Textdaten
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Autor: Josef Schrattenholz
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Titel: Die Mannheimer Bühne
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 741–744
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Mannheimer Bühne.
Eine Jubiläums-Erinnerung von Josef Schrattenholz.

Die schöne Säcularfeier, welche das Mannheimer Theater in den Tagen vom 5. bis 12. October dieses Jahres beging, die hunderjährige Jubelfeier seines Bestehens, weckt dem historischen Geiste so verschiedenartige Reminiscenzen, daß man nur schwer der Versuchung widerstehen kann, statt eines Gedenkblattes, wie es die nachfolgende Skizze bieten soll, einen Gedenkstrauß, eine ausführliche Geschichte jener ehrwürdigen Bühne, auf den Altar der Erinnerung zu legen.

Ein feines, ironisches Lächeln schwebt um die Lippen der hohen Muse der Geschichte, wenn man sie von dem Kunstsinne der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts erzählen hört. Die zahllosen Westentaschendespoten der kleinen deutschen Höfe, die sich ihrem Esprit und ihre Galaröcke direct aus der demoralisirten Hauptstadt Ludwig’s des Vierzehnten verschrieben, waren befriedigt, wenn sie die Scheingröße dieses Despoten in fratzenhafter Weise copiren konnten. So mußten denn auch italienische Castraten, französische Komödianten und Balleteusen für den Mangel deutscher Kunst und Künstler entschädigen, über das erste Stadium ihres Werdens hinwegtäuschen. Von einer deutschen Kunst konnte damals nur in eben dem Sinne die Rede sein, wie von einer deutschen Nation. Erst als die deutsche Musik ihre duftigen, farbigen Blüthen trieb, erst als nach der undeutschen Tonschnörkelschrift eines Hasse und der nüchternen Ledernheit eines Holzbauer, Cannabich und Consorten der Riesengeist eines Bach und die [742] göttliche Kunst Mozart’s die Gemüther entzückte, erst da kamen hier und dort jene auf italienischem und französischem Boden großgezogenen künstlerischen Giftblumen in Mißcredit; erst da wurden stellenweis die Privatbühnen der deutsche Fürstenhöfe ihrer zweifelhaften Würde als Treibhäuser für diese Blumen entkleidet.

Auch der kunstsinnige Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz, der eigentliche Begründer der Mannheimer Bühne, welcher im Anfang seiner Regierung den französischen und italienischen Einflüssen sehr zugänglich gewesen war, gelangte von der Musik aus zu seinen Verdiensten um die deutsche Bühnenkunst, welche ihm nicht hoch genug angerechnet werden können. Er wandte der Tonkunst die aufmerksamste Pflege zu, bethätigte sich in den Hofconcerten als ausübender Dilettant und faßte endlich den löblichen Vorsatz, an seiner Hofbühne „ausländischen musikalischen Spectakel“ abschaffen und nur noch „große deutsche Singspiele mit vaterländischen Sujets“ aufführen lassen zu wollen. Die Capelle des Kurfürsten war sowohl in Deutschland wie in Frankreich und Italien durch ihre hohe technische Vollkommenheit und ihren fein schattirten Vortrag der Instrumentalcompositionen berühmt; sie besaß die größten Künstler als Mitglieder und genoß auch als bürgerliche Corporation des besten Rufes.

Von diesem Orchester wurde am 5. Januar 1775, im Verein mit italienischen Castraten und deutschen Sängern, auf der Bühne des kurfürstlichen Residenzschlosses die Oper „Günther von Schwarzburg“ von Professor Klein, Musik von Holzbauer, gegeben. Die eingelegten Ballets hatte ein gewisser Cauchery ersonnen, die Musik zu denselben Cannabich componirt. „Eine deutsche Oper, aus der deutschen Geschichte, von einem deutschen Dichter! Deutsche Composition und auf dem besten deutschen Theater aufgeführt! Wer sollte sich nicht über diese heilsame Revolution des Geschmacks freuen!“ ruft das Berliner literarische Wochenblatt von 1776 emphatisch aus. Und es hatte Recht mit seiner Freude. Denn diese Aufführung bedeutete in der damaligen, von französischem Ungeschmack überkleisterten Zeit eine künstlerische That, größer und weittragender vielleicht als manche von nimmerlahmen Recensentenlungen als Kunstrevolution ausposaunte artistische Begebenheit der Jetztzeit. Dieser Kurfürst Karl Theodor muß überhaupt ein guter, empfänglicher Mensch gewesen sein und unter dem französischen Jabot ein echt deutsches Herz getragen haben. Das rühmliche Bestreben des durch Schiller verewigten Buchhändlers Chr. Fr. Schwan, welcher für die Förderung des Geschmacks an der nationalen schönwissenschaftlichen Literatur alles Mögliche aufbot, fand bei ihm ein solch freundliches Entgegenkommen, daß er sogar die Aufhebung seiner französischen Theatertruppe beschloß, und die durch ihn in’s Leben gerufene deutsche Singschule, deren Vorstand und Lehrer der bekannte Abt Vogler war, hat trotz ihrer flüchtigen Dauer eine mehr als blos historische Bedeutung errungen.

Im Jahre 1775 genehmigte der Fürst einen Kostenanschlag von 58,405 Gulden zur „Errichtung eines Komödien- und Redoutenhauses im Mannheimer Schütthause“ (Arsenal). Die Bühne erhielt eine Breite von ganzen zwölf Schrittes das „erkannte man damals“ – wie Eduard Devrient trocken bemerkt – „als den angemessenen Raum für das Schauspiel“. Und er war auch angemessen, wenigstens für die meisten der damaligen Schauspiele. Das Auditorium faßte nahezu 1200 Personen. Marchand, ein tüchtiger Schauspieler und Director einer herumreisenden, ziemlich guten Theatergesellschaft, wurde zum Director ernannt. Eckhof und Lessing, denen man vorher das Amt antrug, hatten abgelehnt.

„Gegen Erhebung eines Entrées“ gab man von Neujahr 1777 an in dem neuerbauten Schauspielhause dreimal wöchentlich Vorstellungen, ein weiterer bedeutsamer Schritt, der ebensowohl für den praktische Sinn des Gründers, wie für die Theilnahme des Mannheimer Publicums spricht. An den prachtvollen Hoftheatern der vielen deutschen Residenzen war nämlich damals noch durchweg die unentgeltliche Vertheilung der Eintrittskarten im Gebrauch, und selbst dadurch wurden die Häuser nicht immer gefüllt. Beamte, Militärs und sonst vom Hofe Abhängige mußten oft förmlich zum Besuche commandirt werden; sogar den Fremden in den Wirthshäusern wurden Freibillets zugetheilt, ja, in Stuttgart ließ der Herzog, um die Sitzreihen zu garniren, manchmal Soldaten in’s Theater führen.

Marchand war verpflichtet, fähige junge Leute in der Kunst zu unterrichten und zu diesem Zwecke wöchentlich zweimal die Grundsätze der Schauspielkunst durch Vorlesungen zu erklären. Bei den dreimaligen wöchentlichen Aufführungen mußte mit Lust-, Sing- und Trauerspielen abgewechselt werden; auch war die Aufführung von Concerten und Oratorien projectirt. Die Mannheimer sollten aber nicht lange Freude von der Marchand’schen Truppe haben: Karl Theodor nahm Anfangs 1778 als nächster Erbe des Kurfürsten von Baiern Besitz von dem baierischen Lande, verlegte seine Residenz nach München und ließ am 15. September jenes Jahres seine „teutsche Schaubühne“ nachkommen. Mannheim drohte trotz der von einem hohen Adel und der Bürgerschaft fast gleichzeitig gegründeten Liebhabertheater und der „Concerts des amateurs“ künstlerisch zu veröden, wie es materiell herunter zu kommen begann, und nur den Bemühungen einiger patriotischer Männer, darunter in erster Linie des Reichsfreiherrn Heribert von Dalberg, ist es zu danken, daß die Gefahr abgewendet wurde. Dalberg war es, der dem Fürsten zuerst den Vorschlag machte, zum Ersatz für die durch Verlegung der Residenz entstandenen Einbußen Mannheim ein Schauspiel zu schenken, und seine unausgesetzten Bemühungen trugen schöne Frucht.

Am 1. October 1778 schickte der Kurfürst dem Freiherrn eine Zuschrift, „die Fortführung einer teutschen Schaubühne in Mannheim betreffend,“ worin in dem antediluvianischen Kanzleistyl der damaligen Zeit versichert wird, daß „Ihre kurfürstliche Durchlaucht es gern sähen, wenn zu einiger Nahrungsbeihülfe der dortigen Stadt und Bürgerschaft eine dergleichen Schau-Bühne durch anderweithe Anordnung einer schicklichen Trouppe beibehalten und fortgeführt werden könnte.“ Gleichzeitig sicherte der Kurfürst einen Jahresbeitrag von 5000 Gulden sowie verschiedene andere Vergünstigungen zu und ernannte Dalberg zum Intendanten des Unternehmens. Man sieht, die Motive, welchen die Idee einer deutsche Nationalbühne ihre Entstehung zu verdanken hatte, waren durchaus nicht idealer Natur. Die Mannheimer selbst fanden lange keinen höheren Maßstab der Würdigung für das, was sie in ihrer Bühne besaßen, als die Freude an der „melkenden Kuh“. Noch im Jahre 1804, als der berühmte Iffland ein Gastspiel in der Stadt gab, bezeichnete die Bürgerschaft in ihrem bei der Theaterintendanz um dauernde Wiedergewinnung des großen Schauspielers bettelnden Schreiben die Schaubühne als „eine reichhaltige Quelle des bürgerlichen Wohlstandes“ und Iffland’s Wiedereintritt als das einzige glückliche Ereigniß, welches dem gesunkenen Wohlstande des Bürgers vor der Hand aufhelfen könne.

Mit freudigem Enthusiasmus und jugendlicher Selbstverleugnung, mit reformatorischem Ernste und praktischer Klugheit setzte Dalberg zum Besten der neuen Bühne anfangs seine ganze Kraft ein. Nach einem vorläufigen, etwas über ein Jahr dauernden Engagement und Wirken der Seyler’schen Gesellschaft, nach anstrengendsten Mühen und Vorarbeiten zur Bildung eines guten, neuen Repertoires und zur Erlangung würdiger Costüme und Decorationsstücke gelang es dem Intendanten, die bedeutendsten Mitglieder des zufällig gerade um diese Zeit sich auflösenden gothaischen Theaters, die Iffland, Beil, Beck und Boeck, für sein Unternehmen zu gewinnen, und so wurde denn am 7. October 1779 die fertig eingerichtete Bühne mit dem Lustspiele: „Geschwind, eh’ es Jemand erfährt“, einem reizenden, von dem damals allbekannten Uebersetzer Bock bearbeiteten Stücke, als „Neues Deutsches Nationaltheater“ eröffnet. Es war ein bedeutsamer Tag. Mitten in der Auflösung der politischen Kraft und Größe Deutschlands, mitten in der Fäulniß einer stagnirenden, auf unsittlichen Voraussetzungen beruhenden Culturepoche wurde an diesem Tage deutscher Kunst und deutscher Poesie eine Freistätte gegründet, welche ihre befruchtenden Keime hinaustragen sollte durch alle deutschen Gauen und weit über sie hinweg in die fernsten Lande. Der glückliche Zufall, welcher Dalberg mit Iffland und dessen Freunden Beil und Beck beschenkte, war für die Entwickelung der deutsche Schauspielkunst von ebenso großer, ja vielleicht von noch größerer Bedeutung, als es derjenige für das deutsche Drama war, welcher Schiller für die erste Aufführung seiner „Räuber“ einen Iffland finden ließ.

Der Einfluß seines kunstbegeisterten Leiters machte sich bei dem neuen Theater nach allen Richtungen hin geltend. Die Stelle eines Intendanten war bisher mit einer ansehnlichen Besoldung verbunden gewesen. Dalberg schlug dieselbe aus, bezahlte seine eigene Loge im Schauspielhause, schoß aus eigenen Mitteln für Garderobe, Musikalien und Bibliothek die ansehnliche Summe [743] von 6986 Gulden zu, wirkte abgehenden, verdienten Bühnenmitgliedern Pensionen, dem Theater ansehnliche Zuschüsse aus – kurz, benahm sich anfangs in aufopferungsvollster, einsichtigster Weise. Alle vierzehn Tage versammelte er die Regisseure mit vier bis sechs Mitgliedern der Gesellschaft bei sich, um gemeinschaftlich über Verbesserung der Bühne zu berathschlagen, neue Stücke in Vorschlag zu bringen und abzustimmen über eingegangene Vorstellungen und Beschwerden. In diesem sogenannten „großen Ausschuß“ las er von ihm selbst verfaßte Beurtheilungen über bedeutende Vorstellungen vor, gab dramaturgische Fragen zur Beantwortung auf und verlangte Kritiken über eingelaufene Schauspiele. Die Protokolle über jede Sitzung wurden in der nächstfolgenden verlesen. Diese Einrichtung, das eigenste Werk Dalberg’s, wobei außer Iffland, Beil, Beck und anderen Schauspielern auch Schiller eine Zeitlang mitwirkte, gab dem Ganzen eine Haltung und Richtung, die nicht hoch genug geschätzt werden kann.

Die eigentliche Glanzperiode der Bühne, die Jahre von 1786 bis 1793, während welcher man mit Stolz und Bewunderung von einer „Mannheimer Schule“ sprechen konnte, bleibt gleichwohl weniger der organisatorischen Thätigkeit Dalberg’s als dem productiven Genie Iffland’s und Schiller’s zu verdanken. Um so peinlicher berührt es, daß diese beiden Männer, welche ihre Thätigkeit in ein und demselben Jahre auf derselben Bühne begannen, später Beide durch Undank gekränkt von eben dieser Bühne auf Nimmerwiedersehen Abschied nahmen. Etwas Vollkommenes existirt nun einmal nicht auf Erden. Auch Dalberg war nicht vollkommen, und die Mängel und Schäden ihrer Zeit vermochten weder die Pfälzer noch andere gutwillige Fürsten wie einen alten Rock in die Ecke zu werfen.

Dalberg konnte nach dem Tode Karl Theodor’s nicht den Muth gewinnen, Schiller’s „Kabale und Liebe“, welches der Kurfürst verboten hatte, aufführen zu lassen. „Da nur der vorige Kurfürst ‚Kabale und Liebe’ verboten hatte“ – schreibt 1802 der Schauspieler Beck in seinen Regieberichten – „und das Sujet den jetzigen gar nicht incommodiren kann (sic!), so glaube ich, daß man das gewünschte gute Stück wohl geben solle.“ Dalberg replicirt kurz: „Dies Stück (welches der Autor selber in dem dermaligen Geiste der Zeit nicht würde geschrieben haben, um Fürstenwürde und Ansehen an den Pranger zu stellen etc.) bleibt weg!“ Aehnlich erging es dem „Fiesco“, welcher, nach Dalberg’s ballhornisirenden Wünschen gleich den „Räubern“ vom Dichter umgearbeitet, trotzdem für unaufführbar erklärt und nach einzelnen Vorstellungen im Jahre 1784 für lange Zeit bei Seite gelegt wurde. Nicht einmal eine Gratification für seine Mühe empfing der arme Poet, obschon Iffland einen dahingehenden Antrag im Theaterausschuß zu Protokoll gab. In „Maria Stuart“ genirten den Intendanten die Scenen der Beichte, die er einfach streichen ließ, und über die „Wallenstein-Trilogie“ urtheilt er abfällig.

Weder für die „Räuber“, den „Fiesco“, „Kabale und Liebe“ und „Don Carlos“, noch für die „Jungfrau von Orleans“, „Maria Stuart“, die „Braut von Messina“ und den „Wallenstein“ erhielt Schiller ein Bühnenhonorar, obgleich es Dalberg ein Leichtes gewesen wäre, dem Poeten in irgend einer Form ein solches auszuwirken. Erst für den „Tell“, der nach dem Manuscript aufgeführt wurde, empfing der Dichter ein Honorar von 136 Gulden 15 Kreuzer. Freilich war Schiller schon früher von Illusionen wegen der Dalberg’schen Freigebigkeit gerade gegen ihn geheilt worden. Als er seinerzeit, angefeuert durch die Lobeserhebungen des freiherrlichen Dilettanten, den Sclavenketten des Stuttgarter Herzogs entsprungen war und, nur von der Güte des treuen Andreas Streicher lebend, mit dem vollen Vertrauen eines erfahrungslosen Jünglingsherzens Dalberg um Verwendung beim Herzog Karl und um einen Vorschuß von 200 Gulden bittet, womit er in Stuttgart die durch den Druck der „Räuber“ entstandenen Schulden decken könne, da hüllt sich der edle Dalberg in tiefsinniges Schweigen. Dem auf seine Weisung von dem Dichter ausgearbeiteten Plane einer Mannheimer Dramaturgie, für dessen Verwirklichung sich dieser eine jährliche Gratification von 50 Ducaten ausbittet, bereitet er eine ähnliche Aufnahme. Hätte unser größter dramatischer Poet in der traurigen Flüchtlingszeit, welche seiner kärglichen Anstellung als Mannheimer Theaterdichter vorausging, die mütterlich sorgende Hand der guten Frau von Wolzogen entbehren müssen, er wäre an dem Dalberg’schen Kunstenthusiasmus einfach verhungert. Auch er mußte, wie Devrient bitter bemerkt, gleich Iffland „in dem edlen Dalberg den Cavalier erkennen, dem das bürgerliche Talent nur als ein Werkzeug galt“. In den letzten Märztagen des Jahres 1785, ein halbes Jahr, nachdem die Schauspieler des „teutschen Nationaltheaters“ ihn auf offener Bühne persiflirt hatten, verließ Schiller Mannheim und suchte sich in den Armen seines treuen, aufopferungsvollen Freundes Körner über die dort gemachte Erfahrungen zu trösten.

Dem großen Mimen Iffland war eine directere Auseinandersetzung mit Dalberg aufgespart. Nachdem in den unruhigen Kriegsläufen der neunziger Jahre die Existenz der Bühne ganz in Frage gestellt worden, der Intendant dem Schauspieler mit unbeschränkter Vollmacht die Leitung anvertraut und der gute Iffland mit Hintansetzung aller persönlichen Rücksichten den Bestand der Truppe und die Fortführung der Vorstellungen durchgesetzt hatte, bewies ihm Dalberg bei seiner Wiederkunft in so unzweideutiger Weise seine allerhöchste Unzufriedenheit, daß der Künstler, wie er in seiner naiven Weise erzählt, nicht mehr wußte, wie er des Intendanten Zimmer verlassen solle, und sich „einige Tage sehr übel befand“. Dieser Auftritt und die mit der Zeitlage zusammenhängende Unsicherheit der Fortdauer des Bühnenunternehmens bildeten jedenfalls die Hauptursachen der Abreise Iffland’s und seines Eintritts als Director der Berliner Hofbühne. Daß Dalberg diesen Eintritt zum Ausgangspunkte so infamirender Vorwürfe nahm, wie er sie in seinen Briefen vom November und December 1796 dem Künstler macht, war jener Doppelursache gegenüber doppelt ungerecht.

Sieht man von diesen menschlichen Schwächen des Mannes ab, so muß man an Dalberg sowohl das edle Streben, wie auch die klugen Mittel ehren, mit denen er dasselbe verwirklichte. Er war der Erste, der dem darstellenden Künstler Ehrfurcht vor seiner Kunst und Verständniß derselben zu lehren suchte, der Erste, welcher unserer deutschen Bühne eine Organisation schuf, die auch heute noch mustergültige Bedeutung hat. „Mein Zweck ist Erhöhung und Beförderung dramatischer Kunst, welche so oft durch des Schauspielers sträfliche Vernachlässigung herabgewürdigt wird,“ sagt er in einer seiner Kritiken, und diesem Zwecke hat er viel geopfert.

Mit dem Abgange Iffland’s schien indessen auch bei Dalberg das Interesse an seiner Schöpfung zu erlahmen. Der Stern des Mannheimer Bühnenhimmels war erloschen, das Interesse des Publicums abgestumpft, der langsam großgezogene Geist künstlerischen Eifers in den Mitgliedern geschwächt oder gar erstorben. Wo war sie hin, die Zeit, da der jugendliche Feuerkopf Schiller’s und die besonnene Denkermiene Iffland’s der freiherrlichen Geisteswelt ewig neue Nahrung und Anregung schenkten? Wo waren sie hin, jene ersten Aufführungen der „Räuber“, wo sich im Zuschauerraume, wie ein Augenzeuge berichtet, „rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie kündeten, fremde Menschen schluchzend einander in die Arme fielen, ohnmachtnahe Frauen zur Thür wankten“? Dalberg selbst war älter geworden; das ominöse „Pulverfeuer“, das Schiller ihm nachrühmt, flammte nur noch spärlich auf. Dazu trat dann die Hartnäckigkeit, mit der man in München auf der Suspendirung und Aufhebung des Theaters bestand, die Demoralisation der Schauspielertruppe – kurz, am 20. Juni 1803 legte der Freiherr seine Intendantur nieder und trat seine Oberhofmeisterwürde an. Vielleicht hat er seine Schöpfung mit denselben Gefühlen verlassen, denen ein Jahr vorher der Münchener Theatercommissär Babo in einem die Unverträglichkeiten des Regisseurs Beck behandelnden Briefe so drastischen Ausdruck gab. „Meine Amtsbekanntschaft mit Künstlern,“ heißt es da, „hat mir die Kunst recht ekelhaft gemacht, und kaum kann ich den rachsüchtigen Wunsch unterdrücken, daß Beck zum Intendant en chef über alle pfalzbaierische theatralische Angelegenheiten ernannt werde. Die Unholde würden sich so unter einander erwürgen, und aus dem so reinen Rest, wie klein er auch wäre, ließe sich dann etwas Gutes erbauen.“

Der im achtzehnten Jahrhundert geträumte Blüthentraum einer deutschen Musterbühne in Mannheim blieb verflogen. Wohl boten in unserem Jahrhundert Staat und Stadt alle Kräfte auf, das Nationaltheater als solches zu erhalten und zu heben, wohl hallte die Bühne wider von den Schritten der größten Künstler und Künstlerinnen ihrer Zeit, wohl wurden die besten Producte der Dichtkunst und Musik nach wie vor gehegt und gepflegt und [744] in den fünfziger Jahren ein vergrößerter, den Anforderungen der Neuzeit entsprechender Kunsttempel erbaut – ihre frühere Bedeutung errang die Mannheimer Bühne nicht wieder. Einen merkbaren Aufschwung nahm die alte, ehrwürdige Anstalt, als sie ganz in die Hände der städtischen Verwaltung überging und unter staatlicher Oberhoheit eine einsichtsvolle artistische und geschäftliche Leitung erhielt, und den Rang einer der besten deutschen Bühnen behauptet sie auch heute noch.

Es hatte etwas Rührendes, bei der vergangenen Säecularfeier in der festlich bekränzten Stadt all die verschiedenen zahllosen Erinnerungszeichen an die Glanzperiode der Anstalt zu betrachten, womit pietätvolle und industrielle Hände die öffentlichen Schaufenster und Locale geschmückt hatten. Alte, verschimmelte Theaterzeitungen und Autographen, buntcolorirte Kupferstiche von Iffland, Beil und Beck in ihren damaligen Glanzrollen, uralte Wochenschriften und Theaterzettel, Almanache und Abbildungen des alten Schauspielhauses und der Beschießung Mannheims im Jahre 1792 – man hätte eine ganze Raritätensammlung daraus herstellen können. Und der Enthusiasmus, den das Mannheimer Publicum gelegentlich des Festes für seine Bühne zeigte, mahnte nicht minder an deren glänzendste Zeit. Von der Aufführung des „Fidelio“ und den historischen Reminiscenzdarstellungen des „Geschwind, eh’ es Jemand erfährt“, der Schiller’schen „Räuber“ und Iffland’schen „Jäger“ bis zu den Decorationsdramen der Wagner’schen Nibelungen, vom ersten Rede-Actus der Vorfeier bis zum letzten isolirtesten Privatbanket der Nachfeier äußerte sich die Theilnahme in frischester, wohlthuendster Weise.

„Wenn wir es erlebten, eine Nationalbühne zu haben“ – rief Schiller im Jahre 1784 – „so würden wir auch eine Nation.“ Wir sind eine Nation geworden auch ohne eine Nationalbühne. Wollen wir aber eine Nation bleiben und als solche zu immer tieferer Kräftigung, Veredelung und Selbstbefreiung emporsteigen, dann möge sich unsere vollste Theilnahme wieder unseren nationalen Bühnen zuwenden! Alsdann werden dem Verständniß unserer Dichterheroen immer weitere Canäle gegraben und wird dem deutschen Herzen die Naivetät der Empfindung zurückgewonnen werden, welche eine beifallbuhlende, effecthaschende Afterkunst schwächte und zurückdrängte.