Die Louisenburg bei Wunsiedel
Von Ludw. Storch.
- Diese Gruppen zusammen tragen gegenwärtig den Namen Louisenburg, um anzudeuten, daß eine angebetete Königin, kurz vor großen Unfällen, einige frohe und ruhige Tage hier verlebt habe. Goethe.
- Diese Gruppen zusammen tragen gegenwärtig den Namen Louisenburg, um anzudeuten, daß eine angebetete Königin, kurz vor großen Unfällen, einige frohe und ruhige Tage hier verlebt habe.
Die beiden brandenburgisch-fränkischen Fürstenthümer, durch das Aussterben der Baireuther Markgrafendynastie unter dem Markgrafen Alexander von Anspach vereinigt und von diesem 1792 an das stammverwandte preußische Königshaus abgetreten, hatten bis zum Jahre 1805 noch kein Glied der neuen Herrscherfamilie begrüßt, als sich im Frühling des zuletzt genannten Jahres in diesen Länderbezirken die frohe Kunde verbreitete, König Friedrich Wilhelm III. und die von allen Deutschen hochverehrte Königin Louise würden die Brunnencur im romantischen Alexandersbad bei Wunsiedel gebrauchen. Im ganzen preußischen Frankenlande gab sich eine freudige Aufregung kund, am meisten unter den schlichten, gemüthlichen Bewohnern des Fichtelgebirgs. Zweckmäßige Anstalten, zum würdigen Empfang der hohen Gäste und zu ihrer Bewirthung getroffen, hatten im Bade Verschönerung und Vermehrung der Gebäude und neue Anlagen zur Folge. Das Königspaar, im Mai auf einer Revue bei Magdeburg, dann auf einer Lustreise nach dem Brocken, ging von da nach Alexandersbad, wo der festliche Empfang am 9. Juni stattfand.
Königin Louise, 29 Jahre alt, seit elf Jahren Gattin und Mutter von acht Kindern,[1] stand in der höchsten Blüthe ihrer majestätischen, milden Schönheit, deren Zauber kein Herz in ihrer Nähe sich entziehen konnte. Es ist Thatsache, daß selbst alte Leute aus dem Volke bei ihrem Anblick vor Entzücken weinten, und Jedermann ihr eine fast abgöttische Verehrung zollte, die durchaus nichts Gemachtes, vielmehr der moralisch nothwendige Herzenstribut und Folge des Eindrucks ihrer mit sanfter Würde verbundenen hohen Schönheit war. Das Königspaar verweilte drei Wochen in Alexandersbad, Tage hohen Genusses für die Königin, vielleicht die glücklichsten ihres Lebens, der Silberblick desselben, hinter welchem die Nacht düster aufstieg und die ihr vom dämonischen Beherrscher der Zeit bereitete Pein, die als Alp sich schwer und schwerer auf ihre Brust wälzte, bis sie fünf Jahre später der Riesenlast erlag.
Das Alexandersbad, reizend hingegossen in eine liebliche waldumkränzte Thalmulde mit frischem Wiesenteppich zwischen felsengeschmückten, dem Fichtelgebirge zugehörigen Bergen, bietet in seiner Umgebung eine überraschend pittoreske und groteske Wald- und Bergnatur. Die Nymphe des Quells hat sich ein ausgesucht reizendes Boudoir erwählt, und die Nähe der freundlichen Bergstadt Wunsiedel erhöht die Annehmlichkeiten desselben. Die Perle der ganzen Gegend ist aber der angrenzende Berghain mit seinen unvergleichlichen Felsengebilden, den Jean Paul Friedrich Richter, das berühmte Stadtkind Wunsiedels, den „Bergthron“ und „Thronhimmel“ des Städtchens nennt.
Die Heilquelle, ein kohlensaurer Eisenbrunnen, 1734 entdeckt, aber erst 1783 durch den Markgrafen Alexander mit Baulichkeiten und Anlagen versehen, erhielt von ihm Namen und Ruhm. Jährlich stärker besucht, selbst aus weiter Ferne, bot das reizende Waldbad allsommerlich das schmucke Bild eines ungemein regen Lebens. Wer nicht des Wassers wegen kam, den lockte die köstliche Berggegend mit frischer Luft, oder die zahlreiche Gesellschaft, das starkbetriebene Farospiel und das glänzende Vogelschießen in Wunsiedel. Aber die Glanzperiode des Bads bildet die einundzwanzigtägige Anwesenheit des von einer bedeutenden Anzahl fürstlicher und hochadliger Personen umgebenen Königspaars, unter welchen der Kurfürst Friedrich August von Sachsen, der Kurfürst Wilhelm von Hessen und dessen Sohn, der Kurprinz, Schwager des Königs, der Herzog von Coburg und dessen Tochter, die Großfürstin Constantin von Rußland, die beiden Schwestern der Königin, die Herzogin von Cumberland und die Prinzessin von Solms-Braunfels, und der Gemahl der Letztern die Blicke vorzüglich auf sich zogen.
Auch noch ein hoher Fürst kam, eingeladen von der holden Königin, und brachte ihr seine Huldigung dar; und trat er auch nur im schlichten Rocke in den Zauberkreis der königlichen Anmuth und Liebenswürdigkeit, und war er auch nur der Sohn eines armen Pfarrers, dennoch überstrahlte der Glanz seines Namens fast den der Hochgebornen; es war Jean Paul Richter, jener brillante Fürst des [443] Geistes, der von Gottes reichsten Gnaden hochbegabte deutsche Dichterheros, der zu dem Städtchen da drüben an der hellen Rößla die herzlichen Worte sprach: „Ich bin gern in Dir geboren, Städtchen am langen hohen Gebirge, dessen Gipfel wie Adlerhäupter zu uns niedersehen! Ich bin gern in Dir geboren, kleine, aber lichte Stadt!“ Liebling der genialen Königin – wie er sich denn des schönen Glücks erfreuen durfte, von allen geist- und gemüthreichen deutschen Frauen geliebt und geehrt zu sein – hatte der Dichterfürst einst (1792) poetisch-genußreiche Tage am Hofe zu Hildburghausen im Umgange mit den drei durch Schönheit, Anmuth und Geistesbildung hervorstrahlenden Prinzessinnen von Mecklenburg-Strelitz, Charlotte (Gemahlin des Herzogs von Sachsen-Hildburghausen), Louise und Friderike, verlebt und ihnen als den „drei fürstlichen Grazien“ eins seiner Bücher gewidmet. Jetzt stand er der gefeierten Prinzessin als seiner angebeteten Königin gegenüber, der große echt deutsche Mann der großen echt deutschen Frau, auf’s Herzlichste von ihr und ihrer Schwester Friederike (Gemahlin des Prinzen Solms, früher die des 1796 verstorbenen Prinzen Ludwig von Preußen, Bruder des Königs) begrüßt; und die beiden hohen Damen plauderten mit dem verehrten Dichter, dem sie so viel Gutes und Schönes verdankten, von ihrem gemüthlich reizenden Zusammenleben in der kleinen thüringisch-fränkischen Residenz.
Aber wahrlich, die Aristokratie der Geburt und des Geistes war es nicht allein, die sich in Alexandersbad um die hohe Frau schaaren durfte; von ihr beglückt und sie beglückend, trat das ganze Volk mit Jubelgruß an ihren Weg. Alles, was Füße hatte, eilte in das grüne Thal der Waldquelle, eine Massenwanderung der preußisch-fränkischen Bevölkerung zum allgemeinen Freudenfeste. Die Königin sehen und ihr zujauchzen, galt den treuen Menschen für das höchste Glück. Greise und Greisinnen mußten herbeigeführt werden, um der hohen Frau einen zärtlichen Blick zuwerfen, ein Segenswort zurufen zu können; Mütter trugen ihre Kinder meilenweit, um ihnen die geliebte Landesmutter zu zeigen.
Der König verschwand fast in diesem der weiblichen Majestät und Anmuth dargebrachten Cultus. Ein Freudentag reihete sich an den andern; die Hochgefeierte lebte in einem dauernden Wonnerausch. Bald zog die Landwehr der Umgegend im Festgepränge auf, stolz den Dienst beim Königspaare zu verrichten; bald die Schützenmannschaften, „geschmückt mit grünen Reisern“, bald die Bergleute in Fackelzügen und Tänzen; bald die Schulkinder, die Beamten, die Geistlichen, die Förster und Jäger, Alle mit Sang und Klang. Lustpartien zu den schönsten Stellen des Gebirges wechselten mit Bällen, Vogelschießen und Märkten. Denn der Verkehr hatte sich rasch so ungemein gesteigert, daß in dem sonst so stillen und einsamen Waldthale wie von selbst ein Markt entstand, von den hohen Herrschaften nicht minder frequentirt, wie von allem Volke, eine aus dem allgemeinen Liebesbedürfniß erwachsene Messe, nicht der geringste Beitrag zum großen Freudenfeste, wie nicht leicht eine zweite zu Stande kommen wird. – Die Krone dieser allen Franken und Vogtländern unvergeßlichen Tage war der 15. Juni, wo das Königspaar den „Bergthron“ auf den „Bergstufen, die ihn verschönert,“ zum erstenmal bestieg.
Der mäßig hohe waldige Berg mit seinen Felsenwundern, der sich dicht an Alexandersbad allmählich erhebt und eine Stunde lang von Nordost nach Südwest dem Hauptgebirge (dem Kössein und der hohen Mätze) zustreicht, hieß die Luchsburg, von einer auf dem Gipfel in die Granitblöcke gebauten kleinen Burg, wo ein Stamm des vogtländischen Adels „vom Stegreif gelebt und sich der Reiterei genährt“. Es ist schwer begreiflich, wie die Herren in dieser Wildniß nur ein einigermaßen erträgliches Leben zu fristen vermocht. Der Sage nach Kind des zehnten Jahrhunderts, wurde die Burg, die mit der Zeit ihren Namen dem ganzen Bergrücken mitgetheilt, zu Anfang des vierzehnten von den Söldnern der Stadt Eger, der die Räubereien der Luchsburger beschwerlich fielen, zerstört, und Jahrhunderte lagen Mauertrümmer und Felsen, ein chaotisches Labyrinth, durcheinander, selten von einem kühnen menschlichen Fuße besucht, aber bis in die neueste Zeit Wohnung von Füchsen und Luchsen. Nur ein Tag im Jahre war’s, der die Wunsiedler massenweise herauflockte, und eine Stelle, die sie besonders anzog und vereinte. Dieser Tag war der in die Mitte des Juli fallende St. Margarethentag, und diese Stelle eine kolossale Granitplatte, Podium eines seltsamen Volksvergnügens, dessen Verständniß uns verloren gegangen ist. Man würde es nicht errathen, wozu die Platte diente, nämlich zum – Theater für von Lehrern des Wunsiedler Lyceums verfaßte, von ihren Schülern aufgeführte lateinische Schauspiele. Die Stadtkammer verwilligte Geld, es wurden Hütten gebaut; auch saß das nur wunsiedelisch-deutsch verstehende Publicum auf den umherzerstreuten Granitblöcken und tractirte die lateinisch recitirenden Schauspieler mit Wurst, Schinken und Bier. Zuletzt amüsirte man sich fichtelgebirgisch auf eigene Faust, so daß der Tag doch noch zum leidlichen Volksfeste ausschlug. Noch 1764 wurde der St. Margarethentag auf angegebene Weise gefeiert, und eine Inschrift des in seiner Art einzigen Podiums gibt den Festtag und die Namenschiffer eines Edelmannes aus Regensburg, der sich’s Geld hat kosten lassen, die untern Felsen des Berges mit vielen eingemeißelten Worten zu versehen.
Erst mit dem Emporkommen des Bades erwachte in den Wunsiedlern der Sinn für die giganteske Schönheit dieser Felsenwelt. Von 1788 an wurden die untern Partien von einem Stadtarzte und seinen Freunden durch mühsame und kostspielige Arbeiten geöffnet. Reiche Badegäste steuerten in die Verschönerungscasse des Doctor Schmidt, der sich dem dankbaren Geschäfte unterzog, aus dem grausig schönen Material ein großartiges, den Schönheitssinn in erhabener Weise befriedigendes Gedicht im echten Lapidarstyl zu bilden, und es war des Dichters glücklicher Gedanke, die Königin Louise zur Taufpathin dieses Wunders der Natur und Kunst zu machen. Am 15. Juni sollte die Taufe stattfinden.
Den von glücklichen Menschenschaaren umwallten königlichen Gästen trat aus der am Wege gelegenen, jetzt „Klingershöhle“ benannten Grotte ein Chor weißgekleideter Mädchen mit der huldigungsvollen Erklärung entgegen, daß der Berg von nun an „Louisenburg“ heißen werde. In den Augen der Königin schimmerten Freudenthränen; Rührung und Ueberraschung ließen sie kaum einige Worte finden. Ueber ihre Gestalt glitt ein Hauch überirdischer Schönheit. – Die Taufweihe der Louisenburg war einer der schönsten, aber auch letzten glücklichen Momente im Leben der erhabenen Frau.
An einer höhern Stelle des Berges, wo die Granitmassen und abgekanteten Blöcke sich in abenteuerlichster Weise emporschichten, und an ihrer Wand auf reizendem Plätzchen mit wildromantischer Aussicht auf die unteren Partien eine Steinbank, auf welcher später die Königin gern verweilte, den Namen „Louisensitz“ führt, wurde das königliche Paar von einem Gesange mit Musikbegleitung begrüßt. Das Lied war eine Dichtung Jean Paul’s.
Jene Tage waren der Höhepunkt im Leben der Königin. In Frühlingspracht der Gebirgsreize an der waldumkränzten Heilquelle, umwaltet von der Liebe des Gatten, der Verwandten und Freunde, gehoben von der Nähe des Dichters und der Begeisterung des Volkes, sprach sie dieses Glück in einem Handschreiben an die Wunsiedler Schützengesellschaft, die sie auch zur Schützenkönigin gemacht, aus, mit welchem sie derselben eine Fahne überreichen ließ, bestimmt die Erinnerung daran zu erhalten.
Und so schied sie im Besitz des Inbegriffs aller Glückseligkeit, der Liebe, Verehrung, Jugend, Anmuth, Schönheit und Königsherrlichkeit am 7. Juli aus diesen Thälern, begleitet von den Segenswünschen des Volkes. Aber schon zogen sich die Wetterwolken zusammen, aus welchen der verderbliche Blitz auf den preußischen Thron niederfahren sollte. Noch war der unheimliche Corse nicht zum Zenith seiner kometenartigen Laufbahn emporgestiegen. Der Zusammenstoß seiner Macht mit Preußen, das der fanatischen Begeisterung der französischen Heere für ihren Kriegsfürsten nur die erbleichten Erinnerungen an den Kriegsruhm des großen Friedrich entgegen zu setzen vermochte, stellte sich als unvermeidlich, der unselige Ausgang als kaum zweifelhaft heraus. Das unschuldige Opfer der Verkehrtheiten und Unterlassungssünden von der einen, und der Gewaltthaten von der andern Seite war – Königin Louise.
Es ist für das Verständniß beider Parteien bezeichnend, daß Napoleon’s Haß vorzüglich die Königin traf. Hier zeigen sich die Factoren in ihrer wahren Gestalt, hier lernt man den gerühmten Imperator, hier die geschmähte Königin kennen. Kein schrofferer und charakteristischerer Gegensatz, als Napoleon und Louise! Er der gewaltige Dämon mit der Fackel der Zerstörung, die er an der niedergetretenen Gluth der Revolution entzündet, in der Faust; sie der hohe Genius mir dem sanft glimmenden Stern der Liebe, der sein Licht aus Menschenglück sog, auf dem Haupte! Er mit dem lauernden, düsterglühenden Auge der Falschheit und des Hasses; [444] sie mit dem süßen, redlichen, hellleuchtenden Auge der Wahrheit und des Segens! Er der tückische Mann ohne Würde; sie das ehrliche Weib voll Hoheit! Er, der seine länder- und völkerumspinnende Macht auf die schlechten Eigenschaften, die unedlen und gemeinen Triebe im Herzen der Menschen, auf Gewinnsucht, Herrschsucht, Glanzsucht, Genußsucht, Ränkesucht und Eitelkeit gegründet; sie, die ihre herzengewinnende Macht auf die höchsten und herrlichsten Tugenden des Gemüthes und Geistes aufgerichtet, auf Liebe, Treue, Sanftmuth, Wohlwollen, Menschlichkeit: sie mußten sich hassen, diese beiden Größen, das war sittliche Nothwendigkeit. Sie waren Pole, die sich abstießen. Sie haßte ihn, wie das Böse vom Guten stets gehaßt wird: edel! Er haßte sie, wie das Gute stets vom Bösen gehaßt wird: gemein! Sie verkannte seine Mission nicht; sie anerkannte in ihm den tapfern und genialen Feldherrn, aber als Helden in ihrem Sinne konnte sie ihn nicht verehren; dazu fehlte ihm das Haupterforderniß, die Tugend. Und er vergaß sich soweit, der unritterliche Emporkömmling, daß er sie persönlich beleidigte. Damit hat er sich selbst das Urtheil gesprochen.
Und wie wahr und klar durchschaute sie ihn! In der Milde und Würde ihres Urtheils über ihn zeigt sie sich, die von ihm schwer Gekränkte, als die hohe, edle, deutsche Frauennatur, vollkommen werth der Liebe und Verehrung, die sie genoß. Dieses Urtheil ist um so wichtiger und schätzenswerther, weil es einem Briefe an ihren Vater einverleibt, also nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt ist.
„Gewiß wird es besser werden, das verbürgt mir der Glaube an das vollkommenste Wesen. Aber es kann nur gut werden in der Welt durch die Guten. Deshalb glaube ich auch nicht, daß der Kaiser Napoleon Bonaparte fest und sicher auf seinem jetzt freilich glänzenden Throne ist. Fest und ruhig ist nur allein Wahrheit und Gerechtigkeit, und er ist nur politisch, d. h. klug, und er richtet sich nicht nach ewigen Gesetzen, sondern nach Umständen, wie sie nun eben sind. Er meint es nicht redlich mit der guten Sache und mit den Menschen. Er und sein ungemessener Ehrgeiz meint nur sich selbst und sein persönliches Interesse. Man muß ihn mehr bewundern, als man ihn lieben kann. Von seinem Glück geblendet, meint er Alles zu vermögen. Dabei ist er ohne alle Mäßigung, und wer nicht Maß halten kann, verliert das Gleichgewicht und fällt.“ – Schöne ahnungsvolle Seele, großes Kinderherz auf dem Königsthrone, von einem düstern Verhängniß ausersehen, dem Gluthhauch des Moloch als Opfer zu fallen!
Es gibt Landschaften, die sich leicht und anschaulich beschreiben lassen; eine Beschreibung der Louisenburg, die einen klaren Begriff von diesem in seiner Art einzigen Felsenhaine gäbe, ist selbst für den begabtesten Stylisten eine Sache der Unmöglichkeit. Es wird selbst dem Maler durch gute Abbildungen der einzelnen Partien schwer werden. Goethe sagt schon, daß diese „zahllosen, in sich zusammengestürzten und gethürmten Felsenmassen alle Beschreibung und Einbildungskraft überragen.“ Man muß dieses poetische Naturwunder selbst sehen und den Zauber, den diese Fels- und Waldgebilde in dem Beschauer wachzurufen so geeignet sind, durch das eigene Auge auf die Seele wirken lassen, um den rechten Genuß davon zu haben.
Das steht fest, daß dieses kleine Stück Schöpfung voll Majestät und Milde den Namen der Königin Louise, des Genius Deutschlands, würdig und mit Recht führt. Neben dieser allgemeinen Charakterbezeichnung des Hains behauptet sich die des Wildgrotesken, großartig Bizarren. Der erste Eindruck dieser außerordentlichen Zusammenwürflung und Gestaltung der ungeheuern Granitblöcke, Platten, Vierecke, Rhomben, Rhomboiden, Kegel, Keile, Säulen, und wie man sonst die verschiedenartig geformten Steintrümmer benennen mag, auf den Besucher ist der eines ungeheuern Erstaunens. Man erschrickt vor der großartigen Grillenhaftigkeit der Natur in diesen Gebilden; man fühlt sich von ihrer Erscheinung überwältigt und niedergedrückt, und der Geist erhebt sich erst wieder durch die Ausschau von den Gipfeln auf das majestätische Chaos, auf Wald und Flur, auf das Städtchen und die Dörfer, auf „die Adlerhäupter des Gebirges“ und in die blauende Ferne. Auch muß man den Hain öfter besuchen und sich möglichst lange in seinem Schatten, in seinen Klüften und auf seinen Gipfeln aufhalten, um sich in alle seine Reize zu versenken und jeden einzelnen mit Schwelgerei durchzukosten.
Wer sich das Herz an den Brüsten der Mutter Natur groß trinken und ihre milde Majestät sittlich erhebend auf sein Gemüth einwirken lassen will, der betrete an der Hand eines geliebten, gleich ihm mit Empfänglichkeit und Verständniß für die Poesie der Erscheinung begabten Menschen an einem sonnigen Frühsommermorgen voll Thau und Frische, oder an einem Sommerabend, wo der flammende Westhimmel durch die Fichtenwipfel Gold auf das Gestein wirft, diese Felsenstätte. Aber zwei Seelen müssen es sein, die ineinanderfluthen und sich ergänzen, damit sie sich ihre Gefühle mittheilen können. Dort wird hohe Andacht sie durchschauern und sie als eine Flamme zum Geiste der Natur, zum Gott der Liebe und Schönheit emporfittichen. – Wir machen nur die ausgezeichnetsten Partien namhaft:
Die Klingershöhle, eine phantastisch-poetische Grotte mit einem majestätischen Dache, einer ungeheuern Granitplatte. In der Nähe der Maximiliansplatz, der Theaterplatz, der Gesellschaftsplatz, dann die Schweiz mit der Insel Helgoland, einem isolirten Felsblocke, der ein Häuschen trägt und von einigem Wasser umgeben ist. Die Freundschaftsgrotte, von zwei riesigen zum Theil übereinander liegenden Rhomben gebildet. Die Eremitenhöhle, im hohen Grade grotesk und wildromantisch. Durch eine enge und niedrige Oeffnung in der geklüfteten Wand führt ein seltsam malerisch überbauter dunkler Felsenweg auf Stein- und Holzstufen zu herrlich ragenden kolossalen Felsengebilden empor. Hier erhebt sich die Granitstirn mit dem Namen des Königs Ludwig, und in der Nähe sieht man das Schiff, einen schiffsrumpfähnlichen Felsblock, auf kaum zwei Quadratfuß ebenfalls abschüssig gerundeten Raum ruhend, sodaß sein Halt unbegreiflich erscheint. Man meint, der kleinste Stoß müsse ihn in die Tiefe stürzen. Felsenstufen leiten in die alte Burg. Auch [445] in der Felsenwand am Louisensitz ladet ein Thor zum Weitersteigen auf Stufen zwischen ungeheuern Granitwänden durch Nacht zum Licht empor. Ueber der Pforte stehen zwei in die Felsenwand gehauene Zeilen:
„Bis hierher sollst Du kommen und nicht weiter. 1794.“
„Ich suchte und fand, es ging weiter. 1809. Daupeck.“
Bis an diese Wand erstreckten sich nämlich die alten Anlagen, und man hielt das weitere Empordringen in diesem furchtbaren Felsengewirre nicht für möglich. Daher die voreilige erste Zeile, deren Schöpfer es wie vielen alten weisen Herrn erging, die da wähnen, die Menschheit könne nicht weiter empor, als sie gerade gekommen sind, „die Wissenschaft müsse umkehren“. Aber der Bayreuther Hofgärtner Daupeck fand den mühevollen dunkeln Weg unter zusammengestürzten Platten und Kegeln und durch wilde Schluchten hindurch; und nun erst gelangt man zur höchsten und herrlichsten Schönheit des Hains, zu den ragenden
Gipfeln mit der köstlichsten Umsicht. Welch ein treffendes Lebensbild! Durch Nacht und Graus werden unsere Nachkommen den wenn auch mühsamen Weg aus dem furchtbaren Felsenlabyrinthe unserer politischen,religiösen und socialen Zustände zur höchsten Schönheit, zum reichsten Genuß, zur unbeschränkten Um- und Uebersicht, zur vollen Freiheit des Lebens auf seinen sonnigen Höhen empor finden.
Neue Überraschungen bietet der Felsengang, die Moosgrube genannt, der zur Mariannenhöhe mit einer künstlichen Thurmruine führt. Von ihr aus genießt man die labende Fernsicht auf die böhmischen Berge. Auf der Ebene unter dieser Höhe fand das Vogelschießen 1805 statt, welches die Königin Louise auch zur Schützenkönigin machte. Man geht eine Strecke gerade aus bis zum Bundesfelsen, zu dessen schwindelnd empor gegipfelten Geschieben man auf hölzernen Treppen steigt. Dies ist der großartigste Punkt der Louisenburg, dessen Aussicht auf wirre Felsenmassen in der Nähe und Fluren und Berghöhen in der Ferne schauerlich erhaben und schön.
Durch den Wald gelangt man zu dem eine Viertelstunde entfernten Burgstein, einer ungeheuern, gleichsam aus mehreren Stockwerken bestehenden Felsenmasse, deren Gipfel zugänglich ist. Diese letzte Partie des Hains ist mit entzückender Aussicht eine seiner schönsten und lohnendsten.
Rückwärts auf der Ostseite des Bergs geht man auf einer Felsentreppe, der Teufelsstiege, und durch eine enge, steile, mit Felsstücken überdeckte Schlucht, das Labyrinth, bis zum Münsterplatz, mit einer von gewaltigem Felsendache überschatteten, unter kolossalen Steingefügen hervorsprudelnden Quelle. Weitere Felsengänge mit Stufen sind die hochgelegene Burgschlucht und die lange Wolfschlucht, wo sich dem Besucher die höchsten malerischen Reize Schritt vor Schritt aufdrängen. Neben dem Schauer der mit Schlangenwindungen durch das Dunkel überhangender Felsen sich durchziehenden Schluchten und Klüfte liegt die Lieblichkeit heiterer Felsgestaltungen mit dem von den Ruinenmauern der Burg überragten Walde. Ist man so auf Treppen bergab und auf gestiegen, so betritt man den Jean-Pauls-Platz, der, an grillenhaft übereinander geschichtete und gethürmte Felskolosse gelehnt, vielfache reizende Aussicht gewährt.
Wir nennen noch den Platz Louisensruh und die Thränengrotte, beide der verstorbenen Königin, den Friedrich-Wilhelms-Platz, dem König gewidmet; Lisettensruh, ein Felsengipfel; den Platz der Einsamkeit, auch Beichtstuhl, Stelldichein, [446] Wort unter vier Augen genannt, das versteckteste und lauschigste Plätzchen des Hains; die Hardenbergsgrotte, der Zuckerhut etc. Doch wozu Namen, wozu Beschreibung? Sie geben keine Ahnung dieser wunderbaren Zusammenstellungen der Riesensteine. Goethe sagt davon: „Die ungeheure Größe der ohne Spur von Ordnung und Richtung übereinandergestürzten Granitmassen gibt einen Anblick, dessen Gleichen mir auf allen Wanderungen niemals wieder vorgekommen.“ Aber selbst Leute, die die Gebirge der ganzen Erde bereist haben, versichern, die Louisenburg sei einzig. Ueber der riesigen Großartigkeit des Naturgebilds liegt jetzt der Hauch des Verfalls des Menschenwerks. Solche Schöpfungen verlangen die nie rastende nachbessernde Hand, deren Schöpfung sonst leicht von den Schrecken der Natur besiegt wird.
„Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.“
Die Vernachlässigung der schönsten Partien berührt schmerzlich.
Ein anderer, auf den intelligenten Besucher verstimmend einwirkender Uebelstand ist die Trivialität der Gedanken und des Ausdrucks in Prosa und schlechten Versen, welche sich im älteren Theile der Anlagen schier auf jeder ausgezeichneten Felsenstirne zudringlich breit macht. Sind Plattheiten und Gemeinplätze schon in der gedruckten Schriftsprache keine angenehme Bekanntschaft, so läßt man sie doch auf dem vergänglichen Papier passiren, ohne allzuheftigen Anstoß daran zu nehmen; sobald sie aber mit so ungeheurer Prätension auftreten, daß sie ihre fußhohen Worte in kolossale Granitwände eingraben, soll man solche Ungebühr strafend abweisen. Unser Gefühl sagt uns, daß der Sinn, welchen die Alten mit der Bezeichnung Lapidarstyl verbanden, als der solchen Aufschriften angemessene, auch von uns festzuhalten sei: gefällige Form des Ausdrucks in gedankenreicher Kürze. In der Zeit aber, als man sich lebhaft für die Verschönerung der Louisenburg interessirte, hat jedes adlige oder reiche Individuum, welches Geld dazu hergab oder in dieser romantischen Steinwelt sein Liebchen küßte, es für Schuldigkeit gehalten, Sentenzen und Verse aus der eigenen Fabrik in dieses granitne Stammbuch einzutragen und seinen Namen oder wenigstens dessen Anfangsbuchstaben in den Tempel der Unsterblichkeit einzuschmuggeln. Aber vornehme und reiche Leute haben gerade nicht immer vornehme und reiche Gedanken, und der Adel des Namens involvirt noch lange nicht den des Geistes. Und so spielt denn die Eitelkeit in diesen Inschriften eine große selbst- aber nicht wohlgefällige Rolle. Ein adliger Herr vorzüglich hat ihr gar nicht genug thun können; wie oft erblickt man seine Namenschiffre! In der Klingershöhle sagt er uns auf einer Marmortafel in platten Reimen, daß er Gott, Tugendhafte, frohen Umgang und klugen Scherz liebe, in den Wissenschaften nur Lehren für sein Herz suche, in einer frohen Ehe unbemerkt sich seines Lebens zu freuen wünsche und werth sein möchte, nach seinem Abscheiden von guten Menschen beweint zu werden. Auch am Burgstein hingen gutgemeinte Gedanken von ihm und sein Wappen auf zwei Marmortafeln neben einander; eine verständige Hand hat beide entfernt.
Ein anderer aus Wunsiedel gebürtiger Herr berichtet uns an einem prächtigen Felsen mit riesigen Lettern in deutscher und russischer Sprache, daß er kaiserlich russischer Collegienrath sei. Und von jenem geisteshohen Wunsiedler Stadtkinde, das mit seinen vom Genius der Poesie selbst eingegebenen göttlichen Gedanken die Welt entzückt hat und, unsterblich wie sie sind, in Ewigkeit fortentzücken wird, steht keine Zeile in diesem Steinbuche, das allein würdig wäre, die erhabensten und brillantesten Sentenzen seines Geistes aufzubewahren. Nicht einmal der ihm geweihte Platz trägt seinen Namen. Und von den hochsinnigen, charaktergroßen, treuen und schönen Aussprüchen der hohen Frau, deren Namen doch diese Felsenblätter führen, ist kein einziger darauf eingegraben. Da sind die Namen von braven Consuln und Geschäftsleuten und ihren ehrenwerthen Gattinnen, sehr achtungswerthen Regierungs- und anderen Räthen, Frei- und anderen Herren und Frauen an diesen stolzen Felshäuptern haften geblieben, aber verwundert fragt sie der Besucher: was wollt ihr hier? Und vergebens sucht er die gefeierten Namen der Heroen des deutschen Volkes. Und doch wäre die Louisenburg die würdigste Walhalla für das Andenken unserer größten Geister. Nicht einmal ein Humboldtsplatz oder -Felsen ist da, und doch war Alexander der Große der Wissenschaft einst Bergbeamter dieses Gebirges; kein Goethestein wird gefunden, und doch besuchte der auch als Geognost bedeutende Dichterfürst diese Felsenmassen, von welchen er sagt: „Sie bilden ein Labyrinth, welches ich vor vierzig Jahren mühsam durchkrochen, nun aber durch architektonische Gartenkunst spazierbar und im Einzelnen beschaulich gefunden.“
Wie elektrisch würden die empfänglich aufgeregten Herzen durchzuckt werden, wenn ihnen von diesen Felsenstirnen die gewaltigen, erhabenen und tiefsinnigen Sprüche Jean Paul’s, oder die frommen, ehrwürdigen, herzlichen Worte der Königin Louise entgegenleuchteten, ebenso die Kraftgedanken unserer größten Dichter und Denker! Und wie stolz würde sich unsere Brust heben, wenn uns aus diesem Naturwunder die Namen derer entgegentönten, welche Deutschlands Culturgeschichte so groß gemacht haben! Das deutsche Volk muß wieder in die heiligen Haine seiner Vorfahren wandern; an den Cultstätten ihrer Götter, Schöpfungen ihres Geistes, müssen wir den Cultus unseres Geistes, unserer Vaterlandsliebe begehen. Und kein Hain eignet sich dazu besser, als die Louisenburg, dieser wahrhaftige Volks- und Königshain. Recht in der Mitte, im Herzen Deutschlands gelegen, gibt sie in ihrem wunderbar herrlichen Formenreichthum ein treues Naturbild des deutschen Geistes in seiner mannichfachen großartigen Gestaltung. Von der deutschen Königin, der Fürstin der Herzen, und vom deutschen Dichterfürsten, dem Beseliger der Herzen, sollten echte Goldkörner des Geistes an diesem Gestein glänzen, wie echte Goldkörner im Gestein dieser Berge.
Heil einem Volke, das eine Königin und einen Dichter gehabt hat, wie Louise und Jean Paul! Ein solches Paar ist ein unveräußerlicher Schatz, ein Volkshort, der, wenn auch versenkt, dennoch strahlt und, wenn seine Zeit gekommen, als prächtiger Doppelstern aufgehen wird, um mit seinem Glanze alles Volk zu erkräftigen und zu begeistern. Die aufflammende Kraft und Begeisterung Deutschlands streifte die Schlangenringe des ersten Napoleon Bonaparte ab, es wird und muß sich auch der Mephistopheles-Netze seines Zerrbildes erwehren; ja wie uns der Erste zu dem großen moralischen Aufschwunge von 1813 trieb, so wird uns der Zweite noch eine Stufe höher treiben auf der Leiter der Volksentwickelung. Hinauf! hinauf! Oben winken und strahlen die Sterne Louise, Schiller, Richter, Arndt!
Der 19. Juli dieses Jahres ist der fünfzigjährige Todestag der Königin Louise, und der 21. März 1863 der hundertjährige Geburtstag des Dichters Johann Paul Friedrich Richter.
- ↑ Sie ist überhaupt zehn Mal Mutter geworden.