Textdaten
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Autor: Robert Heck
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Titel: Die Kunst vor Straßburg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 616–618
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Kunst vor Straßburg.
Vom Maler R. Heck in Stuttgart.

Wenn ich Ihnen hier ein Bild aus der Belagerung von Straßburg sende, dem rasch andere folgen werden, so geschieht es, weil es mich in tiefster Seele drängt, auch in meiner Weise „zu singen und zu sagen“, was so helllodernd in den vielen Millionen Herzen der deutschen Brüder glüht; und was für die Tage, in welchen wir gerade leben, jeden andern nicht unmittelbar eingreifenden Gedanken völlig ausschließt; läuft man ja doch gegenwärtig Gefahr, den Waldvögeln, die man malt, und den Gloriaengelein nach alter deutscher Weise Zettelchen in Schnabel und Mäulchen zu stecken und darauf zu schreiben: „Die Wacht am Rhein“, „Das Arndtlied“ und „Nun danket Alle Gott“. –

Als auf dem Bilde, welches ich gegenwärtig male (einer ländlichen Idylle), die Braut eines schönen Morgens, trotz aller gemalten Innigkeit und Rührung, mich anzugähnen schien; warf ich Pinsel und Palette weg, ging zur Bahn und stieg sechs Stunden später in Kork bei Kehl aus. Eine ganze Reihe anderer Schwaben und Badenser waren mitgekommen, angezogen durch das dämonisch schöne Schauspiel des Bombardements; als ich, auf der Bahn rasch ausschreitend, bei Kehl ankam, war aber von allen Begleitern nur noch ein Schwabe und ein Rheinpreuße übrig, und als wir quer durch das brennende Kehl strichen und als über uns und die von Menschen völlig verlassenen Häuser die ersten Granaten wegsausten, hielten auch diese beiden Genossen es für räthlicher, sich die Sache etwas mehr aus der Ferne zu beschauen, und so steuerte ich von da ab allein über das von Granaten durchfurchte Feld zwischen Stadt und Dorf Kehl auf die Südbatterie zu. Schon von Weitem rief mir eine Infanteriefeldwache drohend zu, daß ich mich rasch entfernen solle, wenn ich nicht arretirt werden wolle; ich ließ mich aber nicht irre machen, ging rasch vollends auf die durch eine Bierkellermauer geschützte Stellung der Wache los und sandte meine Paßkarte dem in der Südschanze das Obercommando führenden badischen Officier mit der Bitte, seine Batterie besuchen zu dürfen. Auf das Freundlichste wurde mein Wunsch gewährt, und ich fand in dem badischen Artilleriehauptmann M. einen Officier, dessen Liebenswürdigkeit für immer mit seiner stattlichen soldatischen Erscheinung in meiner Erinnerung verbunden sein wird. Auf einem Schanzkorbe bei Seite sitzend, um die Leute bei ihrer gefahr- und verantwortungsvollen Arbeit nicht zu stören, starrte ich zuerst mit gebührender civilistischer Achtung die Ungethüme an, die ihre vierundzwanzigpfündigen Hohlgeschosse mit einer solchen Sicherheit über die jenseits des Rheins befindlichen Pappelbäume und die stehengelassenen Park- und Waldpartieen schleuderten, daß man nach dem den Austritt der Kugel begleitenden[WS 1] Knall und dem eigenthümlichen Zischen und Sausen des die Luft durchschneidenden Geschosses regelmäßig den Aufprall und die Berstung in der an der Kehler Schanze uns unsichtbaren Straßburger Citadelle hörte; wohl kam regelmäßig französischer Gegengruß herüber, aber entweder schlugen die Kugeln in den vor der Batterie liegenden Rheinsumpf oder sie übersausten dieselbe und crepirten auf hundert bis tausend Schritte hinter der Batterie, tiefe Trichter in den lockeren Ackerboden wühlend und einen wahren Sprühregen von Erde und Eisen auf der menschenleeren Feldfläche verursachend. Wohl zwei Stunden lang saß ich so und horchte dem betäubenden Donner, sog das Bild in jeder einzelnen Form in’s geistige Bewußtsein und zeichnete die technischen kleineren Theile in mein Skizzenbuch, um Ihnen und dem großen Leserkreise der Gartenlaube ein getreues Bild dieses kraftvollen, hochgesteigerten Männerlebens Derer zu geben, die mit ihrem ganzen Sein für unsere höchsten nationalen Güter einzustehen berufen sind.

Der ungewohnte Geschützdonner als Begleitung der geistigen Anstrengung des bildlichen Erfassens betäubte aber allmählich mein Gehirn mehr und mehr; ich nahm daher Abschied von dem liebenswürdigen Officier, ließ, bei der Feldwache angekommen, dieselbe durch meine Fernröhre sehen, wobei der brave Infanterist aus dem Schwarzwalde meinte; es sei eben doch etwas recht Geschicktes um so einen – „Permendickel“, und ging dann über das lustig von den französischen Granaten durchwühlte Ackerfeld durch Dorf Kehl, Sundheim und Neumühl nach Kork.

Aber kaum ein wenig ausgeruht und erfrischt, zog es mich mit unwiderstehlicher Gewalt wieder zurück zu der das ganze

[617}]

In der Südschanze vor Straßburg.
Nach der Natur aufgenommen von R. Heck aus Stuttgart.

[618] Empfinden aufregenden und berauschenden Musik der Bomben und Granaten, welche laufend, grollend, zischend, je nach Größe und Inhalt, durch den Abendhimmel flogen, nur hin und wieder unterbrochen durch den brutalen Generalbaß einer Bombe und den pendelartig regelmäßigen Klängen der schweren Geschütze aus den Batterien. Aber ein anderes Bild verdrängte durch immer mächtigeres Wirken diese wilde Luftmusik. Schon ein paar Stunden früher, während ich noch in der Schanze zeichnete, sah ich eine Brandgranate auf den Giebel eines stattlichen Kaufhauses in Kehl sich senken, hörte sie in widerlich dumpfem Ton bersten und sah gleich darauf einen gelblichweißen Qualm aus der größten Lücke des zerrissenen Daches sich wälzen; dieser Granate folgten bald darauf andere, und gegen Abend standen mehrere Häuserquadrate des sonst so freundlichen Städtchens in Flammen. Dies war die Antwort des französischen Festungscommandanten auf den von deutscher Seite erhobenen Protest der ersten Inbrandschießung Kehls vier Tage früher.

Wo Brandkugeln wehrlose offene Städte einäschern, da hören selbstredend sonst wohl geltende sentimentale Bedenken auf, und als die Flammen von Dach zu Dach züngelten, da flog die deutsche Rückantwort durch die Luft, von einem durch Schnellfeuer erzeugten Granatenregen begleitet. Erst stieg ein leiser Rauch über die Wipfel der Elsässer Bäume auf, dann qualmte es schwärzer und schwärzer, bis zuletzt die ganze Luftfläche, welche jenseits die Stadt überdeckt, verfinstert war. Am Abend hatte sich der Himmel grau überzogen; nur hinter dem über all’ dem Kampf und Haß, über all’ den Mord und Brand in stiller, hehrer Schönheit hinaufragenden Münster hatten die Wolken sich gespalten und ein breiter, mehrfach getheilter Strahl goß von der untergehenden Sonne her sein rothgoldenes Licht über das unten qualmende Verwüstungsbild. Allmählich erlosch aber der Strahl, und an seine Stelle stieg höher und breiter, und mit zunehmender Dunkelheit auch greller und immer sichtbarer werdend, das Flammenmeer in den beiden Schwesterstädten, jede derselben der ganzen Breite nach durchlodernd, und jede derselben noch dazu überhagelt von den feindlichen Sprenggeschossen, so daß an kein Löschen zu denken war. Stunden lang starrte ich auf einem am Kinzigufer bei Neumühl aufgeschichteten Flosse in das Flammenmeer; neben mir saßen, kauerten am Boden oder standen mit gefalteten Händen die Bewohner Kehls, lautlos dem Untergang ihrer so freundlichen und eine so schöne Zukunft versprechenden Heimath zusehend.

Erschöpft suchte ich um Mitternacht mein Lager, konnte aber zu keiner Ruhe kommen, denn der in der Nacht verstärkte Geschützdonner und das die ganze Gegend erhellende Feuermeer rissen die versagen wollenden Sinne zu immer neuem Staunen, Schauen und Hören auf. In der Frühe des andern Tages wandte ich mich wieder der stillen, nur in rastloser Sanitätssorge den Krieg mitmachenden Heimath zu, zeichnete mit strenger Gewissenhaftigkeit das Kehler Schanzenbild und will jetzt wieder vor die Veste, hinüber in’s einst geraubte und nun für immer wiedergewonnene Stück deutschen Vaterlandes: in’s Elsaß.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: begeitenden