Die Mädchenpensionate der französischen Schweiz

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Titel: Die Mädchenpensionate der französischen Schweiz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50, 52, S. 844–847, 870–872
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Mädchenpensionate der französischen Schweiz.
I.


„So wäre denn unser Töchterchen confirmirt; aber was nun?“

Ach, der Traum eines Mutterherzens, der einst, als das Kind noch mit der Puppe gespielt, dieses schon groß und erwachsen gesehn, der es walten sah in der Häuslichkeit als die rechte Hand der vielgeplagten Mutter, der es geliebt und bewundert sah im geselligen Kreise, mit einem Wort, der aus dem Kinde schon das junge Mädchen sich vorzaubert, dieser Traum, dem jede Mutter schon früh für ihre Tochter nachhängt, er überspringt einen wichtigen Lebensabschnitt: den Uebergang vom Kindesalter zur geistigen und körperliche Reife, das vielgenannte, vielgeschmähte Backfischalter.

Das junge Mädchen soll in dieser Zeit ein „frisch vom Himmel gefallener Engel“ sein; zugegeben, aber ein gut Stück vom Sprühteufelchen und Kobold steckt auch auch in ihm. Diese Doppelnatur giebt dem dreizehn- bis sechszehnjährigen Mädchen eine Unberechenbarkeit, ein Schwanken und Schillern, das nicht immer zum eigenen Behagen und zu dem der Umgebung beiträgt.

Da thun denn Eltern, deren Verhältnisse dies gestatten, ihre Tochter gern auf ein Weilchen von sich; unter neuen Lehrern soll sie ihren Schulgang vollenden, unter neuer Aufsicht die kleinen sich bekriegenden Geister im Innern zum Frieden bringen. Und so tritt denn das junge Mädchen in ihr Institutsjahr ein, das bis vor Kurzem für eine Tochter höherer Stände als unerläßlich galt und das noch jetzt vielfach als nothwendiger letzter Firniß einer wohlgelungenen Mädchenerziehung angesehen wird.

Seit Jahren entsenden wir mit Vorliebe unsere Töchter in die Pensionate der französischen Schweiz. Zu den obengenannten Momenten, die eine Entfernung des jungen Mädchens aus dem Elternhause wünschenswerth erscheinen lassen, gesellt sich dort der Vortheil, daß sie das Französische als Umgangssprache leicht und fließend erlernen kann. Zudem hat die Schweiz den wohlverdienten Ruf, seit Jahren schon vortreffliche Volksschulen und höhere Bildungsanstalten zu besitzen; man weiß dort eine größere Gediegenheit und Gründlichkeit als in Frankreich, wohin wir ja der Sprache wegen unsere Töchter auch in Pension schicken können.

Besuchen wir einmal eines der unzähligen jungen Mädchen, die alljährlich aus Deutschland in die französische Schweiz geschickt werden, in seiner Pension, gleichviel in welcher, und verleben wir einen Pensionstag mit ihm! Das Haus liegt in herrlicher Gegend; von den Fenstern seines mit neuen Polstermöbeln und bunten Handstickereien geschmückten Salons überblicken wir einen klaren See; am jenseitigen Ufer ragen stolze Berge, oder in der Ferne schimmert die Alpenkette. Besuchsstunde ist zwar noch nicht, denn es ist sechs oder einhalb sieben Uhr Morgens. Gleichviel, wir haben Eintritt.

Eine Glocke tönt durch's Haus, oder ein Klopfen an den Thüren der Schlafzimmer. Zwei, drei oder vier junge Mädchen theilen ein Zimmer; in manchen Pensionen schlafen fünfzehn bis zwanzig in einem Saal beisammen unter Aufsicht einer Lehrerin. Das Zeichen zum Aufstehen ist gegeben. Die schmalen Betten, zu denen der augenblickliche Insasse selbst die Leintücher mitbringen mußte, werden verlassen. Die Neulinge stammeln vielleicht noch halb traumbefangen ein paar Worte der Muttersprache, mit dem klaren Bewußtsein kehrt aber die Erinnerung zurück, daß hier nur französisch gesprochen werden darf. Eine Uebertretung dieses Gebotes muß die Uebelthäterin selbst anzeigen. Bei der Toilette bedient man sich selbst mitgebrachter Wäsche. Ist der Anzug in Ordnung, so kniet jeder Zögling zu kurzem Gebet vor seinem Bett nieder.

Eine gemeinschaftliche Morgenandacht vereint darauf die jungen Mädchen in einem der Schulräume. Ist diese beendet, wird das Frühstück eingenommen, das meist aus Kaffee oder Milch mit Weißbrod besteht.

Um acht oder, je nach der Hausordnung, um neun Uhr beginnt der Unterricht mit abermaligem Gebete. Jede Lehrstunde wird in französischer Sprache ertheilt. Um zehn Uhr wird eine Viertelstunde pausirt und ein kleiner Imbiß, meist ein Stück trockenes Brod, gegeben, das übrigens dort so weiß und locker wie unsere Semmel und frisch sehr wohlschmeckend ist. Um zwölf Uhr wird der Vormittagsunterricht geschlossen. In manchen Pensionaten beginnt er im Sommer schon um sieben und dauert bis elf Uhr. In diesem Falle gehört dann die letzte Vormittagsstunde dem Baden und Schwimmen; zu Beidem bietet der See prächtige und gefahrlose Gelegenheit. Die jungen Zöglinge erklären diese für die herrlichste Stunde des Tages, und wer in die fröhlichen Gesichter der Zurückkehrenden blickt, die oft noch vom triefenden Haare im buchstäblichsten Sinne des Wortes umflossen sind, glaubt dieser Versicherung gern.

Die Glocke ruft das frohe Völkchen zum Mittagessen in den Speisesaal. Jede bleibt vor ihrem Platze stehen, bis die Vorsteherin ein kurzes Gebet gesprochen hat; dann folgt allgemeines Stuhlrücken, und das eifrige Klappern von Tellern und Löffeln bezeugt, daß jedenfalls guter Appetit hier zu Hause ist. Die Serviette, die auf dem Schooße liegt, der Löffel, den man führt, das Besteck zur Seite des Tellers, Alles hat die Mama dem scheidenden Kinde noch in den Koffer gepackt, und mancher Gedanke mag jetzt der Heimath zufliegen, wo sie ja auch gerade um den Eßtisch versammelt sind. Wollen aber die Lippen mit der Nachbarin von der Heimath plaudern, so müssen sie französische Worte wählen. Allgemach verstummt das Klirren von Messer und Gabel: man ist fertig; erwartungsvolles Schweigen. Auf ein leises Zeichen der Vorsteherin erhebt sich die ganze Schaar und spricht ein kurzes Dankgebet; dann entfliegt sie fröhlich in den Garten. Nur zwei Schülerinnen, die heute Morgen schon den Kaffeetisch abgeräumt und die Tassen vielleicht sogar abgewaschen haben, bleiben auch jetzt zurück, um alles Eßgeräth von der Tafel zu entfernen. Nächste Woche aber eilen auch sie sofort nach Tisch lustig dem Garten zu, und zwei Andere müssen dafür den heutigen Dienst versehen.

Bis zwei Uhr Nachmittags ist Freizeit. Plaudernd oder die Aufgabe memorirend gehen die Mädchen im Garten auf und ab. Der Nachmittag ist meist dem Zeichnen und der Nadelarbeit gewidmet; auch die Aufgaben für den folgenden Tag werden abgeschrieben und gelernt. Um sechs Uhr wird das „Goûter“ genommen, das wie die übrigen Mahlzeiten mit Gebet begonnen und geschlossen wird. Nach dem Abendessen werden sämmtliche Zöglinge spazieren geführt. Nur Krankheit berechtigt, sich von diesem Spaziergange auszuschließen. Im Winter wird er nach dem Mittagessen unternommen.

Der Abend wird verschieden zugebracht; in dem einen Hause wird Aufgabenschreiben und Auswendiglernen fortgesetzt; in einem andern sind die Mädchen unter Aufsicht plaudernd und gesellig beisammen. Den Tag beschließt eine nochmalige Andacht. Dann setzt sich Madame oder Mademoiselle auf ihren Stuhl; die junge Schaar defilirt an ihr vorbei, und Jede sagt ihr mit einem Kusse „Gutenacht!“. Madame hält zu diesem obligaten Tagesschlusse resignirt ihre Wange hin mit einem Ausdrucke im Gesichte, den ein alter Vers etwa in die Worte übersetzt: Wie Gott will – ich halte still.

Bei dieser Tageseintheilung ist jeder clavierspielenden Schülerin eine bestimmte Stunde zum Ueben angewiesen. Auch zum Briefschreiben, zum Einkaufen (in Begleitung einer Lehrerin) sowie zum Durchsehen und Instandhalten ihrer Wäsche haben die jungen Mädchen bestimmte Tage und Stunden.

Zu den Vergnügungen gehören größere Ausflüge, Besuche bei befreundeten Familien und das Anhören von Concerten oder ausgewählten Theaterstücken. Während der Ferien wird der Unterricht unterbrochen; Ausländerinnen bleiben gewöhnlich in der Pension. Wenn die Eltern der Tochter die Mehrausgabe bewilligen, macht die Vorsteherin eine Bergtour mit ihren Pflegebefohlenen.

Die oben kurz entworfene Schilderung des Pensionslebens mag vielleicht da und dort eine kleine Abänderung erfahren; das eine Institut mag die Lehrzeit etwas früher oder später schließen, ein zweites vielleicht in den innern häuslichen Einrichtungen ein wenig von dem gegebenen Bilde abweichen, bei einem dritten mag die Zahl der gemeinschaftlichen Andachten und Gebete eine andere sein, im Großen und Ganzen aber wiederholen sich in [846] all diesen Anstalten, von denen dort gerade zwölf auf ein Dutzend gehen, dieselben Einrichtungen und könnten in dem oberflächlichen Beobachter die Meinung erwecken, daß sie alle nach einer Schablone gebildet, alle von demselben Geiste beseelt seien.

Doch dies scheint nur so.

Vor Allem sondern sich da die zwei grundverschiedenen Classen der Institute von einander ab, die aus der Mädchenerziehung eine Industrie machen, ein Geschäft, wie der Uhrenhandel in Lachauxdefonds und Locle oder der Käsevertrieb im Emmenthal es ist, und derjenigen, die wirklich Bildungsanstalten sind. Erstere sind zahllos, letztere sehr dünn gesäet. Erstere haben nichts als ihr Französisch und verkaufen uns dies so theuer wie möglich; letztere wollen nach festem Plan erziehen und unterrichten.

In den Cantonen Waadt, Genf und Neuenburg wird von Institutsvorstehern und solchen, die es werden wollen, die Ablegung eines Examens nicht verlangt. Die Anstalten sind der Aufsicht des Staates unterworfen, der von ihnen fordert, daß jeder Zögling wenigstens Primar-, also Volksschulbildung in ihnen erlangt. Die Aufsicht wird im Canton Neuenburg z. B. in der Weise geübt, daß Abgeordnete der Erziehungsdirection entweder dem Examen der Institute beiwohnen, oder daß die Schüler der letzteren zu einer allgemeinen Prüfung zugezogen werden. Doch sind diesen Prüfungen nur Kinder vom siebenten bis sechszehnten Jahre unterworfen. Streng werden diese Prüfungen nicht eingehalten; oft fehlt die Behörde bei denselben. Im Canton Waadt schreitet die Behörde nur dann ein, wenn sie von einem Pensionat erkennt, daß es seinen Schülern das Minimum der öffentlichen Volksschulbildung nicht gewährt.

Bedenkt man, daß wir unsere Töchter dorthin senden, nachdem sie die deutsche Schule entweder ganz oder doch bis zu den obersten Classen durchlaufen, bedenkt man, daß es fast immer Schülerinnen höherer Lehranstalten sind, die in der französischen Schweiz ihre Bildung vollenden sollen, so muß man sich sagen, daß der Staat nur Garantie für eine Stufe von Schulkenntnissen leistet, welche fast ausnahmslos die Schülerinnen schon überschritten haben, und daß für das, was wir eigentlich wollen, für höhere Fortbildung, durchaus keine Gewähr gegeben wird.

Wer eine Pension gründen will, miethet oder kauft ein im Garten gelegenes Haus, richtet darin einen eleganten Salon, ein Eßzimmer, einige Schulräume und die nöthigen Schlafzimmer ein, läßt einen Prospect drucken, und das Institut ist bereit für seine Zöglinge. Ob die Leiter der Anstalt auch die nöthigen Kenntnisse besitzen, um das zu halten, was der Prospect verspricht, ob sie die erforderliche pädagogische Einsicht für die Führung der Anstalt und für die Wahl der Lehrkräfte haben, das müssen eben erst die Resultate den Eltern und Schülerinnen beweisen.

Sehen wir uns den Prospect an!

Monsieur, Madame oder Mademoiselle X. nehmen eine Anzahl junger Mädchen in ihrem Hause auf, deren Erziehung und Unterricht die größte Sorgfalt gewidmet werden soll. Die Unterrichtszweige sind: Die modernen Sprachen: Französisch, Englisch, Deutsch und Italienisch, ferner: Religion, Geschichte, Geographie, Naturwissenschaften, Rechnen, Schönschreiben, Zeichnen oder Malen und Handarbeiten. Meist ist der Unterricht in der italienischen, oft auch der in der englischen Sprache extra zu bezahlen; immer vom Pensionspreis ausgeschlossen ist der Musikunterricht, fast ebenso ausnahmslos ist auch das Malen eine Extrastunde.

Lesen wir unsern Prospect weiter! Er enthält nur noch einige häusliche Mittheilungen und die Preise.

Der Pensionspreis ist sehr verschieden. Während im „innern Lande“ gut gehaltene Pensionen zu 700 Franken, am Bieler und Neuenburger See zu 8 bis 900 Franken sich finden, überschreiten die Anstalten am Genfer See die 1000 fast durchschnittlich. 1200, 1500, 1800 Franken sind dort die gewöhnlichen Preise; die Städte Genf und Lausanne haben Institute zu 2000 und mehr Franken Pensionspreis. Für ein Mädchen, das außer der französischen Sprache noch eine fremde erlernt, Clavier spielt und zeichnet oder malt, erwächst noch die Mehrausgabe für die betreffenden Extrastunden, die sich im Jahr auf mindestens 250, oft auf 500 bis 700 Franken und mehr beläuft.

Dies sind die Nachrichten, die wir aus dem Prospect uns verschaffen. Ein Vergleich desselben mit dem Stundenplan wird um so leichter, als die Vorsteher und Vorsteherinnen mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit Allen, die sich dafür interessiren, über die Einrichtungen ihrer Anstalt Auskunft geben, uns auch erlauben, den Unterrichtsstunden beizuwohnen. Als durchaus vereinzelter Fall ist der zu verzeichnen, daß einem Besuch, der sich über die Anstalt und deren Lehrgang zu unterrichten wünschte, die nähere Einsichtnahme und das erbetene Hospitiren verweigert wurden. Es ist dies doppelt auffallend, da durch Eltern von Zöglingen, durch letztere selbst, ja auch durch Lehrer und Lehrerinnen mancherlei Klagen über die Leitung der Anstalt in's Publicum gedrungen waren. Doch wenn auch die eine Pforte geschlossen bleibt, die andern thun sich freundlich auf. Treten wir ein, um uns zu überzeugen, wie das, was der Prospect verspricht, ausgeführt wird!

Da sind denn auf dem ersten Stundenplan wöchentlich siebenzehn Unterrichtsstunden angemerkt (außer den Extrastunden). Von diesen siebenzehn gehören acht ausschließlich der französischen Sprache, nämlich sechs für Grammatik, Dictat und Aufsatz und zwei Literaturstunden. Die übrigen neun Stunden werden auf sechs verschiedene Fächer: Deutsch, Englisch, Geschichte, Geographie, Naturkunde und Rechnen, vertheilt, sodaß auf einen dieser Unterrichtsgegenstände durchschnittlich anderthalb Stunden wöchentlich fallen. Auf dem Stundenplan des andern Institutes nimmt das Französische von achtzehn Schulstunden zwölf in Anspruch; für die übrigen sechs Fächer bleibt also je eine Stunde frei.

In einer Pension mit höherer Stundenzahl (26) erhält die französische Sprache zwölf, die englische sechs Stunden zugetheilt. Religion, Deutsch, Geschichte, Geographie, Rechnen, Schönschreiben, Zeichnen, Handarbeiten theilen sich mit 8 : 8 = 1.

Noch überwiegender herrscht das Französische auf dem vierten Plan. Dreizehn verschiedene Fächer sind auf vierundzwanzig Schulstunden vertheilt und fünfzehn davon dem Französischen gewidmet. Diese Bevorzugung der französischen Sprache ist im Grunde natürlich. Die jungen Mädchen werden in die französische Schweiz geschickt, hauptsächlich um die Sprache fertig sprechen und beherrschen zu lernen. Der Unterricht, den sie zu diesem Zweck erhalten, ist fast ausnahmslos ein guter und sorgfältiger.

Der Franzose legt auf eine gewandte Ausdrucksweise im Sprechen wie im Schreiben großen Werth. Ihm ist es ebenso wichtig, wie er etwas sagt, als was er sagt, und er verzeiht sich eher einen orthographischen, als einen Stylfehler. Die Vorliebe für die gefällige Form haben auch die französischen Schweizer in hohem Grade, aber sie vereinen sie mit der größeren Gründlichkeit, die ihren östlichen Landsleuten, den Deutsch-Schweizern, eigen ist. Eine Pensionärin der französischen Schweiz kann, wenn sie Geschick und Willen dazu hat, ein grammatikalisch richtiges und in der Form gewandtes Französisch dort erlernen.

Es giebt Institute, die im französischen Unterricht fast den Vortheil von Privatstunden bieten, ja manche Damen beschränken immer ihr Institut auf wenige Schülerinnen, um im einer Sprachstunde nur je zwei Mädchen zu unterrichten. All diese Sorgfalt wird ausschließlich der französischen Sprache gewidmet. In ihr werden tägliche Grammatikübungen, Dictate und Stylproben vorgenommen, wöchentlich ein Aufsatz geschrieben. Die Literaturstunde erfreut sich besonderer Aufmerksamkeit. In vielen Pensionen treibt die Neuangekommene in der ersten Zeit nur Französisch, um so viel Fertigkeit darin zu erhalten, daß sie den übrigen, auch französisch ertheilten Unterrichtsstunden folgen kann, ja es kommt vor, daß eine Anfängerin von einem Tage zum andern zwei und eine halbe Druckseite wörtlich auswendig zu lernen hat, um nur möglichst schnell einen Vorrath französischer Worte und Wendungen in sich aufzunehmen.

Den Hauptzweck also, denjenigen, ihren Schülerinnen ein fließendes Französisch für Conversation und schriftlichen Ausdruck zu geben, erfüllen die Institute. Weniger befriedigend sind die Resultate, die in den übrigen Fächern erzielt werden. Namentlich wird von den Eltern immer wieder Klage darüber geführt, daß ihre Töchter während des Institutjahres in der Weltgeschichte nicht nur so gut wie nichts gelernt, sondern daß sie auch noch das, was sie vorher gekonnt, zum Theil wieder vergessen haben. Diese Klage ist begründet und auch aus den Verhältnissen leicht zu erklären.

Die jungen Mädchen kommen aus Deutschland, wo nur die Muttersprache ihnen erklungen ist, in ein fremdes Land mit [847] fremder Sprache. Wohl haben sie zu Hause auch französisch getrieben, haben vielleicht der Lehrerin die Fragen ganz hübsch zu beantworten, ihre aufgegebenen Uebersetzungen und Aufsätze fast fehlerfrei zu schreiben gewußt. Hier aber macht die Schülerin die Erfahrung, daß ihr Französisch, welches für die Schule wohl ausgereicht hat, sie bei den alltäglichsten Mittheilungen im Stiche läßt. Und in dieser Sprache soll sie nun all die verschiedenen Studien fortsetzen, die sie zu Hause nur in der Muttersprache geübt.

Da theilt man denn im Institut die Schülerinnen in drei Classen; jede durchläuft während ihres Pensionsjahres diese drei Abtheilungen. In die unterste kommen die Neueingetretenen. Sie werden entweder noch von einzelnen Unterrichtsgegenständen, z. B. Geschichte und Geographie, ausgeschlossen und treiben nur oder fast nur Französisch, oder sie erhalten in den genannten Fächern gesonderten Unterricht, wobei ihnen alle Sprachschwierigkeiten erklärt werden.

Bedenkt man die verschiedenen Nationalitäten, die grundverschiedene Vorbildung der Schülerinnen, stellt man sich die möglichst geringste Zeit vor, die der Stundenplan diesem durch immer wiederholte Spracherläuterungen gehemmten Lehrgang einräumt, dann erscheint das Wort gewiß nicht zu hart: auf dieser untersten Stufe, auch wenn sie alle Fächer in sich schließt, macht der Zögling nur Fortschritte in der französischen Sprache und in nichts anderem. Einen Stillstand aber giebt es hier nicht. Wer in einem Fache keine Fortschritte macht, der vergißt, der macht Rückschritte.

Auf der mittleren Stufe mag sich im besten Falle das Neuerwerben von Kenntnissen und das Entschwinden aus dem mitgebrachten Vorrath ungefähr die Wage halten.

Ein wirklich fortschreitendes Lernen aber ist erst auf der letzten und höchsten Stufe möglich, die nun jede Schwierigkeit des Sprachverständnisses als überwunden voraussetzt. Eine Schülerin so schnell wie möglich auf diese Stufe zu bringen, ist das Streben jeder Institutsleitung, die ihren Schülerinnen wirkliche Bildung und Kenntniß geben will.

Mit den genannten Schwierigkeiten hat jede, auch die bestgeleitete Pension der französischen Schweiz zu kämpfen. In der Art, sie zu bewältigen, offenbart sich das pädagogische Geschick oder der erzieherische Dilettantismus der Betreffenden; ersteres giebt die Schwierigkeiten zu und rechnet in seinem Wirken mit ihnen; letzterer sucht sie zu ignoriren und wirthschaftet frisch drauf los. Die oft wahrhaft jämmerlichen Resultate aber erklären sich noch nicht allein aus diesen Verhältnissen.

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II.

Seien wir ehrlich! Auch unser höheres Mädchenschulwesen liegt noch vielfach im Argen; auch in unsern Instituten wird den Mädchen noch viel leerer Formenkram aufgenöthigt, ihnen viel fertigpräparirte Lehre statt selbstgewonnener Erkenntniß eingegeben. Erst in neuer und neuester Zeit zeigt sich bei uns ein allgemeines Streben zum Besseren; neben den höheren städtischen Mädchenschulen blühen trefflich geführte Privatanstalten, in anderen aber verbirgt sich auch heute noch mehr Oberflächlichkeit und Halbheit, als man in dem Volke der Denker für möglich hält. Kommt aber eine Schülerin solcher Anstalten auch noch in ein französisches Pensionat, das mit der Mädchenerziehung einfach Handel treibt, dann ist sie in den wichtigsten Entwickelungsjahren einem Einfluß anheimgegeben, dem sie vielleicht ihr ganzes Leben lang verfallen bleibt.

Nehmen wir an, das Mädchen hat die beiden unteren Stufen der Anstalt durchlaufen und ist jetzt so weit, von der Sprache ungehindert, an allen Unterrichtsfächern teilnehmen zu können. Was findet es dann?

Der Lehrer oder die Lehrerin trägt vor; die Schülerinnen schreiben nieder. Die Notizen werden nach der Stunde ausgearbeitet und für das nächste Mal auswendig gelernt. Manche Lehrer machen es sich noch bequemer: sie geben einen Abschnitt im Geschichtsbuch auf, und die Mädchen sagen ihn in der nächsten Stunde der Reihe nach auswendig her. Ein anderer verbindet vielleicht gleich ein französisches Exercise damit und läßt ein Stück übersetzen.

Das ist der Geschichtsunterricht, und es mag oft dem deutschen Gefühl unserer Mädchen wohlthätiger sein, daß keine [871] weiteren Betrachtungen daran geknüpft werden. Denn wenn es vorkommt, daß ein Director zwei junge Deutsche, die in ihrer Pension den Sedantag in harmloser Weise durch schwarz-weiß-rothe Schleifen auf den weißen Kleidern ehren wollen, daß er diese Beiden heftig und in Gegenwart des ganzen Pensionats vom Frühstückstisch hinweg weist mit dem Befehl, sich anders anzuziehen, dann ist wohl auch von diesem Director nicht besondere Parteilosigkeit und Objectivität bei seinem Geschichtsunterricht zu erwarten. Etwas Parteinahme gegen Deutschland findet sich in sehr vielen dieser Industrie-Institute. Es ist dies eine instinctive Selbstwehr; sie leben nur durch ihr Französisch und stellen sich unwillkürlich jeder Macht, die das Franzosenthum bekämpft oder bekämpft hat, entgegen.

An ähnlicher Weise wie der Geschichtsunterricht wird auch der in den übrigen Fächern ertheilt. Es sei nochmals erwähnt, daß es glänzende Ausnahmen in dieser Unterrichtsweise giebt, aber es sind Ausnahmen. Nicht nur von deutscher Seite wird dieser Vorwurf gegen die Pensionate der Südwest-Schweiz erhoben, die eigenen Landsleute, die Deutsch-Schweizer, Lehrer, die an deutschen und[1] welschen Schulen gewirkt, Eltern, deren Kinder die beiderseitigen Anstalten besucht, die Schüler selbst, wenn sie reif genug geworden, um den Unterschied zu erkennen, bezeugen es: die Lehrkunst dieser Pensionate ist das Auswendiglernen.

Diese Institute versprechen zu viel; sie wollen in dem kurzen Jahr zu viel geben und erreichen deshalb fast nichts. In dem einen Jahr, von dem mindestens das erste Viertel der Bewältigung der neuen Lehrsprache gehört, von dem ferner acht Wochen Ferien abzuziehen sind, also in sieben Monaten wollen sie noch einmal den gesammten Stoff der Schuljahre durchjagen. Dabei bleibt dann freilich keine Zeit zu eingehenden Untersuchungen; mit eignem Suchen nach der Wahrheit, mit selbstständigem Folgern und Urtheilen kann man sich nicht aufhalten. Alles wird schon hübsch zubereitet den jungen Mädchen als geistige Nahrung eingegeben, und sie brauchen es nur hinunterzuschlucken.

Nicht das ist das Bedenkliche dabei, daß die Schülerinnen so Manches, was sie noch hätten erlernen können und sollen, auf diese Weise nicht erlernen, auch nicht, daß sie im Institut Vieles wieder vergessen, was sie in der Schule gelernt; beides ist schade, ist sehr zu bedauern, aber wirklich verderblich ist ein Anderes. Die jungen Mädchen gewöhnen sich, dieses leichte und mühelose Drüberweghuschen für ernste Arbeit zu halten; die Erzieher selbst oder doch die, die sich so nennen, bringen ihnen diese Meinung bei, und jedes aufmerksame Auge erkennt wohl, wohin solche von den Lehrern selbst protegirte Oberflächlichkeit führen kann. Jede Arbeit, die ein Leben füllen soll, erfordert Mühe und Anstrengung. Wenn unsern Mädchen gesagt wird: „In diesem Jahr sollt ihr lernen,“ so müssen sie eben lernen, das heißt geistig arbeiten. Das Lernen in diesen Pensionen aber ist keine Arbeit, es ist Spielerei, und die Jahre des Spiels sind für Mädchen dieses Alters lange vorüber.

Die hier geschilderten Anstalten haben meist noch irgend einen Nebenzweck. Entweder soll die Schülerin auch neben der französischen Sprache etwas Wirthschaftsthätigkeit üben lernen, oder wenn sie kränklich ist, soll sie sich in gesunder und milder Gegend erholen – solche Pensionate finden sich bei Vevey und Montreux – oder sie soll, ehe sie als fertige Dame in die Welt tritt, noch ein recht vergnügtes Jahr unter Altersgenossinnen verleben, oder endlich sie soll für die Gesellschaft, in der sie einst leben wird, sich in der Pension Tournüre und Auftreten erwerben. Den beiden letzten Forderungen entsprechen die sogenannten Vergnügungspensionate.

Wir wollen nicht erörtern, ob für ein Mädchen, das wirthschaften und geselliges Auftreten üben soll, nicht just für seine Verhältnisse und seinen Kreis das Elternhaus der geeignetste Boden und die Augen der Mutter die beste Leitung sind; es giebt ja leider Verhältnisse genug, wo Beides der heranwachsenden Tochter nicht ist und nicht sein kann, was es sollte. Gewiß ist, daß die betreffenden Anstalten auch solchen Nebenzweck vollständig und zur Zufriedenheit der Eltern erfüllen. Ebenso gewiß ist, daß die jungen Mädchen fast ausnahmslos vergnügt und froh ihr Pensionsjahr dahinleben. Sie verkehren täglich und stündlich mit Altersgenossinnen; Freundschaften werden geschlossen, und die herrliche Natur, die zu jedem Fenster herein grüßt, erfüllt, wenn vielleicht auch unbewußt, das junge Herz mit Licht und Sonnenschein. Dazu genießen die französischen Schweizerinnen mit Recht den Ruf großer Liebenswürdigkeit. Die Vorsteherin eines Pensionats weiß die jungen Seelen sich schnell zu gewinnen, und es werden wenig Institute zu finden sein, wo nicht das herzlichste und innigste Einvernehmen zwischen Zöglingen und Vorsteherin herrschte. Was Letztere fehlt in Unterricht und Erziehung oder fehlen läßt, das geschieht nicht aus Leichtsinn oder gar bösem Willen, sondern aus Nichtwissen.

Und wenn nun die Tochter jubelnd in’s elterliche Haus zurückkehrt, dann wird sie ein hübsches, vielleicht sogar ein elegantes Französisch sprechen, lesen und schreiben können; sie wird, wenn der Lehrer gut war, Fortschritte in der Musik gemacht haben, sie wird der Vorsteherin entweder einige häusliche Verrichtungen oder ein gewandtes geselliges Auftreten abgelauscht haben, sie wird Sehnsucht haben nach ihr, nach den Freundinnen, nach dem Alpenland, sie wird zärtliche Briefe dorthin senden – aber an allgemeiner Bildung hat sie nichts hinzuerworben, was ihr nicht eine Schule der Heimath in der halben Zeit und mit einem Viertel der Kosten hätte gewähren können.

In einem Bericht, der sich zwar bestrebt, die guten Seiten rückhaltlos anzuerkennen, der aber auch die Klagen, welche bisher von Eltern und Lehrern zurückgekehrter Schülerinnen nur in Privatkreisen geführt wurden, in’s weitere Publicum trägt, dürfte sich von den betreffenden Anstalten fast wie von den Frauen sagen lassen: die Besten sind die, von denen man am wenigsten spricht. Doch auch diese Besten seien kurz erwähnt. Sie werden von tüchtigen Erziehern geleitet, die sich schon an Schulen der Schweiz oder des Auslandes oft jahrelange praktische Erfahrung gesammelt haben. Mit der großen Schwierigkeit, zu Gunsten der französischen Sprache alle übrigen Fächer auf ein Minimum von Zeit und Arbeit anweisen zu müssen, kämpfen auch sie. Auch bei ihnen ist die Sprache der Hauptunterrichtsgegenstand, aber sie ist nicht Alleinherrscherin. Sie beschränken die Zahl der übrigen Fächer und in dem einzelnen Fach das Jahrespensum; sie geben weniger als die andern, aber sie geben Gutes. Zwar finden wir auch hier noch bei einzelnen eine Vorliebe für das Auswendiglernen, die unsere deutsche Schule (auch die der deutschen Schweiz) verurtheilt. Aber daneben zeigt sich doch immer das Streben, den Schülerinnen wirklichen Stoff und Gehalt mitzutheilen; wir finden strengere Anforderungen an die Lernenden. Mit einem Wort, hier will man erziehen und lehren, dort nur den Lehrstoff abhaspeln, den der Prospect versprochen hat. Dem innern Bau einer solchen wirklichen Lehranstalt finden wir auch da und dort eine oder einige Classen für Nichtpensionäre eingefügt. Eltern, die am Orte selbst wohnen, können besser als die im Auslande beurtheilen, welche Anstalten etwas leisten, welche nicht; in erstere schicken sie ihre Kinder, wenn diese keine öffentliche Schule besuchen sollen.

Die Institute, denen es nur um ein Geschäft zu thun ist, zählen nach Hunderten; die wirklichen Erziehungsanstalten erreichen kaum die Zehner. Wenn es ein Zufall ist, so ist es jedenfalls ein uns ehrender, daß gerade unter der geringen Zahl der Letzteren auch deutsche Namen sich finden. Einen ganz hervorragenden Platz aber nehmen die Schulen der Brüdergemeinde ein. Die deutsche Pädagogik wirft den Herrnhutern ein starres Festhalten am Alten, ein Zurückbleiben hinter den Fortschritten vor, die diese Wissenschaft in neuerer Zeit gemacht. Hier ist wohl nicht der Ort, ein Für oder Wider über Princip oder Methode darzulegen. Das aber darf in einer Beurtheilung der Mädcheninstitute der Westschweiz nicht verschwiegen werden, daß die Anstalten der Herrnhuter dort aus der Fluth von Nichtigkeit und Oberflächlichkeit hoch emporragen und unter den guten in erster Reihe stehen. Von ihnen gilt speciell, was vorhin im Allgemeinen gesagt worden.

Es läßt sich nicht rathen: „Schickt eure Töchter dort hin“, oder „schickt sie nicht!“. Der Einen kann dasselbe Haus wirklichen Gewinn bringen, das auf die Andere nachtheilig und verderblich gewirkt hat. Wir konnten nur darlegen, was die Schülerinnen dort finden, was sie dort entbehren; wir konnten nur melden, was man als sicher von den Pensionaten erwarten darf, und wir konnten nur zu erklären suchen, warum dieses Sichere ein so Geringes ist. Ob das junge Mädchen auf einige Zeit in den geschilderten Boden zu versetzen ist, das hängt [872] lediglich von den Verhältnissen der Familie und der Individualität der Schülerin ab. Aber die eine Mahnung sei doch noch ausgesprochen: das Gute, das die Institute bieten, wirkt um so mächtiger und sicherer, die Gefahren, die sie für den sich entwickelnden Charakter bergen, verschwinden um so mehr, je reifer an Urtheil und Verständniß, je fester im Wissen und Können die Schülerin in den ihr neuen Kreis eintritt.

Laßt die deutsche Schule erst ihr ganzes, volles Werk an euren Mädchen thun, ehe ihr sie in ein französisches Pensionat schickt! Laßt es erst den ganzen Schulgang zu Hause durchmachen, laßt es Alles lernen, was die Schule der Heimath bietet, und dann erst, wenn euch dann das Bischen Französisch noch die Trennung von eurem Kinde werth ist, dann schickt es in’s Welschland! Dann werden außer dem Gewinn an Sprachfertigkeit auch gute Kräfte um so reicher auf die junge Seele einwirken, die der Prospect nicht ausdrücklich verspricht, die sich aber aus einer neuen Umgebung, aus einer streng geregelten Häuslichkeit, aus einer großen schönen Natur von selbst ergeben.

Das Kind ist in der Heimath herangewachsen; Menschen und Verhältnisse dort waren ihm von früh an vertraut; es hat sie hingenommen, wie sie waren, ohne viel darüber nachzudenken. Jetzt kommt das Mädchen unter fremde Menschen; es sieht neue Lebensgewohnheiten; es vergleicht; es beobachtet; es folgert; die Fremde lehrt auf einmal die ferne Heimath in einem neuen Lichte erkennen, und dieses neue Verständniß des Alten hilft ihm zum Erfassen des Neuen; wozu es bisher in der Schule von Andern methodisch angeleitet worden, das thut es jetzt selbstständig. Dazu übt die streng durchgeführte Tagesordnung einen sehr heilsamen Einfluß auf den Charakter, jeder Beschäftigung ist ihre ganz bestimmte Zeit angewiesen – da gilt kein Aufschieben einer mißliebigen Arbeit, kein Ausdehnen der Stunde, die uns besondere Freude bringt. Der Perpendikel herrscht und die Glocke ist die Verkündigerin seiner Befehle. Die große Kunst des Lebens, mit der Zeit Haus zu halten, wird hier gelehrt, und Pünktlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Selbstüberwindung können nur gewinnen. Und um nun das Letzte und Schönste zu nennen: den meisten Instituten der Cantone Waadt und Genf glänzt ein See, den die Dichter aller Nationen in ihren Liedern gefeiert, ohne seine Schönheit ausgesungen zu haben; ernste, starre Berge von gewaltigen Formen bewachen ihn; Europas höchster Riese, der Mont Blanc, schaut in gar manches Pensionatsfenster; üppige Vegetation umgrünt die Häuser; alte Thürme und Schlösser spiegeln sich in dem tiefblauen Wasser; das sagen- und liederumsponnene Chillon steigt geisterhaft weiß aus dem Wasserspiegel auf. Den Instituten von Yverdon, Grandson, Neuchâtel, Montmirail und Neuveville aber schimmert in der Ferne die ganze Alpenkette von den Häuptern der Mittelschweiz bis zum Mont Blanc; auch ihnen spielen die klaren Wellen eines Sees zu Füßen. All diese Herrlichkeit aber legt sich täglich und stündlich den jungen heranreifenden Menschenkindern an’s Herz; sie wissen es vielleicht selbst nicht, wie sie sich davon erfüllen lassen, und durch Zahlen und bestimmte Formen ist gewiß der Gewinn nicht auszudrücken, den eine schöne Natur der Seele bietet, aber denken wir uns ein junges Leben gerade in der Zeit, wo Körper und Geist dem Dunkel der Kindheitszelle entschlüpft sind, unter der Einwirkung einer mit jeder Schönheit geschmückten Landschaft, und wir werden uns sagen müssen, daß hier Geist und Körper Einwirkungen erfahren, die für das ganze Leben nachhalten sollten.

Und so hätten wir denn nach Wissen und Gewissen Alles dargelegt, was die Institute der französischen Schweiz unseren Mädchen nützen und was sie schaden, die Bilanz aber aus dem Für und Wider muß ein Jeder sich selbst ziehen und speciell für sein Kind abwägen. Vielleicht kommt eine Zeit, wo der Staat sich von den Pensionen, die höhere Lehranstalten sein wollen, zuerst den Nachweis führen läßt, daß sie dies können. Im Canton Bern arbeitet eine Partei eifrig daran, für alle Stände in’s Gemein unentgeltlich Secundarschulen (also höhere Schulen) durchzusetzen; wenn diese Partei durchdringt, wenn auch die anderen Cantone Berns Beispiel folgen, dann dürften auch an die Privatinstitute höhere staatliche Anforderungen gestellt werden.

Doch sind das zwei große „Wenn“, die ihrer Erfüllung noch sehr fern sind, und es fragt sich, ob man die Erfüllung überhaupt wünschen soll. Doch bis auf die eine oder die andere Art in der allgemeinen Instituts-Calamität Abhülfe gefunden worden ist, läßt sich nur die Warnung wiederholen: Was eure Mädchen wissen sollen und müssen, das laßt sie zu Hause in der Schule lernen, und wenn sie das gelernt haben, dann schickt sie, wenn ihr das wünschenswerth haltet, noch auf ein Jahr fort!

Zum Schluß aber sei noch der Heimath erzählt, wie deutsche Mädchen in der fremden Pension das Sedanfest gefeiert haben.

Schon Wochen vorher war ausgerechnet worden, daß der Festtag diesmal auf einen Sonntag fällt. Heimliches Einüben der Wacht am Rhein, lebhaftes Besprechen während des täglichen Spazierganges, Toilettenberathungen leiteten das Ereigniß schon lange zuvor ein. All diese Vorverhandlungen mußten natürlich in französischer Sprache geführt werden. Aber als der Abend des ersten September und damit der Vorabend des Festes kam, da sprachen auf einmal nach Schluß des Unterrichts alle die jungen Mädchen (vierzehn an der Zahl) nur deutsch. Wenn man weiß, daß jedes deutsche Wort mit fünf Centimes gebüßt wird, wenn man die unausbleibliche Redseligkeit bei solch einer Extra-Gelegenheit kennt, so muß man sich sagen, daß dies unter Umständen ein theueres Vergnügen werden konnte. Die Lehrerschaft staunte, aber sie schritt nicht ein. Den nächsten Tag aber, also am Festtag selbst, wurde Nachmittags feierlich die größte Gartenlaube in Beschlag genommen, jede Deutsche, mit einer deutschen Schleife geschmückt, holte Confect, Chocolade oder irgend eine andere Herrlichkeit hervor und diese Süßigkeiten, der Gesang von Vaterlandsliedern und natürlich wieder nur deutsche Reden feierten die Bedeutung des Tages. Die andern Pensionärinnen umstanden die Gesellschaft anfangs in stummer Verwunderung. Theilnahme, Spott, Freude, verletztes Nationalgefühl spiegelten sich auf den jungen Gesichtern und endlich gab letzteres einer Französin die Worte ein: „Sie müssen berauscht sein.“

Ja, sie waren es, aber nur von der Liebe zum fernen Vaterlande, von dem Stolz auf seine Größe, von der Sehnsucht nach ihren Lieben zu Hause, mit denen sie sich heute in der Sedanfeier geistig vereint wußten. Am Montag aber schien das Strafgericht kommen zu sollen. Die erste Frage an sämmtliche Schülerinnen lautete: „Wer hat vorgestern und gestern deutsch gesprochen?“

Die vierzehn Deutschen erhoben sich wie ein Mann.

„Warum thaten Sie’s?“

„Es war unser Nationalfesttag; da können wir nicht französisch sprechen.“

Die Antwort genügte. All die Fünf-Centimes-Stückchen blieben ruhig in den Taschen und unsere jungen Landsmänninnen waren so stolz und so glücklich, als hätten sie einen großen Triumph gefeiert. Sie durften es sein.

Mit diesem freundlichen Bilde schließen wir unseren Rundgang durch die Institute der französischen Schweiz. Mögen unsere jungen Mädchen dort sich deutsches Wesen und den rechten deutschen Stolz bewahren; gerade dieser wird ihnen helfen, neben der schönen Landessprache auch die gefällige Form französischen Wesens, die Liebenswürdigkeit im Verkehr verstehen zu lernen und sich anzueignen.


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