Die Judenstadt und der alte Judenfriedhof in Prag
Die Judenstadt und der alte Judenfriedhof in Prag.
Wer jemals Gelegenheit hatte, die alte hundertthürmige Residenz
der Böhmenkönige zu sehen, erinnert sich gewiß jenes erhebenden
Eindrucks, den die ehrwürdige Moldaustadt Prag in ihm
hervorgerufen. Und um wie viel großartiger muß der Anblick zu
jener Blüthezeit Prags gewesen sein, als noch frisches Leben in
ihren großartigen Palästen herrschte, vielseitige Industrie dem arbeitenden
Bürger Reichthümer zuführte, Hoch und Niedrig der segensvollen
Regierung Karl’s IV., welcher Böhmens goldene Zeit schuf,
sich einstimmig bewußt wurde!
So wesentliche Spuren der Veränderung auf der „Kleinseite“, dem Stadtviertel der böhmischen Nobile’s und ihrer Paläste, sich unter dem Einflüsse der Jahrhunderte geltend gemacht haben, so
[709][710] gleichmäßig ist wohl die Physiognomie eines anderen Stadttheils geblieben. Auch dieser ist in seinem Ausdrucke ernst und finster, doch herrschte hier bei den Bewohnern nur selten Lust und Freude. Stets unterdrückt und verfolgt, fehlte ihnen, mit Ausnahme weniger Familien, selbst ein mäßiger Wohlstand, so daß die Häuser hier auch nur meist ein ärmliches Aussehen tragen und dieses Viertel gleichsam als die Kehrseite Prags zu bezeichnen wäre. Es ist die Judenstadt, seit 1850 auch Josephstadt genannt.
Eine geschichtliche Erwähnung erfährt die Prager Judenschaft zuerst im Jahre 995, wo hier eine große Anzahl von Juden vorhanden gewesen, welche bei einer Empörung der heidnischen Bewohner, gegen die geringere Zahl von Christen, letzteren[WS 1] nicht unerheblichen Beistand leisteten und „von welcher Zeit an die Juden sich in ganz Böhmen also vermehrt haben: daß dieselben von etlichen Saeculis her einen sehr großen Theil der böhmischen Inwohner constituirt haben“.
Als die Juden nach der Vertreibung aus ihrem gemeinsamen Wohnorte, unterhalb des Schlosses Wyssehrad, (sprich Wischerad) der Wiege Prags, im Jahre 1098, dies Gebiet für die Zukunft meiden sollten, siedelten sie in die heutige Prager Judenstadt über. Eine große Verfolgung, bei der über 10,000 Juden das Leben verloren, erlitten sie im Jahre 1290 unter jenem fränkischen Fleischer Rinntfleisch, welcher, wie in vielen anderen Orten, so auch hier, an der Spitze einer wüthenden Schaar, das Judenviertel durchzog, es plünderte und die Bewohner schonungslos morden ließ. Hieran reiht sich eine lange Kette ihrer Verfolgungen, aus der wir nur die bekannte Judenmetzelei am Ostersonntage, den 18. April 1389, über die ein Zeitgenosse, der Rabbi und Dichter Abigdor, eine Elegie dichtete, welcher später zum Theil dem Ritualgebete des Versöhnungstages hinzugefügt wurde, so wie diejenige des Jahres 1421, die in neuerer Zeit Alfred Meißner den Stoff zu seinem Gedichte „das Passahfest“ gab, erwähnen. Eine besondere Schonung wurde ihnen während der Regierung des in Deutschland durch seine goldene Bulle bekannten Kaisers Karl IV. zu Theil, obwohl sie auch in dieser Zeit nicht ganz ungestört lebten. Hatte man ihnen früher die Versündigung an geweihten Hostien zur Last gelegt, so beschuldigte man sie jetzt, die Brunnen vergiftet und dadurch die herrschende Pest hervorgerufen zu haben. Um sie weniger den Rohheiten des Pöbels auszusetzen, wurden ihnen besondere Rechte zugestanden, welche noch jetzt in dem ältesten Stadtbuche Prags mit der Ueberschrift: „Das seynd der Juden Recht“, verzeichnet stehen. Es wird darin aufgeführt: „Man soll die Juden in ihren heiligen Tagen weder mit Stecken noch mit Steinen betrüben. Ob ein Christ einen Juden verwundet, der gebe dem Könige zu Buß 12 Mark Goldes und dem Juden 12 Mark Silbers und den Arztlohn; ob ein Christ einen Juden zu Tod schlägt, den soll man peinigen, als billig ist, und dessen Gut soll dem Könige gänzlich verfallen sein etc.“ – Im Jahre 1689 brach in der Judenstadt eine große Feuersbrunst aus, welche durch mehre von einem Minister Louvois gedungene Mordbrenner angelegt sein soll, und durch die 318 Häuser und 11 Synagogen abbrannten. Auch in neuerer Zeit hatten die Prager Juden manche Leiden zu ertragen. Als die Preußen nach Eroberung Prags 1744 die Stadt verließen, drangen die ungarischen Truppen und Dalmatiner ein, und mit dem Pöbel verbunden plünderten sie die Judenstadt, was nach einem Berichte des Judenältesten an die böhmische Statthalterei einen Schaden von über 100,000 Gulden verursacht haben soll. Das Schwerste mußten sie jedoch ein Jahr darauf ertragen. Schon früher waren häufig Befehle zu ihrer Vertreibung aus Prag gegeben, doch immer wußten sie durch bedeutende Geldgeschenke die höheren Beamten für sich zu gewinnen, so daß ihnen stets wieder ein längerer Aufenthalt gestattet wurde. Erst während der Regierung der Kaiserin Maria Theresia kam es im Jahre 1745, zufolge eines Majestätsbriefes, trotz vielfacher Vorstellungen der städtischen Behörde, die namentlich auf den bedeutenden Schaden, welcher dadurch der Stadt entstände, hinwies, zu einer umfassenden vollständigen Vertreibung, so daß im darauf folgenden Jahre nicht ein Jude von den zur Nachtzeit die Häuser durchsuchenden Wachen hier aufgefunden wurde. Gleich einer ausgestorbenen Stadt sah jetzt dies Viertel aus, selbst die Kranken mußten außerhalb Prags in Lazarethen untergebracht werden. In den naheliegenden Dörfern, welche überfüllt wurden, flüchteten sich die Juden; Entbehrungen aller Art brachten ihnen bald gefährlich ansteckende Krankheiten, deren weitere Ausdehnung zu befürchten war. Endlich, nach unzähligen Leiden, wurde ihnen am 5. August 1748 die Rückkehr nach Prag, unter der Verpflichtung einer jährlich zu zahlenden Contribution von 211,000 Gulden, gestattet. – Wie uns die Geschichte der Prager Juden eine Reihenfolge ununterbrochener Leiden mittheilt, so bietet auch die Judenstadt in ihrem jetzigen Aussehen noch ein treues Bild ihrer unglücklichen Vergangenheit.
Wenden wir uns vom großen Altstädter-Ring, der mit seinem gothischen Rathhause, der alten Teynkirche und dem schönen Kranze der hohen Häuserfronten wohl einen der interessantesten Plätze Europa’s in charaktervollster Schönheit bildet, in nordwestlicher Richtung, so befinden wir uns nach ganz kurzer Wanderung in der Judenstadt.
Gleich anfangs dehnt sich vor uns in langer, enger Straße der „Tandelmarkt“ aus. Hier herrscht ein gar bewegtes Leben, das sich zur Mittagszeit, wenn der böhmische Bauer seinen Kindern etwas „aus der Stadt“ mitzubringen und hier billig zu kaufen gedenkt, zum regsten Gewühl steigert. In buntester Auslage, Tisch an Tisch, liegen die Waaren vor uns ausgebreitet, welche meistens in Schmucksachen für Kinder aus Blech und Messing mit entsprechender „Vergoldung“, Regenschirmen, Mützen, alten Kleidern etc. bestehen. Die Frage: „Gnäd’ges Herrche, nichts z’ handle?“ hört man unzählige Male im Vorübergehen, und beim Stehenbleiben schließt sich auch sogleich das Aufzählen derjenigen Sachen, mit denen der Verkäufer Handel treibt, in nicht nachzuahmender Zungengeläufigkeit an. Sehen wir in einen solchen „Laden“ hinein, so wundern wir uns, wie der Verkäufer aus diesem Chaos des Untereinanders überhaupt etwas vorfinden kann. Die Unordnung scheint hier meistens zur Regel geworden zu sein. Ost sitzt im Hintergründe ein altes jüdisches Mütterchen zusammengekauert, das in dieser Dunkelheit kaum sichtbar ist, weil ein Fenster in dem Raume selten befindlich und das Tageslicht durch den Eingang nur spärlichen Zutritt hat. Zwischen den hohen, geschwärzten Häusern mit eisenvergitterten Fenstern, deren Glasscheiben theils mit dickem Staube überzogen, theils zertrümmert sind, schiebt sich der rege Verkehr des täglichen Marktes hin und her. So lebhaft es hier zugeht, eben so still ist es in den anderen Straßen. Die finsteren Häuser, von denen ein einzelnes häufig 8 – 10 verschiedene Besitzer zählt, sehen verwettert und trotz ihrer zahlreichen Bewohnerschaft unbewohnt und verlassen aus. Die meisten Straßen sind winkelig und eng; die Atmosphäre in ihnen ist dunstig und ungesund. In dieser abgeschlossenen, stillen und ernsten Umgebung scheint es uns, als ob die Geschichte das tiefe Gepräge langer Leiden der Stadt und ihren Bewohnern unverkennbar aufgedrückt. Wir empfinden die Stimmung, wie sie Alfred Meißner in nachstehender Strophe ausspricht:
O schwarze Judenstadt! Im lauten Prag
Ein stummes, trauerndes Jerusalem,
Durch deine Gassen zieht am hellen Tag
Das ewige Gespenst von Ehedem
Lebend’ges Grab! In deine Räume fällt
Kein heller Schimmer und kein Hauch der Welt,
In deinen Gassen ist die Jugend alt,
Der Frühling duftlos und die Sonne kalt,
Durch hohe Dächer kaum ein Sonnenblick!
Hier schweigt die Lippe, und hier schweigt der Stein,
Hier schläft des Lebens Wettkampf und Geschick,
Nur Juda’s Trauer wacht und schläft nicht ein!
Abends, wenn in den andern Stadttheilen noch das lauteste Leben herrscht, das in fernen Tönen hier herüber klingt, sind die Thüren der Häuser längst verschlossen, die Straßen leer. Hier und da bricht durch die blinden Fensterscheiben ein matter Lichtschimmer, unheimliches Schweigen umgiebt uns. Eine gewisse Spannung lagert sich in den engen Straßen: Wir glauben den hellen Schein des Pechkranzes, jenes unheilvolle Zeichen Prags, von dem Rathhause der Altstadt leuchten zu sehen und jeden Augenblick die Sturmglocken zur Verfolgung dieser Bewohner zu hören!
An öffentlichen Gebäuden besitzt die Judenstadt ein Rathhaus, welches den Juden wegen ihres tapfern Beistandes in der Schwedenbelagerung Prags 1648 mit Thurm und Uhr zu zieren erlaubt wurde, einige Wohlthätigkeitsanstalten und die in geschichtlicher, wie architectonischer Beziehung interessante Synagoge „Altneuschule“ aus dem 13. Jahrhundert, von frühgothischem schlichten Hallenbau, dessen Schiff von zwei schlanken, achteckigen Pfeilern getragen wird. Von düsterer[WS 2] Wirkung ist der Eindruck dieses alten Architecturwerkes. Dichter Staub deckt die schwarzen Wände, an denen viele Blutspuren [711] derjenigen Juden haften sollen, welche während der Judenverfolgung 1389, hier Schutz suchend, ermordet wurden.
Nur wenige Schritte von dieser ältesten Synagoge Prags entfernt, liegt der sich in großen Dimensionen ausbreitende, von einer hohen Mauer und angrenzenden Synagogen umgebene, weltberühmte „alte israelitische Friedhof“, welcher seit Kaiser Joseph II. Zeit geschlossen ist. – Ueber der Eingangsthüre lesen wir auf schwarzer Denktafel in deutscher und hebräischer Sprache:
„Ehrfurcht dem Alterthum,
Achtung dem Eigenthum,
Ruhe den Todten!“
Vielfache sagenreiche Traditionen, welche noch jetzt im Munde der jüdischen Bevölkerung leben, führen das Alter und die Gründung dieser Ruhestätte in die vorchristliche Zeit zurück. Die leichteste und sicherste Antwort ihres Entstehens würden uns die Grabsteine selbst geben, allein auch sie blieben von dem Barbarismus jener früheren Zeiten nicht verschont. Während der ausgedehnten Judenverfolgung im Jahre 1389 wurden fast sämmtliche Grabsteine dieses Friedhofes zerstört; die wenigen, welche man stehen ließ, sind im Verlaufe der Jahrhunderte tiefer und tiefer in die Erde gesunken, so daß jetzt nichts mehr von ihnen zu sehen ist; das Erdreich verschloß sie in seinem Schooße. – Die Mehrzahl der noch jetzt stehenden Grabmäler rührt aus dem 15. bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts her; auf den älteren ist weder Schrift noch Jahreszahl erkenntlich. Eingemeißelte Zeichen geben in symbolischer Weise den Stamm des Verstorbenen an. So bedeuten zwei ausgebreitete Hände den Stamm Aron, dessen Nachkommen an hohen Festtagen den mosaischen Segensspruch vorzutragen oblag; eine Kanne ist das Symbol der Leviten u. s. w. Außerdem sehen wir noch die Zeichen einer weiblichen Figur, welche uns die Ruhestätte einer Jungfrau bezeichnen soll, dann Abbildungen gewisser Thiere und Pflanzen, wie z. B. Wolf, Bär, Schwalbe, Rose, die den hiervon abgeleiteten Namen des Verstorbenen angeben.
Unter den Gräbern erwähnen wir zunächst dasjenige des Rabbi Abigdor, dessen Namen bereits vorhin erwähnt wurde, aus dem Jahre 1439. Derselbe erwarb sich durch seine Gelehrsamkeit eine hohe Ehrfurcht und wurde wegen des streng-ascetischen Lebens von den Juden zu einem Heiligen erhoben. Eine lange Zeit hindurch pilgerten ganze Gemeinden bei unglücklichen Ereignissen wie zu einem Wallfahrtsorte nach seinem Grabe. Nicht minder groß ist die Achtung und Verehrung für Mordachai Meist, dessen Grabstein die, seine Mildthätigkeit kennzeichnende Inschrift trägt: „Weder Armuth noch Mangel kannte die Gemeinde zu seiner Zeit.“ Eine große Zahl wohlthätiger, noch heute bestehender Stiftungen in der Judenstadt sind sein Werk; darunter das jüdische Spital und Waisenhaus. Ferner ließ er die nach ihm benannte Meislsynagoge für 20,000 Thaler bauen und schenkte u. A. den Gemeinden in Posen, Krakau und Jerusalem 30,000 Thaler; bedeutende Mittel wandte er auf, die herrschende Armuth seiner Glaubensbrüder zu mildern. – Ein durch Eleganz auffallendes Grabmal ist das der Hendl Schmiles aus dem Jahre 1628, welches, aus weißem Marmor ausgeführt, ein von Arabesken umgebenes Wappen trägt. Als Gattin des vom Kaiser Ferdinand II. in den Adelsstand erhobenen Jakob Sebas (Schmiles), welcher den Rang eines Hofagenten bekleidete, und dem zugleich die Verwaltung des böhmischen Münzregals, dessen Prägestätte noch heute in den Gewölben seines Hauses in der Judenstadt sichtbar ist, übertragen wurde, machte sie sich ebenfalls durch ihre bedeutenden Unterstützungen um die ärmeren Juden verdient. Bemerkenswerth sind außerdem noch die Grabmäler Simon Spiro’s, des Oberlandesrabbiners Oppenheim, Rabbi Fischels und vor allen das des „hohen Rabbi Löwi“, aus dem Jahre 1609. Durch seine theologische Gelehrsamkeit berühmt, hatte er sich ebenso bedeutende Kenntnisse in den Naturwissenschaften und namentlich der Astronomie angeeignet, so daß Tycho de Brahe, welcher zu jener Zeit am Hofe Kaiser Rudolfs II. lebte, in nahe freundschaftliche Beziehung zu ihm trat. Die Sage erzählt über Löwi, welcher als weiser Magier von den Juden bezeichnet wird, daß, als eines Tages der Kaiser, durch den berühmten Astronomen auf den gelehrten jüdischen Rabbi aufmerksam gemacht, diesen mit seinem Besuche beehrte, ihm Löwi die kaiserliche Hofburg, welche der Judenstadt gegenüber auf dem jenseitigen Flußufer liegt, in das Judenviertel gezaubert habe. Wahrscheinlich geschah dies mittelst einer Camera obscura, als deren Erfinder der Vater „Bezalél Löwi“ genannt wird. – Zahllose kleine Steine, welche als Zeichen der Achtung von den diese Ruhestätte Besuchenden niedergelegt wurden, lassen das nahe der Friedhofsmauer befindliche Grabmal leicht von den anderen unterscheiden. Ihm zur Seite wurden die Gattin und 32 seiner liebsten Schüler beerdigt.
Dieser Friedhof, von den Juden Beth-Chaim (Haus des Lebens) genannt, ist von Fouqué treffend als eine echt ossianische Erscheinung bezeichnet worden. Mitten im Gebiete des werkthätigen Lebens befindlich, fühlen wir in ihm schroff genug die hier herrschende plastisch-abgeschlossene Ruhe, aus der wir nur zuweilen das wirre Durcheinander der Andächtigen hören, welche nach der Schwüle der Tagesarbeit in den angrenzenden Synagogen zu ihrem Jehovah beten. Tausende von Grabsteinen decken den dürren, hügeligen Boden; Trümmer von Grabmälern, alte, dichtbemooste Leichensteine starren uns in wild zerrissenen Zügen entgegen, und alte, längst abgestorbene Hollunderstämme recken dazwischen ihre kahlen, knorrigen Aeste in die Höhe. „Ein wundersames, schauerliches Gefühl“ – sagt Carl Herloßsohn – „erfaßt den Eintretenden in dieser laut- und farblosen Oede. Keinem christlichen Gottesacker ist dieser Friedhof zu vergleichen. Ueber jenem zucken noch, wenn auch Kreuze und Gräber bemoost, versunken, einzelne Lichtblicke; der Mensch fühlt sich daselbst nicht so entsetzlich verlassen, allein, elend! Hier aber wohnt ein seltsames Grauen; die Hoffnung, das Gefühl der Auferstehung wagt es nicht einzuziehen in die Brust des Christen, der hier weilt. Beim ersten Schritt in diese Mauern, in dieses Irrgewinde von umgesunkenen Steinen und verworrenen Baumgruppen fühlt der Christ, daß er hier die Grabstätten eines anderen Volkes, eines andersgläubigen Geschlechtes betritt. Keine, nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit der Monotonie eines herrnhutischen Gottesackers, düster der Contrast mit der Freundlichkeit einer muhamedanischen Begräbnißstätte! Und wie verschieden, wie uralt gegen alle modernen Judenfriedhöfe! Es waltete hier der dumpfe, gepreßte Schmerz, das fatalistische Entsagen, das Hineinbrüten in Tod und Verwesung. Lange wird hier der Christ, welcher zum ersten Male diese Stätte betritt, nicht weilen; denn nirgend aus der Erde, selbst im tiefsten Kerker, kann es so unheimlich sein. Und doch weht die Luft hier frei, blickt der Himmel hernieder auf diese Zweige und Blätter, auf die Gräser und Moose.“ – Der alte Friedhof ist eine Reliquie seither geblieben und hat sich nicht, wie es bei christlichen Kirchhöfen der Fall, in einen freien Platz verwandelt; er gewährt dem Leben keinen Raum und empfängt, wenn gleich selbst todt, nichts Todtes mehr!
Anmerkungen (Wikisource)