Die Hungersnoth
[62]
19. Die Hungersnoth.
Wehmüthig. | Mündlich, aus Waltdorf bei Neiße. |
1.
Wir haben im Felde gestanden:kein Bissen Brot vorhanden,
swar große Hungersnoth. :|:
2.
Wir ließen den Kaiser bitten,er möcht uns doch erretten
mit einem Bissen Brot.
3.
Der Kaiser thäte schickenum dreißig Silberstücke
für achtzigtausend Mann.
4.
Die Stücklein waren geschnittenals wie die halben Glieder,
die an dem Finger sind.
5.
Wir habens nicht selber gegessen,wir habens den Pferden gelassen,
swar große Hungersnoth.
6.
Die Wurzeln aus der Erdenhabn wir uns ausgegraben,
ist unsre Speise gewest.
[63]
7.
Den Thau wol von den Blumenhabn wir uns abgenommen,
ist unser Trank gewest.
8.
Wenn das mein Vater wüßte,dazu mein liebes Geschwister,
sie würdn mir schicken Brot,
9.
Dazu ein weißes Hemdevor meinem letzten Ende,
weil ich jetzt sterben muß;
10.
Dazu einen Krug mit Wasser,draus ich mich könnte waschen
vor meinem letzten End! –
11.
Es sind’er noch zwei geblieben,die habn den Brief geschrieben
von der großen Hungersnoth.
(Mitgetheilt durch Herrn Prof. Hoffmann von Fallersleben.)