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Titel: Die Ueberrumpelung von Stade
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 477–479
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Blätter und Blüthen
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[480] Die Ueberrumpelung von Stade. Von einem preußischen Marineofficier erhalten wir die folgende authentische und interessante Mittheilung, die auch nachträglich noch willkommen sein wird.

Eines der Ziele der Preußen war bekanntlich die Besetzung der Residenz Hannover und die Cernirung der hannoverschen Truppen; dabei durften jedoch keine feindlichen Streitkräfte im Rücken gelassen und die Festung Stade mußte zuvor genommen werden. General v. Manteuffel beschloß, sie zu überrumpeln, und am 16. wurde die Flottille mit einer Recognoscirung beauftragt. Nachmittags ging der zum Soutien bestimmte Arminius die Elbe hinunter über die Barre von Blankenese und legte sich bei der Lühe vor Anker, während das Kanonenboot Cyclop mit einbrechender Nacht Harburg verließ und mit voller Kraft stromabwärts dampfte. Ein feiner Regen schuf die nothwendige Dunkelheit und begünstigte eine unbemerkte Landung bei Brunshausen, dem durch eine Strandbatterie von acht Geschützen geschirmten Hafen von Stade. Diese Batterie sollte bei dem Coup womöglich unbrauchbar gemacht werden. An Bord herrschte natürlich eine freudige Aufregung; auf die umsichtigste Weise wurden alle Vorkehrungen getroffen, zwanzig der gewandtesten Matrosen ausgesucht und Niemand zweifelte am Gelingen. Da wurde auf einmal ein unangenehmer Strich durch die Rechnung gemacht! Ein heftiger Ruck erfolgte und der Cyclop saß auf dem Blankeneser Sande fest. Bei der Dunkelheit hatte der Lootse die Merkzeichen verwechselt und das Kanonenboot auf die Barre gesetzt. Es war Ebbe, die Uhr elf, vor Tagesanbruch an kein Flottwerden zu denken und Brunshausen noch drei Meilen entfernt. Einen Augenblick sah man sehr lange Gesichter, doch das Commando „Mannt den Kutter!“ heiterte Alles wieder auf. So schnell wie heute ist mit Ausnahme des Schreckensrufes „Mann über Bord“ selten ein Boot fertig gemacht worden. In zwei Minuten war er zu Wasser und „klar“ gemeldet. Unmittelbar danach schoß er von zehn Paar kräftigen Armen getrieben pfeilschnell, aber bei den vorsichtig bewickelten Rudern geräuschlos durch die Strömung.

Gegen zwölf Uhr tauchte ein niedriger langgestreckter Schiffsrumpf aus der Wasserfläche auf. „Boot ahoi!“ schallte es mit gedämpfter Stimme von ihm herüber. „Cyclop Kutter“ lautete die Antwort und alsbald lösten sich vom Arminius – das war jener gespenstige Rumpf – zwei dunkle Punkte, die bereits klar gemachten bewaffneten Kutter des Eisenschiffes ab. Einige kurze, halblaute Befehle, dann setzten sich die drei Fahrzeuge in eine Linie und nahmen das linke Elbufer. Gegen zwei Uhr kam der vor Brunshausen liegende Zollkutter in Sicht. Ein Boot des Arminius schor unbemerkt Briegseit und nahm ihn. Als die erschreckte Mannschaft durch die Luken an Deck kommen wollte, wurde sie von den Zündnadelbüchsen der Matrosen zurückgeworfen. Vier Mann blieben an Bord, die übrigen stießen eben so schnell und geräuschlos, wie sie gekommen, mit dem Kutter wieder ab. Jetzt schossen alle drei Boote an das Ufer unmittelbar unter der Batterie. Auf ein gegebenes Zeichen sprangen fünfzig Matrosen an Land, schwärmten aus und kletterten, Zündnadelbüchse oder Revolver fertig, von allen Seiten behende die Böschung hinan. Der linke Flügel nahm Posto auf der nach Stade führenden Straße, der rechte verschwand zwischen den Geschützen, das Centrum besetzte das Zollhaus, den Telegraphen und die übrigen Gebäude. Niemand sprach ein Wort, nur Schatten schienen sich auf dem Deiche zu bewegen. Plötzlich ertönten Hammerschläge durch die Stille der Nacht – die acht Geschütze wurden vernagelt.

Auf das Geräusch trat ein Zollbeamter, der seine einsame Runde ging, hinter den Häusern hervor: Er wurde sofort arretirt und über die Besatzungsverhältnisse von Stade befragt. Nach seinen Aussagen befanden sich fünfhundert Mann Infanterie und drei reitende Batterien in der Festung. Diese Aussagen stimmten mit denen anderer inzwischen geweckter Einwohner von Brunshausen überein. Der Zweck der Recognoscirung war damit erreicht und der Handstreich gelungen. Um halb drei, als der erste Tagesschimmer den Osten färbte, waren die Mannschaften wieder eingeschifft, der Zollkutter kreuzte unter preußischer Flagge die Elbe hinauf und Arminius dampfte nach Altona, bald gefolgt vom flottgewordenen Cyclop, der unterdessen der Batterie von Grauenort einen Besuch abgestattet, aber nur drei Lafetten ohne Geschützröhre gefunden hatte.

Auf den Abend des 17. wurde nun die Ueberrumpelung von Stade festgesetzt und das Bataillon des Oberstlieutenants von Kranach (achthundert Mann) vom Generallieutenant von Manteuffel dazu bestimmt. Vierzig Matrosen von der Loreley und dem Cyclop unter Capitän-Lieutenant Ratzeburg wurden den Soldaten beigegeben, um mit geeigneten Instrumenten die Thore zu sprengen. Es war ein kühner Gedanke, mit achthundert und vierzig Mann eine Festung zu überrumpeln, aber er wurde ausgeführt und gelang glänzend. Um zehn Uhr Abends wurden die Truppen in Harburg auf der Loreley, dem Cyclop und einem gemietheten Privatdampfer eingeschifft. Gegen ein Uhr erreichten sie Twickenfleth, eine halbe Stunde oberhalb Brunshausen, wo sich eine bequeme Anlegestelle befand. Nach zehn Minuten war das Bataillon aufmarschirt und in zwei Colonnen formirt. Alles geschah so geordnet, umsichtig und ruhig, daß kein Bewohner Twickenfleths etwas merkte. Der Nachtwächter war der einzige hannover’sche Zeuge der Ausschiffung, wurde jedoch unschädlich gemacht, ehe er Alarm zu geben vermochte. Die „affenartige Behendigkeit“ der Preußen zeigte sich bereits hier in glänzendem Lichte.

Stade hat zwei gemauerte und zwei eiserne Thore. Oberstlieutenant v. Kranach wollte die letzteren forciren; es handelte sich jedoch jetzt darum, die richtigen Wege aufzufinden, die Niemand von den Preußen kannte. Man weckte daher den Wirth des Gasthofes und ersuchte ihn auf höfliche Weise, als Führer zu dienen. Der so plötzlich aus süßem Schlummer Gestörte bedurfte keiner weiteren Ueberredung, als er die achthundert preußischen Bajonnete sah. Die Colonnen setzten sich nach dem dreiviertel Stunde entfernten Stade in Marsch, voran die Matrosen mit Brecheisen, Hammern etc., während Loreley und der Privatdampfer am Ufer fertig zur Aufnahme liegen blieben, der Cyclop aber klar zum Gefecht sich etwas weiter auf den Strom hinauslegte, um einen etwa nöthig werdenden Rückzug zu decken. Das Eindringen der Preußen in die Festung selbst ist mit allen seinen Einzelheiten schon so viel erzählt worden, daß wir hier nicht noch einmal darauf zurückkommen wollen.

Im Vergleich zu den glänzenden Waffenthaten der preußischen Armeen in Böhmen nimmt die Ueberrumpelung von Stade freilich nur eine unscheinbare Stelle ein, aber sie war das Resultat desselben muthigen Geistes, der thatkräftigen Energie, des einheitlichen Wollens und Vollführens, der das ganze Heer beseelt und jene wunderbaren Erfolge herbeiführte, welche die Welt kaum zu begreifen vermag. Sodann war es der erste kühne Handstreich in diesem Kriege, bei dem sich außerdem Landtruppen und Marine die Hand reichten, im edlen Wetteifer dahin strebend, ihrem Vaterlande Ruhm und Ehre zu verschaffen, und deshalb verdient er auch der Erwähnung und Anerkennung.