Textdaten
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Autor: Herrmann Richter
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Titel: Die Leichenverbrennung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 668–670
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[668]
Die Leichenverbrennung.


In der Auffassungsweise der Naturwissenschaft sind die meisten üblichen Bestattungsweisen nichts anderes als Leichenverbrennungen. Denn gleichviel, ob die Leiber in der Erde unserer Kirchhöfe vermodern, oder auf offenen Schlachtfeldern verwesen, oder im Wasser verfaulen, oder im Organismus der Land- und Seeraubthiere (vom Haifisch abwärts bis zur kleinsten Fliegenmade oder Infusorienmonade) verdaut werden; immer ist der Hergang nach chemischer Ansicht derselbe, nämlich Aufzehrung der verbrennbaren (oxydirbaren) Körperbestandtheile durch den Luftsauerstoff, Verwandlung derselben in mehr oder weniger flüchtige, daher entweichende Kohlen- und Stickstoffverbindungen, und endliches Zurückbleiben der unverbrennbaren Bestandtheile, der sogenannten Asche. Und diesen Hergang nennt eben der Chemiker Verbrennung; wobei er die langsame und ohne Feuerentwickelung vor sich gehende, von der raschen, mit Erglühen des Brennstoffes (Feuer-) auch wohl Entweichen brennender Gase verbundenen (Flammenverbrennung) unterscheidet.

Wenden wir uns zur Leichenverbrennung im engeren Sinne, d. h. durch Feuer und Flamme, so lehrt uns zuvörderst die Geschichte, daß diese Bestattungsweise in allen Zonen und zu allen Zeiten geübt wurde und noch wird. Wir verweisen alle, eine ausführlichere Belehrung darüber Bedürftige auf das vor Kurzem erschienene fleißige Buch vom Oberstabsarzt Dr. Trusen:

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Die Leichenverbrennung als die geeignetste Art der Todtenbestattung oder Darstellung der verschiedenen Arten und Gebräuche der Todtenbestattung aus älterer und neuerer Zeit, historisch und kritisch bearbeitet. (Breslau, bei Korn. 1855. 8.),“

eine Schrift, welche in den nichtärztlichen Zeitschriften oder Lesekreisen bei weitem nicht die ihm gebührende Kenntnißnahme und Würdigung gefunden zu haben scheint. Dasselbe Buch hat dem Referenten eigentlich den Anstoß gegeben, seine eigenen, seit Jahren mit sich herumgetragenen Ansichten und Projekte über diese Angelegenheit zu Papiere zu bringen.

Das Leichenverbrennen und das Leichenvergraben schließen sich nicht aus (wie wohl Mancher glaubt), sondern sie gehen und gingen bei den meisten Völkern des Erdballes Hand in Hand; mit Ausnahme der neueren Kulturvölker, bei denen wohl mehr der Holzmangel als gewisse religiöse Glaubenssätze (z. B. an Seelenwanderung),

Leichenverbrennung.

das Begraben als einzigen Modus obwalten ließen. Wir finden bei Trusen, daß auch bei solchen Völkern, welche dem Begraben huldigten, doch einzelne Fälle von Verbrennung (wie von Einbalsamiren) vorkommen. Und zwar scheint das Verbrennen allenthalben das Vornehmere zu sein; nur reiche Leute können das Brennmaterial (oft kostbare, wohlriechende Holzarten oder Harze) bezahlen; der gemeine Mann wird allenthalben in die Erde verscharrt, wo nicht gar den Geiern zum Raube liegen gelassen.

Wir wollen hier nicht weiter untersuchen, inwieweit das Verbrennen ästhetischer ist (denn darin liegt doch wohl das Vornehmere?), als das Vergraben. – Wir halten uns an die praktische Frage: „welche von beiden Bestattungsweisen ist vortheilhafter 1) für die Gesundheit? und 2) für den Wohlstand der Bevölkerungen?“ Hier fällt die Antwort, in beiden Beziehungen, Alles wohlerwogen, zu Gunsten der raschen Verbrennung und gegen die Beerdigung aus.

In einer beerdigten oder an der Luft faulenden Leiche gehen die chemischen Zersetzungsprozesse nicht nur langsamer, sondern auch in einer ganz anderen Weise vor sich, als bei rascher Verbrennung. Es bilden sich hierbei Luftarten (Fäulnißgase), welche, von lebenden Menschen eingeathmet, sehr giftig und krankheitserzeugend sind (sogenannte mephitische Gase und Miasmen). Lesen wir die erschütternden Mittheilungen, welche hierüber während des Krimfeldzuges von englischen und französischen Berichterstattern gemacht wurden:

„Die Leichen haben das Bestreben, wie lebendige Körper, sich zu vervielfältigen. Diejenigen Männer, welche bis vor Kurzem noch unsere tapfern Soldaten waren, sind jetzt unsere verderblichsten Feinde. Ihre Leiber, dünn oder gar nicht mit Erde bedeckt, hauchen ein pestilenzialisches Miasma aus, welches so sicher wie Pulver und Blei tödtet. Zwar ist ein Bischof gesendet worden, um die Gruben einzusegnen, in denen man die Leichen aufthürmt; aber die Ansteckung trotzt der Einsegnung wie dem Weihwasser. Unsere eigenen Verbündeten, die uns bis zum Tode treu waren, die uns mit ihren Schwertern retteten: sie vergiften uns durch ihre Fäulniß. Die Leiche des Schlachtrosses, welches seinen Reiter tapfer durch den Tag von Balaklava trug, liegt am Wege und zieht seinen siegreichen Reiter nachträglich zum unvermeidlichen Fatum hinab.“

So weit unser Verfasser, der damit schließt, schon damals für die Krimarmee, das Verbrennen der Leichen wieder in Vorschlag zu bringen. – Dieselben Nachtheile, welche er den Schlachtengräbern der Krim zuschreibt, sind schon vor hundert und mehr Jahren von den Aerzten gegen das Beerdigen innerhalb der Kirchen und im Inneren der Städte geltend gemacht worden. Erstere Unsitte, welche im Mittelalter viele mörderische Seuchen in den Städten erzeugt hat, ist jetzt wohl ziemlich allenthalben verbannt; aber der Uebelstand, daß Kirchhöfe noch im Innern der Städte und in der Nähe bewohnter Orte liegen und Luft und Brunnen vergiften, dieser alljährlich hier oder da zu mörderischen Seuchen Anlaß gebende Uebelstand herrscht noch weit verbreitet, namentlich da wo schnell wachsende Städte immer und immer wieder die nach Außen verlegten Kirchhöfe einholen und einschließen.

Bei rascher Verbrennung[WS 1] werden die meisten der giftigen [670] Gase sofort auf dem Scheiterhaufen mit zerstört, dessen vielfarbige leckende Flamme sie bilden; was davon entweicht, hat die unschädlichere Form von Kohlensäure, Ammoniak und den verschiedenen im Ruß befindlichen brenzlichen Stoffen, wovon unten gleich mehr. Auch werden diese Stoffe hier von der erhitzten Luft nach oben geführt; sie können sich nicht in die Erde sickern und verbreiten sich nicht in der zum Aufenthalte des Menschen dienenden untersten Schicht der Atmosphäre (dem Boden des Luftmeeres, welches wir bewohnen).

Von der ökonomischen, finanziellen Seite betrachtet, ist das jetzt allgemein übliche „Zur-Erde-Bestatten“ eine der unverantwortlichsten Stoffverschwendungen, welche im Stoffkreislauf der Erde vorkommen. Denn gerade die Bestandtheile und Zersetzungsstoffe der thierischen Leichen: die stickstoffigen Gase, die Kohlensäure, die phosphorsauren Erden (Knochensalze), sind die unentbehrlichen Nahrungsstoffe für die Pflanzenwelt überhaupt und für die Nutzpflanzen insbesondere, namentlich für die Körnerfrüchte. Während wir mit enormen Kosten von den Gegenfüßlern her um die halbe Erde herum den Guano einführen, bleibt das eben so stickstoff- und phosphatenreiche Material der menschlichen und thierischen Körper unbenutzt tief in den Gruben liegen, oder entwickelt sich nur langsam und spärlich aus der Erde der Kirchhöfe, um einen nutzenlosen Pflanzenwuchs zu düngen. Dem Einwand, daß heutzutage das zu den Scheiterhaufen zu verwendende Holz gar nicht mehr zu bezahlen sein würde, begegnen wir zunächst damit, daß die Kosten für Särge, Aufputzung der Leiche und nichtswürdige Allotrien (z. B. Citronen für lachende Leichenweiber) nachweisbar bei allen Wohlhabenden und selbst dem unteren Bürgerstande Angehörigen, weit mehr betragen, als ein paar Klaftern Brennholz kosten würden. Außerdem bietet die neuere Wissenschaft und Technik ausreichende Brennstoffe und Verbrennungsweisen dar, wobei alles Holz erspart wird und aus den Verbrennungsprodukten noch viel werthvollere Stoffe, als die bloßen Düngemittel, gewonnen werden können. Diese in’s Werk zu setzen und so einen durch bloße Gewohnheit und Indolenz bisher noch verzögerten Fortschritt der Staatsökonomie und der öffentlichen Gesundheitspflege zu machen, scheint uns eine der nächsten Aufgaben unserer Zeit.

Wir denken uns diese moderne Leichenverbrennung etwa in folgender Weise verwirklicht:

Aus Steinkohlengas (oder sobald die Technik die elektrische Zerlegung des Wassers im Großen zu betreiben gelehrt haben wird, aus purem Wasserstoffgas) wird mit Beimischung eines Stromes atmosphärischer Luft (durch Gasometer, beziehentlich Luftpumpe oder Riesenblasebälge) eine mächtige, verzehrende Stichflamme (a) erzeugt. Diese strömt in einen gewölbten Raum, über die auf einen Rost oder Blech (wahrscheinlich von Platin herzustellen!) ausgestreckte, allenfalls in ein Gewebe von unverbrennlicher Asbestleinwand eingehüllte Leiche. Zur Beleuchtung und damit die Leidtragenden mit eigenen Augen Zeugen des Bestattungs- (d. i. Verbrennungs-) Prozesses sein, auch sich von der Identität der Asche überzeugen können, ist der Raum an mehreren Stellen mit Fenstern aus einem dicken und schwer schmelzbarem Glase versehen. Die Verbrennungsprodukte, unter denen sich mehrere für Industrie und Handel wichtige Stoffe (besonders Blausäure, Ammoniumsalze, brennbare Fette nach Art des Photogen und Paraffin) befinden, werden theils durch Abzugsrohre (b) aufgesaugt, und in kältere Räume zum Auffangen übergeführt, theils auch wohl in Gefäßen (c), welche man (z. B. mit Schwefelsäure gefüllt) am Boden der Verbrennungskammer aufstellt, absorbirt und concentrirt.

Da der Verbrennungsprozeß hierbei auf eine ganz reinliche und gesunde Weise vor den Augen der Angehörigen vor sich geht, denen es auch frei steht, die Asche des Bestatteten zu sich zu nehmen (außerdem wird sie, wie es die Naturgesetze verlangen, dem Acker zurückerstattet): so mag wohl Niemand behaupten, daß diese Bestattungsweise unästhetischer sei, als die jetzige, welche den Körper einem scheußlichen Wurmfraße und Moder anheimgibt. Auch das religiöse Bedürfniß wird dabei seine volle Befriedigung finden, indem die Angehörigen an den Fenstern der Verbrennungskapelle singen, beten und geistlichen Zuspruch, oder die Abschieds- und Ehrenreden ihrer Freunde hören können. Blumenschmuck und dergleichen ist ohnedies nicht ausgeschlossen. – Bald würde auch die Kunst sich dieses Gegenstandes bemächtigen, und z. B. durch geschickte Anwendung der sauerstoffreichen z. B. Zündsalze, den Hergang vereinfachen und ihm alles für ungeübte Augen Schreckende benehmen.

Der Vorschlag ist ganz einfach. Jeder chemisch Gebildete begreift seine Ausführbarkeit und auch seine praktische Wichtigkeit. Es handelt sich nur darum, daß die Sache im Großen auf eine leicht zu handhabende Weise ausgeführt werde, am besten in einer der großen Hauptstädte Europa’s, wo täglich Dutzende von Leichen, welche Niemand reklamirt, auf Gemeindekosten bestattet werden müssen. Vielleicht geben die praktischen Engländer, denen ohnedies die Kirchhöfe Londons als unaufhörliche Gift- und Pestquellen schon lange Sorgen machen, das erste Beispiel einer für das Wohl der Menschheit so wichtigen Neuerung!

Herrmann Richter.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Verbrenung.