Die Prachtruine der Karmeliter in Burgos
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Längst schon in Trimmer und Schutt verfielen die Hallen des Tempels;
Aber die Pforte noch steht, Wunderwerk heiliger Kunst.
Hohe Apostelgestalten umstrahlet der Nimbus und über
Betende strecken die Hand segenausspendend sie hin.
Aber vor allen bezaubert die himmlische Jungfrau,
Mutter des Heilands, voll Huld, rein auch und heilig wie er.
Wir haben schon früher die herrlichsten Werke gothischer Baukunst in der Stadt des Cid betrachtet. Blos das Schönste sahen wir noch nicht – die Ruine der Karmeliter. Nichts ist von diesem Wunderwerke noch übrig, als ein Thorgewölbe und das niedrige Gemäuer eines Kreuzgangs, der die eingesunkenen Gräber und Grabsteine des Klosterkirchhofs umschließt. Ein Gnadenbild der heil. Jungfrau machte einst dieß Kloster durch die ganze Christenheit berühmt. Wer in diese Zeit zurück sich denkt, im Geiste vor sich hinwandeln sieht die Tausende der Ablaßholenden; wie sie voller Demuth und Hoffnung eintreten durch die hohe Pforte, ihre Sündenlast und ihre Leiden niederzulegen am Altare der Gebenedeiten; wie sie dann heraustreten, heitern Angesichts, Seligkeit im Blicke, rein von Makeln und frei vom Wehe an Seele und Körper; oder wer im Geiste die Leichenzüge an sich vorüber schleichen sieht zum stillen Friedhof, das Kreuz voran und der hostientragende Priester, dann die verhüllten Särge und der Leidtragenden lange schwankende Reihe, begleitet von dumpfen Tönen der Glocken: – und er dann plötzlich aus dem Traume der Vergangenheit erwacht und die Gegenwart vergleicht, der wird eines Schauders sich nicht erwehren können, findet er alles so still, öde und todt um sich her, sieht er wildes Gesträuch aus den Mauern sprossen, Eulen horsten unter den Tabernakeln der Apostel, und junge Schwalben im Schooße der Mutter Gottes. Doch nur eines Gedankens braucht es, um ihn zu versöhnen, und den scheinbaren Widerspruch zwischen Aufbauen und Zerstören, Leben und Tod beruhigend und tröstend aufzulösen.
Die Bauzeit des Karmeliterklosters zu Burgos gehört jener Periode an, in welcher sich der gothische Styl schon entfaltet hatte, ohne noch alle Spuren des ältern byzantinischen zu verwischen. Nichts kann reicher seyn, [93] als die Dekorationen dieser Pforte; nichts grandioser, als ihre statuarische Ausschmückung mit den Bildsäulen der Kirchenfürsten; nichts graziöser und inniger, als das Bild der heil. Jungfrau. Letzteres steht in einer tiefen, kunstreich verzierten Nische auf einer Säule unter einem Tabernakel, der zugleich schützt und verhüllt. Anmuthig faßt sie mit der einen Hand ihr Gewand, und, die andere auf den Busen gelegt, neigt sie sich vorwärts, als sey sie im Begriffe, ihre Verehrer zu segnen. Himmlische Schönheit ruht auf ihrem verklärten Antlitz. – Die Vortrefflichkeit dieser Skulpturen gab vor einigen Jahren Engländern Anlaß, den Schutt aufzugraben, um nach mehr Bildwerken zu suchen. Im Begriff, eben eine reiche Beute wegzuführen, nöthigte sie die geistliche Oberbehörde, Alles wieder an Ort und Stelle zu bringen, und nachdem es Priester von neuem geweiht hatten, begrub es das Volk unter feierlichem Gesange wieder in den Schutt.