Textdaten
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Autor: Franz Schreyer
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Titel: Die Insel Juist
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 132, 133, 135
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[132]

Die Insel Juist: Blick auf das Dorf.
Nach der Natur aufgenommen von Fr. Schreyer.

[133]

Die Insel Juist: Kirche und Kirchhof.
Nach der Natur aufgenommen von Fr. Schreyer.

[136] Die Insel Juist. (Mit Abbildungen S. 132 und 133.) Der Reisende, welcher vom Fährhaus am Norddeich (im ostfriesischen Amte Norden) kommend, nach etwa anderthalbstündiger Ueberfahrt die Insel Juist vor sich sieht, glaubt eine der schönsten Gebirgsketten zu erblicken.

Es ist dies die zehn bis zwanzig Meter hohe Dünenreihe, welche sich vom Osten nach dem Norden der Insel hinzieht und derselben gegen die Sturmfluthen der Nordsee reichlichen Schutz gewährt. Die Juister Dünen zeichnen sich vor allen anderen der Nordsee durch ein Ueberwiegen scharfer, zackiger und felsgratähnlicher Contouren aus, deren malerischer Reiz zur vollsten Wirkung kommt, wenn die Sonne ihre grellen Strahlen auf die großen weißen Sandflächen wirft und die interessantesten Beleuchtungen hervorzaubert. Lagert sich nach solchen Lichtwirkungen eine dichte schwarze Wolkenschicht vor die Sonne, so werden die noch eben grell beschienenen weißen Sandflächen in ein sammetartiges Dunkel gehüllt.

Zur Erhaltung der Dünen wird auf denselben von Seiten der Regierung Sandhaargras gepflanzt, welches allein im Stande ist, dem angehäuften Flugsande Halt zu gewähren. Das sogenannte „Wandern“ der Dünen kann man genau beobachten; setzt man sich z. B., wie ich that, auf eine Düne, um zu zeichnen, und legt Zeichenkasten oder sonstige Utensilien neben sich in den Sand, so wird man bei auch nur geringem Winde nach ganz kurzer Zeit bemerken, wie die Sachen allmählich von dem Sande begraben werden. Bei genauerer Betrachtung der Sandfläche sieht man Millionen Sandkörner, vom Winde getrieben, in steter Bewegung nach dem Innern der Insel rieseln oder sich über einander ansetzen. Lange jedoch kann man eine solche Beobachtung nicht aushalten, denn das grelle Licht und das fortwährende Bewegen des Sandes greifen das Auge an. Sprach ich mit der Unkenntniß eines Festlandbewohners die Befürchtung aus, es werden die Dünen allmählich verweht oder weggespült werden, so erhielt ich von den Insulanern die beruhigende Antwort: was das Meer auf der einen Seite wegspüle, setze es auf der andern wieder an.

Da auch der übrige Boden der Insel fast nur aus lockerem Seesande besteht, so ist er im Ganzen höchst unfruchtbar. Hin und wieder findet man freilich etwas lehmigen Boden, auf welchem man sofort Culturversuche angestellt hat, indem man die betreffende Stelle mit einem vier bis fünf Fuß hohen Damm umzogen (um Wind oder Springfluth abzuhalten) und selbige noch mit etwas Dünger gefüllt hat. Darauf pflanzt man Kartoffeln, Bohnen und Kohl; im Uebrigen muß die Nahrung der Juister vom Festlande bezogen werden; es ist aber bei heftigem Sturm und Eisgang vorgekommen, daß die Juister zwölf Wochen von jeglichem Verkehr mit der Außenwelt abgeschlossen waren. Die Insel besteht aus zwei Theilen, deren Verbindung von Regierungswegen künstlich erhalten wird. Der kleinere westliche Theil, „Bill“ genannt, ist der fruchtbarere und war auch früher der bewohntere. Jetzt steht nur ein Haus und ein Schuppen mit Material für Rettungszwecke dort, während die Einwohner sich auf der weniger gefährdeten Ostseite in zwei Häusergruppen, dem Loog (nur fünf Häuser) und dem Ostdorf, niedergelassen haben.

Das Dorf mit seinen einander ziemlich gleichenden Häusern macht einen freundlichen Eindruck und ist deshalb für die Ostfriesen ein beliebter Badeort, der jährlich etwa 150 Gäste auf der Insel versammelt; die Ankömmlinge werden zu Wagen vom Schiffe eingeholt. Juist ist Telegraphenstation; die Postverbindung besorgt das (Post-)Fährschiff. Die Zimmer sind gemüthlich eingerichtet und sauber und reinlich gehalten. Nach ostfriesischer Bauart ist die Zimmerdecke aus Brettern gefugt und dunkel angestrichen. Statt Bettstellen hat man die Schlafstellen in der Wand (wie auf dem Schiff) und nennt sie deshalb auch „Kojen“; am Tage sind sie mit Gardinen verhangen. Keller giebt es nicht. Zum Feuern wird nur Torf genommen, welcher auch vom Festlande herüber geschafft werden muß. Vor dem Hause hat man gewöhnlich einen sogenannten Garten, mehrere Quadratmeter groß und mit einigen Blumen, wie Malve, Georgine oder Reseda bepflanzt. Da man auch zwischen den einzelnen Häusern (von Straßen kann man kaum reden) bis an die Knöchel in den Sand einsinkt, so sind zur Erleichterung der Passage Ziegelsteine von einem Hause zum anderen gelegt.

Die Häuser findet man häufig mit Resten von gestrandeten Schiffen decorirt, über der Thür vielleicht das Namenbrett eines gestrandeten Schiffes, welches an’s Land gespült wurde, vor dem Hause einen verrosteten Böller oder aus Schiffsplanken und Rippen gezimmerte kleine Buden und Ställe. Am Strande sieht man, bei niedrigem Wasserstande, nicht wenig Ueberreste gestrandeter Schiffe; aber Strandräuber sind die Juister nicht mehr, wie die von Heinrich Kruse so hübsch dargestellte Anekdote (Jahrg. 1879, Nr. 13) sie zeichnet; sie begnügen sich bei Schiffsunfällen mit ihrem Bergelohn.

Die Kirche, welche unter dem Wandel des Terrains bereits zum vierten Mal (?) ihre Stelle hat wechseln müssen, entbehrt jeden Schmuckes. Den Glockenthurm muß ein hölzernes Gerüst (jedenfalls aus Schiffsrippen zusammengefügt) ersetzen. Rings um die Kirche liegt der Friedhof der Juister. An manchem Kreuz oder Pfahl liest man: „Unbekannter, wurde – dann und dann – angetrieben“. Die Bewohner sind echte Friesen mit rauhem Aeußeren, wettergebräuntem Gesicht und klarem Auge, gegen Fremde im Anfang etwas wortkarg, jedoch sobald sie wissen, mit wem sie es zu thun haben, desto zuvorkommender und freundlicher. Selten wird Nachts eine Hausthür verschlossen, da man Diebstahl und Betrug nicht kennt, ebenso wenig Betteln.

Die Männer, in der Jugend meist Matrosen und später Fischer und besonders gerühmte Robbenjäger, kehren, soweit sie im Sommer auswärts thätig waren, aus Liebe zur Heimath gern im Herbst heim, und den ersten Sonntag nach der Ankunft benutzt jeder, um zur Kirche zu gehen. Sämmtliche Juister sind evangelisch-lutherisch und halten streng am alten Glauben fest.

Die Insel hat auch ihre Geschichte. Unter Drusus waren die Römer dort; am Anfang dieses Jahrhunderts war die Kirche eine französische Befestigung, und die Gemeinde entbehrte des öffentlichen Gottesdienstes und verarmte, während sie früher für reich galt.

Fr. Schr.