Die Zucht der Champignons und ihre Gefahren

Textdaten
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Titel: Die Zucht der Champignons und ihre Gefahren
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 403–404
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[403] Die Zucht der Champignons und ihre Gefahren. In Lezennes, einem Dorfe südöstlich in kurzer Entfernung von Lille gelegen, besitzt ein Herr Puy einen Garten, der in Frühbeeten und Treibhäusern eine Menge Delikatessen hervorbringt. Den größten Ruf hat sich Herr Puy durch seine Champignonszucht erworben, aber vergebens würde man sich in diesen Frühbeeten und Treibhäusern nach Champignons umsehen. Und dennoch ist man denselben hier näher, als man glaubt.

Außer seinem Garten und seinen Feldern besitzt Herr Puy nämlich auch noch ein unterirdisches Gebiet. Schon mancher Monarch hat sein Reich so ausgedehnt und weitläufig gefunden, daß ihm die Beherrschung desselben zuletzt unbequem und gefährlich geworden ist. Gerade dies ist auch der Fall mit Herrn Puy. Er besitzt nämlich die Katakomben oder Steinbrüche von Lezennes und betreibt in denselben die Zucht der Champignons nach großartigem Maßstabe. Herr Puy ertheilt Fremden gern Erlaubniß, diese merkwürdige unterirdische Pflanzstätte in Augenschein zu nehmen und man wird dann nach einem Wirthshause geführt, zu welchem ein Keller gehört. In der Seitenwand dieses Kellers ist eine kleine Thür angebracht, durch welche man auf hölzernen Stufen in die Höhlen hinuntersteigt. Die Tiefe ist nicht sehr beträchtlich und fast überall dieselbe; man befindet sich blos sechsunddreißig Fuß unter der Oberfläche der Erde. Vor dem Hinabsteigen bekommt man eine kleine Lampe eingehändigt und wird von einem Führer begleitet. Es kann durchaus nichts schaden und auch nicht als Feigheit ausgelegt werden, wenn man sich von noch einigen Personen begleiten läßt und wer sich weigert, diese unterirdischen Steinbrüche anders zu betreten, als mit einem Packet Zündhölzchen und Wachslichtern in der einen und einigen Pfund Zwieback in der andern Tasche, kann deswegen noch nicht als ein übertrieben furchtsamer Mensch betrachtet werden. Ich für meinen Theil schäme mich fast, zu gestehen, daß ich mich in dieses Labyrinth hineinwagte, ohne irgend welche Vorsichtsmaßregel zu gebrauchen.

Der Platz, auf welchen man nach dem Hinabsteigen zuerst gelangt, ist der Mittelpunkt einer Reihenfolge unregelmäßiger Gänge, die sich nach rechts und links vier bis fünf Stunden weit im Umkreise erstrecken und auf die verworrenste Weise durchkreuzen. Diese Gänge sind durchschnittlich drei bis vier Ellen breit, ungefähr eben so hoch und durch den weichen Kalksteinfelsen gehauen. Im Ganzen genommen jedoch ist ihre Dimension sehr unregelmäßig und sie sind zuweilen so niedrig und schmal, daß nur eine Person hindurchpassiren kann. Hier giebt es Kreuzwege, Seitenstraßen und Sackgäßchen, in welchen man wieder umkehren muß. Soweit als die Champignonszucht betrieben wird – und diese nimmt einen sehr bedeutenden Theil der Höhle ein – sind hier und da vergitterte Oeffnungen nach oben angebracht, durch welche der nothwendige Dünger eingebracht wird und die zugleich als Luftlöcher dienen, ohne welche die Arbeiter ihre Arbeit nicht lange verrichten könnten. Jenseits des Champignonsgebiets fällt kein Lichtstrahl in diese ewige Nacht, aber selbst wo dies der Fall ist, und auch mit einem Lichte in der Hand, möchte es Jedem, der diese Gänge nicht kennt, sehr schwer fallen, ohne Führer heil Rückweg zu finden.

Die Champignons wachsen hier auf terrassenförmigen, etwa zwei Fuß hohen und eben so breiten Erhöhungen, die mit dem nöthigen Dünger und mit dem Spaten flachgeschlagener Erde bedeckt sind. Eine Bedeckung mit Stroh findet hier nicht statt, weil dieselbe bei einem so unabänderlichen Zustande der Feuchtigkeit, Temperatur und Finsterniß unnöthig wäre. Zwischen diesen Erhöhungen, welche sich durch die Gänge hinziehen, sind schmale Wege freigelassen, damit die Arbeiter dazwischen herumgehen und die Ernte einsammeln können.

Sieben oder acht Mann sind fortwährend mit den hier nöthigen Arbeiten beschäftigt. Sie erhalten einen etwas höhern Lohn als Herrn Puy’s übrige Gartenarbeiter, verdienen denselben aber auch redlich. Die munteren gebräunten Gesichter der Männer, welche mich begleiteten, bildeten einen seltsamen Gegensatz zu dem wachsbleichen Gesicht unseres Führers, und feine Damen, welche viel auf ihren Teint halten, könnten hier sehen, wie ersprießlich es für die Gesundheit ist, ein oder zwei Mal jährlich von den Sonnenstrahlen tüchtig gegerbt zu werden. Diese Leute arbeiten täglich zwölf Stunden und bekommen daher im Winter, ausgenommen an Sonn- und Festtagen, die Sonne niemals zu sehen. Sie sind leichter Krankheiten unterworfen als Arbeiter im Freien, nicht blos in Folge des Mangels an dem wohlthätigen Einflusse, den das Tageslicht auf den menschlichen Körper äußert, sondern auch wegen der unvollkommenen Lüftung dieser unheimlichen Regionen und der Dünste, welche sowohl von dem gährenden Dünger, als von den aufsprießenden Pilzen ausgeströmt werden.

Am 10. Januar 1847 stieg Herr Puy in seine Höhlen hinab, um allerhand Arrangements für das [404] eben begonnene Jahr zu treffen. Er ging in Gedanken versunken immer weiter und weiter, ohne zu bemerken, daß er vom richtigen Wege abgekommen war. Als er zurückzukehren versuchte, fand er, daß er durch Gänge hindurchschritt, die ihm bis jetzt noch ganz unbekannt gewesen waren. Zuweilen sah er sich genöthigt, auf Händen und Knieen weiter zu kriechen, um die Richtung, die er für die richtige hielt, zu verfolgen, aber es war ihm nicht möglich, einen begangenen und erkennbaren Theil der unendlichen Grotte aufzufinden. Endlich ging ihm das Licht aus und es wäre vollkommen nutzlos, übrigens aber auch fast unmöglich für ihn gewesen, den Weg noch weiter fortsetzen zu wollen. Er setzte sich lieber, entschlossen zu warten, denn er wußte, daß man ihn vermissen und Nachforschungen nach ihm anstellen würde. Es war dies das Klügste, in der That aber auch das Einzige, was er thun konnte.

So blieb er die ganze Nacht im Finstern, nicht wissend wo, auf dem Boden der Höhle sitzen. Am nächsten Morgen, als Madame Puy, seine Mutter – denn Herr Puy ist unverheirathet – fand, daß er nicht am Abend vorher wie gewöhnlich nach Lille zurückgekehrt war, kam sie sogleich auf die Vermuthung, daß er sich in den Steinbrüchen verirrt habe. Madame Puy lebt jetzt noch und sagte mir, sie werde diesen Tag und die darauf folgenden in ihrem Leben nicht vergessen. Sie forderte sogleich ihre Freunde und Nachbarn auf, die Arbeitsleute bei dem Nachsuchen zu unterstützen, und alle folgten dieser Aufforderung, wobei einige selbst in nicht unerhebliche Gefahr geriethen. Der Mann, der mich in den Champignonbeeten herumführte, lief in seinem Eifer, seinen vermißten Herrn aufzufinden, selbst dreizehn Stunden lang in der Irre herum, obschon er mit Lichtern wohl versehen war.

Der Tag verging und Herr Puy war noch immer nicht aufgefunden. Die ganze Bevölkerung von Lille nahm an dem Vorgange den lebhaftesten Antheil und die öffentlichen Behörden leisteten allen nur möglichen Beistand. Die Soldaten der Garnison wurden in die Höhlen hinuntercommandirt, Trommeln geschlagen und Gewehre abgefeuert, aber es ist eigenthümlich, daß in diesen fürchterlichen Höhlen auch das stärkste Geräusch nicht weit hörbar ist. Zollwächter wurden von der Grenze herbeigeholt und brachten ihre großen feinspürenden und wohldressirten Hunde mit. Anstatt aber Herrn Puy ausfindig zu machen, hätten die Hunde sich beinahe selbst verirrt und besonders der eine, gerade der größte und schönste, gerieth auf solche Abwege, daß er hätte umkommen müssen, wenn er nicht endlich wieder entdeckt worden wäre. Man band das eine Ende von verschiedenen Knäueln Bindfaden in den besuchteren Theilen der Höhle fest und ging dann dieselben weiter aufrollend nach entgegengesetzten Richtungen, in der Hoffnung, daß der Verirrte zufällig auf einen dieser Fäden stoßen werde. Andere drangen so weit vor, als sie sich getraueten und nahmen dabei Strohbündel mit, aus welchen sie in kurzen Zwischenräumen einzelne Halme auf den Boden legten, so daß die Spitze oder Aehre den Weg andeutete, den sie zu gehen hatten, um dieser Schreckenshöhle wieder zu entrinnen, denn es stand nicht zu fürchten, daß hier der Wind oder ein Thier oder ein menschlicher Wanderer diese schwache und leichte Spur wieder verwischen werde. Kurz, es ward Alles gethan, was Muth und Freundschaft an die Hand gaben, aber drei Tage lang blieb die menschenfreundliche Spürjagd vergebens.

Nachdem Herr Puy drei ganze Tage lang verschwunden gewesen, ward er endlich von einem kühnen jungen Manne an der Stelle aufgefunden, wo er beschlossen hatte, zu bleiben, bis man ihn suchen würde. Dieser Platz war gerade unter der Mühle eines benachbarten Dorfes und weit, weit von dem Ausgangspunkte entfernt. Herrn Puy’s erste Frage war, wie lange er hier zugebracht habe, denn er hatte kein Mittel, den Flug der Zeit zu messen. Er war ganz erstaunt, als er hörte, daß er drei ganze Tage in dieser Einsamkeit ohne Speise und Trank zugebracht hatte. Es war vielleicht ein Glück für ihn, daß er in diesem Zustande von Unwissenheit hatte verharren müssen, weil er außerdem, da die Stunde der Erlösung sich immer weiter hinauszog, der Verzweiflung anheimgefallen sein würde. Bei alledem und trotz aller angewendeten Sorgfalt verstrichen sechs Monate, ehe er von der Krankheit, die ihn befiel, wieder genas und es dauerte wenigstens ein Jahr, bevor er alle Folgen dieses Unfalles überwunden hatte.