Die Offenbarung Johannis/Kap. 21,1-8. Die neue Welt. Schlußwort

« Kap. 20. Vom ersten Gericht bis zum Endgericht Wilhelm Bousset
Die Offenbarung Johannis
Kap. 21,9-22,5. Nachtrag. Das Gesicht vom neuen Jerusalem »
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C. Die neue Welt. Schlußwort. Kap. 21,1-8.

21,1-5a Die neue Welt. 21,1. καὶ εἶδον οὐρανὸν καινὸν καὶ γῆν καινήν· ὁ γὰρ πρῶτος οὐρανὸς καὶ ἡ πρώτη γῆ ἀπῆλθον(αν ℵA). Vgl. Jes 65,17; 66,22; Hen 91,15; (45,4.5; 72,1); Jubil 1,29; Slav. Hen 65,6ff.; Apk Bar 32,6 u. ö.; IV Esr 7,75; Mt 19,28; II Pt 3,13. Vgl. Religion d. Judent. 268f. καὶ ἡ θάλασσα οὐκ ἔστιν ἔτι. Parallelen zu dieser Vorstellung finden sich namentlich in der sibyllinischen Literatur, dort hängen sie sichtlich mit der Weissagung eines allgemeinen Weltbrandes zusammen. So heißt es V 158f.: ἥξει δ’ οὐρανόθεν ἀστὴρ μέγας εἰς ἅλα δῖαν καὶ φλέξει πόντον βαθὺν (ähnlich schon IV 179f.). Noch näher verwandt ist V 447: ἔσται δ’ ὑστατίῳ καιρῷ ξηρός ποτε πόντος. Vgl. V 530 und VIII 236. Dieselbe Idee findet sich bereits in der Schilderung des Weltunterganges, Himmelfahrt[443] Moses 10,6; vgl. die pseudojohanneische Apk Kap. 19 (apoc. apocr. ed Tischendorf): καὶ ὅταν ἀνοίξῃ τὴν ἕκτην σφραγῖδα, ἐκλείψει τὸ δίμυρον τῆς θαλάσσης; – und Bedas Kommentar, der ebenfalls zu dieser Stelle auf den Weltbrand[1] verweist. Auch ist eine Parallele bei Plutarch de Iside et Osiride 7 immerhin sehr merkwürdig. Es heißt dort von den Isispriestern: ὅλως δὲ καὶ τὴν θάλατταν ἐκ πυρὸς ἡγοῦνται καὶ παρωρισμένην, οὐδὲ μέρος οὐδὲ στοιχεῖον ἀλλ’ ἀλλοῖον περίττωμα διεφθορὸς καὶ νοσῶδες. — Es mögen bei diesen Phantasien über das Verschwinden des Meeres auch agrarische Neigungen einer binnenländischen Bevölkerung mitspielen. An einen Zusammenhang mit dem babylonischen Schöpfungsmythus, in welchem das Wasserungetüm Tiâmat als spezieller Gegner der Götter, erscheint, ist hier wohl kaum zu denken.

21,2. καὶ τὴν πόλιν τὴν ἁγίαν Ἰερουσαλὴμ καινὴν εἶδον καταβαίνουσαν ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ἀπὸ τοῦ θεοῦ (S. 177). Der Wechsel der Präposition ist beabsichtigt: ἐκ gibt den Ursprung, ἀπό den Urheber an. Der Apok. erwartet also das himmlische Jerusalem erst nach dem tausendjährigen Reich, er rechnet dasselbe schlechthin zu der zukünftigen Welt. Jeder Gedanke an eine Verklärung und Erneuerung des irdischen Jerusalems ist ausgeschlossen. Diese Anschauung vom himmlischen Jerusalem findet sich nun übrigens auch in späteren jüdischen Apokalypsen. Sie scheint erst nach dem Fall Jerusalems weitere Verbreitung gefunden zu haben. Bald nach diesem Ereignis verkündigt die Apokalypse des Baruch (Kap. 4), daß das zerstörte Jerusalem gar nicht das eigentliche Jerusalem sei. Dieses sei bei Gott von Anfang der Welt bewahrt, Moses habe es auf dem Berge Sinai gesehen. In ähnlicher Weise wird in der vierten Vision des IV Esra-Buches das himmlische Jerusalem dem irdischen gegenübergestellt. Demgemäß wird nun auch in der Zukunft nicht mehr eine Erneuerung des irdischen, sondern ein Erscheinen des himmlischen Jerusalem erwartet IV Esra 7,26; 8,52; 10,27ff.50ff.; 13,36. Das Theologumenon von dem präexistenten Jerusalem ist freilich wahrscheinlich früher vorhanden gewesen. Vgl. bereits I Hen 90,28ff.; 53,6; Gal 4,26; Hebr 12,22, aber einen Einfluß auf den Glauben und die Eschatologie des jüdischen Volkes erhielt, so weit wir wenigstens sehen können, jene theologische Theorie erst nach dem Fall Jerusalems. Daneben hielt sich freilich auch noch die spezifisch irdische, chiliastische Hoffnung auf Neu-Jerusalem. Ein schönes Beispiel hierfür gibt das fünfte Buch der Sibyllinen mit den beiden Bildern von Neu-Jerusalem V. 250ff. 420ff. Vgl. Religion d. Judentums 221. 272. ἡτοιμασμένην ὡς νύμφην κεκοσμημένην τῷ ἀνδρὶ αὐτῆς. S. das zu 19,7 Bemerkte. Zum zweiten Mal schlägt der Apok. hier das Motiv vom himmlischen Jerusalem, der Braut des Lammes, an. Er pflegt seine Bilder von fernher vorzubereiten.

21,3. καὶ ἤκουσα φωνῆς μεγάλης ἐκ τοῦ θρόνου[2] (οὐρανοῦ)[444] λεγούσης· ἰδοὺ ἡ σκηνὴ τοῦ θεοῦ μετὰ τῶν ἀνθρώπων. Hebr 8,2; 9,11. Ist ἐκ τοῦ θρόνου zu lesen, so hat man auf den Richterthron Gottes 20,11 zu beziehen. Das neue Jerusalem soll zugleich der Wohnsitz Gottes bei den Menschen (entsprechend der alttestamentlichen Stiftshütte) sein. καὶ σκηνώσει μετ’ αὐτῶν, καὶ αὐτοὶ λαὸς[3] αὐτοῦ ἔσονται, καὶ αὐτὸς ὁ θεὸς ἔσται μετ’ αὐτῶν[4][5]. Ez 37,27: καὶ ἔσται ἡ κατασκήνωσίς μου ἐν αὐτοῖς, καὶ ἔσομαι αὐτοῖς θεὸς, καὶ αὐτοί μου ἔσονται λαός. Sach 8,8: καὶ κατασκηνώσω ἐν μέσῳ Ἱερουσαλὴμ, καὶ ἔσονταί μοι εἰς λαὸν, κἀγὼ ἔσομαι αὐτοῖς εἰς θεὸν. Jer LXX 31 (38) 33: καὶ ἔσομαι αὐτοῖς εἰς θεὸν καὶ αὐτοὶ ἔσονταί μοι εἰς λαόν. Gen 17,8; Jes 65,19; II Kor 6,16.

21,4. καὶ ἐξαλείψει[6] πᾶν δάκρυον ἐκ[7] (S. 167) τῶν ὀφθαλμῶν αὐτῶν (7,17), καὶ ὁ[8] θάνατος οὐκ ἔσται ἔτι, οὔτε πένθος οὔτε κραυγὴ οὔτε πόνος οὐκ ἔσται ἔτι, ὅτι[9] τὰ πρῶτα ἀπῆλθον (S. 165). Jes 25,8: „Vernichten wird er den Tod für immer“ (LXX übers. falsch) καὶ πάλιν ἀφεῖλεν κύριος ὁ θεὸς πᾶν δάκρυον ἀπὸ παντὸς προσώπου. Jes 35,10: ἀπέδρα ὀδύνη καὶ λύπη καὶ στεναγμός. Jes 65,16-19; Hen 10,22.

21,5. καὶ εἶπεν ὁ καθήμενος ἐπὶ τῷ θρόνῳ. Der Dativ nach ὁ καθήμενος ist in der Apk ungebräuchlich, s. o. S. 165 (An.-Hndschrn. lesen ἐπὶ τοῦ θρόνου, ἐν τῷ θρόνῳ)[10]. ἰδοὺ καινὰ ποιῶ πάντα[11]. Jes 43,19: ἰδοὺ ἐγὼ ποιῶ καινά. II Kor 5,17. Es ist ein Mosaik aus alttestamentlichen Stellen und Motiven, in welchem der Apok. hier die Herrlichkeit der neuen Zeit darstellt. Es sind wenige Züge, die nicht ihre Parallelen hätten. Aber wie wirkungsvoll ist dies Mosaik gestaltet. Wie mächtig setzt der Apok. gleich am Anfang mit der Betonung persönlichen Schauens ein. Ich habe es gesehen! Ich sah den neuen Himmel und die neue Erde! Und was er weiter zu sagen hat, läßt er durch eine himmlische Stimme verkünden, und zum Schluß spricht der auf dem Throne sein majestätisches welterneuerndes Wort selbst.

21,5b-8. Vorläufiges Schlußwort. καὶ λέγει·[12] γράψον, ὅτι (weil) οὗτοι οἱ λόγοι πιστοὶ καὶ ἀληθινοί εἰσιν[13] (19,6). 21,6. καὶ εἶπέν μοι·[445] γέγοναν[14] (γέγονα?). Nach der parallelen Stelle 16,17 (γέγονεν) ist doch wohl γέγοναν zu lesen und zu übersetzen: Es ist geworden. ἐγὼ τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος. S. o. zu 1,8. 22,13. ἐγὼ τῷ διψῶντι δώσω αὐτῷ[15] (s. o. S. 178) ἐκ τῆς πηγῆς τοῦ ὕδατος τῆς ζωῆς (S. 160) δωρεάν. 22,17; Jes 55,1. 21,7. ὁ νικῶν κληρονομήσει[16] ταῦτα καὶ ἔσομαι αὐτῷ[17] θεὸς, καὶ αὐτὸς ἔσται μοι υἱός. II Sam 7,14. 21,8. τοῖς δὲ δειλοῖς καὶ ἀπίστοις[18] καὶ ἐβδελυγμένοις καὶ φονεῦσιν καὶ πόρνοις καὶ φαρμάκοις καὶ εἰδωλολάτραις καὶ πᾶσιν τοῖς ψευδέσιν. — Die Stimmung ist ähnlich wie Ps Sal. 17,28. Mit dem Gedanken an die neue Zeit und ihre Segnungen verbindet sich der Gedanke der ethischen Läuterung der Gemeinde (des Volkes). Rel. d. Judent. 268f. Die Aufzählung ist charakteristisch. Unter den Verworfenen voran stehen die Feigen. Die feigen Christen, die im Kampf mit dem Tiere nicht bestanden haben, sind zunächst ausgeschlossen von der Seligkeit im neuen Jerusalem. Man könnte beinahe vermuten, daß dann weiter τοῖς ἀπίστοις mit „den Untreuen“ zu übersetzen wäre, möglich aber auch, daß der Apok. hier an die Ungläubigen insgesamt denkt. Ebenso könnte man vielleicht die ἐβδελυγμένοι auf diejenigen speziell beziehen, die sich durch den Dienst des Tieres verunreinigt haben. Den ersten drei Gliedern folgen dann drei allgemeinere Wendungen, denen wir in den Lasterkatalogen des N. T. häufiger begegnen (Mörder, Unsittliche, Giftmischer). Den Schluß machen wieder zwei charakteristische Worte: Götzendiener und Lügner. Götzendienst ist die Kardinalsünde, vor welcher der Apok. warnt. Die Götzen aber sind Lügengebilde, die Götzendiener Lügner. Vgl. zum ganzen die ähnliche Aufzählung 22,15. τὸ μέρος αὐτῶν ἐν τῇ λίμνῃ τῇ καιομένῃ πυρὶ καὶ θείῳ (s. zu 19,20), ὅ ἐστιν ὁ θάνατος ὁ δεύτερος. S. o. zu 2,11, vgl. 20,6.15. Möglich ist es, daß der Apok. in diesen Versen die Mysteriensprache nachahmt, die damals wohl auch schon den christlichen Gottesdienst zu beeinflussen beginnt. Von der vollendeten gläubigen Gemeinde und ihrer Versammlung werden alle Ungeweihten und Unwürdigen ausgeschlossen.

Über den Abschnitt 21,1-8 können wir uns kurz fassen. Er zeigt deutlich Sprache und Geist des Apok. letzter Hand; vgl. die Parallelen V. 1. 2 zu 19,7, V. 3 zu 7,15, V. 4 zu 7,17, V. 5 zu 19,9f. — ὁ καθήμενος ἐπὶ τῷ (?) θρόνῳ (?), πιστὸς καὶ ἀληθινός, τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, τῷ διψῶντι δώσω αὐτῷ (vgl. die Briefschlüsse), πηγῆς τοῦ ὕδατος τῆς ζωῆς, ὁ νικῶν, τὸ μέρος αὐτῶν ἐν, λίμνη καιομένη πυρὶ καὶ θείῳ. Wir haben in diesem Abschnitt gleichsam wieder das Gegenstück zu den vorhergehenden furchtbaren oder doch ernsten Gerichtsszenen, ein Lichtbild, wie die Abschnitte 7,1ff.9ff.; 14,1ff.[446] 15,2ff.; 19,1ff. Achten wir auch auf die Tonart und Haltung des Stückes! Die Begeisterung des Apok. ist auf das Höchste gestiegen. Staunenden und verzückten Blickes betrachtet er die neue Welt. In leuchtenden Farben, wie in 7,9ff., schildert er das selige Glück des Jenseits. Gesunken sind alle Fesseln, gefallen alle Hüllen. Das Erste ist vergangen! Siehe, ich mache alles neu! — Und Gott ist gegenwärtig, den Seinen nahe; nur den Frevlern, die nun endgültig ausgewiesen werden, furchtbar.


  1. Weitere Parallelen s. Bousset, Antichrist 159ff.
  2. θρονου ℵA vg. (a) Ir.i Aug.; alle andern ουρανου. Ir.gr. >; vielleicht sind daher beide Varianten eine spätere Glosse.
  3. λαοι ℵA An.¹² Ir. ist aus Nachlässigkeit wegen des vorhergehenden αυτοι entstanden.
  4. P An.¹²³ c ae. Aug. (Pr.); d. übr. μετ’ αυτων εσται. Diese Variante hängt mit der folgenden zusammen.
  5. A vg. s¹² Ir.i Tic. + αυτων θεος. (P An.(¹)²(³) + θεος αυτων). Offenbar liegt hier eine Kombination zweier Lesarten vor: 1) και αυτος ο θεος εσται μετ’ αυτων, 2) και αυτος ο θεος εσται θεος αυτων. Der letzte Gedanke aber scheint erst nach den alttestamentlichen Parallelen (s. o.) eingetragen zu sein (anders urteilt B. Weiß).
  6. + απ’ αυτων Q Rel. (exc. An.); + ο θεος A 1. 161 vg. Tert. Tic. Pr.
  7. A tol.; d. übr. απο; s. o. zu 7,17.
  8. > ℵ Ir.gr.
  9. > AP am. fu. luxov. lipss. (Schreibversehen nach ετι).
  10. An.¹ επι του θρ.; An.² εν τω θρ.
  11. Q Rel. (exc. An.) παντα καινα ποιω.
  12. + μοι ℵP An. 26 cle. fu. lipss. s¹ c sa. a ae. (Pr.).
  13. + του θεου Q Rel. (exc. An.) s. oben zu 19,9.
  14. cA lesen die ungewöhnliche Form γεγοναν, 38 γεγονασιν; die 3 Pers. Plural. setzen auch s¹ vg. Ir.i Pr. voraus (factum est); dementsprechend schieben übrigens A 38 vg. Cypr. Tic. Pr. c ae. hinter εγω ein ειμι ein. Buresch, Rhein. Museum 1891 p. 193, will γεγοναν nicht aufnehmen und plädiert für die Lesart der übrigen Zeugen γέγονα, das hier einfach = εἰμί stehe.
  15. > αυτω ℵAP An.¹(²)³⁵.
  16. δωσω αυτω Q Rel. 1 (exc. An.).
  17. αυτων A An.¹² a Tert.
  18. AP 1. 49. 51. 79. 80. 81 g vg. m c a Tert. Tic. Pr.; Q Rel. + αμαρτωλοις.
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