Die Wolfsgrube am Superior-See

Textdaten
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Autor: F. Fenneberg
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Titel: Die Wolfsgrube am Superior-See
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17–18, S. 259–260, 273–276
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[259]
Die Wolfsgrube am Superior-See.
Von F. Fenneberg.

„Schneid’ das Canoe los, wenn Dir Dein Leben lieb ist! Hinein und fort!“

Es war gut, daß die Weisung schnell vollzogen wurde, denn der Sprecher und sein Gefährte waren kaum im Canoe und hatten dasselbe vom Lande abgeschoben, als nahe an hundert mit den Kriegsfarben bemalte und bewaffnete Indianer auf die Stelle kamen, wo das Canoe lag, und einen Hagel von Pfeilen auf die Fliehenden abschossen. Deren Schnelligkeit hatte sie indeß von Folterqual und Tod, die sie sicher erwarteten, gerettet, und sobald das leichte, aus Birkenholz gebaute Schiffchen sich von der Küste entfernt hatte und auf den klaren, kalten Fluthen des Superior-Sees tanzte, sodaß die eilbeschwingten Pfeile sie nicht mehr erreichen konnten, erhoben sich die Beiden von ihrer liegenden Stellung und handhabten die leichten Ruder kräftig, um sich so schnell wie möglich jeder Gefahr zu entziehen.

Laute der Entrüstung und Wuth über getäuschte Hoffnungen erreichten ihr Ohr, unbeachtet oder nur mit einem schweigenden Lächeln erwidert, und dann ruhte der, der zuerst gesprochen, von seiner Arbeit aus und füllte seine Pfeife mit einer Mischung von Tabak und gut getrocknetem Kin-ne-ken-ic und sagte lachend zu seinem Gefährten: „Unsere Scalpe sind jetzt sicher, und diese blutdürstigen Teufel müssen sich nun eine andere Belustigung suchen, als die, zu sehen, wie lange es dauert, uns bei langsamem Feuer zu rösten.“

„Der gute Manitou vergißt seine Kinder nicht.“

„Manitou oder nicht Manitou, wir würden eben jetzt an einen Pfahl gebunden, voll von hervorstehenden feinen Splittern, mit einigen hundert Messerschlitzen am Leib, ein Haufen Holz würde um uns herum brennen, und wir schnell der künftigen Welt entgegeneilen nach der beliebtesten Mode der Indianer, ihre Feinde zu rösten, wenn nicht glücklicher Weise unser Canoe nahe für uns versteckt gewesen wäre. Wie hätte Dir das gefallen, alter Junge?“

„Ching-wau-konce[WS 1] würde, den Todesgesang auf seinen Lippen, gestorben sein.“

„Ich weiß das, „Weiße Fichte“, aber ich liebe es eben nicht, zu solcher Musik zu tanzen.“

„Der rothe Mann fürchtet den Tod nicht!“

„Auch ich nicht, aber ich möchte doch lieber einen andern Weg einschlagen, als diesen. Und dann, wer weiß wohin wir kommen, wenn der Tod uns überfällt?“

„Nach dem Lande der glücklichen Jagdgründe, wo die Blumen nie welken und der Matcha Manitou (böser Geist) keine Macht hat!“

„Indianer-Religion und des weißen Manns Bibel – glücklicher Jagdgrund und Himmel sind das Gleiche, wie ich denke, und was mich anbelangt – doch sieh dort!“ Der Redende deutete nach dem Norden, wo der Himmel und das Wasser sich zu begegnen schienen, während die Wolken, dunkel und von unbeschreibbarer Gestalt, dahin eilten und ein dumpfer, tiefer Klang gleich fernem Donner zu hören war.

„Die Möve fliegt hoch und landwärts. Der Geist der Gewässer ist erzürnt über seine Kinder, und sein dunkler Flügel breitet sich rasch von seiner nördlichen Heimath aus,“ war die Antwort des Indianers, während sein Ruder tief und kräftig durch das noch ruhige Wasser schnitt.

„Lieber dem Sturm als der Folter trotzen!“ sagte sein Gefährte und griff wieder nach seinem Ruder. Getrieben von ihren kräftigen Armen flog das kleine Boot, gleich einem Strauß der Wüste, seinem Ziele zu.

Die Freundschaft zwischen dem weißen Manne und seinem rothen Bruder war nicht so sonderbar, als man vielleicht zu glauben geneigt ist, denn selbst heut zu Tage sind solche Verhältnisse nichts weniger als ungewöhnlich, wenn wir fern von dem schrillen Laute, der aus den mächtigen Lungen des eisernen Pferdes ertönt, unsere Fußstapfen auf dem felsigen Pfade gegen Sonnenuntergang richten, wenn wir es wagen, in beinahe unbekannte Regionen zu dringen, in denen das wilde Pferd ungefesselt durch Zaum und Zügel umherschweift und nie durch Sattel oder Sporn belästigt wurde, und wo der Tritt der Büffelheerden gleich dem zornigen Brüllen des Oceans zu dem Ohre des Wanderers dringt, wo der graue Bär seine Höhlen wühlt, und der Adler inmitten ewigen Schnees sein Nest baut und sich hoch in die Lüfte sonnenwärts erhebt, das Sinnbild von Macht und Freiheit!

Erzogen in einer wilden Schule, in der halb civilisirten, halb wilden Weise, wie es an den äußersten Grenzen der Civilisation üblich, wäre es sonderbar gewesen, wenn der kräftige und furchtlose Bursche nicht frühe den Fesseln der Gesellschaft entflohen wäre und das wilde, herumschweifende und oft gefährliche Leben eines Jägers und Trappers erwählt hätte.

Richard Winters war für ein solches Leben geschaffen, denn die gütige Mutter Natur hatte ihn mit Muskeln von Eisen und einem Pulse geschaffen, der nie durch bleiche Furcht getrieben schneller schlug. Schlank und groß, an Entbehrungen und harte Arbeit gewöhnt, mit der Büchse nie sein Ziel verfehlend, in allen Geheimnissen der Waidmannskunst erfahren, schnellfüßig und unermüdbar auf der Fährte, wie mit seinem Ruder auf Strömen und Seen, in den finstersten Stunden der Nacht, wie im dichtesten Urwald sich heimisch fühlend, waren nur Wenige, wenn nicht Keine, die von den Freuden und Früchten eines solchen Nomadenlebens einen so reichen Antheil wie er zogen. Ohne einen Anstrich der modernen Verfeinerung von Sitten und Manieren besaß er ein edles, mannhaftes Herz, das nur durch das Recht regiert wurde, das alle menschlichen Geschlechter als Brüder erkennt. Seine schwarzen Augen waren stets wachsam, seine Züge hatten nur wenig Schönheitslinien aufzuweisen, trugen aber den Stempel unerschütterlicher Entschlossenheit, und wie er in seinem birkenen Canoe saß, nach echter Jägerweise phantastisch gekleidet, konnte man in ihm das meisterhafte Musterbild des furchtlosen Pioniers der Civilisation sehen.

Sein Gefährte Ching-wau-konce, die „Weiße Fichte“ genannt, ein vollblütiger Indianer, war ihm an Größe überlegen, aber nicht an Stärke und Muth. Stolz auf seine Federn, seinen Wampum und seinen Ruf als tapferer Krieger, ein echtes Kind des Waldes, vergaß er nie einen ihm erwiesenen Dienst oder eine ihm zugefügte Beleidigung. In einer Stunde furchtbarer Gefahr, zu der Zeit, wenn der Bär aus seinem langen Winterschlafe erwacht und die Gegenwart des weißen Mannes nicht fürchtet, hatte Winters ihn gerettet. Er hatte ihn gerettet, im Augenblicke, wo der Tomahawk aus des rothen Kriegers Hand geschleudert, sein Messer gebrochen war, er aus vielen schweren Wunden blutete und die Klauen des Bären in seinem Körper begraben, seine scharfen Zähne nahe seinem Herzen waren! Er hatte ihn gerettet mit Gefahr seines Lebens, wie tiefe Narben bewiesen, von sicherem Tode durch den wüthenden hungerigen Bären des Nordlandes, ihn, der für Richard dazumal ein Fremder und noch dazu ein Indianer war.

Freundschaft, auf solchem Webstuhl gewoben, ist nicht jenes dünne, sommerfadenartige Gewebe, das in der Gesellschaft der Reichen und der Modeherrn unter diesem Namen bekannt ist, sondern sie war stark und tief und dauerte so lange als ihr Leben selbst. Die Zeit knüpft solche Freundschaft nur fester, und nur dann, wenn Erinnerung und Leben zu Ende, ist solch’ ein Gewebe gebrochen [260] oder ein einzelner Faden seiner ursprünglichen Stärke und Schönheit beraubt.

Von dieser Zeit an, nun schon vier oder fünf Jahre – lebten diese zwei Männer, die sich in einem Tamarack-Gehölz an der Küste des Superior-Sees in der obenerwähnten Weise begegneten, als Brüder, und der rothe Mann würde sich den schrecklichsten Folterqualen unterzogen haben, wenn er dadurch seinen weißen Freund auch nur vom geringsten Schmerz oder Uebel befreien konnte. Sie waren Brüder, wenn auch nicht durch die Bande des Bluts, so doch durch den Bund ihrer Herzen, und wehe dem, der es wagte, seine Hand drohend gegen einen von ihnen zu erheben!

Der Sturm hatte nun begonnen, und das kleine Schiffchen ward von den hochgehenden Wogen wie eine Feder umhergetrieben. Fern von dem Lande und von der laubbedeckten Küste, wo der Koem-au-is-tique seine Fluthen in den See ergießt, fuhren sie gegen Isle Royal, das noch viele Meilen entfernt war. Sie waren furchtlos und gewandt, aber was kann der schwache Arm des Menschen thun, wenn er mit dem Nordsturm und der zürnenden Woge kämpft? Als die Gefahr am höchsten war, der Sturm am wüthendsten heulte und die Wogen über dem Schiffchen zusammenschlugen, brach das Ruder des Indianers, wie eine dünne Gerte. Winters verdoppelte nun seine Anstrengungen, aber auch sein Ruder war zu schwach, um dem Druck der Wogen zu widerstehen, es brach ebenfalls, und sie waren hülflos dem Toben des wüthenden Sturmes preisgegeben.

Widerstandslos von dem Sturme fortgetrieben, waren sie bald von ihrem Wege entfernt und wurden nach der Küste getrieben, die sie erst vor kurzer Zeit verlassen. Nur ihre vollkommene Selbstbeherrschung, ihre genaue Kenntniß der Handhabung eines Canoes und die bewegungslose, statuengleiche Haltung, die sie beobachteten, rettete sie von dem Umstürzen des gebrechlichen Fahrzeuges. So saßen sie mehrere Stunden lang auf dem Boden des Canoes, bis sie der Sturm auf einen Felsen an der Küste trieb und das Canoe zerschmetterte.

Winters hatte sich glücklicherweise an einem kleinen Baume, der in einer der Felsenspalten festgewurzelt war, festgehalten und war verhältnißmäßig sicher. Nicht so sein rother Freund, der bei dem Umschlagen des Canoes von demselben getroffen und, von den scharfen Felsenriffen verwundet, durch die zurücktreibenden Wellen weit vom Lande ab in den See getrieben wurde. Winters athmete tief auf, dachte einen Augenblick über seine Lage nach, und dann ertönte der Schrei des weißen Mannes selbst durch den heulenden Sturm, denn sein erster Gedanke war die Sicherheit seines Freundes gewesen. Eine Zeit lang kam keine Antwort, und Winters war im Begriffe ihn als verloren aufzugeben und sich einen Platz zu suchen, von dem aus er die Küste erreichen konnte, als eine freundliche Woge den verwundeten Indianer der Küste nahe brachte, und er dessen mit schwacher Stimme gegebene Antwort hörte. Ohne an sich oder an die drohende Gefahr zu denken, stürzte sich Winters in die schäumenden Wogen und faßte den Körper seines Freundes. Furchtbar und lang war der Kampf mit dem wüthenden Elemente, doch endlich war er mit Unterstützung der Macht, die den Wirbelwind regiert, erfolgreich und Beide erreichten das feste Land.

Ihre Lage war aber nicht die angenehmste. Auf einer feindlichen Küste, ohne zu wissen, wo sie waren, umgeben von dem Sturm und dichter Finsterniß, ihre Büchsen im tiefen See begraben, ohne es wagen zu dürfen, ein Feuer anzuzünden, ohne Lebensmittel oder die Gelegenheit solche beizuschaffen, und einer von ihnen schwer verwundet: dies war eine Lage, die selbst Nerven von Stahl und waldgeborne Männer auf die Probe setzen konnte. Sie suchten sich indeß einen Platz aus, wo sie sich bequem niederlassen konnten, legten sich neben einander nieder und waren so schnell entschlafen wie ein Kind, das von seiner Mutter in Schlaf gewiegt wird. Sie schliefen, während der Sturm wüthete und tödtliche Gefahr sie umringte, trotz Hunger und Schmerz, – ruhig schlafend, bis Mutter Natur ihnen sagte, daß ein anderer Tag glorreich für ihr schönes Reich, die Erde, hervorbreche!

Der Morgen brach an in Glorie und Sonnenschein, und mit dem ersten Vorgesang der Vögel des Waldes brachen unsere kühnen Jäger auf. Die Natur, stets gebieterisch in ihren Forderungen, verlangte Nahrung, und diese war für waffenlose Männer im dichten Urwalde nicht so leicht zu erhalten. Die feuchten Moose (Leberkraut), die überall auf den Felsen wuchsen, konnten wohl ihr Leben fristen, aber dies war keine genügende Nahrung für sie. Wie konnten sie sich eine bessere verschaffen? Sie waren zu erfahren und hatten zu viel gelernt in der rauhen Schule eines Lebens an der Grenze der Civilisation, als daß sie einen Augenblick gezögert hätten, um zu berathen, was sie thun sollten. Die „Weiße Fichte“ war kaum erwacht, als er aus den dünnen Wurzeln, die sich an die beinahe erdlosen Felsen anklammern, kunstvolle Schlingen machte, um die Hasen, von denen der Wald voll war, zu fangen. Er stellte die Schlingen vorsichtig auf, und nur kurze Zeit verging, bis mehrere Schlingen ihre Opfer festhielten. Während der rothe Mann die Hasen abbalgte, ausweidete und zum Braten zurecht machte, fertigte Winters aus einem Hasenbeine einen groben aber scharfen Angelhaken an. Dann flocht er aus Baumrinde einen starken und langen Faden, befestigte die Angel daran, steckte auf dieselbe ein Stück Fleisch als Lockspeise und versuchte sein Glück im tiefen See. Auch er hatte Erfolg, und ihr Mahl von gerösteten Hasen und Fischen war ihnen ein größerer Genuß, als ein Mahl auf silbernen Tellern in der Heimath des Reichen.

„Weiße Fichte,“ sagte der Trapper, als er einen Haufen Beine, die er von jeder Fleischfaser befreit hatte, bei Seite schob und seine Pfeife anzündete, „es ist nicht Zeit für uns, lange hier zu bleiben.“

„Die Krieger der Ojib-was wissen, daß der böse Geist des Sturms über den Gewässern schwebte,“ sagte der Indianer, „und sie werden nicht vergessen, an der Küste nach seinen Spuren zu forschen!“

„Ja, und unser Feuer wird sie auf unsern Weg führen, gleich dem Aasgeier, der uns zeigt, wo ein todter Büffel liegt.“

„Der Rauch von trocknem Holze mischt sich mit den Wolken und verschwindet, und nur grünes Holz trübt den heitern, sonnerfüllten Himmel.“

„Aber ihre Augen sind scharf wie die des Adlers, wenn er mit ausgebreiteten Flügeln segelt und nach seinem Opfer späht,“ erwiderte Winters.

„Das Auge des Fischreihers kann nicht den Pfad der Forelle unter dem Wasser sehen, noch das Auge des Kriegers den weißen Rauch in dem Nebel der Morgenluft.“

„Das ist Alles wahr, aber ich bleibe nicht gern hier.“

Die Weiße Fichte sann einige Secunden nach. „Der Jäger möchte seinen Mocassin vom Pfade der Gefahr abwenden. Es ist gut!“

„Ja, und welchen Weg wollen wir einschlagen?“

„Der gejagte Cariboo[1] versucht vergebens die Jäger von seiner Fährte abzubringen; er weiß nicht, wohin er seine Schritte richten, noch in welchem Dickicht er seine vielzweigigen Hörner verbergen soll.“

„Wir wissen indeß doch mehr, als die stummen Thiere des Waldes.“

„Der Manitou gab seinen Kindern das Wissen, das sie zum Meister über Alle macht.“

„Ja, und wir thäten besser es zu benützen, wenn wir hoffen sollen uns zu retten.“

„Mein Bruder ist kein Kind,“ erwiderte die Weiße Fichte, „sondern ein gewaltiger Jäger. Sein Stamm ist zahllos wie die Blätter auf den Bäumen, wie die Tropfen in dem Busen des großen Sees.“

„Du sprichst wahr, und wir wollen zu ihnen gehen.“

„Die Winde und das Moos am Baume sind am dicksten an der Seite, von wo der mächtige Nordwind bläst.“

„Die Sonne geht im Osten auf und weit über die westlichen Prairien unter.“

„Das glänzende Auge des Manitou funkelt stets vom nördlichen Himmel, und das Blitzen seines Gürtels strömt weit über die Welt.“

„Ich kenne den Nordstern und das Nordlicht gut genug,“ sagte Winters. „Es ist keine Gefahr, daß wir uns verirren, so lange wir dem See folgen; komm denn und laß uns aufbrechen.“

„Wenn die Sonne den Thau auf den Blumen getrocknet, dann läßt der Mocassin keine Spur hinter sich.“

„Das ist auch wahr, und so, Weiße Fichte, haben wir nichts zu thun, als so ruhig wie ein Biber zu sein für eine Weile, und dann wollen wir unsere Scalps retten, wenn wir können.“

„Der Gesang meines Bruders wird noch in den Wigwams seines Stammes gehört werden. Ching-wau-konce hat gesprochen.“

Jetzt legte er sich auf den Boden nieder, schloß seine Augen und war anscheinend bald in tiefen Schlaf versunken.

[273] Winters, der den Charakter des rothen Mannes genau kannte und in Folge andauernden Verkehrs manche seiner Gewohnheiten angenommen, folgte dem Beispiele des Indianers, und sie blieben ungefähr eine Stunde in so schweigsamer und lautloser Haltung, daß selbst ein Feind, der sie gesucht, hart an ihnen hätte vorübergehen können, ohne sie zu entdecken. Dann erhob sich der Indianer langsam, lauschte aufmerksam, blickte prüfend auf den Himmel und flüsterte, gleich als fürchte er, die Bäume und Felsen könnten ihn hören:

„Kein Auge kann Fußstapfen auf dem graslosen Felsen sehen. Der Manitou des Tages schwebt hoch auf seinen feurigen Flügeln. Der Pfad meines weißen Bruders führt zu dem Rauche des Wigwams seiner Väter. Laß uns gehen!“ Er kehrte sich um und ging in den pfadlosen Wald, und der Trapper dicht hinter ihm.

Sie bedurften keines Compasses außer dem der Natur, um sie auf ihrem Wege nach den Fällen am Fuße dieses ungeheuren Sees zu den Wohnstätten des weißen Mannes zu leiten – zu dem nun berühmten Sault St. Marie – und ehe die letzten Strahlen der untergehenden Sonne verschwanden, hatten sie bereits viele Meilen ihres Weges zurückgelegt. Da sie den ganzen Tag hindurch, ohne anzuhalten, marschirt waren, so mußten sie sich nach einem Ruheplatz umsehen, und Winters war der Erste, der hiervon sprach, obgleich sein Gefährte in Folge seiner Wunden von ihrem schnellen und anhaltenden Marsche am meisten gelitten hatte.

[274] „Weiße Fichte,“ sagte er, „die Sonne wird gleich untergehen, die Nacht kömmt heran und es ist Zeit, daß wir daran denken, wo wir unser Lager aufschlagen.“

„Die Nacht kommt für den Müden so willkommen, als der Tod dem von der Feuerqual Gefolterten,“ sagte die Weiße Fichte.

„Ich schäme mich nicht zu sagen, daß ich müde bin. Es war ein verwünscht langer Marsch, und ich bin weder ein Wolf noch ein Cariboo,“ erwiderte Winters.

„Mein Bruder ist stark, sein Fuß ist schnell und er ermüdet nicht auf dem Pfade.“

„Ich weiß, daß ich groß und stark bin, aber am Ende bin ich doch nur von Fleisch und Blut.“

„Der gewaltige Flügel des Adlers muß ruhen, der schnellfüßige Hirsch sich niederlegen im grasigen Tiefland, der sehnige Stör seine Floßfedern rasten in der Untiefe, Alle müssen ruhen, nur nicht der gute Manitou.“

„Und die großen Feuercanoes (Dampfschiffe), von denen ich Dir oft erzählte.“

„Der rothe Mann kennt nicht die feuerbeschwingten Häuser der Blaßgesichter auf den großen Gewässern.“

„Es ist so wahr, als die Religion der Indianer oder irgend eine andere, aber dies hat nichts mit dem zu thun, was ich will. Meine Gebeine schmerzen mich, als wäre ich wie Maiskorn zerquetscht worden, und ich bin so hungrig wie ein Bär im Frühjahr.“

„Der Manitou gab uns die Erde als einen Ruheplatz. Der dichte Wald schützt ihn vor dem kalten Hauch der Nacht, und der Stern flammt von seinem Wigwam, um seinen Kindern als Leuchte zu dienen!“

„Das ist Alles wahr, Weiße Fichte, aber wenn ich mich nicht irre, so muß eine Höhle, in der Du und ich mehr als einmal Schutz vor dem Sturm und der Kälte gefunden, ganz in der Nähe hier sein.“

„Das Ohr des Todsenders (Winters war wegen seiner Geschicklichkeit mit der Büchse, die, von seiner Hand abgefeuert, sichern Tod brachte, von den Ojib-was-Indianern so genannt worden) vergißt nicht die Worte, die in sein Ohr geflüstert worden, noch sein Auge den Berg, Felsen oder Strom, auf denen er einmal gerastet.“

„Aber die Höhle, Weiße Fichte!“

„Mein blasser Bruder sehe sich um.“

„Ja, da ist sie, ich kenne jetzt den Platz gar wohl,“ und von dem Wege gehend, klimmte er auf eine felsige Klippe und das hohe Gras und dichte Buschwerk, das den Eingang zur Höhle verdeckte, bei Seite schiebend, zeigte er dem Indianer die niedrige und enge Mündung der Höhle.

Ein Augenblick der sorgfältigsten Prüfung, ob die Höhle nicht ein Zufluchtsort wilder Thiere geworden, genügte sie zu überzeugen, daß dem nicht so war, worauf sie sich in die Höhle begaben und von dem Wilde, das sie am Morgen in Schlingen gefangen, ein kräftiges Mahl bereiteten. Nachdem sie die Oeffnung der Höhle sorgfältig mit noch mehr belaubten Zweigen verdeckt hatten, legten sie sich auf den steinigen Boden und suchten die Ruhe, deren sie so sehr bedurften.

War ihre Ruhe auch sicher? Beinahe zur selben Stunde, als sie aufbrachen, waren dunkle Gestalten, unermüdlich und blutdürstig wie der Wolf und geräuschlos wie der fallende Schnee, ihrer Fährte gefolgt und warteten jetzt auf einen günstigen Augenblick, um sie zu Gefangenen zu machen. Schlaft zu, so lange Ihr könnt, wackere Brüder, denn bald wird ein Erwachen kommen, verbunden mit Gefahr, Blutvergießen und selbst Tod. Schlaft zu, denn Ihr wißt nicht, schlafend in eingebildeter Sicherheit, wie bald die Glocke schlagen wird, deren Laut Euer unglückliches Schicksal ankündigt!

Mitternacht ging vorüber, und ein dunkler Gegenstand, gleich einer großen Schlange, kroch langsam und geräuschlos nach der Mündung der Höhle, und das den Eingang verbergende Gebüsch ward vorsichtig bei Seite geschoben. Das Sternlicht, das in die Höhle einen schwachen Schein warf, war indeß hell genug, um die in tiefen Schlaf versunkenen zwei Gestalten sichtbar zu machen. Nach einem Augenblick ertönte ein schwacher Ruf, gleich dem eines halb träumenden Nachtvogels, und Alles war still.

Eine andere Gestalt und wieder viele andere erschienen am Eingang der Höhle, der schrille Kriegsruf (war-whoop) ertönte in der stillen Nacht, Krieger um Krieger füllten die Höhle, sich auf den Trapper und seinen Gefährten werfend und Beide mit Lederriemen fest bindend, während sie im Schlafe auf den blumenbedeckten Pfaden des Traumlandes wandelten. Welch’ ein Erwachen aus diesem Schlafe! Wie schrecklich war es, daß sie sich als die Gefangenen der wilden, rachsüchtigen und grausamen Ojib-was fanden! Fest gebunden brachten sie die Nacht, scharf von einem Theil des Indianerhaufens bewacht, zu, wobei die rothen Teufel, die selbst bei dem wehrlosen Zustand ihrer Gefangenen ihrer Neigung, ihre Feinde zu foltern, nicht widerstehen konnten, fortwährend ihre Arme und Füße, die so fest zusammengeschnürt waren, daß sie stark aufschwollen, mit der scharfen Spitze ihrer Scalpmesser stachen oder mit den Feuersteinspitzen ihrer Pfeile, die sie in dem wohlunterhaltenen Lagerfeuer glühend machten, brannten. Sie wußten, daß sie für den grausamsten Tod, den indianische Wildheit erfinden konnte, bestimmt waren und daß sie keine Aussicht oder Gelegenheit zu entfliehen haben würden.

Als der Morgen anbrach, wurden Winters und die Weiße Fichte theilweise von ihren Banden befreit und mit Lebensmitteln versehen. Nachdem ihr Frühstück vorüber war, brachen die Indianer auf, und die Gefangenen in ihrer Mitte, schlugen sie den Pfad ein, der nordwärts nach der Heimath der Ojib-was an den Ufern des Kam-au-is-tique führte. Spät in der Nacht ruhten sie aus, wurden wieder gebunden und mißhandelt, und dann ward bei der ersten Morgendämmerung die Reise wieder fortgesetzt.

Es war Mittag, als die wilden Krieger mit ihren Gefangenen die Wigwams der Ojib-was erreichten. Ohne ein Wort zu sprechen und ohne einen grüßenden Blick gingen sie durch das Dorf und führten ihre Gefangenen in den Gefängniß-Wigwam, der in der Mitte des Dorfes gelegen war. Da wurden sie gelassen, Beide gebunden an Händen und Füßen, und jeder Krieger eilte nach seinem Wigwam.

Obgleich aller Hoffnung zu entkommen beraubt, und obgleich sie wußten, welch qualvoller Tod ihrer wartete, so konnte doch dadurch die lebhafte und sorglose Gemüthsart Winters’ nicht zerstört werden; denn kaum hatte der letzte Indianer den Wigwam verlassen, als er sich zu seinem Gefährten hinrollte und halblachend sagte: „Ich glaube, unser Spiel ist ausgespielt. Alles aus mit uns, wie die Ratte in der Falle.“

„Die Weiße Fichte kann brechen, aber nie sich beugen.“

„Ja wohl, aber Du wirst verwünscht zersplittert werden.“

„Die Weiße Fichte wird mit dem Kriegsgesang auf den Lippen nach den glücklichen Jagdgründen wandern.“

„Ich werde es auch, wenn ich muß, aber wenn ich eine gute Gelegenheit ersehe, so will ich ihnen meinerseits Gelegenheit zu einer langen Jagd geben, ehe sie meinen Scalp erwischen.“

„Ching-wau-konce wird sterben!“

„Wir sind aus einer schlimmeren Klemme als diese entwischt, und warum nicht auch aus dieser?“

„Laß den Todsender meinen Worten lauschen! Letzte Nacht, als die schwere Hand des Schlafes auf jedem Augenlide ruhte, außer meinem, als der Mond und die Sterne durch die schwarze Sturmwolke verhüllt waren und der Nordwind murmelte, als er durch den Wald strich, als der See ein klagevolles Lied gleich einem Grabgesange sang, als die Blätter der Bäume längs des Pfades rasselten, gleich dem Rasseln vieler schuppiger und zorniger Schlangen, da kam eine Stimme zu dem Ohre der Weißen Fichte und er trank ihre Worte. Die Tod weissagende Eule ruhte auf einem entlaubten Zweige über ihm, und er wußte, daß die dunklen Geister des Verhängnisses auf den Flügeln des Sturmes ruhten. Die Worte, die geflüstert worden, mögen nicht wieder erklingen, aber es wird kein anderer Mond über die athmende Gestalt der Weißen Fichte aufgehen! Die Blätter sagten es ihm, der heisere See murmelte es, die schwarzen Geister sangen es, und die Eule, als sie mit ihren Flügeln sein Gesicht schlug, krächzte es in seine Ohren. Das Canoe wartet an dieser Seite des Todesflusses, um ihn über die schwarzen Fluthen zu tragen, und eine Geisterbraut hat in dem neuen Wigwam an dem jenseitigen Ufer ein Feuer angezündet und wartet auf ihn. Ching-wau-konce wird sterben!“

Da Winters wußte, daß es nutzlos sei, die abergläubischen Gefühle des Indianers zu bekämpfen, so machte er auch keinen Versuch hierzu, da er selbst von trüben Ahnungen ergriffen war. Er bemühte sich jedoch, seinen rothen Bruder aufzuheitern und Mittel zur Flucht zu ersinnen, und so ging die Zeit vorüber, bis die Indianer, die Beide gefangen genommen, mit geschwärzten Gesichtern [275] eintraten, sie fortführten und an einen verkohlten Pfahl vor der Thür des Berathungshauses der Ojib-was banden.

Nachdem die verschiedenen Formen und Ceremonien, die bei solchen Gelegenheiten üblich, erfüllt waren, nachdem die Pfeife geraucht worden und der Medicin-Mann feierlich die Runde gemacht und seinen Sitz eingenommen, erhob sich der „Brüllende Wind“, der Häuptling der Ojib-was, und sprach:

„Die Hände der Weißen Fichte und des Blaßgesichtes sind mit dem Blute unseres Bruders befleckt. In den tiefen Wildnissen des Waldes, fern von dem beschützenden Arm seines Stammes, trafen sie ihn. Sein Scalp hängt in ihrem Wigwam, und sein Blut schreit laut um Rache. Der Uebel verkündende Rabe und die Raubthiere haben seinen Leichnam in Stücke zerrissen, seine unverletzten Gebeine bleichen im Sonnenschein und Sturm, und sein Geist wandert fern von den glücklichen Reichen der Ruhe!“

Die Weiße Fichte richtete seine Gestalt zu ihrer ganzen Größe auf, warf stolz einen Blick der Herausforderung auf seine Feinde, seine dünnen Lippen kräuselten sich verachtungsvoll, aber er sprach kein Wort. Nicht so Winters, der die Anklage als falsch erklärte, sagend:

„Es ist eine elende, gemeine Lüge!“

„Das Blaßgesicht spricht nicht gut,“ erwiderte der Häuptling.

„Gut oder bös, ich spreche die Wahrheit.“

„Die Winde haben es für die Ohren der Ojib-was gesungen, und das strömende Blut hat unsere Nüstern erreicht.“

„Die Winde sind falsch und das schwarze Blut faul!“

„Der Manitou des Windes spricht stets die Worte der Wahrheit und Weisheit. Seine Zunge ist nicht gespalten und seine Wege nicht krumm. Das Blaßgesicht soll sprechen, die Krieger werden ihn hören!“

„Die Weiße Fichte und ich bewachten unsere Biberfallen, die wir an dem Ufer des Guargontwa aufgestellt. Wir waren müde von der Jagd und träumten nicht von Gefahr, doch des Jägers Augen sind stets offen. Als wir daselbst lagen, da fiel ein Laut in unser Ohr, gleich dem sanften Tritt des Panthers, wenn er in den dunklen Stunden der Nacht auf Raub ausgeht. Wir stellten uns schlafend, wachten jedoch, wie die Schlange den Vogel bewacht, der um sein kleines Nest kreiset. Die „Kriechende Rebe“ der Ojib-was stahl sich vorsichtig durch die dicken Zweige, sein Bogen ward gespannt und der Pfeil auf die Armbrust gelegt. Er zögerte einen Augenblick und sah um sich. Er glaubte, die Weiße Fichte und der Todsender schliefen, aber sie schliefen nicht. Dann schnellte der giftgetränkte Pfeil von der schwirrenden Sehne, als ein Todesbote, wie er hoffte, für seinen rothen Bruder. Euer Manitou jedoch lenkte den Pfeil seitwärts, und als die Kriechende Rebe vorwärts sprang mit seinem Tomahawk, um ihr Blut zu trinken, begegneten sie ihm in tödtlichem Kampfe, und er fiel, wie ein teuflischer Mörder fallen sollte! Die Kriechende Rebe war ein Dieb! Er würde seinen rothen Bruder und mich ermordet und dann unsere Fallen gestohlen haben. Nun macht vorwärts mit Eurer Berathung und thut Euer Schlimmstes.“

„Das Blaßgesicht spricht wie der müßige Wind zu der Herbstblume, und flüstert ihr von den Freuden des Sommers zu, während der Frostkönig seine Flügel mit Federn besetzt, um den Flug der Zerstörung zu beginnen.“

„Bindet mich los, wenn Ihr es wagt, und ich will Euch diese Lüge verschlucken machen!“

Der Häuptling kehrte sich, ohne die Worte des Todsenders weiter zu beachten, und sprach zu der Gruppe der Krieger, die ihn umringte, und es währte nicht lange, so war ihre Berathung geschlossen. „Die Weiße Fichte von den Ojib-was und der Todsender von den weißen Männern müssen den Foltertod erleiden. Laßt den weißhaarigen Medicin-Mann – ihn, auf dessen Haupt die Weisheit von hundert Wintern gefallen – zu dem der große Manitou in der Stunde des Schweigens, wie während des Heulens des Sturmes und des Brüllens des Donners kommt, sprechen.“

„Nicht durch die Hand seiner Brüder, noch auf diese muß der Flecken von eines Mörders Blut fallen,“ sagte der Medicin-Mann. „Laßt sie uns den wilden Thieren des Waldes, deren Herzen sie sich angemaßt haben, vorwerfen. In die Wolfsgrube sollen sie geworfen werden! Ich habe gesprochen.“

Fürchterlich, wie dieser Urtheilsspruch war, verstanden die Weiße Fichte und der Todsender gar wohl, was es hieß, in die Höhle der wilden Wölfe, durch Hunger und Durst toll gemacht, geworfen zu werden; und doch kannten sie die ganze Schrecklichkeit des ihnen bevorstehenden Schicksals nicht. In Stücke zerrissen zu werden, zu fühlen, wie das Blut aus vielen klaffenden Wunden strömt, und zu leben, bis ihre noch immer schlagenden Herzen aus ihrer Brust gerissen wurden, war ein schreckliches Schicksal, aber noch immer nicht so schrecklich, als die teuflischen Folterqualen, die vorbereitet waren und vollzogen worden wären, wenn der Medicin-Mann nicht diesen Ausspruch gegeben hätte.

In einer stark gebauten Holzumzäunung befanden sich zwei große schwarze Waldwölfe, die wildesten, kräftigsten und unzähmbaren Thiere des Wolfsgeschlechtes, und beide rasten in Folge der Wasserscheu (Hydrophobia), die sie ergriffen hatte. Aller Nahrung beraubt und fortwährend durch den Anblick von Wasser, das man ihnen vorhielt, wüthend gemacht, das wilde Geheul, die mit blutigem Schaum bedeckten Lippen, die schnappenden Kinnbacken und feurigen Augen, all dies sagte, wie gut sie vorbereitet waren, den schrecklichen Urtheilsspruch der Ojib-was über die wackern und kühnen Gefangenen auszuführen.

Von ihren Banden befreit und von einem Haufen grimmiger Krieger umgeben, wurden sie nach der Wolfsgrube gebracht. Ching-wau-konce ging mit festem Schritt und ungebeugtem Haupte in ihrer Mitte, ohne in seinen Zügen irgend eine Bewegung zu verrathen, seine Augen sahen herausfordernd und stolz auf seine Feinde, und über seine Lippen kam der Schlachtgesang. Winters, der eben so tapfer wie sein Gefährte war und den Tod eben so wenig fürchtete, stieß furchtbare Verwünschungen und Flüche aus.

Als sie die Wolfsgrube erreicht hatten, und das Dach geöffnet war, riß die Weiße Fichte ein Messer aus dem Gürtel eines Kriegers und sprang auf das Dach. Einen Augenblick zögerte er und dann, ehe noch der Schall seines Schlachtgesanges in der Luft erstorben war, sprang er hinab zu den rasenden Thieren.

Der Todsender schritt, einen schauerlichen Fluch ausstoßend, vorwärts, um seinem Gefährten zu folgen. Schon hatte er die Hand auf das Dach gelegt, als plötzlich ein Gürtel von Wampum um seinen Hals geworfen und eine Adlerfeder in sein Haar geflochten wurde. In demselben Augenblick fühlte er auch den Druck einer warmen Hand und sah vor sich ein Indianer-Mädchen zu seinen Füßen knieen, die mit feuchtem Blicke zu ihm hinauf schaute.

Er kannte die Bedeutung dieses unerwarteten Zwischenfalles, er war gerettet, denn die „Feder des Raben“ von den Ojib-was hatte ihn im letzten Augenblicke zu ihrem Gatten erwählt, und von da ab war sein Leben gesichert.

Mit geöffnetem Rachen und ausgestreckten Klauen stürzten sich die tollen, wilden Bestien auf Ching-wau-konce, ehe er noch den Boden der Grube erreicht hatte. Er faßte den, der ihm am nächsten war, bei der Kehle mit der linken Hand, und zwar so fest, als hätte seine Hand Sehnen von Stahl, während er mit der Rechten das Messer mehrere Male tief in den Körper des Wolfes begrub. Er hielt die Bestie so lange und handhabte sein Messer so kräftig, daß endlich das tödtlich getroffene Thier im Todeskampfe zusammensank. Dann warf er es weit von sich und kehrte seine Aufmerksamkeit auf den andern, der ihn fortwährend gebissen hatte.

Er führte einen mächtigen Stoß mit dem Messer auf das Thier, aber das Messer senkte sich auf den dicken Schädel und zersplitterte bis zum Handgriffe. Er war nun waffenlos! Das Herz der Weißen Fichte verzagte indeß nicht und er faßte den Wolf mit beiden Händen bei der Kehle, nahm seine Riesenstärke zusammen, um ihm die Kehle zuzudrücken, und die hängenden Füße und schlaffen Kinnladen zeigten, daß das Leben der Bestie erloschen war.

Dieser Mann hatte mit seiner überlegenen Kraft und mit unbeugsamem Muthe einen der wildesten Bewohner des Waldes erwürgt, der durch Hunger und Wasserscheu rasend geworden war.

Befreit von seinen wilden Feinden, setzte sich Ching-wau-konce, ohne daran zu denken, seine Wunden zu verbinden, in den dunkelsten Winkel der Grube und sein Haupt auf seine Kniee beugend, erwartete er ruhig sein Schicksal. Er wußte nur zu wohl, was es sein würde: lange und furchtbare Tage schrecklicher Schmerzen und dann ein qualvoller Tod, den keine Feder zu beschreiben vermag.

Winters, so unerwartet von Folterqualen und Tod befreit durch eine der schönsten Töchter der Ojib-was, Rabenfeder, die Tochter des Anführers des ganzen Stammes, genannt der „Brüllende Wind“, stand wie bewegungslos, bis die weiche Hand des Mädchens die seinige sanft ergriff und ihn freundlich nach ihrem Wigwam führte.

[276] Daselbst angekommen, schloß sie den Eingang mit der Hirschhautdecke, und als sich der Trapper auf einen Haufen Pelze setzte, so kniete sie zu seinen Füßen und bedeckte ihr Antlitz mit ihren Händen, wartend, bis die dunkle Wolke von seiner Seele gewichen. Das im Walde aufgezogene Mädchen, furchtlos, unerzogen, aber weichherzig, wußte sehr wohl, daß sein Herz für seinen rothen Bruder trauerte, daß Worte unpassend und nutzlos in einer solchen Stunde seien, daß im Schweigen eine tiefe Beredsamkeit herrsche, und daß der Sonnenschein sicher dem Sturme folgen werde, daß die Zeit Blumen auf den Gräbern der Geliebten blühen lassen und Hoffnung und Glück das sorgenbeladene Herz wieder freudig machen würden.

Die Nacht hatte ihren ebenholzschwarzen Mantel über die Erde ausgebreitet, ehe irgend eines von ihnen sich rührte. Das Mädchen stand auf, bereitete ein Nachtmahl, stellte es vor ihren Gatten und bat ihn, er möchte essen.

„Das Herz des Todsenders weint um Ching-wau-konce. Sein Körper ist schwach vom Fasten, seine Füße sind ermüdet von dem langen und steinigen Pfad, und seine Glieder sind wund von den tief einschneidenden Riemen. Der Gesang der zum Himmel sich aufschwingenden Lerche wird die dunkle nachtschwärmende Eule verscheuchen, und Rabenfeder wird süße Lieder für ihren Gatten singen und ihn in seinem Wigwam froh und freudig machen.“

Winters folgte, von den Liebkosungen seines jungen Weibes gerührt, ihrer Aufforderung und hielt ein köstliches Mahl, während dessen Rabenfeder sich für eine kurze Zeit entfernte. Dann kam sie wieder und beobachtete ihn schweigend, sehr zufrieden, daß es ihr gelungen, ihrem auf eine so sonderbare Weise gewonnenen Herrn zu gefallen. Als sein Hunger endlich befriedigt war, füllte sie das Calumet (Pfeife), zündete es an und brachte es an seine Lippen. Dann an seiner Seite niederknieend und ihm liebend in’s Antlitz sehend, sprach sie:

„Die Rabenfeder weiß, daß von dem Flügel der Trauer dunkle Schatten auf das Herz des Todsenders fallen. Sie rettete ihn vor den giftigen Bissen der wilden Thiere. Möge er nicht trauern um die Weiße Fichte. Während mein Herr aß, habe ich die Weiße Fichte besucht. Seine Feinde sind todt! Er war ein gewaltiger Krieger und Jäger und hat die Wölfe getödtet; aber deren Gift fließt in seinen Adern, und er hat nur wenige Tage zu leben, und die sind qualenreich und schrecklich!“

„Ja, Feder, Du rettetest mich; verflucht sei Richard Winters, wenn er es je vergißt.“

Er erhob sie vom Boden und setzte sie zu sich. „Was können wir für die Weiße Fichte thun, Rabenfeder?“

„Der Todesengel schwingt seine Flügel über ihn.“

„Kann denn nichts für ihn geschehen, um ihn wenigstens von der Qual und Pein der Tollheit zu erlösen?“

„Die Rabenfeder,“ erwiderte sie, „weiß, wo die dunklen Todeswolken ihren Thau destilliren, wo die Mandragora wächst, die Nachtvögel ihr Nest bauen und der Medicin-Mann der Ojib-was seine Zauber webt. In den dunkelsten Schatten wächst die Wurzel, die den Schlaf des Todes bringt, schweigend, schnell und schmerzlos! Der Tag ist am Sterben und die Nacht bricht an. Die Rabenfeder wird die lebenzerstörende Wurzel ausgraben und sie der Weißen Fichte geben, und er wird in das Land der Geister gehen, so ruhig als ein Kind einschläft, das sich auf den schwingenden Zweigen der Birke wiegt.“

„Ich danke Dir, Feder – ich danke Dir. Bring ihm die Wurzel, sie wird ihn wenigstens retten vor Qualen und –“

Rabenfeder hatte nur auf seine Beistimmung gewartet, und während er noch sprach, war sie bereits auf dem Wege, seinen Wunsch zu erfüllen. Rückkehrend, eilte sie zu der Wolfsgrube, in der sich Ching-wau-konce befand, und ehe noch der Vollmond eintrat, sang die „Weiße Fichte“ bereits ihren Jubelgesang in den glücklichen Jagdgründen jenseits des Grabes!




  1. Cariboo (sprich Karibu): eine Hirschgattung, deren Hörner sich durch eine ungewöhnliche Zahl von Zweigen auszeichnen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Namensvarianten vereinheitlicht