Die Katharinakapelle
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Die Katharinakapelle.[1]
Wie sie weithin um sich schauet,
Einer hohen Fürstin gleich;
Frühe, wenn der Morgen grauet,
Bis der Abendhimmel thauet,
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Auf ihr großes, schönes Reich! –
Aber nicht mit Freudeblicken
Läßt ihr Auge sich herab;
Wo sich stolz die Reben schmücken,
Aehren sich an Aehren drücken –
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Denn ihr Volk fiel treulos ab!
Nimmer zieht’s in Gottes Namen
Hin vor ihren Felsenthron;
Denn die Frommen, die einst kamen,
Beten jenseits längst ihr Amen,
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Und die Andacht ist entfloh’n.
Keiner will sie ehrend schützen,
Niemand schmükt mehr ihr Gewand;
Unter Stürmen, Donner, Blitzen,
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Muß sie bangvergehend sitzen,
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Klagend um der Krone Stand.
Arme Frau! Wenn alle weichen,
Bleibt dein Sänger vor dir stehn,
Wird mit deines Falles Zeichen
Erd’ und Himmel stumm vergleichen,
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Und mit Wehmuth niedersehn.
Eduard Lynker.
- ↑ Früher zahlreich besuchtes Wallfahrtskirchlein auf einem der drei höchsten Gipfel des Kaiserstuhles, 1564 Fuß über dem Meere.