Die Wasserversorgung der schwäbischen Alb
Die Wasserversorgung der schwäbischen Alb.[1]
Ein Culturwerk ist in diesem Sommer vollendet worden, welches in seiner Art einzig dasteht und den berühmtesten Wasserwerken der Welt als ebenbürtig angereiht werden darf. Um es zu schauen, brauchen wir nicht in’s Ausland oder über den Ocean zu fahren; denn es ist auf deutschem Boden entstanden und spendet einem Theile der deutschen Bevölkerung seine Wohltaten.
Wir führen heute unsere Leser in den südlichen Theil Württembergs, auf die schwäbische Alb, welche ihren Namen, mons albus, erhalten hat von „weißen steinen, so auff den äckern an manchen Orten so häuffig allda liegen, daß man kein erden sehen mag“.
Romantisch sind die Thäler der Donauniederung, welche tief in dieses Gebirge von der Südseite her einschneiden; hellgraue Felsen umragen die Ufer der vielfach geschlungenen Albflüsse; grüne Laubwaldungen und zahlreiche Ruinen alter Ritterburgen winken von ihren Rändern dem Wanderer entgegen. Da ist auch manches Wunder der Natur zu schauen, wie der berühmte Blautopf bei Blaubeuren, das merkwürdige Wasserbecken, aus dem der Blaufluß hervorfließt und in welchem die Wasser sich öfters so gewaltig heben und senken, daß, wie die Bevölkerung seit uralter Zeit zu sagen pflegt, der natürliche „Topf siedet“. Verlassen wir aber das schwäbische Unterland und steigen auf die Höhe der Alb, so begreifen wir bald, warum sie die „rauhe“ genannt wurde.
Die regelmäßigen Hügelzüge der Hochebene sind nur hier und dort von Waldungen bestanden, zwischen denen sich weite, mit gewürzhaften Pftanzen bewachsene, aber nicht sehr üppige Weiden hinziehen. Das Alpenvieh, welches in Heerden auf denselben graset, ist von Wuchs klein und unansehnlich. Ein Drittel des Gesammtbodens liegt unbebaut da; öde und verlassen erschien daher mit Recht die Alb allen ihren Besuchern. Aber sogar ein ungeübter Beobachter erkennt bald die Ursache dieser trostlosen Erscheinung. Es fehlt den Höhenzügen ein wichtiges Element, welches selbst der düsteren Landschaft des kahlen norwegischen Felsengebirges Leben verleiht: das aus den Spalten und Klüften der Berge hervorsprudelnde Wasser. Wohl ziehen sich Thaleinschnitte meilenweit durch die Alb, aber umsonst späht in denselben unser Auge nach einer rieselnden Quelle mit üppiger grüner Uferbekleidung. Selbst in den Dörfern erblicken wir kein laufendes Brunnenrohr, und dem durstigen Wanderer wird aus einer gemauerten Cisterne schmutziges Regenwasser zum Trunke dargereicht.
Diese auffallende Wasserarmuth der Landschaft wird nun nicht durch Mangel an atmosphärischen Niederschlägen, sondern durch eine eigentümliche Lagerung und Beschaffenheit der Gebirgsschichten bedingt. Auf der Alb regnet es sogar mehr als im Unterlande; aber die spärliche Ackerkrume, welche der Aelbler bebaut, liegt auf Kalk- und Dolomitfelsen, welche durch zahllose Klüfte und Spalten das Meteorwasser in die Tiefe versinken lassen. Schon an der Oberfläche des Bodens bemerkt man hier große, oft zehn Meter tiefe Einsenkungen, die sogenannten „Erdfälle“ oder „Trichter“, in denen kurz nach einem Regenguß mächtige Gebirgsbäche spurlos verschwinden. Erst am Süd- oder am Nordfuß der Alb ergießen sich die gesunkenen Wasser in größeren Quellen, um den Stromgebieten [613] der Donau oder des Rheines zuzueilen. Diesen inneren Zusammenhang zwischen den Trichtern auf der Höhe und den Quellen im Thalgrunde hat man schon frühzeitig erkannt, und die abenteuerliche Volkssage ließ wohl Enten und Gänse jene unserm Auge für immer entrückten geheimnißvollen Wege durchschwimmen oder Spreu, welche Bauern in die Trichter auf der Alb geworfen hatten, in dem Blautopf zu Tage treten.
Da nun unter diesen ungünstigen Bedingungen auf der Alb stets ein fühlbarer Wassermangel herrscht, so sah sich die Bevölkerung seit uralter Zeit genötigt, das Regenwasser vom Dache des Hauses und der Scheune in gemauerte Brunnen zu leiten und dasselbe aus diesen Cisternen für den täglichen Gebrauch mittelst Eimer zu schöpfen. Außerdem wurde an dem niedrigsten Orte des Dorfes eine Vertiefung gegraben und mit Letten nothdürftig ausgekleidet, in welcher sich das von den Anhöhen herabfließende Wasser ansammelte. Zu dieser „Hühle“ oder „Hülbe“ trieb man das Vieh im Sommer und Winter zur Tränke.
Doch wie war wohl diese mit Mühe gesammelte Flüssigkeit beschaffen!? „Wehe dem Fremden,“ lesen wir in der besagten Denkschrift des württembergischen Ministeriums, „den in einem der quellwasserarmen Dörfer das Bedürfniß nach Wasser anwandelt! Strohgelb bis kaffeebraun ist dessen Farbe; nur wer von Kindheit an sich an den Anblick des gefärbten Wassers gewöhnt hat, kann das Glas ohne Abscheu an die Lippen setzen oder wagt es, sich zu waschen. Ganz unsäglich vollends ist die Flüssigkeit, die in den Hühlen sich sammelt; eine grünbraune Jauche, verdient sie nicht mehr den Namen des Wassers.“
Oft jedoch ereignete es sich, daß sogar diese künstlich hergestellten Wasserbehälter in der trockenen Jahreszeit leer dastanden, und der Aelbler sah sich nun gezwungen, in das Thal niederzusteigen und von dort für seinen Haushalt und sein Vieh Wasser heraufzuholen. Es giebt Jahrgänge, in welchen diese Calamität Monate hindurch gedauert hat, während sie sich gewöhnlich doch wenigstens Wochen lang fühlbar macht. So kamen z. B. vom September 1865 bis zum Januar 1866 im Dorf Hütten täglich 190 Fuhren von der Alb herab, um dort an der Schmiech Wasser zu schöpfen, und im Sommer 1870 fuhren aus den Orten Justingen und Ingstetten Tag für Tag 15 bis 20 Fuhrwerke zum Wasser zu Thal. Von Leuten, die keine Pferde hatten, wurde ein Hectoliter Wasser mit 50 Pfennig bezahlt, und da in Justingen allein 1000 Stück Pferde und Rinder gehalten werden, von denen jedes täglich circa 40 Liter Wasser braucht, so belief sich der tägliche Aufwand zur alleinigen Tränkung des Viehs auf 170 Mark. Daß an Waschen, Putzen und Scheuern in solchen Zeiten gar nicht zu denken war und daß ein derartiger Wassermangel für den Gesundheitszustand der Bevölkerung und das Gedeihen der Viehheerden äußerst nachtheilig wirkte, brauchen wir kaum besonders hervorzuheben. Außerdem ist das Wasserfahren auf den abschüssigen Stegen hauptsächlich im Winter äußerst gefährlich, sodaß dabei oft Menschen und Thiere verunglücken.
Vergebens suchte man seit Jahrzehnten, um diesem Uebelstande abzuhelfen, auf der Alb Brunnen zu graben und Quellen aufzuschließen. Schon in der Tiefe von einem Meter stößt man hier meistens auf den Fels, welcher, einem durch tausend Sprünge und Klüfte gebildeten Siebe vergleichbar, kein Wasser birgt. Auch die Drainage der Felder und die Benutzung des Drainagewassers verboten sich von selbst, einerseits aus Rücksicht auf die Gesundheit, andererseits auf die Landwirthschaft; denn im Gegensatz zu dem Thalbewohner kann sich der Bauer auf der Alb seinen Boden nicht feucht genug wünschen, und er würde sich nie dazu verstehen, ihm die befruchtende Feuchtigkeit zu entziehen.
So blieb nur ein einziger Weg übrig, um dem Wassermangel abzuhelfen: man mußte versuchen, die in die Tiefe gesunkenen Wasser künstlich in die Höhe zu heben, die Quellen, welche am Fuße der Alb hervorsprudeln, in sinnreich angelegten Röhrennetzen wieder auf den Berg hinaufzuleiten. Aber die Lösung einer so großartigen Aufgabe konnte weder von Privaten noch von den wenig bevölkerten Gemeinden der Alb bewerkstelligt werden; es mußte vielmehr die württembergische Staatsregierung die Leitung derselben übernehmen, und es ist ihr auch, Dank dem lebhaften Interesse, welches sowohl König Karl wie der frühere Minister des Innern von Geßler und seit neun Jahren der jetzige Minister von Sick dem Werke entgegentrugen, gelungen, die wichtige Culturarbeit glücklich zu vollenden.
Schon gegen das Ende des Jahres 1866 wurde von dem ersten Staatstechniker für das öffentliche Wasserversorgungswesen Württembergs, Oberbaurath Dr. von Ehmann, die erste Idee zu einer rationellen Bewässerung der Alb kartographisch entworfen. Aber Jahre vergingen noch, bevor der erste Spatenstich gethan wurde; denn in Anbetracht der bedeutenden Höhen, auf welche die Thalwasser gefördert werden sollten, hielt man diesen Plan, der in der Geschichte der Wasserwerke einzig dasteht, für ein gewagtes Project.
Dazu kam, daß der conservative Sinn des Aelblers sich jeder Neuerung widersetzte und die Bauern vieler Ortschaften rundweg erklärten, es nicht besser haben zu wollen, als ehedem Väter und Großväter es gehabt. Den Hauptgrund des Widerstrebens der Bevölkerung bildete aber die Höhe der Kosten, welche die betreffenden Gemeinden tragen sollten und die als „rein unerschwinglich“ bezeichnet wurden. Da jedoch die Staatsregierung wohl voraussah, daß die rationelle Bewässerung dieses Landstrichs ein ökonomisches Aufblühen desselben herbeiführen würde, so beschloß sie, den Albgemeinden materielle Hülfe zu leisten, und erlangte auch von den Ständen die hierzu nöthige Zustimmung. Es wurden zu den Bau-Ausführungskosten des Alb-Wasserversorgungswerkes regelmäßige Staatsbeiträge bewilligt, und zwar im Betrage von je 25 Procent für die beiden Gruppen, die zuerst ausgeführt würden, und von 20 Procent der Gesammtkosten für jede folgende Gruppe. Auch hat die Regierung in anerkennenswerter Weise die Ausführung der technischen Vorarbeiten und die vollständige Bauleitung übernommen.
[614] Der leitende Gedanke des Regierungsplanes war aber, reines Quellwasser aus den tiefeinschneidenden Thälern mittelst kräftiger Pumpwerke und ausgedehnter gußeiserner Röhren auf die wasserlosen Höhen der raunhen Alb zu heben. Zu diesem Zwecke wurde das gesammte Gebiet in neun Gruppen abgeteilt, von denen eine jede ihrer geographischen Lage nach ein für die Wasserversorgung natürliches Ganzes bildete. Jede Gruppe erhielt zunächst eine Pumpstation im Thale, wobei zum Betrieb der Pumpmaschinen grundsätzlich nur Wasserkräfte der kleinen Albflüßchen, der Eyb, der Fils, der Blau, der Schmiech, der Aach und der Lauter benutzt wurden. Bei der Anlage dieser Stationen traf man jedoch vorsorglicher Weise die Einrichtung, im Nothfalle die Wasserkraft jeden Augenblick auch durch Dampfmaschinen ersetzen zu können. Die Leistungsfähigkeit der Werke wurde dabei so normirt, daß sie für den Tag und den Kopf der Bevölkerung gewöhnlich 75 Liter Wasser in die Höhe fördern, bei außerordentlichen Anlässen jedoch für den Kopf 120 bis 130 Liter in 24 Stunden zu liefern vermögen.
Von diesen Stationen aus wird nun das Wasser durch weite gußeiserne Röhren in große Reservoirs, welche auf den Anhöhen der Alb erbaut wurden, gepumpt. Von den Reservoirs dagegen führen gußeiserne Röhren zu den tiefer gelegenen Ortschaften, und durch diese Leitungen fließt das Wasser, dem natürlichen Gefälle folgend, wie in den gewöhnlichen städtischen Wasserleitungen, den menschlichen Ansiedlungen zu. Unsere Abbildung Nr. 3 (Seite 613) veranschaulicht uns die Anlage einer derartigen Leitung; sie stellt einen Theil des Längenprofils der Eybgruppe dar. Unten im Thale sehen wir die Pumpstation bei Eybach; die schwarzen Linien, welche sich von derselben nach rechts und links in die Höhe ziehen, veranschaulichen den Weg der gußeisernen Leitungen, welche in den Hochreservoirs münden und ihnen das Quellwasser des Thales zuführen. Von den Reservoirs dagegen sehen wir punktirte Linien zu den einzelnen Dörfern sich senken; dieselben stellen wieder eiserne Röhren vor, welche die Brunnen und Hydranten (Feuerhähne) der Ortschaften mit Wasser speisen. Welche Förderhöhen dabei überwunden werden müssen, ersehen wir an den fein punktirten Linien, die den Höhenabstand der höchsten Reservoirs bei Böhmenkirch und Stötten von dem Wasserspiegel der Pumpstation bezeichnen: er beträgt genau 282 Meter.
Das war also in allgemeinen Zügen der von der Regierung entworfene Plan der Wasserversorgung der Alb, gegen dessen Ausführung sich die Bevölkerung jahrelang wehrte. Erst als der Staatszuschuß bewilligt wurde, beschlossen die Gemeinden von Justingen, Ingstetten und Hausen, den Bau der 1. Section der Gruppe VIII des allgemeinen Planes in Angriff zu nehmen.
Der 11. Mai 1870, an welchem der erste Spatenstich zur Anlage der Wasserversorgung dieser Gemeinden unter Bauoberleitnug des Staatstechnikers Oberbaurath Dr. von Ehmann gethan wurde, wird wohl noch lange Jahre hindurch in der Erinnerung der dankbaren Aelbler fortleben; denn er bezeichnet für dieselben den Beginn einer neuen Epoche, den Anfang eines menschenwürdigeren Daseins. Von da ab lebten die wetterharten Schwaben der Alb in gar fieberhafter Aufregung; die Cultur schickte sich ja an, die wüste Alb zu erobern; mit ihren lauten Hammerschlägen, mit dem weithin vernehmbaren Stöhnen der arbeitenden Maschinen rüttelte sie die Bevötkerung auf aus dem langen, langen Schlafe. Jetzt begriff man in der stillen Zurückgezogenheit der Berge die Wohlthaten des Fortschritts und das Elend der von Vätern und Großvätern überkommenen Zustände; jetzt hieß es wohl in gutgemeintem Sinne: „Ja, Bauer, das ist was Anderes.“
Lassen wir jedoch über die große Umwälzung, welche die Ausführung der ersten Wasseranlagen auf der Alb hervorrief, die besagte Denkschrift selbst berichten:
„Mitten im Kriegsjahre wurden unter neuen Sorgen die Arbeiten mit äußerster Energie betrieben. Schon am 18. Februar 1871 bei fünfzehn Grad Kälte ergoß sich unter wahrem Festjubel der ganzen Bevölkerung erstmals das herrlichste Wasser aus einer Anzahl stattlicher Brunnen und Hydranten in Justingen, Ingstetten und Hausen, auf jeden Kopf der erstaunten Bevölkerung durchschnittlich siebenzig Liter des so lange auf ihren wasserlosen Höhen ersehnten Elementes weithin spendend. Obgleich in den Straßen und auf geeigneten Plätzen in genügender Zahl aufgestellte sogenannte ‚selbstschließende Ventilbrunnen‘ von einfacher, aber gefälliger und zweckmäßiger Form vorgesehen wurden und bequem zur Wasserentnahme dienen können, so begnügten sich die Bewohner der Gruppenorte doch keineswegs mit diesen öffentlichen Brunnen allein; es wurden vielmehr noch sogenannte ,Privatwasserleitungen‘, besondere Haushaltungsbrunnen, mittelst zahlreicher Abzweigungen von den Straßenröhrennetzen hergestellt. Die mit gutem und frischem Wasser jetzt so reichlich versorgte Bevölkerung wünschte ihre Hahnen auch in den eigenen Häusern, Küchen und in den Stallungen zu haben, um in den letzteren unmittelbar das zahlreiche Vieh zu tränken, statt wie früher in jeder Jahreszeit dasselbe an die schmutzige Hülbe treiben zu müssen. Ueberall, in alle größeren Wirthschaften, Hofräume, Brauereien, sogar bis in die Gemeinde-Armenhäuser ist das Wasser in den Albgruppen eingeleitet, an Bequemlichkeit und Zweckmäßigkeit die Wasserbezugseinrichtungen manches Stadtbewohners weit überbietend.
Schon dem Baue selbst wurde die gespannteste Aufmerksamkeit der Albbewohner und manches Wort des vermutlichen Gelingens oder Mißlingens gewidmet. Als aber dieses erste neue Werk einmal im besten und ungestörten Gange war, entstand eine Wallfahrt nach Theuringshofen zur Pumpstation, nach Justingen, Ingstetten und Hausen. ‚Voll Bewunderung für das geschaffene große Kunstwerk‘ kehrten die Albbewohner wieder in ihre Gemeinden zurück, von jetzt an wenig mehr befriedigt von den eigenen heimatlichen Cisternen, Hülben und ,den Wasserställen‘ für Dachwasser.“
Auf der Alb hauste früher in unbändiger Ausgelassenheit ein furchtbarer Feind, dem der Aelbler machtlos gegenüberstand. Wenn die rothe Feuersbrunst über den Strohdächern der Dorfhütten aufflackerte, dann war vom Löschen keine Rede; dann mußte man Hab und Gut dem zerstörenden Elemente wehrlos überlassen.
Nun geschah es, daß kurz nach der Vollendung der ersten Wasseranlage in dem Orte Justingen eine Feuersbrunst ausbrach, die sofort einen entschieden gefährlichen Charakter zeigte. Mittelst der in der Nähe befindlichen Hydranten konnte aber das Feuer in kürzester Frist gelöscht und das brennende Gebäude buchstäblich mit Wasser überschwemmt werden. Das wirkte überzeugend, und von da ab begann in den Albdörfern eine rührige Agitation für das Wasserversorgungswerk, bis der ursprüngliche Plan der Regierung in der glänzendsten Weise ausgeführt wurde.
Nun steht das große Culturwerk in seiner Vollendung da; es spendet das nöthigste aller Bedürfnisse, frisches fließendes Wasser, den 100 Ortschaften eines rund 1800 Quadratkilometer oder etwa 80 Quadratmeilen umfassenden Landestheiles und einer Bevölkerung von circa 40,000 Seelen. Ueber Berge und durch Thäler winden sich die gußeisernen Röhren in einer Gesammtlänge von 360 Kilometer, während sich von ihnen zahlreiche kleinere schmiedeeiserne Leitungen abzweigen, deren Länge etwa 140 Kilometer beträgt. Von den Höhen des steinernen Plateaus winken 62 schmucke Hochreservoirs und necken förmlich die sagenhaften Berggeister, welche das Regenwasser entführten, um die Alb unbewohnbar zu machen. In den Tiefen der Thäler arbeiten dagegen rastlos die 9 Pumpstationen, täglich 5 Millionen Liter Wasser bis zu einer Höhe von 310 Meter fördernd. Da lebt ja die felsige Alb in Wirklichkeit. Wir hören im Thale ein eisernes Herz schlagen; es treibt die belebende Flüssigkeit in eisernen Schlagadern in die Höhe; es läßt dieselbe zerfließen in tausend kleinen Haargefäßen, und dieses Blut der Alb rinnt ja ausgenützt durch die zahlreichen Spalten und Klüfte des Bergkörpers wieder in’s Thal hinab, um von Neuem den Kreislauf zu beginnen.
Aber unsägliche Mühe kostete es, ehe dieses stolze Friedenswerk des deutschen Geistes fertig dastand. Mancher Schweißtropfen rann über die sinnende Stirn des Gelehrten und über das sonnenverbrannte Antlitz des Arbeiters, bevor die lustig plätschernden Bäche und Flüßchen gezwungen wurden, die schwere Arbeit der Wasserförderung auf die Höhe zu übernehmen. Lassen wir uns einmal die Entstehungsgeschichte der auf unserem Bilde 2 veranschaulichten Pumpstation der Gruppe II im oberen Thale der Fils erzählen!
Zunächst wurde unmittelbar vor dem in reizender Umgebung gelegenen Stationshäuschen ein 3 Meter weiter Grundwasserschacht bis in die unteren reinen Kiesschichten des Thalgrundes abgeteuft, das reichlich demselben zufließende Quellwasser chemisch geprüft und als gutes Trinkwasser erkannt. Damit war eine ergiebige Quelle erschlossen, welche die Bedürfnisse von 10 Ortschaften mit einer Bevölkerung von 7720 Seelen vollauf befriedigen konnte.
Hierauf mußte der Lauf des jungen Filsflüßchens derartig geregelt werden, daß seine Strömung nunmehr im Stande wäre, [615] die Pumpmaschinen, deren Betriebskräfte 50 Pferdekräfte betragen, in Bewegung zu setzen. Zu diesem Zwecke wurde ein neues Nutzgefälle von 15 Meter geschaffen und das Filswasser in einem circa 0,9 Kilometer langen und 3 Meter weiten, offenen Betriebscanale, welchen unser Bild veranschaulicht, bis aus 85 Meter vor die Pumpstation geleitet. Hier endigt diese aus einem sehr schwierigen Terrain hochaufgeführte Canalanlage in einem massiven, völlig wasserdichten und wohl verschlossenen Sammelschachte, von dem sich das Betriebswasser in die große, zur Pumpstation herabführende geschlossene Röhre ergießt. Diese gewaltige eiserne Leitung, welche bei niedrigen Wasserständen die ganze Fils in sich aufnimmt, ist circa 90 Meter lang und hat eine Lichtweite von 1 Meter. Unter starker Neigung stürzt durch dieselbe das Filswasser zur Station hinab, um hier direct das Tangentialrad der Pumpmaschinerie mit voller Wucht zu treoffen. Da die Röhre vollständig frei zu Tage liegt, so wurden noch besondere Vorrichtungen getroffen, welche bei niedrigen Temperaturgraden das Einfrieren des Wassers verhüten und die sich bis jetzt vorzüglich bewährt haben. Die Fundirung des Pumpmaschinen- und Radhauses mußte meist unter dem Wasser vorgenommen werden; das nunmehr fertige, gefällige Backsteingebäude enthält außer den Werkstättenräumen noch ein Wohngelaß für Hülfswärter bei etwaigem Nachtdienste, während für den ersten Maschinenwärter ein besonderes, zweistöckiges Wärterhaus erbaut wurde.
In dem geräumigen Maschinensaale der Station arbeiten die mit zwei großen Druckwindkesseln versehenen vierfachen Pumpwerke unter dem normalen Drucke von 32 bis 33 Atmosphären und heben mittelst einer Druckröhrenfahrt das Quellwasser aus dem Schachte weit über den vom Thale sichtbaren Bergrand bis zu dem Hauptreservoir der Gruppe vor Westerheim in einer Höhe von 305 Meter.
Diese Pumpstation versorgt zur Zeit 6 Haupt- und Hülfsreservoirs mit 280 Hydranten und zusammen über 1500 Hauswasserleitungen nach den Wohngebäuden und Stallungen in den Gruppenorten.
Selbstverständlich ist die Anlage dieser Stationen nicht überall dieselbe; bei ihrem Ausbau mußte der Techniker vielmehr seinen Plan stets den von der Natur gegebenen Verhältnissen anpassen und fast in jedem Fall neue Hülfsmittel ersinnen. So ist z. B. bei der Pumpstation im Eybthale das Eybflüßchen durch die Errichtung eines massiv gebauten Wehres in ein neues Bett, das auf einem Schuttterrain mit unsäglicher Mühe hergestellt wurde, geleitet worden.
Bevor wir aber von den Werken scheiden, wollen wir noch einmal die Alb besteigen und das Innere eines der Hochreservoirs (vergl. Bild 1) in Augenschein nehmen.
Auf besonders hergestellten Betonlagern von durchschnittlich 40 Centimeter Stärke erheben sich die Umfassungswände der Behälter, aus großen Kalksteinen in Cementmörtel gebaut. Um eine vollständige Wasserdichtigkeit zu erzielen, sind dieselben nach innen mit Backsteinvermauerungen bekleidet, welche mit einem spiegelglatten harten Cementverputze gegen die Wasserseite hin abgeschlossen werden. Jedes größere Reservoir ist außerdem durch massive Mauern in zwei besondere, zusammen oder getrennt von einander zu benutzende wasserdichte Hälften geschieden.
Um aber bei etwaigen Störungen an den Pumpmaschinen, welche bis jetzt, wie wir besonders hervorheben, nirgends vorgekommen sind, die Albbevölkerung vor einer plötzlichen Wassersnoth zu bewahren, wurden in vorsorglicher Weise die Reservoirs so groß gebaut, daß der in ihnen vorhandene Wasservorrath, ohne frische Speisung aus dem Thale, die betreffenden Ortschaften je nach ihrer Lage acht bis zwanzig Tage reichlich mit Wasser versorgen kann. Schließlich hat man noch die Reservoirs mit Erdüberdeckungen versehen, wodurch das Wasser vor den Einflüssen der auf der Alb vielfach wechselnden Temperaturen bewahrt bleibt, im Winter niemals einfriert und im Sommer die erfrischende Kühle der Quellen beibehält.
Fragen wir nun nach den Baukosten des Gesammtwerkes, so erfahren wir nicht ohne Ueberraschung, daß der gesammte Aufwand rund 5,610,000 Mark beträgt, wovon etwa 4,335,000 Mark auf die Albgemeinden zur Bestreitung entfallen. Wie gering auch diese Summe an und für sich erscheinen mag, so ist sie dennoch für die wenig bevölkerten Gemeinden, welche sie aufbringen mußten, eine ziemlich bedeutende gewesen. Manche Gemeinden haben dadurch Lasten auf sich genommen, welche auf jeden Kopf die Summe von 200 Mark ergeben. Aber trotzdem stehen wahrlich diese Millionen in keinem Vergleich zu den segensreichen Wohltaten, welche das Werk mit sich bringt, und es ist das Verdienst des Staatstechnikers um so mehr anzuerkennen, weil er mit so geringen Mitteln durch weise Benutzung der ursprünglich schwachen Triebkräfte der Albflüßchen so Großartiges geleistet.
Schon heute erntet man die Früchte dieser Culturarbeit; überall sprießt aus der Alb neues Leben hervor; die früher spärlichen Viehheerden wachsen in ungeahnten Verhältnissen, und allmählich verschwinden auch die noch vor Kurzem so häufigen Krankheitserscheinungen unter Menschen und Thieren. Weite Strecken ehemals unbebauten Landes werden vom Pfluge durchfurcht; Gewerbe und Handel lassen sich in den nunmehr wasserreichen Ortschaften nieder, und mit ihnen hält die städtische Bildung ihren Einzug, während die vortrefflich organisirten Feuerwehren der verheerenden Feuersbrunst ein- für allemal Halt gebieten.
So haben die Schöpfer des Wasserversorgungswerkes der württembergischen Alb sich in friedlicher Arbeit einen unverwelkbaren Lorbeerkranz errungen, der ihnen nicht minder zur Ehre gereicht, als der auf den Schlachtfeldern errungene Siegeskranz. Sie haben ein Werk geschaffen, das bahnbrechend wirken wird und muß und als ein leuchtendes Vorbild dienen kann für Alle, welche unter ähnlichen Verhältnissen die Cultur eines ganzes Landes zu heben suchen.
- ↑ Anläßlich der Württembergischen Landesgewerbeausstellung zu Stuttgart 1881 hat das württembergische Ministerium des Inneren eine Denkschrift „Die öffentliche Wasserversorgung im Königreich Württemberg unter der Regierung Sr. Majestät des Königs Karl“ herausgegeben, auf welche wir diejenigen, welche das hochentwickelte Wasserversorgungswesen dieses deutschen Staates kennen lernen möchten, ganz besonders aufmerksam machen. Das Werk, auf welches sich die obigen Mittheilungen der Hauptsache nach stützen, ist mit zahlreichen lithographischen Tafeln, die nach den Entwürfen des Oberbaurath Dr. von Ehmann ausgeführt sind, in sehr anschaulicher und gefälliger Form ausgestattet, und auch unsere heutigen Abbildungen sind nach diesen Vorlagen auf Holz übertragen und für die „Gartenlaube“ geschnitten worden. D. Red.