Textdaten
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Autor: W. v. W.
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Titel: Die Radblumen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 432
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[432] Die Radblumen.[1] Geht man an einem staubigen Tage, wo die Straße nicht gerade vom Regen naß, über einen wohlgepflegten Heerweg, so hat man nicht blos Blumen rechts und links auf den Aeckern und Wiesen zu betrachten, man kann deren sogar gerade vor sich, mitten auf dem Wege und zwar in den Fahrgleisen wahrnehmen, welche sich der Straße eingedrückt haben.

Radblume

Es sind dieses Gebilde von Staub, welche sich in ihrer Entstehung zwar himmelweit von denen unterscheiden, welche der Frost an die Scheiben der Fenster zu hauchen pflegt, welche aber an Gestalt denselben nicht ganz unähnlich scheinen. Da sich diese Blumen beinahe auf jeder Straße finden, so ist es auffallend, daß sie so wenig bekannt geworden. Ich entsinne mich wenigstens nicht, daß ich je einen Gelehrten über sie reden gehört, daß ich sie irgend in einer Schrift erwähnt gesehen. Wahrscheinlich erscheinen dieselben erst seit der Einführung der breiten Räder, welche die tiefen Fahrgleise von den Straßen verwischten, eine ebenere Bahn ermöglichten. Dieses ist aber auch schon geraume Zeit her, so daß sie wohl hätten beobachtet werden können, wenn die Menschen leicht das sähen, was gerade vor ihren Füßen liegt. Bei ruhigem Wetter, wenn der Wind nicht mit Gewalt die Straße überfegt, findet man nämlich in den Spuren der breiteren Wagenräder, die von der Last des Wagens hüsch fest und glatt geworden, mitten innen immerhin noch losen, nicht fest gedrückten Staub, der dadurch, daß er lose aufgeschichtet ist, sich in der Farbe dunkler von dem glattgedrückten abhebt.

Wo der Boden felsig oder moorig ist, wird sich der Staub nicht wohl bilden können, auf anderem Grunde sind aber Steine und Erde bald in Mitten der Straße durch die Räder so zermalmt, daß der feinste Staub zu den genannten Gebilden selten ermangelt. Mitten in der Radspur ist ein von diesem losen Staube gebildeter erhabener Strich bemerkbar, welcher, wenn man ihn genau in’s Auge faßt, nie ganz gerade die Mitte hält, sondern sich stets in Schlangenwindung, wenn auch nur wenig Linien wechselnd, bald nach der einen, bald nach der anderen Seite zieht. Von diesem erhabenen Striche laufen beiderseits mit großer Regelmäßigkeit längere und kürzere Staubstriche in sanften Schwingungen aus und bilden so die Blume oder die Verzierung, die, wie gesagt, den Eisblumen der Fensterscheiben oder einigen Algen (Meerpflanzen), in ihren Schwingungen gleich kommen. Vorstehende Tafel dürfte sie dem Leser, welcher noch nicht auf sie aufmerksam gewesen, zur Anschauung bringen. – Zu bemerken ist noch, daß in dieser Zeichnung die Striche und Aeste der Pflanze stets so fallen, als ob sie vom Rade aus rückwärts gewachsen seien. Aus ihnen kann daher ein Beobachter die Spur ermitteln und mit Zuversicht sagen, welchen Weg der bereits aus dem Auge verschwundene Wagen, der sie gebildet, eingeschlagen hat, selbst wenn die Hufspur unkenntlich geworden wäre.

Die Entstehungsursache der schönen Zeichnung dürfte nicht schwer zu finden sein. Von dem Winde und dem Luftdrucke kann sie nicht herrühren, weil sie bei jeder Richtung des Windes stets dieselbe bleibt, stets in gewöhnlicher Gestalt, mit oder gegen die Zugluft in dem Gleise anschießt. Es bleibt demnächst keine andere Ursache übrig, als die Erschütterung der Straße durch die Räder. Daß diese wirklich stattfindet, wird Niemand leugnen, welcher je an einer befahrenen Straße gewohnt hat. Wie schwer aber nun auch der Weg unter der Last gedrückt wird, das ganze Geleise kommt dadurch nicht in Schwingung, sondern nur einzelne Theile desselben, und diese schwingenden Theile werfen den losen Staub den ruhenden Theilen zu, bilden somit die Klangfigur. In tonkundiger Weise dürfen wir zwar hier nicht von Klängen sprechen, die Erschütterung bleibt aber immerhin dem Tone entsprechend, nur daß sie dem menschlichen Ohr nicht mehr die erforderlichen Bedingungen bietet, nicht mehr musikalischer Ton genannt zu werden pflegt. Die Mitte des Gleises, welche den schwersten Druck zu tragen hat, ist daher auch vor allen anderen Theilen ruhend. Wenn der Wagen durch eine stetige Kraft in gerader Richtung fortbewegt würde, müßte diese Linie und mithin der Strich der Mitte gerade ausfallen, da aber das Pferd oder die Pferde, wie gerade sie gehen mögen, in verschiedenen Augenblicken ziehen, unter dem Ziehen sich schreitend bewegen, so erhält der Wagen und mit demselben das Rad einen, wenn auch noch so gelinden Druck abwechselnd nach der einen, dann nach der andern Seite dergestalt, daß der Druck und mithin die ruhende Stelle immer, wenn auch nur in dem Spielraume weniger Linien, wechselt.

Wir haben oben gesagt, daß diese Gebilde bei trocknem, staubigem Wetter entstehen. Wie leicht begreiflich ist, darf bei diesem trocknen Wetter der Wind nicht zu arg spielen, weil derselbe sonst zu rasch die Zeichnungen des erderschülternden Rades verwischen würde. Sobald der Staub aber durch Regen genetzt wird, die Straße dadurch ein schlammiges Ansehen gewinnt, ist die Bildung äußerst erschwert. Ganz unmöglich ist sie aber doch nicht. Ich glaube wenigstens im Schlamme bemerkt zu haben, daß dieser sich hin und wieder in derselben Weise in der Mitte des Fahrgleises, wenn auch weniger zierlich, ansetzte. Da er aber zu diesem Ende einen bestimmten Grad von Flüssigkeit haben muß, um den Erschütterungen folgen zu können, und wieder so zähe sein muß, daß er die einmal angenommene Form, wenn sie gegeben ist, beibehält, so bleibt diese Art von Gebilden schwerer zu beobachten. Die trockenen Klangfiguren des Heerweges werden dagegen an schönen Sommertagen den Lesern dieser Blätter wohl erreichbar sein, sie bei der Langeweile einer staubigen Straße einigermaßen beschäftigen können. Durch diese Erscheinung gewinnen sie die Ueberzeugung, daß die Kräfte der Natur aus dem kleinsten Staube in jedem Augenblicke Zier- und Schönheit entwickeln können.
W. v. W. 
  1. Wir erlauben uns hier das Wort in dem Sinne zu brauchen, wie man auch von Eisblumen spricht. Blume ist hier nicht gleichbedeutend mit Blüthe, sondern soll nur die entfernt pflanzenähnliche Bildung andeuten.