Die Pariser Droschkenkutscher

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Titel: Die Pariser Droschkenkutscher
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 80
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[80] Die Pariser Droschkenkutscher. Vor einigen Jahren fuhr ich mit einem gelehrten Landsmann, der zum ersten Male die Hauptstadt Frankreichs besuchte und sich meiner Leitung anvertraute, in einer Droschke nach dem Lateinischen Viertel. Als wir in der Nähe der Sorbonne ausstiegen, sagte unser Kutscher, daß er in früherer Zeit sehr häufig die Ehre gehabt, einen der berühmtesten Deutschen zu fahren, nämlich den Herrn 'Alexander von Humboldt. „Ich führte ihn oft zu dem Herrn François Arago,“ fuhr der Kutscher fort, während er uns die Münze auf das Fünffrankstück herausgab. „Beide waren sehr vertraute Freunde, und es war mir nicht selten vergönnt, sie in meinem Wagen neben einander sitzen zu sehen.“

„Alexander von Humboldt ist vor zwei Monaten gestorben,“ sagte mein Landsmann.

„Der Tod verschont auch die Unsterblichen nicht,“ bemerkte der Kutscher und fügte dann hinzu: „Pulvis et umbra sumus.“ (Wir Menschen sind Staub und Schatten.)

„Sie verstehen Lateinisch?“ fragte ich.

„Ich habe meinen Horaz nicht vergessen,“ erwiderte er schwermüthig lächelnd, und die Blicke emporrichtend, schwang er die Peitsche und rollte von dannen.

Mein Landsmann stand ganz verblüfft. „Man spricht so oft von der Unwissenheit des französischen Volkes,“ rief er, „und der erste Pariser Kutscher, den ich kennen lerne, besitzt eine classische Bildung. Woher kommt das?“

Ich suchte ihm durch folgende Mittheilung das Räthsel zu lösen. Es giebt in Paris über sechstausend Droschken, und unter den Droschkenkutschern befinden sich nicht nur Leute, die früher in glänzenden Equipagen gefahren, sondern auch ehemalige Professoren, Juristen, Notare, Künstler, Priester, kurz: Leute, die unverschuldet durch plötzlichen Schicksalswechsel von der Höhe des Glückes und der Gesellschaft zu Boden geschmettert worden, oder auch solche, mit denen die strenge Themis ein Hühnchen zu rupfen hatte und die über einen schwachen Augenblick mehrere Jahre hinter Schloß und Riegel nachgedacht. Der dichte Schleier, der über ihrer Vergangenheit ruht, wird niemals gelüftet. Wenn sie bei der Droschkengesellschaft um Dienst nachsuchen, haben sie blos ihre Fähigkeit als Wagenlenker darzuthun und eine Caution von zweihundert Franken als Garantie für die ihnen verabreichte Livree zu erlegen, so wie für die Geldstrafen, zu denen sie für etwaige Vergehen von der Polizei verurtheilt werden könnten. Ob sie nun früher etwas verschuldet oder nicht: sie werden sämmtlich überwacht und dürfen sich nichts zu Schulden kommen lassen, ohne sogleich von der Strafe ereilt zu werden.

Die Pariser Droschkenkutscher sind sehr geriebene Leute und suchen vor allen Dingen mit der Polizei auf gutem Fuße zu stehen. Haben sie sich gegen dieselbe auf die eine oder die andere Weise versündigt, so suchen sie sich wieder in deren Gunst zu setzen, entweder dadurch, daß sie die Gegenstände, die in ihrem Wagen von den Passagieren vergessen worden, auf der Polizeipräfectur abliefern, oder daß sie dort von manchem verdächtigen Gespräche berichten, welches sie von ihren Passagieren aufgefangen. Es ist daher sehr unvorsichtig, in Paris vor einem Droschkenkutscher sich in politischen Unterhaltungen frei und offen zu äußern.

Der Pariser Droschkenkutscher bezieht vier Franken täglich von der Gesellschaft, muß aber dafür sechszehn Stunden des Tages seinem Dienst obliegen. Freilich wird der sehr harte Dienst noch besonders durch die Trinkgelder von den Passagieren belohnt, und diese Trinkgelder sind nicht selten ziemlich beträchtlich. Der Kutscher, der mehrere junge Leute von einem Feste zurückfährt, wo es lustig hergegangen, ist sicher, ein gutes Geldgeschenk zu erhalten. Es ereignet sich wohl auch, daß er einen ausländischen Prinzen, der triftige Gründe hat nicht erkannt zu werden, in seine Droschke aufnimmt und mit einem höchst ansehnlichen Trinkgeld bedacht wird. Schon mancher König und Kaiser hat sich in einem einfachen Fiaker durch Paris fahren lassen in der Absicht, unerkannt zu bleiben. Die Pariser Droschkenkutscher sind indessen scharfsichtige Beobachter. Sie haben so viele Physiognomien studirt, daß sie sich selten in der Beurtheilung ihrer Passagiere irren. Sie wissen recht gut, wenn sie einen Eifersüchtigen fahren, der den Gegenstand seiner Eifersucht überraschen will und deshalb unter dem Versprechen eines ansehnlichen Trinkgeldes zu größter Eile auffordert, oder den Liebenden, der das Schäferstündchen zu versäumen fürchtet, oder den Bankerottirer, der, um den Verfolgungen zu entgehen, rasch auf den Bahnhof und dann über die Grenze gebracht sein will. Solche und ähnliche Passagiere belohnen großmüthig die gewonnene Zeit.

Außer diesen Nebenverdiensten suchen die Droschkenkutscher nicht selten den unredlichen Gewinn, indem sie in entfernten Stadttheilen Passagiere aufnehmen, ohne der Gesellschaft den Fuhrlohn zuzustellen. Eine Controle, die den Unterschleif unmöglich machte, ist bis jetzt, trotz alles Nachdenkens, trotz aller Erfindungen, noch nicht eingeführt worden. Indessen bleiben die Unterschleife doch selten ohne verderbliche Folgen für den Schuldigen, und zwar durch folgenden Umstand. Es giebt nämlich in Paris Individuen, welche die unzulängliche Ueberwachung der Droschkenkutscher von Seiten der Gesellschaft sehr geschickt ausbeuten. Diese Leute nehmen eine Droschke, und nachdem sie an’s Ziel der Fahrt gelangt sind, zahlen sie das Fahr- und Trinkgeld wie andere Passagiere, unterlassen es aber nicht, unmittelbar darauf der Direction der Droschkengesellschaft zu melden, daß sie um die und die Stunde, mit der und der Nummer den und den Weg zurückgelegt, und geben dabei die Münzsorten genau an, in welchen sie dem Kutscher den Fahrlohn entrichtet. Nach einigen Tagen stellen sie sich bei der Direction ein, die ihnen als Honorar für die Mittheilung das Fahrgeld wieder zurückerstattet. Diese freiwillige Controle ist zur Industrie geworden und schwebt über den Kutschern wie ein Damoklesschwert. Der verschmitzteste Pariser Droschkenkutscher muß immer fürchten, einen noch verschmitzteren Pastagier zu fahren, der ihm mit süßem Lächeln das Trinkgeld zustellt, um ihn nach Umständen in’s Verderben zu bringen.