Die Namenlosen
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Die Namenlosen.
Das Gehöft lag ungefähr eine Stunde oberhalb der kleinen Ortschaft, auf freier Hochebene, wo die Frucht nur noch in kurzen Halmen gedieh und die Kartoffeln nie über den Zustand der Käsigkeit hinauskamen. Aber die beiden Kinder, welche im Schatten einer mächtigen Buche ihr Wesen trieben, machten mit ihren sonnverbrannten Gesichtchen und rundlichen Händchen den Eindruck vollkommensten Gedeihens.
„Weißt,“ meinte das schlankere und zierlichere der beiden ganz gleich großen Mädchen, „weißt, Podenzl, jetzt bauen mir die Schul’ –“
„Aber mir haben ja zuerst ’s Ort bauen wollen, Podagratzl,“ sagte die Angeredete, mit dem Ausdruck kummervoller Bedächtigkeit die Händchen über den runden Magen faltend.
„Nein, zuerst kommt die Schul’,“ ereiferte sich Podagratzl, „und dann bin ich der Herr Lehrer; aber dazu muß ich den Dreck nasser haben – lauf’ Podenzl und hol’ mir ein bißle Wasser!“
Das Podenzl besann sich einen Augenblick, dann ging es mit seinem Blechgeschirr zum nahen Brunnen, das Verlangte zu holen; langsam und nachdenklich kam’s mit dem Wasser zurück.
„Weißt was jetzt,“ rief ihr Podagratzl schon von weitem entgegen, „jetzt bau’ ich die Kirch’, und dazu brauch’ ich einen Haufen Stein’ –“
„Aber Podagratzl,“ greinte Podenzl, „du hast doch wollen die Schul’ bauen.“
„Ja, aber die Kirch’ ist schöner, geh’, hol’ mir die Stein’ zusammen, Podenzl, ’s pressiert.“
Podenzl schaute betrübt über die Fruchtlosigkeit seiner Bemühungen in das Blechschüsselchen, leerte dessen Inhalt mit einem [696] Seufzer auf die Erde und machte sich an das Suchen der Steine.
In dieser Weise ging das Spiel fort; Podagratzl hatte immer die Ideen, Podenzl führte sie aus und hielt stets noch an der ersten fest, wenn Podagratzl längst an der vierten war.
In ihrer Unschuld ahnten sie nicht, welch’ schweres Verhängniß sich unterdessen über ihren jungen Häuptern zusammenzog.
Drinnen bei der Bäuerin saß die Nachbarin, trank eine Schale Kaffee um die andere und hörte dafür mit unermüdlicher Geduld die jammervollen Auseinandersetzungen der Bäuerin mit an, die einen völlig abgegriffenen Kalender vor sich liegen hatte, den ihre großen derben Hände krampfhaft umfaßt hielten, während ihr rundes gesundheitstrotzendes Gesicht in Thränen schwamm.
„Da schaut her,“ meinte sie, auf ihren Kalender weisend, so hat sich noch keiner da drin verstudiert wie ich, aber ’s hilft nix, ich kann halt die Namen nit finden, ich kann die Schreibnamen vom Podagratzl und Podenzl nit rausfinden. Und jetzt ist Ostern vorbei, und ich hab’ den dritten Zettel kriegt, daß die Kinder in die Schul’ müssen, und wie soll ich sie denn in die Schul’ schicken, wenn ich ihre Namen nit weiß und nit aufschreiben kann? So eine Schande darf ich doch auf die Eltern von meinen Kindern nit laden! ’S ist halt damals gar so drunter und drüber ’gangen bei der Sach, denn man verschreckt doch, wenn auf einmal zwei Kinder kommen statt einem. Hernach bei der Taufe, wie’s so geht, ist der Mann vorher im Wirthshaus drunten einkehrt, und mir war’s heiß vom Weg, da hab’ ich halt auch ein paar Schluck ’trunken, und wie wir vor dem Pfarrer stehen, hat er’s grad’ so eilig, weil noch eine Leich’ war, und wie’s heißt: ‚wie sollen die Kinder heißen?‘ bringt der Mann nix raus, und ich war so verschrocken, daß ich halt auch nix ’rausbring’ – da hat der Herr Pfarrer gesagt: ‚Nehmen wir denn zwei Kalenderheilige,‘ und nimmt so zwei kuriose Namen und wir können’s halt nur halb verstehen. Und nun will’s Unglück, daß der Mann mit dem Taufschein’ noch einmal ins Wirthshaus geht, und wie er heimkommt, hat er bei Gott den Hut mitsammt dem Taufschein verloren, und jetzt sitz’ ich da mit dem Kreuz und fang’ ich dem Mann davon an, gleich sagt er, ich verleid ihm 's daheim sein, und rennt mir ins Wirthshaus – o Ihr armen Tröpfle!“ schluchzte sie beim Anblick ihrer Kinder auf, die eben mit allen Zeichen innerer Aufgebrachtheit über die Schwelle stürzten und nach der Mutter schrieen. Die Thränen auf dem kugelrunden Gesicht der Bäuerin machten sie verstummen; Podagratzl sprang der Mutter auf die Kniee, Podenzl schmiegte sich an ihren Arm, und beide heulten mit der Mutter um die Wette.
Die Nachbarin ließ sich in ihrem Kaffeegenuß nicht stören, aber sie gab zu: „Ja, es ist schon ein Kreuz, ein schweres, wenn man seinen eignen ehrlichen Namen nit einmal weiß.“
„Und wie mich das Denken angreift,“ schluchzte die Bäuerin, „das glaubt kein Mensch; o wenn mir doch jemand sagen könnt, was ich thun soll!“
„Wartet nur“, tröstete die Nachbarin, „’s wird mir schon was einfallen, wenn ich den Kaffee noch eine Weil’ riech’ –“
Die Bäuerin fiel über die Kanne her und beeilte sich, die leere Tasse des Besuchs von neuem zu füllen.
„Ich hoff’, er ist gut,“ meinte sie.
„Hm, die Milch könnt’ besser sein,“ lautete die Antwort, „und der Kaffee ist noch schlechter.“
„Mutter,“ fiel Podagratzl der Nachbarin in die Rede, „warum weinen mir denn, Mutter?“
„Hör’ einer das unvernünftig’ Kind,“ seufzte die Bäuerin, „weil ich Eure Namen nit weiß, von was reden mir denn sonst!“
„Aber der Vadder weiß sie,“ behauptete Podagratzl.
„Der weiß sie auch nit, dummes Kind, einfältiges, sonst wär uns ja geholfen.“
„Aber der Herr Pfarrer,“ beharrte Podagratzl, „der weiß alles.“
„Jesus Maria,“ polterte die Bäuerin, „was ich mit dem Kind aussteh’! Ich werd’ zum Herr Pfarrer laufen und ihm sagen, ich wisse die Namen von meinen Kindern nit – ja,“ seufzte sie auf, „wenn ich ins Kirchenbuch schauen dürft’, da steht’s drinnen, wie jedes getauft ist.“
„Mutter,“ fiel ihr Podagratzl ins Wort, „so hol’s Kirchenbuch!“
„Um Gotteswillen, was ist das nit, jetzt mußt halt Schläge haben, Kind, denn für gottlose Reden kann’s nix andres geben!“
Und die Bäuerin führte ihr Vorhaben aus, indeß die Nachbarin ein wenig den Hals reckte, um in die große Kaffeekanne schauen zu können; da sie dieselbe leer fand, erhob sie sich zum Gehen.
„Ja, und einen Rath wißt Ihr nit?“ fragte die Bäuerin.
„Ich will in Gottesnamen morgen wiederkommen,“ lautete die Antwort: „wo ein Unglück ist, da kehr’ ich allweil gern ein, ’s ist noch ’s Unterhaltlichst’ auf der Welt, wo man sonst so wenig hat. Aber der Kaffee dürft’ ein bißle stärker sein; behüt’ Gott beinand’!“
Und die Nachbarin schritt davon.
„Mutter. geh’, wein’ nit!“ bat’s Podenzl.
„Gelt Mutter, lach wieder!“ schmeichelte Podagratzl, der noch die Thränen von den Schlägen über die Wangen liefen.
Die Bäuerin fuhr sich mit dem Rücken der Hand übers Gesicht. „Ich muß jetzt aufs Feld, dem Vadder helfen, spielt und seid brav bis zum Abend!“ Mit diesen Worten nahm sie ihr Kopftuch, schnitt jedem der Kinder ein Stück Brot vom Laib und schritt dann über die Wiese, hinter der die Sonne sich schon in die gelben Kornähren senkte, die Bäuerin in ihrem rothen Kopftuch mit einem goldenen Lichtmeer übergießend.
Die Kinder schauten ihr lange nach, die Augen mit den Händchen beschattend; plötzlich sagte Podagratzl:
„Du, mir holen der Mutter ’s Kirchenbuch, dann weint sie nimmer.“
Podenzl war so erstaunt über die Größe dieses Vorhabens, daß sie eine volle Minute brauchte, bis sie imstande war, die neue Idee in sich aufzunehmen. Dann nickte sie: „Ja, daß sie nimmer weint,“ nahm die Schwester bei der Hand, und unverzüglich machten sie sich auf den Weg.
Da Podenzl mit ihren drallen Beinchen etwas schwer auftrat, Podagratzl aber mit ihren flüchtigen bloßen Füßchen kaum [697] den Boden berührte, so ließen sie sich nach kurzer Zeit los, und jedes wandelte in seinem eigenen Tempo den leise sich neigenden Berg hinab.
Plötzlich flog über den Weg ein Schmetterling, auf dessen Flügel die untergehende Sonne einen glänzenden Schimmer warf. Den Sommervogel sehen und ihm nachsetzen, war für Podagratzl das Werk eines Augenblicks, während Podenzl am Wege stehen blieb und über die Verzögerung der wichtigen Angelegenheit sich tief unglücklich fühlte. All ihr Rufen und Warnen half nichts, das leichtsinnige Podagratzl war im tollsten Zickzacklauf hinter dem Schmetterling her, schrie und jubelte und konnte nicht genug kriegen, bis es mit einem Mal strauchelte und auf der Erde lag. Nun kam das bedächtige Podenzl angewackelt; die Hände über dem Magen, pflanzte es sich vor der schreienden Schwester auf.
„So, da hast Du’s, warum bist Du so dumm – ja, was mir für eine Noth haben mit Dir. Jetzt mach’ und steh’ auf, sonst sind mir noch nit daheim mit dem Kirchenbuch, bis die Mutter kommt.“
Da schnellte Podagratzl in die Höhe. „Jesus, das hab’ ich ganz vergessen!“
Und nun ging’s für eine Weile in schönster Eintracht weiter, bis plötzlich Podagratzl eine große wurmstichige Kartoffel entdeckte.
„O schau, Podenzl, dem machen wir einen Leib und eine Nas’, dann haben mir ein Püpple, gelt, Du gehst und holst mir das Holz dort, wann ich recht schön bitt’?“
Aber Podenzl rührte sich nicht von der Stelle, sondern nagte in stillem Groll an der Unterlippe, wohl wissend, daß es gegen die Einfälle der Schwester nicht aufzukommen vermochte.
Podagratzl wartete ihre Willfährigkeit nicht ab, holte selbst herbei, was sie für ihre Zwecke nöthig hatte und ging mit großem Eifer an die Herstellung ihrer Puppe. Hierauf schlug sie mit dem Ausdruck stiller Seligkeit ihr kurzes Unterröckchen um die traurige Gestalt, die unter ihren Händen entstanden war, und wiegte sie zärtlich hin und her.
„Ei ja“, frohlockte sie, „jetzt habe ich ein gar schön’s Püpple.“
„Nein“, sagte das unglückselige Podenzl, „es ist kein schön’s.“
Da flog ihr die Kartoffelpuppe an den Kopf, und im nächsten Augenblick gab’s ein großes Geschrei, Gezause und Gebalge, dann wollte jedes in anderer Richtung zur Mutter heim.
„So, so,“ schluchzte Podenzl, „und jetzt kriegt sie auch ’s Kirchenbuch nit, und das geschieht Dir recht!“
Podagratzl war wie aus den Wolken gefallen.
„Und doch kriegt sie’s“, erklärte sie, packte Podenzl herrisch bei der Hand, und nun ging es im Galopp den Berg vollends hinab.
Inzwischen war der Vollmond am Himmel erschienen, es dunkelte stark, und im Dörflein war weder ein Huhn noch ein Mensch mehr unterwegs; nicht einmal in dem der Kirche gegenüber liegenden Spittelhaus brannte noch ein Licht. Nur der alte, im Ruhestand und im Spittel lebende Gemeindediener Peter Schnell, der seiner Gichtschmerzen wegen nicht schlafen konnte, war noch auf, lag mit der Tabakspfeife unter dem Fenster und ließ sein kahles Haupt vom Mond bespiegeln. Der alte Mann sah gerade in eines der Kirchenfenster, das offen stand und in das der Mond einen silbernen Streifen sandte. Mit einem Male wurden die Augen Peter Schnells um ein Gehöriges größer, er nahm die Pfeife aus dem Mund und streckte sich, so weit es ging, aus dem Fenster.
„Heiliges Kreuz!“ murmelte er, „da drin regt sich was!“
Er rieb sich die Augen und blickte wieder hin.
„Freilich regt sich was – heiliges Kreuz!“
Jetzt hing er die Pfeife an einen Nagel, stülpte sich eine Zipfelkappe über die Ohren und holte seinen Rock aus der Ecke. Dort hinten standen zwei Betten, und in einem schnarchte einer.
„Du, Birzel!“ schrie ihn der Gemeindediener an, „steh’ mal auf!“
Der also Angerufene schnarchte ruhig weiter.
„Heiliges Kreuz, aufstehen sollst!“ schimpfte Peter und nahm seinen Stock zu Hilfe. Darauf hin hörte das Schnarchen auf, Birzel erwachte und ließ sich verständigen. Nachdem er sich angekleidet hatte, hampelten die beiden auf die Gasse.
Die Hilfe, die sich der gichtbrüchige Gemeindediener geholt hatte, bestand aus einem kurzen, runden, einarmigen Mann, der an Athemnoth litt.
„Wenn ein Kerl in der Kirch ist, den will ich gleich haben“, erklärte dieser, „nur gesehen muß ich ihn haben – da stell Dich einmal vors Fenster, Peter, und halte Dich fest, ich steige Dir schnell auf die Schulter.“
Als das dem Birzel nach einer längern, höchst mühseligen Turnerei gelungen war und er einen Blick ins Innere der Kirche gethan hatte, kam er nicht eben sanft und mit dem erstauntesten Gesicht auf den Erdboden herab.
„Nun, hast Du’s gesehen?“ fragte Peter Schnell und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Ich werd’s nit gesehen haben!“ entgegnete Birzel. „Was das aber ist, das ist kein gewöhnlicher Mensch, sag’ ich Dir, das geht ja hoch über den Altar ’naus und hat einen Kopf wie ein gespaltener Kürbis; mit so einem bandl’ ich nit an, ja, wenn’s einer wär’ wie ich oder Du – aber so nit.“
Da standen sie und kratzten sich hinter den Ohren.
„Wenn wir nit die einzigen Mannen im Spittel wären,“ meinte Peter, „so könnt’ man sich zusammenthun.“
„Das kann man doch“, erklärte Birzel, „indem man einfach die Weiber vorausschickt, denn wenn was passiert, für die ist’s kein Schaden.“
„Das ist richtig“, gab der Gemeindediener zu und schlug Lärm im Spittel.
Es dauerte nicht lange, da kam’s aus dem baufälligen Hause gehinkt und gewankt, und ein halbes Dutzend alter Weiber fragte und schrie durcheinander. In Zeit von einigen Minuten stand’s fest, in der Kirche spukten langmächtige Geister, die mit den Köpfen bis an den Thurm hinauf ragten, und sie hatten’s auf nichts weniger als auf das Opfergeld abgesehen. Als jedoch die zwei Mannen den Weibern zumutheten, den ersten Schritt in den Ort des Schreckens zu wagen, gab’s große Meinungsverschiedenheit. Sie standen, in schnell übergeworfenen Kleidern dicht aneinander gedrängt, vor der Kirchenpforte, redeten wirr durcheinander und gruselten sich über die Maßen.
Endlich sagte Peter Schnell:
„Es ist eine Schand und ein Spott, daß Ihr so wenig Korasch habt, ich will meinetwegen den Herrn Pfarrer wecken, aber Du mußt mitgehen, Birzel, allein thu’ ich’s nit.“
Birzel hatte nichts dagegen einzuwenden: kaum jedoch wankten die beiden Gestalten davon, als ihnen die Weiber laut schreiend nachgestürzt kamen – sie wollten nicht allein zurückbleiben, das könne kein Mensch von ihnen verlangen.
Und so zogen sie denn alle miteinander vors Pfarrhaus, klopften den hochwürdigen Herrn aus dem Schlaf und ließen ihm kaum Zeit zum Anziehen. Unter ihren Berichten wuchsen die Geister ins Unendliche. Der Geistliche zündete zwei Handleuchter an und schritt, diese vor sich hinhaltend, die Leute hinter sich, über die Gasse zur Kirche. Als er deren Thür öffnete, entstand für einen Augenblick eine Todesstille, dann drängte sich alles ihm nach ins Innere, und hier –!
„Ihr Esel!“ platzte der Pfarrherr los, denn vor ihm auf der Erde, den Kopf gegen die Altartreppe gelehnt, lag’s Podagratzl und schlief, während das ausdauernde Podenzl auf dem Altar selbst kniete, wo es sich bereits seit einer halben Stunde [698] vergeblich bemühte, das schwere Meßbuch von der Stelle zu bewegen.
„Du liebe Zeit, das sind ja die Zwilling’ von droben!“ hieß es jetzt von allen Seiten.
Der Pfarrer hob das in Thränen ausbrechende Podenzl auf die Erde, Podagratzl fuhr gleichzeitig aus dem Schlaf empor, und nun klammerten sich beide Kinder wie zwei verirrte Schäflein an den Rock des Geistlichen, der sie zur Kirche hinausführte, begleitet von den ganz in Mitleid für die Kleinen aufgehenden Spittelweibern.
Nur die paar Mannen humpelten eilig weiter, der Gemeindediener voran, hinter dem Birzel wüthend dreinschimpfte:
„Du weckst mich wieder, Kerl, wart’, Du weckst mich wieder!“
„So, Kinder,“ fing der Geistliche draußen an, wobei ihm ein paar Weiber andächtig mit den Lichtern ins Gesicht leuchteten, „vor allen Dingen, wo ist die Mutter?“
„Daheim,“ heulte Podenzl, und das schlaftrunkene Podagratzl jammerte laut auf:
„Ja, heim, heim will ich!“
„Seid Ihr denn ganz allein in der Kirche gewesen?“
„Ja!“
„Was habt Ihr denn da wollen so spät?“
„Weiß nit,“ sagte Podagratzl, das bedächtige Podenzl jedoch erklärte:
„s’ Kirchenbuch haben mir wollen.“
Längst schon hatte sich ein kleiner Lichtschein vom Berge her dem Thale genähert, jetzt tauchte er in der schmalen Gasse auf, und als eben der Pfarrherr mit den Spittelweibern über das Schicksal der beiden Kinder berathschlagte, stand dessen Elternpaar mit der Stalllaterne vor dem erregten Häufchen Menschen.
„Jesus, da sind sie ja!“ kreischte die Bäuerin auf und riß ihre beiden Kinder an sich, während der Bauer die Laterne hoch hielt und alles zusammen schwatzte und zeterte.
„Liebe Frau,“ unterbrach der Geistliche den allgemeinen Lärm, „erklärt mir doch: die Kinder waren in der Kirche und wollten ’s Kirchenbuch –“
„Ja, ja,“ fiel ihm Podenzl in die Rede, „’s Podagratzl hat gesagt, wir holen ’s Kirchenbuch für die Mutter, daß sie nimmer weint.“
„Da haben wir’s wieder,“ jammerte die Bäuerin, auf deren Schulter die Anstifterin allen Uebels bereits im besten Schlummer lag, „immer ’s Podagratzl! Wo das Kind nur seine Dummheit her hat? ’s ist nit zum Sagen, was ich mit dem Kind seiner Dummheit aussteh’. Und daß ich’s nur grad’ sag’, Herr Pfarrer, weil’s halt jetzt doch schon halbwegs verrathen ist – sie haben’s gehört, wie ich mich verlamentiert hab’, daß ich ihre Namen nit weiß und mich schäm’, danach zu fragen, und sie halt nit um die Welt im Kalender finden kann, und weil wir die Taufschein’ verloren haben, und die Kinder in die Schul’ sollen, und sie halt nirgends sonst als im Kirchenbuch stehen, da hat halt ’s Podagratzl – ich sag’s ja, wir sind gestraft mit dem Kind – in seiner Dummheit wieder was angestellt, und wir sind droben fast vergangen vor Angst, wo die Kinder hingekommen sind, und Gott sei Lob und Dank, daß wir sie wieder haben!“
Sämmtliche Weiber nahmen mitfühlend Antheil an dieser Auseinandersetzung, der Geistliche aber sagte:
„Macht, daß Ihr mit ihnen heimkommt, und daß Ihr’s wißt: ’s Podagratzl heißt Pankratia und ’s Podenzl Hortensia; jetzt behaltet’s, und somit Gott befohlen!“
„Du,“ sagte die Bäuerin zu ihrem Mann, als sie, jedes mit einem Kind auf dem Arm, ihren Berg hinaufzogen, „das wollen wir aber gewiß nimmer vergessen; weißt was, ich hab’ eine Idee, jetzt sagst Du auf dem ganzen Heimweg nichts anderes vor Dich hin als Horenzl, und ich will Pankatzl sagen, dann wird’s, so Gott will, sitzen, und wir sind unser Kreuz los.“