Die Weltpost (Die Gartenlaube 1889/25)

Textdaten
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Autor: S. Campell
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Titel: Die Weltpost
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Weltpost.

Von S. Campell.

Aus meinen frühesten Kinderjahren ist mir eine Erinnerung geblieben, die jedesmal in meiner Seele auftaucht, wenn ich von einem Briefe aus Amerika sprechen höre. Damals kam nämlich in das Haus meiner Eltern ein „Brief aus Amerika“, der ein Gegenstand des Staunens, der Verwunderung, ja der Ehrfurcht war. Das beängstigend dünne Ding – man konnte mit einigem guten Willen ganz bequem den Inhalt als Spiegelschrift lesen, denn die letzte Seite des durchsichtigen Bogens bildete zugleich den Briefumschlag – war auf beiden Seiten mit verschiedenfarbigen Stempeln so dicht bedeckt, daß aus den Kreisen, Ziffern und Buchstaben nur mühsam die Adresse herausbuchstabirt werden konnte.

Besagter wunderbarer Brief meldete den Tod eines Erbonkels in Amerika. Der Brief hatte volle neun Monate gebraucht, um von Alvarado, einer Hafenstadt im Golf von Mexiko, nach unserm deutschen Heimathstädtchen zu gelangen. Wegen dieses Zeitverlustes entstand daher, nachdem der Schmerz um den „sehr entfernten Onkel“ sich gelegt hatte, große Unruhe, denn laut des Briefes sollte mit diesem zugleich die Erbschaft in Gestalt von etlichen Päckchen Goldstaub und zwei silberbeschlagenen Doppelpistolen abgeschickt worden sein. Das hohe Porto war seufzend, aber doch in einer gewissen Hoffnungsfreudigkeit mit 1 Thaler und 19 Gutegroschen bezahlt worden. Jetzt ward ein langer und ausgiebiger Familienrath gehalten, bei dem der verheißungsvolle Brief aus Amerika eine große Rolle spielte und der mit der Aufsetzung und Absendung eines ebenso energisch wie untertänig gehaltenen Briefes an die weise und löbliche Regierung des Freistaates Mexiko endigte. Darauf warteten wir abermals zwei volle Jahre, um endlich einen zweiten Brief, ganz ähnlich dem ersten, einlaufen zu sehen, der diesmal wirklich in Begleitung einer Kiste ankam, enthaltend etwas abgetragene Wäsche, einen Pistolengürtel, einen alten Basthut und ein Tagebuch. Da seufzte die Mutter vor der offenen Kiste und sagte. „Ja, wären nur die Postverbindungen gut genug, dann hätten die mexikanischen Diebe nicht Zeit gehabt, das Beste für sich zu nehmen,“ und der Vater antwortetet „Bedenke doch die ungeheure Entfernung, es sollen mehr als 6000 Seemeilen sein bis Mexiko, da geht vieles verloren und manches bleibt unterwegs hängen.“

Damit war die Geschichte mit dem amerikanischen Briefe und dem Erbonkel erledigt.

Was würden wir heute thun, wenn uns Aehnliches begegnete? Ja, so etwas begegnet eben nicht mehr, denn „die Postverbindungen sind jetzt gut genug,“ wie die Mutter sagen würde. [418] In der That, es kann nicht mehr geschehen, daß ein Brief von Westindien nach Deutschland neun Monate braucht, selbst nicht, wenn Sturm und Wogen Verzögerung schaffen, vorausgesetzt nur, daß der Postdampfer selbst nicht untergeht. Fast nach und von allen Ländern der Erde kann man seine Briefe um 20 Pfennig oder den entsprechenden Betrag in fremder Münze versenden, und selbst wo dieser niedere Satz nicht zutrifft, ist die zu zahlende Gebühr doch immer noch himmelweit entfernt von dem Porto von l Thaler 19 Gutegroschen welches unser amerikanischer Brief vor wenigen Jahrzehnten erforderte.

Heute haben wir die Weltpost!

Wie war es nun möglich, diesen riesigen Unterschied zwischen einst und jetzt zu erzielen? Zu einem Theile trug hierzu die Verbesserung, Vereinfachung und damit Verbilligung der Verkehrsmittel, die zugleich als Postbeförderungssmittel dienten, bei. Sodann aber hatte vor dem Jahre 1874 überall in dem Verkehre nach dem Auslande der einseitig fiskalische Gesichtspunkt seine Herrschaft geübt, das heißt, jeder Staat hatte aus den Auslandsbriefen, sowohl aus den in seinen Grenzen verbleibenden als den sein Gebiet nur durchquerenden, seinen Gebührenantheil herauszuschlagen gesucht. Kein Wunder also, daß ein Brief, der so und so viele Staaten auf seiner Reise zu berühren hatte, ein hübsches Sümmchen brauchte, um alle die Postherren unterwegs zu befriedigen. Die Verrechnung und Erhebung dieser Gebühren war zudem in hohem Maße weitläufig, die Kontrolle zeitraubend und kostspielig, kurz, die ganze Einrichtung eine verfehlte und dringend der Verbesserung bedürftige, als Generalpostmeister Stephan, beiläufig der einzige geschulte Fachmann in allen Kulturstaaten, der selbständig an der Spitze eines Postwesens steht, sich der Sache annahm. Der Grundsatz, welchen er neben dem eines möglichst niedrigen Portosatzes aufstellte, war der der vollständigen Gegenseitigkeit. jeder Staat vereinnahmt und behält das Franko für die in seinem Bereiche zur Auslieferung kommende Auslandskorrespondenz und ebenso das Porto für die nach seinem Gebiete gerichteten unfrankirten Briefe aus dem Auslande, verzichtet aber auf die Erhebung einer Durchgangsgebühr für die sein Gebiet durchlaufenden Briefsäcke aus dem Auslande nach dem Auslande.[1] Stephan war in der Lage, den Regierungen der andern Staaten ziffermäßig nachzuweisen, daß ihnen aus dieser Einrichtung ein Ausfall in den Einnahmen nicht erwachsen würde, indem einerseits der ganze schwerfällige und kostspielige Apparat der Einzelabrechnung in Fortfall kommen und andererseits der Verkehr, dank der gebotenen Erleichterung, sich steigern würde, daß es darum in ihrem eigensten Interesse liege, den von ihm empfohlenen Grundsatz anzunehmen.

So trat denn am 9. Oktober 1874 der Weltpostverein ins Leben durch Unterzeichnung des „Allgemeinen Postvereinsvertrags“, welche von den Bevollmächtigten 22 größerer und kleinerer Staaten ausgeführt wurde.

Um das Ereigniß in seiner ganzen Größe zu erkennen, ist es nützlich, einen Blick auf das Postwesen früherer Zeiten, zunächst in den deutschen Landen, zu werfen. Da sah es hiermit naturgemäß nicht besser aus als bei allen übrigen deutschen Staatseinrichtungen. Das Postwesen beruhte auf einem der Familie Thurn und Taxis gehörigen alten Privilegium, mit diesem Privilegium aber hatte es folgende Bewandtniß:

Maximilian I., deutscher Kaiser und römischer König, der von 1493 bis 1519 regierte und meist in Wien Hof hielt, lebte in den mannigfachsten Kriegen und Fehden mit Italien, Ungarn, besonders aber mit den Niederlanden. Seine Anwesenheit war oft an der einen Grenze seines Reichs so nöthig wie an der andern. Als er einst in verzweifelte Klagen ausbrach, daß er nicht an allen Orten zugleich gegenwärtig sein könnte, daß aber die Boten, so seine Briefe, Befehle und Ordres an die Grenzen und ins Burgunderland tragen solltem, an keinem Wirthshaus vorbeigehen könnten, ohne anzuhalten dem Wein zu liebe, auch sonst ihren Botendienst verabsäumten und höchst unzuverlässig wären, da trat einer seiner Hofherren der italienische Edelmann Francesco de Tassis, mit dem Anerbieten hervor, die kostenfreie Beförderung sämmtlicher kaiserlicher Befehle, Briefe und Botschaften zu übernehmen. Er verpflichtete sich für Sicherheit und Schnelligkeit seiner Boten und forderte dafür als Gegenleistung das ausschließliche Recht zur Ausübung und Ausbreitung der neuen Beförderungsart, sowie die gesammten daraus entspringenden Einkünfte für sich und seine Nachkommen.

Im Jahre 1516 ertheilte Kaiser Maximilian dieses Privilegium, und damit war dem Hause Tassis eine Gerechtsame verliehen, die zunächst wohl nicht sehr bedeutend erschien, in der Folge aber die Jahrhunderte hindurch sich als ein richtiger Goldstrom für die Eigenthümer erwies. Die erste Linie der Tassis-boten ging von Wien nach Brüssel. Die Boten waren gut beritten und trugen die Briefschaften in einem Felleisen bei sich. Die Tassis waren klug genug, jene erste Botenlinie sehr bald durch Zweigkurse nach Frankreich, Hamburg und im Süden nach Mailand, Venedig, ja bis nach Rom zu erweitern und in den wichtigsten Städten und Grenzorten Anstalten zum Sammeln und Ausgeben der Briefe, wie zum Wechseln der Pferde zu errichten. Das erste deutsche „Postamt“ in einem eigens zu dem Zweck angekauften Hause befand sich in dem durch seine Lage nahe der Landesgrenze und der Festung Philippsburg sehr wichtigen Dorfe Rheinhausen am Oberrhein.

Zunächst sollte wohl die Post dem Kaiser dienen; wie sie dessen Botschaften kostenfrei besorgte, so nahm sie auch die Briefe aller der Fürsten und ihrer Behörden unentgeltlich zur Beförderung an, durch deren Länder ihre Botenkurse gingen. Dadurch erreichte die Post der Tassis nicht nur freien Durchgang durch die betreffenden Länder, sondern durfte auch das Postgeld (Porto) für die Korrespondenzen der Unterthanen nach Belieben festsetzen.

Wie gut die Tassis dabei „herauskamen“, geht daraus hervor, daß 1588, also nach siebzigjährigem Bestehen, die Post ihren glücklichen Rechtsinhabern jährlich 100 000 Dukaten Reingewinn einbrachte, eine für die damalige Zeit unerhörte Summe.

Die neue Einrichtung erfreute sich einer von Jahr zu Jahr, namentlich bei den Kaufleuten und Gewerbetreibenden, steigenden Beliebtheit, sie hatte aber auch viele Anfeindungen, namentlich von seiten der Reichsstände, zu bestehen, die von Anfang an mit der Verleihung des Postprivilegiums an einen Nichtdeutschen höchst unzufrieden waren. Um diesen Anfeindungen die Spitze abzubrechen, ließen sich die Tassis in Deutschland naturalisiren und verwandelten dabei ihren italienischen Namen in das deutsche Thurn und Taxis. Rudolf II., der Habsburger, befestigte durch ein Patent vom Jahre 1595 dem Hause Thurn und Taxis den Besitz der Postgerechtsame in sämmtlichen kaiserlichen Landen und ernannte das damalige Haupt des Hauses, Leonhard von Taxis, zum Generalpostmeister. Dem zweiten Träger dieser Würde, Lamoral von Taxis, wurde abermals durch ein kaiserliches Dekret die Belassung des Privilegiums „für sich und seine männlichen Erben zu Lehen“ bestätigt.

Die fernere Entwickelung der Reichspost unter der Verwaltung der Thurn und Taxis kann übergangen werden. Erwähnt sei nur noch, daß sehr bald Unzuträglichkeiten sich einstellten, so daß es an Klagen aus dem Volke nicht fehlte. Gestützt auf „ihren Brief“ machten sich die Reichspostmeister übermütiger Willkür und trotziger Ueberhebung schuldig, der Portosatz ward nach Belieben hochgeschraubt, allerlei Unordnungen im Vetriebe und im Dienst rissen ein.

Es war der Große Kurfürst, der die Post in seinem Lande zu einer Staatseinrichtung machte, ohne sich um die alten Privilegien der Thurn und Taxis zu kümmern. Er schrieb bald nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges an den Reichsgeneralpostmeister, daß er in seinem Lande keine andern Posten dulden werde als die, so er selber einrichte. Und er that´s.

Die erste preußische Staatspost nahm den Kurs von Kleve bis Memel, durchschnitt also das Preußenland in seiner weitesten Ausdehnung, „zur Förderung der Kommerzien, zur Erleichterung des Gouvernements und zur Herstellung eines engeren Zusammenhanges unter den Territorien der brandenburgisch-preußischen Lande“.

Auch die folgenden Herrscher in Preußen ließen dem Postwesen die größte Sorgfalt angedeihen. Der erste König von Preußen errichtete 1701 das Generalpostamt in Berlin, welches unter dem Namen „Reichspostamt“ noch heute besteht.

Das Beispiel, welches Preußen gegeben hatte, wirkte weiter. Angesichts der jämmerlichen Verfassung der Thurn und Taxisschen Post schritten einzelne Länder und Ländchen, ja sogar Städte dazu, eigene Posten zu gründen, so z. B. Braunschweig, Mecklenburg, [419] Köln, Nürnberg etc., deren Organisation und Verwaltung keine Rücksicht auf den nächsten Nachbarn, noch weniger auf das Wohl der Gesammtheit nahmen, sondern nur den eigenen augenblicklichen Vortheil verfolgten. Dadurch, und weil auch die Taxissche Post sich kräftig wehrte, entstand eine heillose Verwirrung. In manchen Städten saßen nebeneinander drei oder vier verschiedene Posten, die einander nichts weniger als gut gesinnt waren, die sich gegenseitig chicanirten und anfeindeten, wo es nur anging. Oefters kam es unter den verschiedenfarbigen Postillonen und Postboten auf offener Landstraße oder im Wirthshause zu Raufereien und Schlägereien, durch welche weder die Sicherheit noch die Schnelligkeit der Beförderung gewinnen konnte.

Der leidende Theil blieb bei alledem das Publikum, welches unmöglich die Bedingungen einer jeden Postanstalt kennen konnte, welches mit seinen Briefen von Pontius zu Pilatus geschickt wurde, weil diese Post nur bis zu dieser oder jener Grenze ging, weil an dieser oder jener Station keine Uebergabe an die Nachbarpost erfolgte, oder auch weil ein Brief zu schwer oder zu leicht war. Das war auch die Zeit des theuren Portos, steckte doch jede Postverwaltung nach dem Vorbild der Taxisschen Reichspost ihren Satz nach Willkür fest; das war die Zeit der langsamen Beförderung und der postalischen Unsicherheit, und so blieben die Zustände des Postwesens bis tief in unser Jahrhundert herein.

Im Jahre 1830 hatten wir in Deutschland nicht weniger als 17 verschiedene „Postbehörden“, die einander nichts angingen, und 31 diesen Behörden unterstehende „Postgebiete“.

In Preußen allerdings, wo der Staat das Postwesen und damit die Verantwortlichkeit für dessen Leistungen übernommen hatte, ward der Postdienst mit Umsicht, Strenge und militärischer Präcision gehandhabt; darum stand die preußische Staatspost auch auf der verhältnißmäßig höchsten Stufe. Aber schließlich war auch Preußen noch machtlos gegenüber der kläglichen Zerrissenheit im übrigen Deutschland. In Frankfurt am Main saß die Generalverwaltung der alten überlebten Thurn und Taxisschen Post fest, auf ihre dreihundertjährigen Rechte pochend. Die andern Verwaltungen wollten sich „Preußen nicht unterordnen“. So blieb denn vorläufig noch der alte Schlendrian bestehen, wo jeder Postinhaber die Post als seine Melkkuh betrachtete, von der er allein Vortheil zu ziehen habe.

Nicht ganz so kläglich, aber immer noch dürftig genug sah es zur selben Zeit mit dem überseeischen Postverkehr aus. Bis zum Jahre 1840, wo das erste Dampfschiff der noch heute hoch angesehenen Cunardlinie Englands überseeische Brief- und Postsachen über den Atlantischen Ocean trug, wurde alles, was sich die alte und die neue Welt gegenseitig brieflich zu sagen hatten, mit Segelschiffen befördert, denen keine Verantwortung für das ihnen anvertraute Gut oblag. Man mußte von Deutschland aus seine Briefe an irgend ein Handelshaus in einem englischen Hafen - meist London - schicken, dort blieben die sich häufenden Briefschaften liegen, bis ein Schiff der Firma die Reise über das Weltmeer antrat und alles mitnahm.

Während des Zeitraumes von 1825 bis 1850 hatten sich die amerikanischen Klipper, schlanke, außerordentlich schnellsegelnde Schiffe, einen berühmten Namen im überseeischen Postverkehr erworben. Sie fuhren zwischen den Hauptplätzen Nordamerikas, New-York, Boston und Baltimore, und den wichtigsten Häfen Europas, London, Liverpool und Havre.

In Deutschland, wo die Schifffahrt noch in den Kinderschuhen steckte, wußte man nichts von den amerikanischen Klippern. Man schickte seine Briefe, wenn man den Umweg über London vermeiden wollte, an eine Bremer oder Hamburger Reederei und ließ es dann darauf ankommen ob der Brief seinen Bestimmungsort erreichte oder nicht. Wenn aber etwa ein deutsches Schiff aus Amerika ankam, dann bekam der Reeder, d. h. der Schiffseigenthümer, die mitgebrachten Briefschaften in die Hände, und es geschah wohl, daß er spät abends noch sein Dienstmädchen mit etlichen hundert Briefen ausschickte. Die mehr oder minder zuverlässige Maid raffte die großen und kleinen, die dicken und dünnen Schriftwerke in ihre Schürze zusammen und begab sich damit von einem Privathaus ins andere.

Sollte man dergleichen jetzt für möglich halte? Nein! Ebenso wenig wie es heute möglich wäre, daß ein Briefträger, der seinen ersten Rundgang in den Vormittagsstunden gemacht hat, die im Laufe des Tages etwa noch eingehenden Briefe mit nach seiner Wohnung nimmt, sie hier auf den Tisch schüttet, von wo sie seine Tochter in ihren Strickbeutel schiebt, um sich damit, „wenn sie Zeit hat“, noch denselben Abend auf die Runde zu begeben. So erzählen sich noch heute die „alten Leute“ in der Stadt Osnabrück, wenn sie der gemüthlichen alten Zeit gedenken, jener Zeit, da Osnabrück wohl mehr als 20 000 Einwohner zählte, aber statt der heutige zwanzig oder dreißig Briefträger deren nur zwei besaß.

Doch in der Stille wachsen die Vorbedingungen zu der alle Kulturstaaten der Erde umfassenden Weltpost. Allmählich, wenn zuerst auch sehr langsam, rückte das Postwertzeichen, die Freimarke, bei den Posten ein. Die Erfindung der Freimarke kam aus dem Königreich Sardinien wo sie schon im Jahre 1819 auftritt, allerdings nicht in der heute gebräuchlichen Form, sondern in Gestalt von Papierstücken, gerade groß genug, um einen gefalteten Brief einschlagen zu können, denen ein Stempel mit dem Portovermerk aufgedrückt war. Diese gestempelten Umschläge waren bei den sardinischen Postämtern käuflich.

Merkwürdigerweise dauerte es sehr lange, ehe der vortreffliche Fortschritt von andern europäischen Ländern angenommen wurde. England erhielt das Postwertzeichen durch seinen großen Postreformator Rowland Hill; die Vereinigten Staaten, die Schweiz, Brasilien, ja selbst – Finnland, sie alle bedienten sich der für Post wie Publikum gleich bequemen Neuerung eher als die preußische Post. In Preußen ward sie 1850 eingeführt. Aus den gestempelten Umschlägen wurden in der Folge die Frankocouverts, und endlich löste sich von diesen die Freimarke, die jetzt sogar im bürgerlichen Leben und Kleinverkehr eine Stelle als Zahlungsmittel sich erworben hat.

Inzwischen war auch die erste Allianz im Postwesen, nämlich der deutsch-österreichische Postvereins-Vertrag, geschlossen worden. Dieser am 6. April 1850 rechtsgültig gewordene Vertrag kann als die erste Grundlage des Weltpostvereins angesehen werden. Seine Prinzipien waren folgende: Herstellung eines großen allgemeinen Postgebietes, gleichmäßige Organisation des Dienstes und der Verwaltung, wohlfeilere, schnellere und sicherere Beförderung, periodisch wiederkehrende Postkonferenzen, Vertretung der deutschen Post in ihrer Gesammtheit dem Auslande gegenüber.

Als dann das Jahr 1866 den Machtbereich des preußischen Staates erheblich ausdehnte und den ganzen Norden Deutschlands unter Preußen als Vormacht einigte, da mußte die Taxissche Post verschwinden. Die 350jährige Gerechtsame des Hauses ward um die Abfindungssumme von 9 Millionen Mark beseitigt und der ganze Apparat, einschließlich der Generalpostdirektion zu Frankfurt am Main, ging an den preußische Staat über, nicht ohne daß die Taxissche Verwaltung noch den Versuch gemacht hätte, sich durch Eingehen auf die Forderungen der Neuzeit zu behaupten. Verwaltung und Dienst, Sicherheit und Schnelligkeit der Beförderung beruhten von da an auf der Präcision des preußischen Regiments.

Auch der überseeische Postverkehr war durch die aufblühende Dampfschifffahrt in ein neues Stadium getreten, man ließ fast bei jedem Wind und Wetter die Postschiffe zu bestimmter Stunde in See gehen. Der Norddeutsche Lloyd arbeitete Hand in Hand mit der deutschen Post und gewährte dadurch die größten Vortheile. Innerhalb des Deutschen Reiches woben die Eisenbahnen immer engere Netze, wodurch der Postverkehr an Schnelligkeit gewann.

Stephan hatte seine erste folgenreiche Idee bereits 1865 der „fünften deutschen Postkonferenz“, die in Karlsruhe tagte, vorgelegt, nämlich ein Memorandum, das zur Erleichterung und Beschleunigung des Postverkehrs die Einführung eines „offenen Briefes in gedrängter Form“ empfahl – die Postkarte. Stephan nannte seine Erfindung „Postblatt“. Er mußte aber fünf Jahre warten, ehe er seine Idee verwirklicht sah. Erst kurz vor Ausbruch des deutsch-französischen Krieges erfolgte endlich seitens der deutschen Postverwaltung die Einführung der „Korrespondenzkarte“. Wie sehr die Post damit einem „längstgefühlten Bedürfnisse“ entgegen kam, erhellt daraus, daß gleich am ersten Tage der Einführung, am 25. Juni 1870, allein in Berlin nicht weniger als 45 000 Stück der neuen Karten verkauft wurden. Noch deutlicher zeigte sich die Trefflichkeit der Postkarte während des Krieges. Sie war es vor allem, welche den Verkehr unserer tapferen Truppen mit den Lieben in der Heimath vermittelte. Durch die Leichtigkeit ihrer Anwendung vermochte der Soldat im Felde recht oft Nachricht zu senden; ja sogar nach eben beendeter [420] Schlacht, oder nahe dem Tode im Lazareth, wo ein Brief der Umständlichkeit halber nicht zustande gekommen wäre, vermochte der Krieger noch einige Worte auf die Postkarte zu kritzeln.

Der Umsatz an Postkarten betrug denn auch während der ersten fünf Monate des Feldzuges nicht weniger als 10 Millionen Stück.

Aber nicht nur für Kriegs-, sondern hauptsächlich für die Zwecke des Handelsstandes gewann die Postkarte weitgehende Bedeutung. Das Bedürfniß nach schriftlicher Mittheilung wuchs im selben Verhältniß wie die Leichtigkeit und Billigkeit der Beförderung.

Bald nach Deutschlands politischer Einigung erging auf Anregung von Deutschlands tüchtigstem Postmann, dem weitschauenden General-Postdirektor Stephan, an alle wichtigen Kulturstaaten der Erde der Aufruf, bevollmächtigte Vertreter behufs Gründung eines Weltpostvereins nach der Stadt Bern zu entsenden. Am 15. Sept. 1874 trat der Kongreß zusammen.

Als Grundlage der neu zu bildenden, das Postwesen der ganzen Erde umfassenden Vereinigung ward eine Denkschrift genommen die von Stephan bereits im Jahre 1868 durch das „Postamtsblatt“ des Norddeutschen Bundes veröffentlicht worden war. In scharfer logischer Entwickelung legte die Denkschrift die dem Fortschritt des Völkerverkehrs entsprechende Notwendigkeit eines alle Völker der Erde umfassenden Postvereins klar und entrollte zugleich die oben angedeuteten Grundsätze, aus denen dieser Verein aufgebaut werden müßte, wenn er Bestand haben und Segen über Länder und Völker bringen sollte. Es bedurfte der angestrengtesten Arbeit von 24 Tagen seitens der Vertreter in Bern, es trat noch manches von dieser oder jener Regierung ausgehende Hinderniß dazwischen, manche wichtige Frage, z. B. das Seeporto, mußte eingehend erörtert werden, ehe endlich am 9. Oktober der „Allgemeine Postvereinsvertrag“ von den Kongreßmitgliedern unterzeichnet werden konnte.

Der Weltpostverein war geboren. Seinen Segen konnte die briefschreibende Menschheit sofort verspüren, denn die 55 verschiedenen Portosätze, welche bis dahin in den dem Verein angehörenden Staaten bestanden hatten, waren zu einem einzigen Satz verschmolzen, statt daß man für einen Brief nach einem überseeischen Lande früher mehrere Thaler bezahlen mußte, konnte man jetzt für 20 Pfennig, später per Karte sogar für 10 Pfennig Japan, das Kap Horn und die ferne Inselgrnppe der Aleuten erreichen.

So groß und bewundernswerth, so mächtig und segensreich aber auch der gewaltige Bau gleich von seiner Begründung an war und wirkte, so überraschend entwickelte sich bald gleich einem lebenden Organismus unter der kundigen Pflege und Leitung seines Gründers das Werk, mit dem der Name Stephans für immer verbunden bleiben wird.

Werfen wir daher zum Schluß noch einen kurzen Blick auf die rasche Entwicklung und hochbedeutsame Ausgestaltung des Vereins.

Wie beiläufig bereits erwähnt, wurde sehr bald schon die Postkarte als billigstes und beliebtes Verkehrsmittel aufgenommen, die Postkarte, die in ihrer Erweiterung als „Karte mit Antwort“ zum Austausch kurzer Mittheilungen nach entfernten Ländern unübertrefflich ist.

Eine im inländischen Verkehre noch nicht eingeführte und dem Weltpostvereinsverkehr eigentümliche schätzenswerte Besonderheit bildet der Begriff der „Geschäftspapiere“. Als solche werden angesehen alle geschriebenen oder gezeichneten Schriftstücke oder Urkunden, die nicht als eigentliche und persönliche Korrespondenz betrachtet werden können, die aber gleichwohl im Inlandsverkehre das volle Briefporto bezahlen müssen, während sie im Weltpostvereinsverkehr gegen die Drucksachentaxe (je 50 g für 5 Pfennig) befördert werden

In immer weiterem Umfange ist es dann gelungen, den als mustergültig anerkannten Einrichtungen des deutschen Postwesens vertragsmäßig Aufnahme in die Vereinssatzungen zu verschaffen. Die Erweiterungen und Verbesserungen, welche in den 15 Jahren seit der Gründung des Weltpostvereins allmählich eingeführt wurden, betreffen hauptsächlich den internationalen Packetverkehr. Mit den früheren Zuständen verglichen, erfolgt die Beförderung von Postpacketen jetzt zu einem fast lächerlich billigen Portosatze (z. B. 5 Kilo-Packete nach Belgien, Dänemark, den Niederlanden, der Schweiz und 3 Kilo-Packete nach Frankreich zu 80 Pfennig, Packete bis 5 Kilo nach Norwegen l Mark, bis 3 Kilo nach England, Schweden, Italien, Spanien, Rumänien 1,40 Mark bis 1,60 Mark).

Eine nicht unwesentliche Vervollkommnung hat der internationale Packetverkehr ferner gewonnen durch die Einführung der Werthangabe, der Eilbestellung, des Verlangens von Nachnahmeerhebung und von Rückscheinen (das heißt Zustellung eines eigenhändigen Empfangsanerkenntnisses des Adressaten an den Absender). Mit mehreren benachbarten Staaten ist ferner ein Abkommen dahin getroffen, daß der deutsche Absender den Zoll, welchen seine Sendung beim Eintritt in das fremde Land zu tragen hat, selbst am Orte der Absendung entrichten und dann die Auslieferung seines Packets an den Adressaten "franko Zoll“ verlangen kann, etc.

Doch nicht genug hiermit, die Ausdauer und das Genie unseres Stephan hat es auch zuwege gebracht, die Mehrzahl der wichtigsten Vereinsstaaten zu Sonderverträgen über den Austausch von Briefen mit Werthangabe, von Postanweisungen und von Postaufträgen zur Einziehung von Geldbeträgen zu veranlassen.

In welch hervorragendem Maße dadurch die Volkswohlfahrt im großen gewinnt, das zeigen uns einerseits die alljährlich erscheinenden statistischen Uebersichten des Reichspostamts und andererseits die Berichte unserer Handelskammern. Wie aber auch bis in die untersten Schichten des Volkes hinein die Weltpost segensreich wirkt, dafür statt vieler nur ein Beispiel.

Ein verheirateter Zimmergesell ist vor mehreren Jahren allein nach den Vereinigten Staaten ausgewandert. Nach einem halben Jahre theilt er seiner Frau mit, es gehe ihm gut und sie möge nachkommen. Das Reisegeld habe er bei einem Bankier eingezahlt, den dafür erhaltenen, mit eingeschlossenen Wechsel möge sie versilbern. Der Wechsel wird nach Bremen gesandt, kommt aber kurz nachher zurück mit der Auskunft, der Bankier habe inzwischen fallirt und der Wechsel sei daher werthlos.

Der hiervon verständigte Ehemann that nunmehr, was er sicher gleich anfangs gethan hätte, wäre ihm das Verfahren nur bekannt gewesen: er zahlte das Reisegeld auf Postanweisung ein. Das Geld kam sicher an und die Frau fuhr mit dem nächsten Schiffe ab.

Will man sich ein Bild machen von der Weltpost, wie sie heute besteht, so muß man sich zunächst über die ungeheure Ausdehnung ihres Gebietes klar werden. Das verhältnißmäßig kleine Europa mit seinen 330 Millionen Einwohnern ergiebt den Kern, dem sich die anderen Erdtheile anschließen. Nur ein geringer Theil des innersten Asiens, Tibet und die Mongolei, sowie die australische Kolonien und das Kapland stehen noch außerhalb desselben. Werden diese Gebiete abgerechnet, so umfaßt der Weltpostverein buchstäblich den ganzen Erdball, genauer ein Gebiet von 85 Millionen qkm mit 915 Millionen Einwohnern.

Welch ungeheure Massen von Sendungen die Weltpost zu bewältigen hat, das kann man sich kaum vorstellen. Nach den statistischen Feststellungen des „Internationalen Bureaus des Weltpostvereins“ zu Bern betrug im Jahre 1887 die Zahl der beförderten Briefe 6810 Millionen, der Postkarten 1450 Millionen, der Zeitungen, Drucksachen und Geschäftspapiere 5490 Millionen, der Waarenproben 80 Millionen; Postanweisungen, Postaufträge und Nachnahme wurden 220 Millionen erledigt mit einem Gesammtbetrag von beinahe 12 Milliarden Franken, Packete ohne und mit Wertangabe waren es 240 Millionen mit einem Gesammtwerth von 13½ Milliarden Franken; das sind zusammen 14 290 Millionen Sendungen.

So stellt sich die Weltpost als ein ungeheurer, wohlgeordneter, mit größter Genauigkeit arbeitender Mechanismus dar, dessen Bedeutung für die Kultur der Erde noch gar nicht zu überschauen ist. Vollkommen ist ja auch der Weltpostverein noch keineswegs; ein Mangel der Vertragsbestimmungen besteht z. B. darin, daß kein Staat verpflichtet ist, für eine in Verlust gerathene Einschreibsendung Ersatz zu leisten. Die Mehrzahl der Staaten thut dies gleichwohl, ganz Amerika - abgesehen von einigen kleinen mittelamerikanischen Republiken - jedoch nicht, was namentlich für die Geschäftswelt schon öfters schwere Unzuträglichkeiten zur Folge gehabt hat. Aber unausgesetzt wird an der Vervollkommnung gearbeitet, jedes Jahr, nein, jeder Monat bringt neue Fortschritte, die der gesammten Menschheit zugute kommen.

Die Weltpost macht Schillers schönes Wort zur Wahrheit:

„Seid umschlungen, Millionen.“
  1. Nur Belgien, die Schweiz und Italien, die einen unverhältnißmäßig erheblichen Durchgangsverkehr haben, erhalten eine besondere Vergütung für denselben, da sie eben von den den Durchgang benutzenden Ländern keine entsprechende Gegenleistung empfangen.