Die Parler und ihre Beziehungen zu Gmünd, Reutlingen und Ulm
[377] Die Parler und ihre Beziehungen zu Gmünd, Reutlingen und Ulm.
Von Max Bach.
Durch den Aufsatz von Dehio im letzten Jahrgang des Repertoriums ist die Parlerfrage wieder in ein neues Licht gesetzt worden, und es dürfte wohl am Platze sein, an dieser Stelle darauf zurückzukommen, umsomehr als gerade bei uns in Württemberg durch die Studien Klemm’s und anderer schwäbischer Forscher, manches Neue erforscht, was bis jetzt mit den Forschungen Neuwirth’s und Grueber’s, noch nicht in Zusammenhang gebracht und weiter verwerthet worden ist. Zunächst sei gestattet, nochmals über die Prager Inschrift kurz zu referiren, da über sie noch keineswegs unter den Kunstgelehrten eine Gleichheit der Meinungen erzielt worden ist. Die erste Schwierigkeit besteht in dem Wort „Arler“, wie man früher las und wie es auch thatsächlich heisst. Nun haben aber die eingehenden Untersuchungen Grueber’s und Neuwirth’s ergeben, dass erstens zwischen dem Worte „henrici“ und dem folgenden „arleri“ ein merklicher Zwischenraum ist, sodass genügend Platz für den Buchstaben P vorhanden ist. Zweitens ist festgestellt, dass der Sohn Heinrich’s I Peter nicht weniger als 38 mal in Prager Urkunden als „Parlerius“ oder tschechisirt Parlerz und deutsch Parler genannt wird, ferner sein Bruder Johann 3 mal, und Michel als „lapicida dictus parler“ ausdrücklich bezeichnet wird. Das Bedenkliche der Annahme, dass Meister Heinrich, weil er früher Polier in Köln war, diesen Namen auch noch als Meister geführt habe, wird durch die Thatsache widerlegt, dass der 1321 in Köln genannte „magister Arnoldus lapicida dictus poleyr“ beide Bezeichnungen offenbar unbedenklich nebeneinander führte, ebenso in Nürnberg der Baumeister des schönen Brunnens Meister Heinrich der Palier oder Parlierer genannt ist, wofür noch andere Beispiele anzuführen wären. Man wird also unbedenklich die Form „Parler“1) festhalten dürfen [378] ohne dass damit gesagt sein soll oder je behauptet wurde, Heinrich, der Vater des Dombaumeisters Peter, habe selbst diesen Namen als Familiennamen geführt; seine Söhne wurden einfach zum Unterschied von andern gleichnamigen Bürgern als Nachkommen des Parler’s bezeichnet, die Stellung in welcher der Vater thätig war, wurde somit die Grundlage für Bildung des Familiennamens. Hat der Dombaudirector Wenzel von Radetz (1370–1409), welcher ohne Zweifel die Inschriften am Triforium verfasst hat, dem Worte „henrici“ das „parleri“ folgen lassen, so wollte er damit eine, dem „magistri“ parallele, anderweitige Thätigkeit des Meisters kennzeichnen. Es war ihm das, ein aus seiner Berufsthätigkeit als administrativer Bauleiter, vollkommen bekannter Begriff; denn alle Dombaurechnungen um 1372 bis 1378 rechnen in genau derselben Weise wie mit dem magister operis. Der Palier war in Prag ebenso wie in Köln der zweite Baumeister und zugleich der Stellvertreter des magister operis. Die zweite für die Parlerfrage bestehende Schwierigkeit liegt in den Worten der Triforiumsinschrift „de polonia“. Wären dieselben in ihrem Bestande unversehrt und über jeden Zweifel erhaben, so würde, da an Polen und Bologna nicht zu denken ist, nur Boulogne in Betracht kommen. Aber es ist zu beachten, dass Bologna und Boulogne, nahezu ausschliesslich in der Form „Bononia“2) in mittelalterlichen Urkunden vorkommt und man gewiss, zur näheren Bezeichnung der in Prag wohl kaum bekannten Stadt, das Land, in dem es liegt, hinzugesetzt haben würde, ähnlich wie bei der Inschrift unter der Büste des Matthias von Arras, wo es heisst: „civitate francie“, und bei Gmünd: „in suevia“. Ausserdem kennen wir keine Gründe, geschichtlicher und baukritischer Art, welche an eine Verbindung der Baumeisterfamilie mit Boulogne denken lässt. Dass aber bei Zulässigkeit von „colonia“ nicht an das böhmische Kolin, als Heimath der Familie, sondern an das weithin bekannte, für die Gothik in Deutschland so hochwichtige Köln am Rhein gedacht werden muss, liegt auf der Hand. Gurlitt3) behauptet zwar, im Hinblick auf das am Schlusse der Baumeisterinschrift in Prag stehende „colonya circa albiam“ (Kolin an der Elbe) müsse man annehmen, dass unter colonia und colonya wohl ein und dieselbe Stadt zu verstehen sei, das ist aber ganz unwahrscheinlich, denn man kennt weder von Meister Heinrich noch von seinen Söhnen irgend welche Familienbeziehungen zu Kolin, während uns von Köln ganz bestimmte urkundliche Nachrichten vorliegen, dass sowohl Meister Peter, als auch sein Bruder Heinrich Kölnerinnen heiratheten und eine Tochter gleichfalls mit einem Kölner Steinmetzen sich verehelichte. Weiter kommt noch in Betracht, dass eine genaue Untersuchung der Schrift ergab, dass gerade das Wort „polonia“ besonders deutlich [379] hervortritt und offenbar nachgemalt ist, während die übrige Schrift noch unberührt zu sein scheint. Lassen wir jetzt die Inschrift bei Seite und fragen wir mit Dehio: wo hat Heinrich I. seine Bildung genossen und was ist aus dem einzigen uns bekannt gewordenen Baudenkmal, das er geschaffen, nämlich der Heiligkreuzkirche in Gmünd, zu entnehmen, bezüglich der Herkunft seines Stils? Die Heiligkreuzkirche ist eine Hallenkirche, dieser Hallenbau ist aber eine französische Erfindung und kommt in Schwaben bei dieser Kirche erstmals vor. Betrachtet man aber die Grundrissanlage näher, so bemerkt man Besonderheiten, die auf die Disposition der Cisterzienserkirchen, nach Clairvaux weisen. Diese Kirche hat einen halbkreisförmig angelegten Chor mit strahlenförmig gestelltem Kapellenkranz, d. h. die Strebepfeiler sind nach innen gezogen und bilden Kapellen, ähnlich wie in Gmünd. Nun hat man schon früher4) erkannt, dass der Grundriss des Chors in Zwettl demjenigen von Gmünd analog ist, d. h. es tritt in Deutschland5) die Modification auf, dass der Umgang nicht mehr streng concentrisch angelegt ist, sondern nach einem Polygon von grösserer Seitenzahl als dem des inneren Chors. Die ersten Vertreter der französischen Bauweise in Böhmen waren aber die Cisterzienserkirchen in Sedletz bei Kuttenberg und Königssaal südlich von Prag. Jene ist eine fünfschiffige basilikale Anlage mit ausladendem, dreischiffigem Querhaus, doppeltem Umgang um den 5/8 Chor und einem aus 9 Absiden bestehenden Kapellenkranz (1280–1320). Die andere, jetzt zerstört, hatte ebenfalls eine mit 9 Chorkapellen ausgestattete Anlage. All’ diese Cisterzienserkirchen Oesterreichs sind zweifelsohne durch ihre Beziehungen zur Mutterkirche in Clairvaux von der französischen Baukunst inspirirt, wenn nicht gar theilweise von französischen Baumeistern ausgeführt. Man darf aber daraus nicht, wie Dehio thut, den Schluss ziehen, Heinrich Parler I habe, bevor er in Gmünd baute, in Oesterreich gearbeitet. Bevor wir die Ansichten der verschiedenen Forscher näher in’s Auge fassen, müssen wir uns vergegenwärtigen, auf welche Weise die Gothik nach Deutschland eingedrungen ist.6) Es kann auf zweierlei Weise geschehen sein – entweder sind französische Baumeister und Bildhauer nach Deutschland geholt worden, oder deutsche Baumeister hatten in Frankreich gelernt und brachten die neue Kunst nach Haus. Das letztere dürfte wohl meistens der Fall gewesen sein. Die Kölner Dombauhütte hat sich ganz auf dem Boden der französischen[1] Gothik entwickelt und ein [380] daselbst herangebildeter Architekt konnte die französischen[2] Ideen, ohne in Frankreich selbst studirt zu haben, fortsetzen und im deutschen Geist umbilden. Es ist eine bekannte Thatsache, dass die deutsch-frühgothischen Bauten in ihrer Stilrichtung 20–30 Jahre hinter den gleichzeitigen Frankreich’s zurückstehen; das beweist, dass junge Leute, welche nach Frankreich gezogen waren, nachdem sie in die Heimath zurückgekehrt, den Stil erst geraume Zeit später, nachdem sie eine selbständige Stellung erlangt hatten, anwenden konnten. Es ist undenkbar, dass ein Franzose aus Boulogne, wenn er nach Deutschland kommt, plötzlich ganz in deutschem Sinn entwirft und zeichnet, so wenig als heut zu Tage die Angehörigen verschiedener Nationen, wenn sie in ein anderes Land kommen, ihre Nationalität verleugnen können. Also an einen Meister aus Boulogne ist nicht entfernt zu denken. Die Detailausbildung der Gmünder Kirche, ihr Decorationssystem ist ganz deutsch und kann nur von einem[3] Deutschen entworfen sein. Auch das, was Gurlitt7) über die Einführung französischen Baustils in Böhmen und über die Richtung Heinrich’s I sagt, ist, wie Neuwirth und Hasack nachweisen, ungenau und nicht begründet. So soll z. B. Heinrich in Gmünd den südfranzösischen Grundrissgedanken mit nordfranzösischen Formen vereinigt haben. Dem Languedoc soll das Zusammenfassen des Kapellenkranzes zu einer geschlossenen Linie und Gliederung dieser durch bescheidene Lisenen angehören u. s. w. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal das System der Heiligenkreuzkirche. Es ist ein dreischiffiger Hallenbau mit Chorumgang und eingezogenem niederen Kapellenkranz; der hohe Chor im Innern, aus der Hälfte des Sechsecks construirt, wird im Umgang mittelst eingeschalteter Dreiecke in sieben Seiten des Zwölfecks umgeleitet, ein in Süddeutschland nicht seltener Chorschluss, welcher auch an beiden Hauptkirchen zu Nürnberg (Sebalduskirche 1361–1377, Lorenzkirche 1339–1377), ferner an der Frauenkirche zu Ingolstadt und gleichfalls noch aus der Mitte des XIV. Jahrhunderts an der Frauenkirche in Bamberg8) vorkommt. Zweiundzwanzig Rundsäulen, elf auf jeder Seite, tragen die Gewölbe, welche aber nicht mehr die ursprünglichen sind, sondern einer späteren Restauration angehören. Zwischen dem Chor und Langhaus stehen zwei merkwürdige Doppelsäulen einander gegenüber, welche den Triumphbogen tragen. Dieser musste hier angeordnet werden, weil die Wölbungen der Seitenschiffe im Langhaus tiefer herabgedrückt sind als die im Chor. An dieser Linie standen die eingestürzten Thürme, deren Fundamente bei den Restaurationen 1858 und 1887 aufgefunden wurden. Sie trugen unverkennbare Spuren romanischen Charakters, können also nicht auf eine einheitliche Anlage der Kirche im XIV. Jahrhundert zurückgeführt werden. Ausserdem fand man im Jahre 1887 ff. [381] noch die Grundmauern von drei romanischen Absiden, sodass gar kein Zweifel darüber herrschen kann, dass an Stelle des gothischen Baues eine romanische Kirche stand. Der alte Chor nebst den Thürmen muss noch gestanden sein, als das Langhaus in der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts neu erbaut wurde. Wir haben noch urkundliche Belege, dass schon in den Jahren 1326 und 1327 Altäre in der Kirche bestanden und der Bischof Heinrich III von Schöneck im Jahre 1368 in der Kirche begraben wurde, also erst 17 Jahre nach der Grundsteinlegung des Chors. Auch in stilistischer Beziehung verrathen die verschiedenen Baudetails des Schiffes und besonders der Westfaçade eine frühere Bauzeit als die des Chors.9) Auch Grueber hat das schon früher beobachtet und glaubt sogar an eine Inspiration gleichzeitiger lombardischer Bauwerke. Ganz abgesehen davon ist man aber genöthigt, wenn man Peter Parler ca. 1330 in Gmünd geboren sein lässt, anzunehmen, dass dessen Vater nicht erst 1351 nach Gmünd berufen wurde, in welchem Jahre bekanntlich die Grundsteinlegung des Chors, laut Inschrift erfolgte. Dass Heinrich Parler wirklich den Bau leitete, ist durch eine neu gefundene Urkunde bestätigt, welche den Namen Heinrich (magister Hainricus architector ecclesie) nennt. Dass er in der Kirche begraben lag, geht aus dem betreffenden Eintrag des Anniversariums gleichfalls hervor. Nun hat man aber auch am Giebel der Westfaçade Steinmetzzeichen10) gefunden, welche mit dem bekannten Parlerzeichen übereinstimmen. Fraglich ist freilich, ob diese Zeichen einem Meister angehören, denn sie finden sich auf gewöhnlichen Quadern eingehauen, wie alle sonst an der Kirche vorkommenden Gesellenzeichen. Es ist in neuerer Zeit besonders betont worden,11) dass die alten Baumeister nicht zugleich Steinmetzen gewesen sein können oder als solche gelernt haben. In Ausnahmefällen kann ja das dann und wann vorgekommen sein, wie noch heutzutage, aber in der Regel war das nicht der Fall. Die Meister mussten sich so viele theoretische Kenntnisse aneignen, die man auf dem Werkplatz nicht lernen konnte, sondern nur auf Schulen oder auf den Bureaus grösserer Bauunternehmungen. Die Gmünder Zeichen sind demnach keineswegs als Meisterzeichen, sondern als die Zeichen eines Steinmetzen, unter welchen man vielleicht den Sohn Heinrich’s I, Peter, vermuthen kann, aufzufassen. Es sind also nach Dehio, alle drei an der Gmünder Heiligkreuzkirche neu erscheinende, aus der schwäbischen Entwicklung nicht erklärbare Hauptmotive – das innere System, die Choranlage, die Stellung der Thürme – an österreichischen, wenig älteren Bauten vorgebildet und kommen in dieser Verbindung sonst nirgends vor. Dehio zieht daraus [382] den Schluss, dass der Erbauer der Gmünder Kirche vorher in Oesterreich gearbeitet haben müsse. Wir müssen diese Annahme entschieden bezweifeln. Einmal was das Hallenmotiv anbelangt, so ist das in Schwaben und Franken durchaus nichts Neues. Schon 1336 wird die Stiftskirche in Herrenberg gegründet und zu Bamberg ungefähr zu derselben Zeit oder vielleicht noch etwas früher die Marienkirche; hier ist der Chor ganz ähnlich wie in Gmünd mit einem Kapellenkranz umzogen, der durch die nach innen gezogenen Streben gebildet wird; ebenso ist der Umgang ganz analog dem zu Zwetl, nicht mehr streng conzentrisch wie in Clairvaux sondern polygonal um den in 5/8 geschlossenen Chor. Beachtet man ferner, dass Zwetl erst 1343 begonnen, so ist kaum möglich, dass Heinrich Parler dort gearbeitet hat, oder zu dieser Zeit in Oesterreich schon gereist ist, denn aus dem Vorhergehenden ist ersichtlich, dass derselbe damals in Gmünd schon ansässig gewesen sein muss. Wie steht es aber nun mit den von Klemm, Paulus und Gradmann vermutheten Beziehungen der Parler zu der Marienkirche in Reutlingen? Diese Kirche, in der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts erbaut, gehört zu den schönsten gothischen Bauten Schwabens. Die Schauseite mit einem Thurm hat hier eine Ausbildung erfahren, wie nirgends zuvor und kaum irgendwo nachher, und hat ihresgleichen nur an den grössten Leistungen der gothischen Baukunst. Der Meister, welcher die Kirche entworfen, ist leider unbekannt, wie sollte man aber, wenn man überhaupt einen Namen nennen wollte, an Jemand anders denken als die Schule der Parler von Gmünd? Und wirklich glauben auch die Forscher an der Rose am Thurm Steimetzzeichen gefunden zu haben, welche dem bekannten Parlerzeichen ähnlich sind. Doch keines dieser Zeichen hat den Charakter eines Meisterzeichens, keines entspricht genau in der Form dem Zeichen der Parler. Weiter wird damit in Verbindung gebracht der Name eines gewissen Meisters Peter von Reutlingen,16) der 1359 starb und die dortige Nicolauskapelle gebaut haben soll. Ihm wird von Klemm auch ein Gesellenzeichen zugeschrieben, welches besonders deutlich ausgeprägt an einer der Consolen an dem Hauptportal der Kapellenkirche in Rottweil auftritt. Ich glaube, all’ das genügt nicht, um auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit an der Mitwirkung eines Parler an dem Bau der Marienkirche in Reutlingen denken zu können. Wir wissen von einer anderweitigen Thätigkeit Heinrich’s I ausserhalb Gmünd’s, mit Ausnahme einer erst neuerdings gefundenen Spur in Ulm, auf welche ich noch zurückkommen werde, lediglich nichts und auch Klemm’s Vermuthung, am Münster in Freiburg einen Meisterschild entdeckt zu haben, der als das Urbild des Parlerzeichens aufzufassen wäre, [383] hat sich als verfehlt erwiesen. Am südwestlichen Eck-Strebepfeiler des Langhauses in Freiburg befindet sich nämlich eingeritzt ein Meisterschild, welcher das Parlerzeichen, einen gebrochenen Pfahl (heraldisch ausgedrückt) darstellt, nur mit dem Unterschied, dass der Pfahl mit 3 Hämmern belegt ist. Diese Hämmer kommen auch auf einem Siegel der Steinmetzenzunft zu Strassburg von 1355 vor, weisen also bestimmt auf eine Bauhütte, nicht auf ein bürgerliches Wappen. Nun ist aber der Ort, wo dieses Schild angebracht ist, wie F. Geiger in seiner interessanten Abhandlung im Schau in’s Land, Jahrg. 1894, nachweist, keineswegs als ein Bautheil zu betrachten, welcher von Meister Johannes von Gmünd ausgeführt wurde, was auch Klemm zugiebt. Aber trotzdem ist es nichts anderes als dessen, aus der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts stammendes Zeichen, was die Form des Schildes beweist. Der Schild erscheint in zweifacher Ausführung nebst dem Freiburger Hüttenzeichen, dem unten gespaltenen Kreuz, und wird dort nichts anderes bezeichnen, als den Sammelplatz der Steinmetzen oder die Werkstelle derselben, wie noch heute an demselben Platz die Sommerhütte der Steinmetzen aufgeschlagen ist. Auch die übrigen Zünfte hatten zwischen den einzelnen Jochpfeilern ihre Sammelplätze bestimmt, was die aufgemalten Innungswappen ausweisen. Was weiter die von Dehio mit besonderem Nachdruck hervorgehobene Neuerung der polygonalen Anlage des Chors anbelangt, so ist das keineswegs eine Neuerung, die erst von anderen Bauten musste abgesehen oder abgelernt worden sein; sie ist eine ganz natürliche Vereinfachung, auf die jeder strebsame Meister selbst kommen musste. Ueberhaupt ist die von den meisten Kunstschriftstellern geäusserte Meinung, alle Neuerungen in der Construction und Formenlehre der Gothik müssten irgendwo ein Vorbild haben, ganz ungerechtfertigt; man darf doch unsern alten Meistern so viel zutrauen, dass sie nicht immer sklavisch copirten, was sie da und dort gesehen haben, sondern sie waren auch im Stande, selbständig zu arbeiten. Viele Formen und Constructionen sind aus dem Bedürfniss entstanden und es liegt doch nahe, anzunehmen, dass jeder Meister bestrebt war, aus seinem eigenen Formenschatz und seinen eigenen Studien und Erfahrungen zu schöpfen. Der dritte Punkt, den Dehio anführt, ist die Stellung der Thürme; auch hier schliesst er falsch. Die Gmünder Thürme waren, wie schon erwähnt, Ueberreste eines älteren romanischen Baues, sie stürzten am Charfreitag des Jahres 1497 ein,12) da man, wie ein Augenzeuge berichtet, um eine freiere Aussicht auf den Chor zu gewinnen, den Verbindungsbogen, der zugleich gegenseitige Stützmauer der Thürme war, entfernte. Der Rath hatte schon im Frühjahr 1496 den Meister Matthäus Böblinger von Esslingen berufen, welcher den Schaden, wie es scheint, nicht verhindern konnte, und so trat die Katastrophe ein. [384] Die Stiftskirche zu Sedletz,13) von der wir schon sprachen, kann übrigens noch weniger als Zwetl als Vorbild für Gmünd gedient haben, bei ihr ist das Kathedralsystem in der Weise durchgeführt, dass die 7 Chorkapellen des Umgangs nach aussen polygonal geschlossen sind, ähnlich wie beim Prager Dom. Der hohe Chor ist mit 3 Seiten des Achtecks abgeschlossen, was zu dieser Zeit schon keine Neuerung mehr ist, sondern eben im Wesen der Gothik liegt, die statt des Rundbogens gerade Flächen verwendet, welche sich besser zum Spitzbogen eignen. Wenn Dehio noch weiter hinzufügt, die Disposition des Umgangs nach einem Polygon von grösserer Seitenzahl als dem Binnenchor bedinge eine unregelmässige Stellung der Strebebogen, so kann ich ihm nicht ganz Recht geben. Weder in Zwetl, noch in Kuttenberg ist das der Fall, d. h. so weit die eigentliche Chorabsis in Betracht kommt, beim Anschluss an die Langseiten entstanden[4] dann allerdings Unregelmässigkeiten, die aber nicht sehr in die Augen fallen. Trotzdem hat man aber in Zwetl das Strebebogensystem angewendet.14) Der Einbau des Kapellenkranzes zwischen die Streben des Chors und der Langseiten ist jedoch eine Neuerung, welche in Gmünd zuerst auftritt und dann von Peter Parler in Kuttenberg und Kolin weiter verfolgt wird, allerdings mit der Modification, dass der Chor durch starke dreieckige Pfeiler, statt der gewöhnlichen Strebepfeiler, umsäumt ist, welche dann Zwischen-Kapellen bilden. Wo hat nun aber Heinrich I seine Bildung erhalten? Alles weist eher auf Köln oder den Oberrhein als auf Oesterreich. Neuwirth in seinen verschiedenen Schriften nimmt das erstere bestimmt an, Klemm weist auf einen Zusammenhang mit Freiburg, Reutlingen, Rottweil und Ulm. Paulus ist der hauptsächlichste Vertreter für Boulogne. Grueber15) vergleicht den Gmünder Grundriss noch mit Kuttenberg, welche Kirche in ihrer Grundrissanlage, besonders wenn man die äusseren Nebenschiffe weglasse, selbst für ein ungeübtes Auge grosse Aehnlichkeit habe. Ich kann dem nicht beistimmen; sowohl Choranlage als Pfeilerbildung und Disposition des Langschiffs sind grundverschieden. Der Kuttenberger Bau ist eine Vervollkommnung und Ausreifung der von Peter Parler im Koliner Chor gewählten Anlage, und es ist höchst wahrscheinlich, dass er auch diesen Chor gebaut hat, denn es giebt keinen zweiten Architekten des Zeitalters, dessen Ideenkreise und Formensprache die Kuttenberger Barbarakirche näher stände, als ihm, der nach Vollendung des Prager Domchors gerade beim Beginn des Kuttenberger Baues mehr Zeit zur Uebernahme auswärtiger Arbeiten besass und durch die erste Heirath seines Sohnes Johann Beziehungen zu Kuttenberger Familien hatte [385] Die Schlüsse, die Klemm daraus zieht, sind also hinfällig, wir haben in dem eben beschriebenen Schild weder das Urbild des Parlerzeichens, noch einen neuen, bisher unbekannten Meister vor uns, der am Freiburger Münster gearbeitet, und dort, wie Klemm behauptet, das Werk eines Erwin von Steinbach fortgeführt hat. Geiger weist ferner in der schon angezogenen Schrift überzeugend nach, dass das ebenfalls dort angebrachte Wappen mit dem Wellenband nicht der Meisterschild Erwin’s von Steinbach sein kann, sondern das Wappen irgend eines adeligen Baupflegers oder sonstigen Wohlthäters der Kirche. Damit fällt auch die von Adler17) so bestimmt ausgesprochene Annahme, Erwin sei der Schöpfer des Freiburger Westthurms. Beiläufig sei erwähnt, dass auch die Reutlinger Thurmfaçade vielfach mit Erwin von Steinbach in Verbindung gebracht wird; gestützt nicht allein auf den Stil und die vorkommenden Steinmetzzeichen, sondern auch auf eine von Schön in den Reutlinger Geschichtsblättern 1896 S. 11 mitgetheilte Notiz, nach welcher ein Pleban Heinrich von Entringen zu Reutlingen, welcher 1270 urkundlich erscheint, und dessen Verwandter Eberhard von Entringen 1247–1278 Domherr in Strassburg und 1277 provisor et gubernator ecclesiae argentinensis war. Es ist somit nicht ausgeschlossen, dass Erwin eine Visirung zu dem, von den Reutlingern geplanten Bau geschickt hat. Jedenfalls scheint mir bei Reutlingen ein Zusammenhang mit der Strassburger Schule eher gerechtfertigt als ein solcher mit Gmünd. Wir kommen jetzt nach Ulm; dort haben schon frühere Forscher, besonders Mauch in seinen „Bausteinen zu Ulm’s Kunstgeschichte“,18) die Namen der ersten Münsterbaumeister mit den Parlern in Verbindung gebracht. Eine zufällig erhaltene Münsterrechnung von 1387 führt unter den Ausgaben auf: „Daz wir geben haben von maister Hainrich’s unseres Werkmanns seligen wegen, von maister Michel’s und von maister Heinrich’s wegen, der neu bestellt ist worden zu dem werk“. Daraus geht unzweideutig hervor, dass der erste Münsterbaumeister ein Heinrich war und dass auf ihn ein Michel und dann ein zweiter Heinrich als Werkmeister folgten. Mauch hat nun den ersten Heinrich mit Heinrich I von Gmünd, Michel mit dem Sohn des Johannes in Freiburg und den zweiten Heinrich mit dem in Mailand genannten Enrico da Gamodia identifizirt. Wir glauben, dass Mauch in der Hauptsache recht hat, nur bezüglich des Michel können Zweifel entstehen, da ausser dem genannten noch ein Michael zu Gmünd, lapicida dictus parler (1359–1383) in Prag, vorkommt. Dieser Michel war ebenfalls ein Sohn Heinrich’s I und es liegt gewiss näher, den unmittelbaren Nachfolger des Vaters in ihm, dem Sohne, zu sehen, als in dem Enkel von Freiburg, von dem wir nach 1385 keine Kunde mehr haben. [386] Eine weitere untrügliche Spur für die Annahme eines Zusammenhangs der ältesten Ulmer Meister mit den Parlern, gab aber ein Grabsteinfund, welcher anlässlich der Heizbarmachung des Münsters im December 1897 zum Vorschein kam. Der 2 m lange und 0,90 m breite Stein lag etwa 40 cm unter dem Fussboden, hart am Eingang des nordöstlichen Seitenportals,19) er trägt keine Inschrift, ist aber durch die darauf angebrachte Reliefarbeit untrüglich als der Grabstein eines Münsterbaumeisters zu erkennen. Auf der Vorderseite des als liegend zu denkenden Steins ist ein gothisches Kreuz ausgehauen, welches am Fusse sich in einen sog. Eselsrücken auflöst, der einen schief gestellten Wappenschild umschliesst. Zu beiden Seiten des Kreuzes ist je ein Steinmetzhammer (sog. Flächen) in natürlicher Grösse ausgehauen. Das Wappen wiederholt sich auf der oberen und unteren 30 cm dicken Seitenfläche des Steins. Auf dem Wappenschild ist aber jener gebrochene Pfahl deutlich ausgeprägt, den wir längst als das Werkzeichen der Familie Parler kennen. Wir finden dasselbe erstens auf der Büste des Meisters Peter im Prager Dom sowie an einigen Standbildern am Chorschlusse daselbst, zweitens auf dem Siegel von Peter’s Bruder Johannes in Freiburg i. B. und als Meisterschild am Dom daselbst, drittens als Meistersiegel des Michael von Freiburg in Strassburg 1385, der hiernach zweifellos ein Sohn des Vorgenannten war. Haben aber zwei Söhne und ein Enkel des Meisters Heinrich in Gmünd dieses Zeichen geführt, so muss er dasselbe wohl nothwendig zuerst geführt haben und wir hätten somit in der That das Zeichen des Stammhalters der Familie in Gmünd gefunden. Nun wissen wir aber, dass Heinrich, der Erbauer der Heiligkreuzkirche in Gmünd, daselbst begraben lag und „Unden in der Kirchen“ 20) einen grossen Stein hatte. Somit kann der Ulmer Grabstein nicht Heinrich dem Ersten angehören, sondern es muss ein Denkstein für die drei ersten Meister, welche am Münster thätig gewesen waren, sein. Für diese Annahme spricht nicht allein der spätgothische Stil des Kreuzes mit seinen Krappenverzierungen, dem ausgesprochenen Eselsrücken mit dem schiefgestellten Schild, sondern auch das Fehlen irgend welcher Inschrift und Jahreszahl. Es kann also kein persönliches Grabmal Heinrich’s I sein, sondern ein erst im XV. Jahrhundert errichtetes Denkmal für die drei ersten Werkmeister. Wie stimmt aber unsere Annahme mit dem, was sonst über die beiden Heinriche und den Michel von Freiburg bekannt geworden ist? Von Heinrich I wissen wir allerdings nur, dass er von ca. 1330–1360 in Gmünd beim Bau der Heiligkreuzkirche thätig war; wenn er 1376 nach Ulm berufen wurde, so muss er allerdings schon ein alter Mann gewesen sein und es ist einleuchtend, dass seine Wirksamkeit dort nur von kurzer Dauer sein konnte. Nun nahm man seither an, dass der erste Heinrich 1386 in Ulm [387] gestorben und ihm, nach einer kurzen Zwischenzeit, wo ein Meister Michel das Amt führte, der zweite Heinrich gefolgt sei. Wir haben aber oben gesehen, dass Heinrich I wahrscheinlich in Gmünd begraben lag, er muss demnach schon früher von Ulm weggezogen sein, um in seiner Heimath seinen Lebensabend zu verbringen. Wenn wir nach der Geburt seines Sohnes Peter, welche ums Jahr 1330 in Gmünd erfolgt sein muss, rechnen, so muss Heinrich frühestens um 1305 geboren sein, mithin beim Beginn des Ulmer Münsterbaus schon 72 Jahre alt gewesen sein. Für Michel müssen wir somit doch eine längere Thätigkeit beim Ulmer Münsterbau annehmen als bisher. Urkundlich ist Michel 1359 und 1380–1383 in Prag genannt, in dem letzteren Jahr verschwindet er von dort und tritt sein Haus zur Ausgleichung eines Capitals an seinen Bruder Peter und dessen Schwiegersohn Michael ab. Die Zeit stimmt vortrefflich dazu, ihn zu dieser Zeit nach Ulm verziehen zu sehen, um das Amt seines Vaters, welcher resignirte, zu übernehmen. Im Jahre 1387 folgt dann der zweite Heinrich, ein weiterer Sohn Heinrich’s I, derselbe tritt erstmals 1378 in Prag auf, steht 1381–1387 in Diensten des Markgrafen von Mähren, wo er wieder „magister Henricus de Gemunden lapicida“ heisst, dann wurde er 1391 an den Dombau nach Mailand berufen und heisst dort „Enrico do Gamodia“. Am 29. Mai 1392 wird er aber dort entlassen, da er sich mit den italienischen Werkleuten nicht vertragen konnte. Es trifft sich ganz schön, dass gerade in demselben Jahre, wo Heinrich in Brünn zum letzten Mal genannt ist, in Ulm ein neuer Meister gleichen Namens auftritt, an dessen Statt im Jahre 1392 Ulrich von Ensingen als Kirchenmeister berufen wird, welcher das Jahr zuvor in Mailand als Berather beim Dombau erscheint, jedoch wie sein Nachfolger Heinrich sich mit den italienischen Baumeistern überwirft. Und dieser Heinrich, ist er nicht wieder der zweite Heinrich von Gmünd, der in Mailand unsern Blicken entschwindet und vermuthlich dann beim Bau der Certosa betheiligt war? Dort zeigt man nämlich in dem Waschraum der Mönche eine Büste, welche den Marmorbrunnen krönt und als Bildniss des Enrico da Gamodia bezeichnet wird. Ob auch jener „Meister Heinrich der Steinmetz“, welcher in Esslingen bis 1397 genannt wird, auf unsern Heinrich zu beziehen ist, möchten wir bezweifeln; dagegen ist der „Meister Heinrich der Kirchenmeister“, welcher im Städtekrieg vom Jahre 1388 als Ingenieur Dienste leistete, wofür er eine besondere Belohnung erhielt, und jener Heinrich der „Beham“, welcher sich am 25. August 1377 den Städten Ulm, Ravensburg und andern Verbündeten auf ein Jahr als Diener, Werkmann und Meister verschrieb, gewiss eine und dieselbe Persönlichkeit. Dafür spricht auch, dass Heinrich ja erst 1378 in Prag auftritt, somit recht gut das Jahr zuvor den genannten Städten dienlich sein konnte. Heinrich I konnte dagegen, weil er nicht in Prag thätig war, auch nicht als Böhme bezeichnet werden. Ich verzichte darauf, die sonstigen Mitglieder der Familie Parler weiter zu behandeln, da sie in keinen Beziehungen mehr zu Württembergischen Orten stehen. |
Fußnoten der Vorlage
- 1) Ueber die „Parlerfrage“ vergleiche besonders Neuwirth in der Zeitschr. für Bauwesen 1893 S. 25 ff.
- 2) Nach Gurlitt, Zeitschr. f. Bauwesen 1892 S. 307 ist übrigens die Form Bolonia für Boulogne schon im ganzen Mittelalter üblich.
- 3) Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Gothik, Zeitschrift für Bauwesen, 1892.
- 4) Klemm, Allg. d. Biogr. Bd. XXV, S. 178.[5]
- 5) Dehio im Repertorium f. Kunstwissenschaft, 1899, S. 387.
- 6) Vergl. Hasak, Haben Steinmetzen unsere mittelalterl. Dome gebaut? Zeitschr. f. Bauwesen, 1895, S. 183 ff.
- 7) Zeitschr. f. Bauwesen 1893 S. 305 ff.
- 8) Siehe den Grundriss bei Egle „Baustilkunde“ Abt. VIII T. 3.
- 9) Vergl. Klaus Jahrg. IV der Württemb. Vierteljahreshefte S. 232.
- 10) Klaus, W. Vierteljahresh. 1895 a. a. O.
- 11) Hasak in der Zeitschr. f. Bauwesen 1895.
- 12) Siehe darüber Pfitzer, Staatsanz. f. Württ. 1890, Bes. Beil. 13 f.
- 13) Grundrisse bei Grueber u. Neuwirth.
- 14) Vergl. die Aufnahmen in Heider’s u. Eitelberger’s Oesterreichischen Kunstdenkmalen, II T. VII–IX.
- 15) Die Kunst des Mittelalters in Böhmen II.
- 16) Klemm, Reutl. Geschichtsbl. 1890, 1. 1896, 1. Christl. Kunstblatt 1892, S. 169. OOA., Beschr. Reutlingen I. S. 474, II. S. 28.
- 17) Deutsche Bauzeitung 1881 S. 447.
- 18) Verh. d. Ver. f. Ulm u. Oberschw. 1870.
- 19) Der Platz ist genau bezeichnet auf dem von Pfleiderer veröffentlichten Plan „Ulm-Oberschwaben“ Heft 9.
- 20) Klaus, Württemb. Vierteljahresh. 1895 S. 226.