Textdaten
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Autor: H–l.
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Titel: Die Inselburg im Rhein
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 68–70
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Inselburg im Rhein.

Welches stolze Schloß entsteiget
Dort dem grünen Rhein?
Seht die Fluth, die seitab weichet,
Brandend an dem Stein.
Wie ein Kriegsschiff kommt’s geflogen
Auf den schnell bewegten Wogen,
Streckt der Thürm’ und Thürmchen viele
Wind und Rhein zum lust’gen Spiele.
                                             G. C. Braun.

Mitten im Rhein, umspült von des Stromes grünen Wogen, steht fest und sicher, dem Zahne der Zeit schon seit Jahrhunderten trotzend, die malerische Inselburg Pfalz.

Wer den Rhein zum ersten Male bereist und in der Strombiegung – bei Oberwesel rheinauf oder hinter Bacharach rheinab – dieses phantastische Felsennest gewahrt, dem dürfte schwerlich sofort ein vernünftiger Zweck für die Erbauung dieses wunderlichen Castells einleuchten. Wer aber gar in mondheller Sommernacht, auf dem Verdecke eines Rheindampfers stehend, die Pfalz zum ersten Male erblickt, dem drängt sich ein Vergleich dieses wundersamen Baues mit einem bewimpelten Kriegsschiffe unwillkürlich auf, ein Vergleich, den die sonderbare Gestaltung des Stromes, der hier wie ein bergumgrenzter Landsee erscheint, und der hohe Mittelthurm in seiner abenteuerlichen Form unterstützt. Kleine Thürmchen flankiren die Seiten des sechseckigen Baues, hier schiebt sich ein Erker, dort eine „Pechnase“ aus dem Hauptrumpfe vor, zahlreiche Schießscharten lugen unter der Schieferbedachung heraus und eine vergatterte Einlaßpforte, hoch genug und dem zeitweilig hohen Wasserstande entsprechend, bietet den einzigen Zugang zu dem Gebäude. Die Pfalz ist in der That die sonderbarste und eigenthümlichste der rheinischen Burgruinen.

Auf einem Thonschieferfelsen der „Valckenaue“, wie dies kleine Eiland nach seinen früheren Besitzern, den Falkensteinern, ehemals genannt wurde, erhob sich nach chronistischen Nachweisen schon um 1267 ein bescheidener Bau, der von den Zollerhebern Philipp’s, des Altherrn von Bolanden, bewohnt war. Die rheinische Geschichte sagt uns wenig darüber, wann die Erbauung der jetzigen „Pfalz“, der „Burg auf dem Rhein“, stattfand; sie erscheint um 1329 in dem Vertrag von Pavia wieder als der „Pallenz Gravenstein“ (Pfalzgrafenstein) und diente auch hier als altpfälzische Zollstätte, eine Bestimmung, welche muthmaßlich der ebenfalls mitten im Rhein auf einer Insel stehende Mäusethurm mit ihr theilte.

Damals aber erhob sich nur der neunzig Fuß hohe, ursprünglich vierseitige, höher – durch eine Aenderung der beabsichtigten Grundform auf der südlichen Seite – in einem Fünfeck verlaufende Mittelthurm auf der Falkenau. Seine Bestimmung verdoppelten die Elemente; er diente gleichzeitig als Eisbrecher und stand, ein treuer Schützer, fest gegen alle Unbill des Hochwassers, gegen die treibenden Eisschollen – ein rüstiger Kämpe, niemals besiegt, niemals gestürzt.

Zur Zeit, als Caub und der Inselthurm pfälzisch wurden, Ende des dreizehnten Jahrhunderts, entstanden, muthmaßlich als Ringmauern um den Hauptthurm, erst die äußeren Baulichkeiten, ein Sechseck mit fünfundzwanzig Thürmchen, gekrönt von Wetterstangen, und die Burg ward abermals – eine ausgesprochene Stromplage, eine Zollerhebungsstätte, welche Handel und Verkehr auf dem Rhein nicht wenig bedrückte. Die Stärke der Mauern mußte wohl, dem mächtigen Anprall des Treibeises entsprechend, in so gewaltiger Weise hergestellt werden; sie beträgt ungefähr sechs Fuß. Die zugespitzte Untermauerung aus rothen Sandsteinquadern ist mit armdickem Eisenwerk verbunden. Gleichzeitig richtete man vorsorglich den ganzen Bau zur Vertheidigung her. Unnahbar war die Veste, denn von den Pechnasen und Erkern aus war jedes herankommende Schifflein zu beschießen und ein doppelter Wallgang deckte die Besatzung von Armbrustschützen, die hier ihres doppelten Amtes, der Unterstützung der Zollerhebung und des Kriegsdienstes, wartete.

Die Rheinpfalzgrafen trieben hier das Raubrittergeschäft gar arg. Schier unaufhörlich läutete die Stromwache das Glöcklein auf dem Thurme der Pfalz, um die Fahrzeuge zu signalisiren, und die rheinischen Schiffer kannten das Zeichen; es hieß: Anhalten und Bezahlen. Bis auf die neueste Zeit aber behielt der Ort Caub seine Zollstätte – das nassauische Steueramt, bis auch dieses durch die Abschaffung des Rheinzolles und die Einverleibung in Preußen beseitigt wurde. Indeß diente ehemals der Thurm der Pfalz auch als Wahrschau für die Schiffer, und sein Thurmglöcklein hat wenigstens in dieser Beziehung Nutzen geschaffen; es warnte die Schiffe vor nahenden Flößen.

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Der innere Hof in der Pfalz.
Nach einem Originalgemälde von Sachs.

Bauliche Aenderungen bedingte wohl das Alter der Burg, und sie sind denn auch zeitweise an den Außenwerken und der Bedachung des Gebäudes vorgenommen worden. Zu Anfang dieses Jahrhunderts kam die Pfalz, die bei jeder historischen Wandlung, welche am Rheine vorging, ihre Rolle spielte, die im dreißigjährigen, im Orleans’schen Erbfolgekriege und während der französischen Revolution ihre Stürme zu bestehen hatte, an Nassau, und die kurpfälzische Besatzung, bestehend aus etwa zwanzig Mann Invaliden, zog ab, ohne militärischen Nachfolgern Platz zu machen.

Die glänzendste That der neueren deutschen Geschichte aber kennzeichnet die Pfalz als ein siegkündendes Erinnerungszeichen für das ganze deutsche Volk. Hier überschritt in der Neujahrsnacht 1814 das Blücher’sche Heer, die schlesische Armee (erstes Armeecorps und eine russische Abtheilung unter Langeron) den Rhein. Hier beginnt der Siegeszug der preußischen und verbündeten Truppen gegen den Feind deutschen Nationalsinns und deutschen Nationalbewußtseins. Ueber die russischen Pontons, welche in edler Begeisterung die rüstigen, noch heute am ganzen Rhein mit Recht berühmten Schiffer des Städtchens Caub an den Schieferfelsen der Pfalz festankerten, zogen die ersten Rächer, „die wackeren Jungens des alten Marschall Vorwärts“, hinüber und öffneten den Weg nach Paris, der in so unendlich kurzer Frist zurückgelegt ward.

Blücher, der auf der Straße von Weisel, heute zur Erinnerung das Blücherthal genannt, herangezogen war, hatte in Caub alle Kähne mit Beschlag belegt und ließ Schiffer und Fergen des Orts in die evangelische Kirche zusammenrufen. Niemand wußte um seinen Plan; Todesstille und bange Erwartung [70] herrschte in der Stadt. Blücher trat mit dem Ortspfarrer Ahles, der im vollen Ornate erschien, an der Spitze seiner Officiere in die Kirche. Ahles hielt eine begeisterte Anrede an die Schiffer, und der preußische Major v. Klücks ertheilte den Versammelten seine Instructionen zur Förderung des Truppenübergangs. Jubelnd schwuren die Männer von Caub Gehorsam und Treue und erklärten sich zur kühnen That bereit. Ahles sprach darauf ein kurzes Gebet, in dem er den Segen des Himmels für das patriotische Werk erflehte. Mit dem Glockenschlage Zwölf durchschnitten die ersten Kähne die eisigen Wellen, und in kurzer Frist spannte eine zum größten Theil improvisirte Schiffbrücke ihren Arm über den winterlichen Strom.

Die Füsiliere (zweihundert Mann) eines Brandenburgischen Regiments beginnen den Uebergang um drei Uhr, und während die französischen Posten drüben in guter Ruhe ihren Nachtdienst verschlafen, springen die Brandenburger am jenseitigen Ufer hinauf und ihr begeistertes Hurrah mischt sich mit den Schüssen der plötzlich ermunterten Wachen. Erst jetzt erwidern die heldenmüthigen Angreifer das Feuer; aber nicht lange währte hier der Widerstand, die Feinde flohen, die Bahn war geöffnet, der Siegeszug der wiedererwachten Nation begann. Eingedenk dieser That ehre jeder deutsche Vorüberfahrende das wunderliche Felsennest Pfalz als ein Denkmal der vaterländischen Geschichte.

Warm muß es in jener Neujahrsnacht eben nicht gewesen sein, denn Blücher soll, nach einer ziemlich verbürgten Anekdote, zu einem etwas dünnen und noch sehr jungen Lieutenant v. Falkenstein gesagt haben: „Sie armer Junge können mir ooch dauern! Mich ist’s nich so kalt!“ Worauf ihm der an seiner Ehre gekränkte Lieutenant derb und bestimmt das Ersuchen aussprach, den „Jungen“ zurückzunehmen, was denn auch Vater Blücher ohne viele Umstände und von Herzen that.

Zum Gedächtniß jenes Uebergangs erhebt sich am linken Rheinufer an der Stelle, wo die ersten Preußen dasselbe betraten, eine eiserne Tafel mit Gedenkstein und der Inschrift: „Im Jahre des Heils 1813 am 31. December um Mitternacht zog siegreich an dieser Stelle Fürst Blücher von Wahlstatt, Feldmarschall genannt Vorwärts, mit seinen Tapfern über den Rhein, zur Wiedergeburt Preußens und des deutschen Vaterlandes. Errichtet im November 1853 von Ferd. Diepenbrok und E. Denzin.“ Das Jahr 1864 feierte das fünfzigjährige Jubiläum dieser Waffenthat, bei welcher Gelegenheit die noch lebenden Schiffer, welche in jener Nacht thätig mit eingriffen, von dem König von Preußen und dem Herzog von Nassau decorirt wurden. An der Eingangspforte zur Pfalz aber ward 1864 eine Metalltafel eingelassen, deren Inschrift meldet:

„Zur Befreiung Deutschlands von drückender Fremdherrschaft ging hier in der Nacht vom 1. Januar 1814 der Feldmarschall Blücher mit der schlesischen Armee über den Rhein, und die Schiffer von Caub förderten kräftig das Werk der Befreiung bei diesem Rheinübergang. Diese Tafel wurde gestiftet bei der Feier des fünfzigjährigen Gedenktages am 31. December 1863.“

Schon im März des Jahres 1793 war übrigens hier unter König Friedrich Wilhelm dem Zweiten ein preußisches Corps über den Rhein gegangen. –

An der westlichen Spitze der Pfalz thront noch als Schildhalter der Löwe des pfälzischen Wappens, den Schild erhoben und in Vertheidigungsstellung, als habe er seines Herrn Rechte zu schützen gegen alle drohenden Angriffe.

Die Pfalz, die gerade an dieser Stelle, nahe unterhalb des sogenannten wilden Gefährts, ihren früheren Dienst als Eisbrecher noch heute mit Erfolg versieht, ist in der Winterzeit ein gefährlicher Platz. So ward bei dem fürchterlichen Eisgange am 30. Januar 1850 dem erwähnten pfälzischen Löwen die Schwertklinge entrissen, die er bis dahin mit der einen Pranke in treuer Anhänglichkeit geschwungen hielt. Bei jenem Eisgange war die Pfalz Zeuge eines Ereignisses, das leicht hätte sehr tragisch werden können. Der Schiffer Engel von Caub, der im Orte selbst keine Wohnung fand, erhielt von der Behörde die Erlaubniß, zeitweilig die ehemalige Commandantenwohnung in den Burgräumen mit seiner Familie zu beziehen. Er begab sich über den festgefrorenen Rhein nach Caub, um Lebensmittel herbeizuschaffen, und plötzlich, unvermittelter als dies sonst wohl zu geschehen pflegt, setzten sich die Eismassen des Stromes in tosende Bewegung. An den Rückweg war nun nicht mehr zu denken. Der Eisgang war plötzlich so gewaltig, daß die Pfalz haushoch unter Wasser gesetzt wurde, die Schollen thürmten sich, das ganze äußere Gebäude überragend, auf, die Stadt Caub selbst war in kaum einer halben Stunde gleichfalls gänzlich überschwemmt. Aus der obersten Thurmluke des Mittelbaues der Pfalz aber streckten Frau und Kinder des Schiffers flehend die Hände empor, jammernd um Rettung und Hülfe. So verging die Nacht. Keine menschliche Hülfe war hier möglich. Wer konnte es wagen, dem wüthenden Strom bei Eisgang zu trotzen! Caub und seine Umgebung, eingezwängt zwischen den Felsen der Lurlei und den Stromschnellen des wilden Gefährts, haben stets die Wirkungen eines Eisgangs am gefahrdrohendsten zu bestehen. Dabei schwankte der Mittelthurm der Pfalz in dem tobenden Elemente wie der Mastbaum eines Seeschiffes. Der nächste Morgen endlich brachte der beunruhigten Einwohnerschaft Caubs die Kunde, daß die Eingeschlossenen auf der Pfalz noch lebten, und am Nachmittag gelang es dem geängstigten Vater bis an die Außenwerke zu rudern, von wo er sich an einer über der Eingangspforte angebrachten Schiffsrolle zu den Seinen emporzog.

Zur Zeit ist die Pfalz unbewohnt. Sie diente unter Kurpfalz auch eine Zeitlang als Staatsgefängniß, hatte einen Commandanten und wurde dann zum Magazin für verschiedene Gegenstände degradirt; da aber die Ratten und Mäuse nichts verschonten, was irgend vertilgbar war, so mußte auch diese Benutzung aufgegeben werden. Jetzt steht sie gänzlich leer.

Die äußere Ansicht der Pfalz ist ziemlich bekannt. Wer aber auf flüchtiger Rheinreise an dieser Inselburg vorübereilt, legt sich unwillkürlich die Frage vor: Wie das Felsennest im Innern ausschauen mag? Nun, die Gartenlaube giebt in der beifolgenden Illustration eine getreue Abbildung des Innern dieses wunderlichen Gebäudes und zwar des Hofraumes gleich hinter der Eingangspforte.

Der Nachen legt an den neuen „Krippen“ – wie die Schutzbauten der Rheincorrection am ganzen Strome heißen – an; wir klettern die Felsplatten hinauf und bahnen uns einen Weg durch den angeschwemmten Triebsand auf der Insel. Wie ehedem die Falkenau mit grünem Buschwerk umgeben war, „das dem Commandanten mußte mit zu einem Garten dienen“, so hat man auch im letzten Jahre wieder versucht, das längst durch die Stromschnellen hinweggerissene Strauchwerk durch ein Weidicht zu ersetzen. Wir steigen die hölzerne Zugtreppe hinauf; rechts derselben befindet sich die oben erwähnte Gedenktafel. Den ganzen inneren Burgraum umgiebt eine Holzgalerie, und ein geräumiger Hof umschließt den mächtigen Mittelthurm, der noch bis zur obersten Spitze zu besteigen ist und eine prachtvolle Aussicht nach allen Seiten gewährt. Im Burghofe befindet sich ein überdeckter, mehr denn dreißig Fuß tiefer Brunnen, welcher ein vortreffliches Quellwasser führt. Er liegt wesentlich tiefer als das Rheinbett. Die sämmtlichen Räumlichkeiten im Innern sind über alle Erwartung ausgedehnt. Auch heute noch hätte eine Compagnie Raum in dem Gemäuer, wenn schon zur Zeit nur zwei bewohnbare Zimmer sich vorfinden, die ehemalige Commandantenwohnung und das enge „Gemach der Pfalzgräfinnen“, welches man dem Fremden als eine Absonderlichkeit zu zeigen pflegt.

Schon der alte rheinische Antiquarius von 1775 erzählt: „Es sollen in den ältesten Zeiten in diesem Schloß die Pfalzgrafen seyn gebohren worden, zu welchem Ende sich die ehemaligen Pfalzgräfinnen in diesen Ort begeben und ihre Kindbetten allda aushalten mußten.“ Wer, der jemals Deutschlands schönsten Strom bereist, hätte nicht von dieser Sage gehört? Eine Vertauschung der edlen Sprößlinge des pfalzgräflichen Geschlechts sollte durch diese Absperrung verhindert werden. Allein dies Blättchen aus dem poetischen Erinnerungskranze der Pfalz müssen wir ihr leider rauben. Jene Tradition ist eben nur Sage. Wenn auch der Dichter Simrock ihr ein poetisches Gewand verlieh und mancherlei für die Wahrscheinlichkeit der Sage anführt, so läßt der Geschichtsforscher Simrock doch schließlich „ihren historischen Gehalt auf sich beruhen“.

Wer bei Gelegenheit einer Rheinreise es irgend einzurichten vermag, versäume also nicht, nach Requisition des Schlüssels zur Pfalz bei dem Amtsdiener Studer in Caub, dem alten Gemäuer einen Besuch abzustatten.

H–l.