Die Zerstreuung der Masuren (Mazuren)

Textdaten
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Autor: Raimund Friedrich Kaindl
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Titel: Die Zerstreuung der Masuren (Mazuren)
Untertitel:
aus: Sagen und Märchen aus Ostgalizien und der Bukowina II, in: Zeitschrift für Volkskunde, 1. Jahrgang, S. 183–185
Herausgeber: Edmund Veckenstedt
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Alfred Dörffel
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
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Quelle: Google-USA*, Commons
Kurzbeschreibung:
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2. Die Zerstreuung der Masuren (Mazuren).

Die Masuren hatten das wüste Land urbar gemacht, auf welchem der erste Masur aus dem Ei gekrochen war, und lebten dahin wie das liebe Vieh. In ihren elenden Hütten starrte es von Schmutz und Unreinigkeit, also dass die Mäuse bei den Masuren überhand nahmen, denn die Tiere fuhlen sich nirgends wohler, als wo es in der Wirtschaft liederlich hergeht. Schliesslich kam es dahin, dass die Mäuse auf Bänken und Tischen herumsprangen und am hellen lichten Tage am Specke nagten. Die Masuren hätten den Mäusen das Tanzen auf Tisch und Bänken verziehen, aber dass sich dieselben vor ihren Augen an den Speck machten, das verziehen ihnen dieselben nicht, denn für den Speck lässt der Masur sein Leben.

Nun traf es sich einmal, dass ein Deutscher in das Dorf geritten kam. Derselbe hatte sich eine Katze aus seiner Heimat mitgebracht. Als die Masuren das Tier erblickten, welches ihnen bis dahin unbekannt gewesen war, kamen sie aus allen Häusern herbeigeströmt und staunten die Katze an. Dem Deutschen machte das Vergnügen, er stieg vom Pferde, liess demselben Futter geben und trat in eines der Häuser. Die Katze folgte ihm auf dem Fusse nach. Kaum hatte sie die Mäuse erblickt, welche sich in gewohnter Frechheit auf Tischen und Bänken herumtrieben, da stürzte sie sich auf dieselben und würgte sie ab. Das sahen die Masuren, welche dem Fremden gefolgt waren, mit grossem Vergnügen mit an, und es leuchtete ihnen ein, dass solch ein Tier für sie von dem grössten Nutzen sein würde, denn sie dachten sich, wenn sie die Mäuse los würden, dann wäre auch ihr Speck sicher. Sie boten also dem Deutschen ein grosses Stück Gold für seine Katze an. Dieser war damit zufrieden und ritt alsobald von dannen, weil er fürchtete, den Masuren könne ihr Kauf leid werden.

Als der Deutsche fort war, fiel den Masuren erst ein, dass sie gar nicht gefragt hatten, was die Katze frässe. In ihrer Not schickten sie sofort einen der ihren zu Pferde dem Deutschen nach, welcher diesen nach dem Futter fragen sollte. Als der Deutsche den Masuren hinter sich herreiten hörte, trieb er sein Pferd zur höchsten Eile an, denn er glaubte nun, dass er mit seinem Argwohn recht hätte. Aber das Pferd des Masuren war frisch, und so kam er dem Deutschen immer näher; dabei rief er demselben unausgesetzt etwas zu, was dieser aber nicht verstand. Endlich drehte sich der Deutsche ärgerlich um und rief dem Masuren „Was“ zu. Alsobald warf der Masur sein Pferd entsetzt herum und jagte seinem Dorfe zu. Kopfschüttelnd über das sonderbare Benehmen, setzte der Deutsche seinen Weg weiter fort.

Als der Masure in seinem Dorfe ankam, umringten ihn die Leute. Aber wie erschraken sie, als der Reiter ihnen sagte, dass es um sie geschehen wäre; der Deutsche habe ihm gesagt, die Katze würde sie alle auffressen, denn als er diesem die Frage zugerufen, was die Katze fresse, habe der Deutsche gesagt „Was“. Das Wort „Was“ heisst aber in der Sprache der Masuren „Euch“. Da beschlossen die Masuren, lieber die Katze tot zu schlagen, als sich von derselben fressen zu lassen. Aber sie konnten die Katze nicht erwischen. Nun wollten sie dieselbe verbrennen [184] und zündeten das ganze Dorf an, damit die Katze im Feuer umkäme. Das Dorf brannte nieder, bald war nur noch ein Aschenhaufen davon vorhanden. Die Masuren waren froh, denn nun, dachten sie, sei es mit der Katze aus. Plötzlich aber hörten sie ein lautes „Miau“, und als sie sich umsahen, woher das kam, erblickten sie die Katze auf einem hohen Birnbaum. Da umstanden die Masuren denselben und gafften voll Schrecken in die Höhe. Der Katze mochte es aber mit der Zeit auf dem Birnbaume zu langweilig geworden sein, deshalb sprang sie plötzlich von demselben herunter und einem Masuren in das breite Gesicht. Ein Schreckensschrei entfuhr dem Munde aller, der Mann fiel wie tot zu Boden, die Masuren liefen davon und zerstreuten sich in alle Welt.

Seit der Zeit findet man die Masuren an vielen Orten in Galizien und in der Bukowina, aber sie leben stets vereinzelt unter den andern Bewohnern des Landes und nirgends findet man ein Dorf, in welchem nur Masuren wohnen. –

Also die Masuren hatten sich in alle Winde zerstreut und nur der Schulze des Ortes hielt bei unserem Manne aus, der zu Boden gestürzt war und sich selbst für tot hielt. Der Schulze rüttelte und schüttelte den am Boden Liegenden und redete ihm dabei gut zu. Endlich schlug derselbe die Augen auf und überzeugte sich davon, dass er noch nicht tot war. Er stand also auf und als er sich noch mit dem Schulzen umsah, ob nicht irgendwo ein Masure zu finden sei, ertönte ihnen plötzlich das furchtbare „Miau“ in die Ohren – denn die Katze sass auf dem Aschenhaufen eines Hauses, der in der Nähe des Birnbaumes gestanden hatte. Da rissen auch sie voll Schrecken aus und liefen in den nahen Wald.

Nachdem sie eine Weile gelaufen waren und das „Miau“ der Katze nicht mehr hörten, fingen sie an, langsamer zu gehen. Endlich sagte der Eine: „Mich hungert“. „Mich auch“, antwortete der andere. Gerade in dem Augenblicke sahen sie einen grossen, dunkelbraunen Marder einen Baum hinaufklettern. „Hurra!“ rief der Dorfschulze, „das giebt einen trefflichen Braten, den Marder müssen wir haben. Bleib du hier“, redete er seinen Begleiter an, „und habe acht auf das Tier, dass uns dasselbe nicht entwischt; ich werde ausgehen und versuchen, ob ich irgendwo Salz auftreiben kann, denn ohne Salz kein Essen.“ „Gut“, sagte der andere, „hole du das Salz, ich werde hier warten.“ Gesagt, gethan; der Schulze ging nach dem Salze aus und der Bauer blieb als Wache unter dem Baume, auf welchem der Marder sass. Nachdem er vom vielen Stehen stumpf und steif geworden war, rief er endlich aus: „Da kommt mir eben ein gescheiter Gedanke. Wenn ich den Marder fange und schlachte, dann brauche ich keine Wache mehr zu halten, dann kann ich mich hinlegen und schlafen, bis der Schulze mit dem Salze kommt.“

Das war nun allerdings ein sehr kluger Gedanke, nur hätte der Masur nicht drei Stunden Zeit gebraucht, um denselben zu fassen. Aber nun er ihn einmal gefasst hatte, ging er auch daran, denselben sofort auszuführen. Er rieb sich also die Augen und begann den Baum hinaufzuklettern. Der Marder wandte seine gelbe Kehle nach oben und kletterte bis in die Spitze des Baumes, der Masure ihm nach. Aber, o weh, als der Masure [185] schon die Hand nach dem Marder ausstreckte, um ihn in das Genick zu fassen, da brach der Ast, auf welchem der Masure stand, und er stürzte in die Tiefe, wo er sich das Genick brach. Der Sturz aus der Höhe war so heftig gewesen, dass dem Gefallenen der Bauch zerplatzte. So lag der Tote mit zerplatztem Bauche da unter dem Baume, der Marder aber entkam.

Wieder waren verschiedene Stunden verstrichen; endlich kam der Schulze mit dem Salze an, welches er irgendwo in weiter Ferne aufgetrieben hatte. Wie erstaunte er aber, als er den Marder auf dem Baume nicht mehr sah, dafür aber unter demselben seinen Gefährten mit zerplatztem Bauche tot daliegen. Da war es also nichts mit dem Braten, auf den er sich schon stundenlang gefreut hatte. Der Schulze blieb erst ganz starr vor Schrecken vor dem Toten stehen, dann kam ihm ein kluger Gedanke und er sprach zu dem Toten: „Kerl, hast selbst aufgefressen den Braten und bist geplatzt. Hast was Rechtes gehabt für deinen schlechten Streich.“

Sprach’s und schlug sich in die Büsche.