Die Wasserwunder von Plitvice
Die Wasserwunder von Plitvice.
Es giebt noch heute Entdeckungsreisende in dem alten Europa. Die Touristen sind es, die mit Ränzel und Stab von den vielbegangenen Verkehrsstraßen ablenken und in Gebirge eindringen, um dort stille Thäler und schöne Landschaften aufzufinden. Mitunter gelingt ihnen das Vorhaben, sie überraschen die Welt durch Schilderungen des Geschauten und bald folgt den Pionieren der Schwarm der Sommerfrischler. Erst im vorigen Jahre haben wir unseren Lesern von der in den letzten Jahrzehnten für weitere Kreise erfolgten Erschließung der wundervollen Landschaft von Madonna di Campiglio berichtet (vergl. Jahrg. 1895, S. 654). Eine ähnliche „Entdeckung“ hat man auch in Kroatien gemacht. Zwischen den Bergzügen Kapella und Pljeschewiza, nahe an Bosniens Grenze, liegt eine Landschaft von märchenhafter Schönheit versteckt. Die Natur hat dort dem Gebirge den wilden zerklüfteten Karstcharakter aufgeprägt, sie hat aber dabei seine Hänge und Thäler mit dem grünen Mantel stiller Urwälder geschmückt und die Hochthäler und Schluchten mit Wasserspielen belebt, wie man ihresgleichen auf Gottes weiter Erde kaum wieder finden kann. Es sind dies die „Plitvicer Seen“, welche zu den herrlichsten Perlen des an Naturschönheiten so reichen Königreichs Kroatien zählen. Inmitten malerischer Bergzüge liegen auf eine Strecke von 8 km zerstreut nicht weniger als 13 Seen, die terrassenförmig übereinander angeordnet und durch 30 größere und zahllose kleinere Wasserfälle miteinander verbunden sind. Einige dieser blauen Seen sind dabei recht stattliche Gewässer, erreicht doch der größte von ihnen, der Kozjak, bei einer Breite von 600 m eine Länge von 3 km; andere, wie der Okrugliak und Milanowac entzücken durch die Lieblichkeit ihrer Ufer. Und wie malerisch wirkt die Anordnung der Seen! Beträgt doch der Höhenunterschied zwischen dem obersten und untersten dieser herrlichen Wasserbecken beinahe 200 m! Eine Wanderung an den gebirgigen Ufern derselben, inmitten der tiefsten Waldeinsamkeit, bietet dem Auge stets neue, wechselvolle Aussichten; denn diese Ufer sind vielgegliedert und zerklüftet, bald spiegeln sich heitere Buchen, bald düstere Fichten, bald wieder kahle, malerisch geformte Felsen in ihren Fluten. Ueberdies weisen diese Becken ein geradezu wunderbares Farbenspiel auf. Das eine strahlt klar und rein in der Bläue des wolkenlosen Himmels, das andere schillert in grünen, das andere wieder in gelben Tinten, während der oberste See die fahle graue Farbe der Karstgewässer aufweist.
Aber damit ist diese unglaubliche Wasserpracht nicht erschöpft, zwischen den Seen tost und braust, fließt und rieselt es an hundert Orten; Wasserfall reiht sich an Stromschnelle, und was die Natur sonst auf meilenweit voneinander entfernte Thäler und Schluchten zerstreut hat, das findet sich hier an einem Orte vereint. Alle Abarten der Wasserfälle bieten sich dem Auge dar. Hier stürzt das Wasser mit elementarer Gewalt in mächtigen Kaskaden in die Tiefe, dort entfaltet sich ein prächtiger Schleierfall neben einem Schnurfall und dort wieder tobt ein Sturzbach neben einem Staubbach. In stillen Buchten kann man dem Murmeln winziger Gewässer lauschen, und bald darauf steht man vor mächtigen Wasserfällen; stürzt doch der zweigeteilte Plitvicer Fall donnernd 78 m in die Tiefe! Und wie wundervoll ist eine Kahnfahrt auf diesen Seen! In der Flut sieht man Forellen in überraschender Fülle dahinhuschen, auf dem felsigen Grunde sitzen Scharen von Krebsen, hier ist noch ein Paradies der Angler in unberührter Frische. Der Kahn gleitet an Grotten vorüber, in deren lauschiger Stille Nymphen sich wohl fühlen würden, erreicht Inseln, die, vom grünen Wiesenteppich überzogen, mit Baum und Busch gekrönt, zum Ruhen und Träumen einladen. Dabei der wunderbare Frieden, die tiefe Abgeschiedenheit vom Lärm der Welt! Weit und breit erblickt man hier keine menschliche Ansiedlung und bis vor kurzem kannten nur kroatische Hirten Weg und Steg über Wald und Berg zu diesen Wasserwundern von Plitvice!
Nicht immer waren jedoch diese Seen so einsam, so weltvergessen.
[812] Alte Trümmer auf der Stephanie-Insel im Kozjaksee deuten darauf hin, daß in früheren Zeiten die Römer diese prächtige Landschaft wohl zu würdigen verstanden und an den Ufern der Seen Villen gebaut haben. Plitvice war wohl damals ein berühmter Kurort. In den Wogen der Völkerwanderung brach die alte Kultur zusammen; die rohen Einwanderer schwärmten nicht für Naturschönheiten; das Seegebiet blieb unbeachtet; lag es doch auch an der unruhigen Grenze von der Türkei. Der Staat verwaltete die weiten Waldungen, Grenzoffiziere machten hin und wieder einen Ausflug zu den von geheimnisvollen Sagen umgebenen Gewässern, und sie waren es, die dort an den Ufern des Kozjak den ersten Unterkunftsort, das sogenannte Touristenhaus, bauten. Im Jahre 1888 besuchte die Kronprinzessin Stephanie das herrliche Seegebiet; eine Zeit lang stand es im Vordergrunde des Interesses für das österreichische Publikum, wurde aber wieder vergessen, bis im Jahre 1893 ein „Verein zur Hebung der Plitvicer Seen in Agram“ gegründet wurde. Dank seiner Thätigkeit wurde neben dem alten Touristenhause ein Hotel errichtet, das, mit großstädtischem Komfort ausgestattet, vierzig Fremden Unterkunft bieten kann. Ein Badehaus giebt Gelegenheit für Erfrischung in den durchsichtigen Fluten des Sees; man schuf Parkanlagen, sorgte für Anlage von Wegen und Brücken. Der Leser, der sich dafür mehr interessiert und einen Ausflug in jenes schöne Land unternehmen möchte, findet nähere Auskunft in dem soeben erschienenen interessanten Büchlein „Die Plitvicer Seen“ von Stefan v. Buchwald (A. Reinhards Verlag, Fiume). So wird Plitvice wieder zu einem Kurort. Für unser verwöhntes Publikum ist es allerdings nicht leicht zu erreichen; es liegt noch immer 75 bis 100 km von der nächsten Dampfer- oder Eisenbahnstation entfernt. Man plant darum, einen Schienenweg in die Urwaldeinsamkeit zu legen, und will auch die Wasserfälle zur Erzeugung der Elektrizität zwingen. Die Wasserwunder von Plitvice werden sich später in elektrischer Beleuchtung wohl märchenhaft ausnehmen, aber von unvergleichlicher, poesievoller Schönheit erscheinen sie schon heute dem Auge, wenn der Mond über der einsamen Berglandschaft aufgeht. Dann fühlt sich der Beschauer in eine eigenartige Welt versetzt; geisterhaft schimmern die Felsen und geisterhaft rauschen die Fälle; die alte Sage wird lebendig und raunt von einer „Schwarzen Königin“, die nach dem Volksglauben einst diese Seen mit ihren Wundern geschaffen hat. J. S.
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