viel, wie Deutschland seiner „Wacht am Rhein“. Die junge kaum drei Monate alte Nationalhymne half die Engländer am 8. Januar 1815 bei New-Orleans besiegen; sie hat seither gar oft die wilden Horden der Indianer geschreckt; unter ihren Klängen wurden die Schlachten bei Buena-Vista, Cerro-Gordo, Molina-del-Rey und Chapultepec geschlagen, und mit diesem Liede auf den Lippen zogen die siegreichen Truppen der Union in die Hauptstadt Mexicos ein. Welche Wunder es im letzten Bürgerkriege gewirkt, ist noch Allen, die jene große Zeit erlebt haben, frisch im Gedächtniß. Wer den Charakter des Amerikaners kennt, der findet es erklärlich, daß ein reicher Mann eine Viertelmillion zu einem Denkmale für den Dichter des Sternenbannerliedes aussetzen konnte. Apropos! dieses Denkmal. – Deutsche Künstler werden mir vielleicht für folgende Notiz aus dem „Californischen Staatskalender“ dankbar sein:

„Diejenigen Schenkungen Lick’s, welche in Europa das größte Interesse erregen, sind die für Errichtung von zwei Monumenten ausgesetzten 400,000 Dollars. Das eine Monument, zu Ehren des Dichters der amerikanischen Nationalhymne, soll den ‚Golden Gate-Park‘ von San Francisco zieren, das andere dagegen soll im Staatscapitolpark in Sacramento errichtet werden, und in Figur und Form die Geschichte des Staates, seinen Fortschritt und seine schnelle Entwickelung repräsentiren. Ein ganzes Jahr lang soll zur Einrichtung von Plänen für das letzte Monument aufgefordert, für den besten Plan ein Preis von 5000 Dollars und für den zweitbesten ein Preis von 2500 Dollars ausgesetzt werden. Vielleicht werden zwei Fünftel der ausgesetzten Summen für das Fundament und Granitpiedestal verausgabt, so daß noch 90,000 Dollars für das Key- und 150,000 Dollars für das Staatsmonument verbleiben. Die Trustees haben bis jetzt noch nicht zur Einreichung von Plänen aufgefordert. Eine unserer Zeitungen hat darauf aufmerksam gemacht, daß das Monument nach eingereichten Modellen und nicht nach Plänen angefertigt werden solle, daß von jedem eingegangenen Modelle eine Photographie angefertigt und dieselbe an die berühmtesten Kunstschulen und Gesellschaften in Amerika und Europa gesandt werde, daß man sich nicht für ein Modell entscheide, bevor die Photographien sechs Monate lang abgesandt sind, und daß ferner der Contract denjenigen Personen überwiesen werde, die in Bronzeguß und Metallarbeit Erfahrung besitzen. Die Bewerbung für Ausführung der Monumente soll allen Personen offen stehen, gleichviel welcher Nationalität sie angehören und in welchem Theile der Erde sie wohnen. Dieser Vorschlag ist bis jetzt der einzige und scheint vielen Beifall zu finden, besonders die Idee, daß nicht zur Einreichung von Plänen, sondern zur Einsendung von Modellen aufgefordert werden soll. Letztere geben unbedingt ein besseres Bild von einem Monumente, als eine Zeichnung. Durch Befolgung dieses Planes dürften sich vielleicht auch deutsche Künstler veranlaßt [206] fühlen, sich um einen oder beide Preise zu bewerben. Es ist jedenfalls eine Seltenheit, daß solche Summen wie 90,000 Dollars und 150,000 Dollars für einzelne Kunstwerke verausgabt werden.“

Dieses ist die kurze Geschichte der amerikanischen Nationalhymne. – So lange dem Lande noch täglich Männer erstehen, wie Hopkins, Peabody, Corcoran, Mac Donogh, Lick etc., so lange die Fahne der Republik, wie es der letzte Krieg dargethan, noch hunderttausende um sich zu schaaren vermag, hat der Cäsarismus, von welchem neuerdings in der Tagespresse so viel geschrieben wird, keine ernste Gefahr. – Ich kann vielleicht diese Skizze nicht besser schließen, als mit der ersten Strophe eines anderen patriotischen Liedes der Amerikaner, welches neben dem Liede vom „Sternenbanner“ den zweiten Rang behauptet:

„O Columbia, du Perle der Meere,
Du Heimath der Muth’gen und Frei’n!
Die Welt zollt dir Achtung und Ehre;
Die Herzen der Bürger sind dein.
Dein Aufruf kann Helden erwecken,
Wenn erzittert dein herrlicher Gau,
Dein Banner Eroberer schrecken –
Das siegreiche Roth, Weiß, Blau.“