Die Tellerhäuser bei Wiesenthal (Ziehnert)
Die Tellerhäuser
bei
Wiesenthal.
[140] Die Tellerhäuser sind 3 kleine Güter zwischen Wiesenthal und Rittersgrün in einer wilden Gegend, von ungeheuern Wäldern und Bergen umgeben, und gehören zu keiner Commun. Die nacherzählte Sage fällt ohngefähr 1570.
Rosig stieg der Ostermorgen
aus dem Böhmerland herauf,
seinen milden Strahlen schlossen
sich des Bergvolks Herzen auf,
hallte wieder am Bardum,1)
und die fromme Christenmenge
sang des Auferstandnen Ruhm.
Nach dem kalten langen Winter
als des Lenzes erste Kunde,
heut den Ostersonnenstrahl.
Die beglückten Bergbewohner
wallten in das Gotteshaus,
ihrer frommen Herzen aus.
Nur der arme Häuer Teller
stimmt nicht in den Festeschor,
traurig mit gefalten Händen
In dem schmutz’gen Grubenkittel
wagt er weiter nicht zu gehn,
und sein Herz, zerknirscht vom Kummer,
kann die Freude nicht verstehn.
grenzenlos sein Misgeschick,
seit dem Weihnachtsfeste hatt’ er
keinen frohen Augenblick.
Denn sein Hüttchen war die Heimath
krank sein Weib am hitz’gen Fieber,
und drei Kinder ohne Brod!
Wehe, gegen wen das Unglück
mit der Bosheit schließt den Bund! –
immer rüstig und gesund;
wenn das Häuerglöckchen 2) tönte
fuhr er in den tiefen Schacht,
hatte schon so manches Lachter
Aber ach, der Herr der Grube
war ein geitz’ger, harter Mann,
häufte still der Berge Segen
in den Eisentruhen an,
für das arme Bergvolk her,
geitzte mit dem Häuerlohne
bald mit jeder Woche mehr.
Doch des Himmels Segen weilet
Bald, dem Geitzigen zur Strafe,
ließen alle Gänge 3) aus,
und auflässig 4) ward die Grube,
alle Häuer machen Schicht,
aber sie empfah’n ihn nicht.
Teller schied mit bittern Thränen
von dem bösen Grubenherrn.
„Was beginn’ ich? – Betteln? – Stehlen? –
Und mit christlich frommen Sinne
trug der Häuer seine Noth,
Alles mußte er verkaufen
um das liebe Bischen Brod.
in den Raum der Hütte drang,
und sein Weib in Fieberswehen
ächzend mit dem Tode rang,
als der unverständ’ge Kleine
und die beiden ältern Knaben
muthlos weinten, wie noch nie:
Ach, da stürzte Vater Teller
planlos in das Feld hinaus.
ihn zum nächsten Zechenhaus, 5)
Still und leer war Alles drinnen,
scheu trat er zum Schacht hinan –
Ruh’ verheißend, lockend gähnte
Und er will – da tönt herüber
von der Stadt der Glocken Ton,
wundersam ergriffen steht er,
blickt empor, und eilt davon.
zieht’s ihn unaufhaltsam hin:
traurig lehnt der arme Häuer
an dem Kirchenthore drin.
Endlich schwiegen die Gesänge,
auf der schön gezierten Kanzel,
himmelan den Blick gewandt,
und begann: „Mein Herz, vertraue
nur auf Gott und Jesum Christ,
dir zum Heil gegeben ist!“
Mächtig drangen seine Worte
in’s Gemüth der Hörer ein;
auch in Tellers Herzen senkte
Unbeweglich hing sein Auge
an des greisen Pfarrers Mund,
denn der Trost des Gotteswortes
war für ihn der schönste Fund.
durch das heil’ge Wort erquickt!
Und wie bebt er, tief ergriffen,
als er selber sich erblickt,
sich, gleich bei der Kanzel stehend,
auf der Schulter eine Stufe
blanken Silbers, lang und breit.
Die Gestalt zerfloß in Nebel;
Teller wendet seinen Blick
nur zu hoffen solches Glück.
Aber wie er sich auch mühet,
zu vergessen das Gesicht,
unverwandelt vor den Augen
Langsam geht er aus der Kirche,
durch das Gotteswort gestärkt,
sieh, da kommt ein Herr des Weges,
der mitleidig ihn bemerkt.
– ruft der liebe reiche Mann –
Warum ziehst du heut zum Feste
nicht die Feierkleider an?
Tellern thränen seine Augen,
„Lieber Herr, der Grubenkittel 7)
ist mein einzig letztes Kleid!“
Hast du Kinder? „Ja, drei Knaben!“
Und ihr leidet sicher Noth?
weiß mir keinen Bissen Brod!“
Und der Herr greift in die Tasche,
reicht ihm einen Thaler: Hier!
Nimm, und mag dir’s Segen bringen,
Spricht’s und geht. Der arme Häuer
stiert den blanken Thaler an:
„Lieber Gott, vergilt’s ihm reichlich,
was er jetzt an mir gethan!“
kauft er Brod und Milch zum Brei
und dem fieberkranken Weibe
auch ein Fläschchen Arzenei.
Freudig greifen seine Knaben
sie vergessen ihre Thränen,
alle Kümmerniß und Noth.
Teller heißt die Kinder beten
für den guten reichen Mann,
wie der Herr ihm wohlgethan;
aber von dem Lufgebilde
in der Kirche schweiget er,
weil für einen armen Häuer
Doch was er beginnt und schaffet,
immer bleibt ihm das Gesicht
unverändert vor den Augen,
wie ein Spuk, und weichet nicht,
tief im Traum bedünkt es ihn,
’s wolle ihn das Luftgebilde
zur aufläss’gen Grube zieh’n.
Und es wird ihm reg’ im Herzen:
Warum zieht mich’s so zur Grube? –
Ja, so ist’s! Ich weiß genung.“
Schon am andern Tage muthet 8)
er die Zeche, und erhält
für das wen’ge Muthungsgeld.
Freudig für die letzten Pfenn’ge
kauft er Brod und Grubenlicht,
und verfährt, als Herr der Grube,
Aber er, der einz’ge Häuer,
bringt gar langsam nur das Ort,
ob er gleich sich mächtig mühet,
in dem Quergesteine 9) fort.
kehrt er tiefbetrübt zurück,
mustert seinen kleinen Haushalt
mit der Sorge trübem Blick.
„Brod nur noch für wenig Tage!
Weh mir! – ruft er händeringend –
wenn mich das Gesicht betrog!“
Traurig greift er zum Gezähe
mit dem nächsten Morgenroth,
noch das letzte Haferbrod,
geht gedankenvoll zur Grube,
fährt mit wenig Hoffnung ein,
und ermüdet Arm und Fäustel 10)
Herber Hunger heißt ihn rasten,
und mit sorgenvollem Sinn
setzt er sich, sein Brod zu essen,
auf des Ortes Strosse 11) hin,
mit dem Licht und Brod heraus,
sieht’s wehmüthig an, und breitet’s
sinnend auf der Strosse aus.
„Wäre das die letzte Mahlzeit?
oder gieb mir und den Meinen
einen schnellen, gnäd’gen Tod!“
Und er griff zum Brod, und sahe,
wie aus einem Drusenloch 12)
lüstern nach dem Brode kroch.
Und er scheucht es nicht von dannen,
lächelt mild: „Du armes Thier,
bist so gut, wie ich, ein Häuer,
Freilich hab’ ich wenig, wenig,
und mir dräut der Hungertod;
aber Gott kann mir noch helfen:
da, nimm dieses Rindchen Brod!“
kriecht heißhungrig dreist heran,
und zerknappert flink das Rindchen,
und verzehrt’s mit scharfem Zahn.
Lächelnd sieht ihm zu der Häuer;
wohlzuthun die größte Freude,
da er’s so nur selten kann.
Doch kaum hat das graue Mäuschen
das geschenkte Brod verzehrt,
nach dem Licht daneben fährt.
Aber Teller sieht’s, und zürnet:
„Böses Thier, pfui, schäme dich,
hab’ dir deinen Theil gegeben,
Voll Verdruß faßt er das Fäustel
und erhebt es lauernd still,
als das Mäuschen, Unrath merkend,
in die Druse flüchten will.
heftig schlägt er nach der Maus,
und das Fäustel sprengt vom Flötze 13)
ein gewaltig Stück heraus.
„Großer Gott!“ Der arme Teller
starr, und tief den Oden schöpfend,
stand er da mit stierem Blick,
seiner Hand entsank das Fäustel,
betend blickt’ er himmelan;
brach vor seinen Augen an.
Nieder zog’s ihn auf die Kniee:
„Lieber Gott, dein Auge wacht
über uns, so wie zu Tage,
Gabst mir deiner Berge Segen,
gieb mir nun das Beste ein,
daß ich mag des neuen Stückes
und des Reichthums würdig seyn.“
zu den Seinen er zurück,
und erzählt dem kranken Weibe
allgemach sein seltnes Glück.
Mächtig wirkte seine Kunde,
neu erglühten ihre Augen,
ihre Wangen färbten sich.
Wenig Wochen drauf vermochte
schon zur Zeche sie zu geh’n,
ihrer Häuer anzuseh’n.
Die empfingen sie mit einem
ungeheuchelten Glückauf,
denn in Tellern ging dem Bergvolk
Täglich hob sich Tellers Reichthum,
bald war er im ganzen Land
als der reichste Eigenlöhner 14)
und der beste Herr bekannt.
nie des Reichthums große Pflicht,
in der Noth war er dem Bergvolk
stets ein tröstlich Grubenlicht. 15)
In der Wiesenthaler Kirche
der mit starker Hand und Schulter
nimmermüd’ ein Betchor stützt.
Das ist Teller. Heut noch steht er
in der Häuerkleidung da,
er sich selber stehen sah.
Einsam, fast drei Stunden Weges
abendwärts von Wiesenthal,
steh’n im Wald die Tellerhäuser,
Diese baute Vater Teller
seinen dreien Söhnen dort,
und der fromme Sinn des Gründers
erbte in den Häusern fort.
1) Bardum ist der böhmische Name des Keilberges, der bei Wiesenthal, dem Fichtelberge gegenüber, auf böhmischer Seite sich erhebt.
2) Das Häuerglöckchen giebt den Bergleuten das Zeichen, das erste Mal, sich auf den Weg zur Grube zu machen, das zweite Mal, bei der Grube zu seyn.
3) Gänge sind die wichtigste Art von erzhaltigen Lagerstätten.
4) auflässig ist eine Grube, wenn sie, gewöhnlich weil die Ausbeute die Kosten nicht deckt, nicht mehr bebaut wird. Der Besitzer der Grube zeigt es dem Bergamt an, nimmt das auf seine Kosten Angeschaffte wieder aus der Grube, das Bergamt kann nun das Bergwerk vergeben, und wer zum weitern Bebauen desselben Lust hat, sich beim Bergamt melden. 5) Das Zechenhaus, ein Gebäude, in oder bei dem sich der Schacht befindet, und wo die Bergleute vor dem Ein- und nach dem Ausfahren beten und singen, und ihr Gezäh (Werkzeug) bewahren.
6) Zum Häuerfesttagskleid gehört die grüne Mütze ohne Schirm, welche die Form eines hölzernen Mäßchen, und vorn eine große Cocarde in der Nationalfarbe hat; der Paradekittel, der sich von dem Grubenkittel nur durch die schwarze Farbe und die gelben oder weißen Metallknöpfe unterscheidet; der mit Spitzen besetzte weißzeugene Kragen, die weißleinenen bis zum Knie reichenden Beinkleider; die weißen Strümpfe und die sogenannten Kniebügel, d. i. halbrunde, 6 Zoll hohe, schwarz lackirte Stücken Kalbleder, die unterm Knie angeschnallt, über dasselbe heraufstehen; endlich die Bergparde, d. i. eine Art Helleparde mit 1¼, Elle langem Stiele.
[154] 7)
Der Grubenkittel ist das schmutzige Arbeitskleid der Bergleute.
8) Muthen heißt, bei dem Bergmeister um Erlaubniß zum Bebauen einer neu entdeckten Lagerstätte oder aufläss’gen Grube bitten, worauf der Muther für den Muthgroschen den Muthzettel (die schriftliche Erlaubniß alsbald zu bauen) erhält.
9) Quergestein, das Gestein, welches quer zwischen den Gängen geht.
10) Fäustel, ein Hammer, mit dem der Bergmann das Eisen (Meisel) in das Gestein treibt.
11) Eine Strosse ist das in der Sohle (dem Boden einer Strecke oder eines Stolln) hervorstehende Gestein.
12) Drusen sind lochförmige Spalten im Gestein.
13) Flötze, eine horizontale Lage von Erd- oder Steinmassen, welche sich von der Bergart unterscheidet.
14) Eigenlöhner sind diejenigen, welche auf eigne Kosten, oder in Gesellschaft mit Andern, die nicht über drei seyn dürfen, eine Grube bebauen.
15) Grubenlicht, ein Licht, das in der Grubenblende (einer kleinen hölzernen, nur auf einer Seite offnen Laterne) steckt, welche mit dem an der hintern Seite befindlichen Haken in ein Knopfloch des Grubenkittels gehängt wird. Es ist dem Bergmann die einzige Leuchte in den gefährlichen Finsternissen der Teufe.