Die Industriebahn Tegel–Friedrichsfelde und Hafen Tegel
Im Frühjahr 1905 wurde von dem damaligen Landrat des Kreises Niederbarnim, Herrn von Treskow, die Anregung gegeben, zur Hebung der Industrie in den nördlichen Berliner Vororten eine normalspurige Güteranschlußbahn in Verbindung mit den bestehenden Eisenbahnlinien zu erbauen. Die Angelegenheit wurde von dem Nachfolger des Herrn v. Treskow, Herrn Landrat Grafen von Roedern, weiter verfolgt. Der Kreistag am 18. Dezember 1905 beschloß auf Antrag des Grafen von Roedern die Ausführung der Vorarbeiten und bewilligte
[36] die dazu erforderlichen Kosten. Die Vorarbeiten sind so gefördert worden, daß dem Kreistage am 14. August 1906 das Projekt mit dem Ausgangspunkt vom Tegeler Hafen über Berlin-Wittenau, Lübars, Berlin-Rosenthal, Franz.-Buchholz, Blankenburg, Berlin-Heinersdorf, Berlin-Weißensee und Berlin-Hohenschönhausen nach Berlin-Friedrichsfelde mit Anschluß bei Bahnhof Magerviehhof an die Wriezener Bahn vorgelegt werden konnte. Für die in Frage kommenden Eisenbahnstrecken waren folgende Anschlüsse vorgesehen: In Berlin-Tegel an die Kremmener Bahn, in Berlin-Rosenthal an die Reinickendorf-Liebenwalde-Groß-Schönebecker Eisenbahn, und in Blankenburg an die Stettiner Bahn. Für den Gemeindebezirk Berlin-Niederschönhausen wurde ein besonderes Abzweiggleis von Franz.-Buchholz geplant.
Von den beteiligten Gemeinde- und Gutsbezirken ist das für den Bahnbau erforderliche Gelände dem Kreise unentgeltlich übereignet worden und zwar in solchem Umfange, daß ein späterer zweigleisiger Ausbau der Strecke möglich ist. Nachdem die landespolizeiliche Prüfung des Projektes erfolgt war und der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten die Ausführung der Anlage als Kleinbahn genehmigt hatte, wurde zur Bestreitung der Kosten eine Anleihe im Betrage von 19 700 000 ℳ. bei der Kreissparkasse aufgenommen und mit der Bauausführung im Frühjahr 1907 begonnen. Unter der Leitung des Herrn Königlichen Baurats Mirau wurden die Bauarbeiten so gefördert, daß die Teilstrecke Friedrichsfelde-Blankenburg bereits am 16. Dezember 1907 in Betrieb genommen werden konnte. Bei der Weiterführung der Bahnanlagen ergaben sich besondere Schwierigkeiten insofern, als die zu kreuzenden Bahnkörper der Stadtbahn (Stettiner
[37] Bahn, Nordbahn und Kremmener Bahn) unterführt werden mußten. Trotzdem konnte die Reststrecke Blankenburg-Berlin-Tegel und der mit den Industriebahngleisen in Verbindung stehende Hafen am Tegeler See bereits am 31. Oktober 1908 landespolizeilich abgenommen und dem Betriebe übergeben werden.
Der Hafen am Tegeler See ist in einer nutzbaren Länge von 556 m erbaut und an der Einfahrt 38 und am Ende 62 m breit. Dem Kreise steht für den Wasserumschlagsverkehr vom Wasser nach der Bahn das nördliche Ufer und die Hälfte des östlichen Ufers zur Verfügung. Die Gemeinde Berlin-Tegel hat für den Ortsverkehr die andere Hälfte des östlichen Ufers und das südliche Ufer in Benutzung. Die Gesamtbaukosten (ohne Grunderwerb) betragen 900 000 ℳ., wovon der Kreis Niederbarnim 350 000 ℳ. übernommen hat, während der Rest von der Gemeinde Tegel aufgebracht ist.
Der Verkehr sowohl auf der Industriebahn als auch am Hafen Tegel hat von Jahr zu Jahr eine wesentliche Steigerung erfahren, so daß die vorhandenen Gleisanlagen wiederholt erweitert und die Ladeeinrichtungen am Hafen Tegel vermehrt werden mußten.
Nach vollständigem Ausbau der Gleise beträgt die Streckenlänge der Industriebahn 25,23 km und einschließlich aller Nebengleise 33,68 km. Am Hafen Tegel sind für den Güterumschlag 3 elektrische Portalkräne mit einer Tragfähigkeit von 2,5 und 5,3 Tonnen Tragfähigkeit aufgestellt worden. Die Gemeinde Tegel hat außerdem einen Ladestraßenkran von 2 Tonnen Tragfähigkeit aufgestellt.
Durch die Erweiterung der Gleisanlagen und die Vermehrung der Betriebsmittel und infolge Höherlegung der Nord- und Stettiner Bahn mit den Anschlußgleisen bei dem viergleisigen Ausbau, ist eine Erhöhung des Anlagekapitals für die Industriebahnanlagen auf 2 860 000 ℳ. erforderlich geworden.
Durch die mit den Industriebahnanlagen hergestellte Verbindung zwischen Bahn und Wasserweg ist der Industrie Gelegenheit gegeben, sich in den nördlichen Vororten Berlins vorteilhaft anzusiedeln. Es hat sich auch bereits eine große Anzahl industrieller Werke dort niedergelassen; es sind bisher 15 Privatanschlußgleise hergestellt. Nachdem auch der Wasserumschlagsverkehr bereits einen wesentlichen Umfang angenommen hat, ist zu erwarten, daß das Unternehmen den gehegten Erwartungen in vollem Umfange entsprechen wird.
Es sind folgende Verkehrsziffern nachzuweisen:
für das Jahr |
Gütermengen in Tonnen | Anzahl der abgefertigt. Schiffe | |||
---|---|---|---|---|---|
Bahnverkehr (ohne Umschlagsgüter) |
Wasserumschlagsverkehr | Zusammen | |||
auf die Bahn |
für Tegel (Ortsverkehr) | ||||
1909 | 66 178 | 23 000 | 76 951 | 166 129 | 576 |
1910 | 105 663 | 61 845 | 81 324 | 248 802 | 705 |
1911 | 134 424 | 99 892 | 77 144 | 311 460 | 887 |
1912 | 142 866 | 144 699 | 85 353 | 372 918 | 970 |