Die Hundepost auf den nordamerikanischen Seen

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Hundepost auf den nordamerikanischen Seen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 228–230
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[228]
Die Hundepost auf den Nordamerikanischen Seen.

Da, wo die Vereinigten Staaten in ihrer nördlichen Ausdehnung an Canada stoßen, wird die Grenze durch eine Kette von ausgedehnten, mit einander verbundenen Landseen gebildet, welche sich bis in völlig wildes, nur von wenigen, halb verkommenen Indianerstämmen bewohntes Land hinauf erstrecken und deren Verbindung durch einzelne Forts beherrscht wird. Im Sommer, wenn diese azurblauen Wasserflächen durch Fahrzeuge aller Art, vom sturmfesten Dampfschiffe bis zum Segelboote herab, belebt sind, wenn die grünen Ufer mit ihren mannigfachen sonnenbestrahlten Scenerien sich wie ein glänzender Gürtel darum her ziehen, bieten sich überall die entzückendsten Bilder; im Winter jedoch, wenn sich die Eisdecke oft Hunderte von (englischen) Meilen über das ruhige Wasser ausbreitet, wenn der fallende Schnee das gleiche weiße Leichentuch über Land und See legt, kann es, besonders in der nördlicheren Hälfte dieses Seegebiets, kaum ein trostloseres Bild völliger Oede geben. Die Schifffahrt, welche fast die einzige Verbindung zwischen den Uferplätzen sowohl, als den zerstreuten nördlichen Ansiedelungen und der bewohnten Welt bildet, ist gänzlich unterbrochen, alles äußere Leben hat sich in die kleinen versteckten Punkte, die Jedes seine Heimath nennt, zurückgezogen, und selbst der Indianer mag nur selten seine halb in die Erde gegrabene Winterhütte verlassen, in welcher er neben seinem Feuer und dem aufgehäuften Vorrath von Lebensmitteln die Zeit des Schnees und der Stürme verbringt.

Und da, wo im Norden diese Einsamkeit, diese Abgeschlossenheit von allem Leben in ihrer ganzen Traurigkeit hervortritt, stehen einzelne Forts mit ihrer kleinen Besatzung, welche den langen Winter über vollkommen abgeschnitten von der übrigen Welt sein würden, wenn nicht eine eben so eigenthümliche als gefahrreiche Verbindung mit den bewohnten Plätzen durch die Ver. Staaten Hundepost geschaffen worden wäre. Diese besteht meist aus zwei leichten Schlitten, von je zwei oder drei kräftigen Hunden gezogen, wofür eine Art Abkömmlinge der Eskimo-Hunde die gesuchtesten sind, und den beiden Postläufern – oft ein Weißer und ein Indianer, oft auch nur zwei zuverlässige Männer der rothen Race. Es bedarf des ganzen angeborenen Scharfsinns und der Ausdauer dieser Halbwilden, verbunden mit dem Instinct der Hunde, um ohne Irren den Weg über die endlose Schnee- und Eiswüste zu finden und den plötzlich hereinbrechenden, oft kaum erst geahnten Gefahren einer solchen Reise zu begegnen.

[229]

Vereinigte Staaten Hundepost auf den nordamerikanischen Seen.
Nach der Natur aufgenommen von Fred. Kurz.

Ein kleiner Vorrath von trockenen Lebensmitteln, das Gewehr mit der nöthigen Munition und die Axt bilden die ganze Ausrüstung des Postläufers, welche ihren Platz auf dem Schlitten neben dem Briefsacke findet – der Weiße, welcher sich dem Geschäfte unterzieht, trägt wohl außerdem einen Taschencompaß bei sich – die Hunde haben eine derbe Mahlzeit von rohem Fleische erhalten, und so treten die beiden Männer, nur zum Nöthigsten gegen die Kälte verwahrt, ihren oft 200 engl. Meilen langen Marsch über das Eis des Sees an. –

Unbewölkt spannt sich der Himmel über die endlose weiße Fläche, die Hunde traben mit ihrer nachgezogenen Last lustig über den zu einer harten Kruste gefrorenen Schnee, drei Tage sind die Reisenden bereits unterwegs und haben sich bis jetzt immer soweit in der Nähe des Ufers gehalten, als es das durch frühere Stürme gebrochene und zu ganzen Klippenbergen über einander geschobene Eis gestattet; die Nächte sind im Schutze eines Fichtengebüsches, auf einer dicken Lage abgehauener junger Nadeläste zwischen zwei nachhaltigen Feuern verbracht worden; jetzt aber trennt sie eine weite, tief in’s Land gehende Bai vom Ufer, und sie bedürfen eines vollen Tagemarsches, um die erste wieder herantretende Landspitze zu erreichen. Der Weiße zieht seinen Compaß, um die genaue Richtung aufzunehmen, und nach einer Stunde umgiebt sie nichts, als die ebene unabsehbare Eisfläche und der helle Himmel, welchen der Indianer jetzt mit zusammengezogenen Augenbrauen zu mustern beginnt. Es liegt etwas in der Luft und in der Färbung des Horizonts, das ihm nicht gefällt. „Müssen große Schritte machen, wenn wir auf geradem Wege bleiben sollen!“ sagt er nach einer Weile der Beobachtung. – „So halten wir uns dazu, soviel wir können!“ erwidert der Andere nach einem halben Kopfschütteln; er kann nirgends ein übeles Zeichen für eine Aenderung des Wetters entdecken, aber er kennt seinen Mann, und schweigend, mit erweiterten Schritten geht die Reise weiter.

Am Mittage hat sich das helle Blau des Himmels in ein fahles Grau verwandelt, in welchem die Sonne wie von einem dicken Nebel umzogen steht; der Indianer geht jetzt mit beschleunigten Schritten vor dem Kopfe des ersten Hundes, der dicht an seinen Fersen bleibt, und läßt das besorgte Auge nicht von dem sich mehr und mehr verdüsternden Horizonte; der Weiße hinter ihm zieht alle Viertelstunden seinen Compaß zu Rathe, aber die Richtung des Voraneilenden ist so wandellos schnurgerade, wie die des abgeschossenen Pfeils. Eine neue Stunde ist vergangen, und von der Sonne ist nichts mehr zu entdecken; ein leiser, kaum bemerkbarer Luftzug hat sich erhoben, und plötzlich bleibt der Indianer stehen, seinem Gefährten die Hand hinstreckend – eine feine Schneeflocke sitzt darauf. Mit einem bedeutungsvollen Kopfnicken nimmt er seinen Weg wieder auf und verfällt bald in einen eigenthümlichen, den Indianern eigenen Trab, die Hunde folgen so willig, als sage ihnen bereits der Instinct das Kommende, und der Weiße beschleunigt seinen Gang in gleicher Weise; Beide wissen jetzt, was ihnen bevorsteht, aber kein Wort fällt weiter darüber.

[230] Und von Viertelstunde zu Viertelstunde nimmt das Tageslicht mehr ab; obgleich der Anbruch des Abends noch fern ist, fällt der Schnee dichter, zieht die Luft stärker, bis endlich der Wind sich zu einem brausenden Sturm verwandelt, der Schnee in wirbelnden Massen die nur noch mühsam vorwärts eilenden Wanderer umtobt, ihnen das Sehen fast unmöglich macht und die ängstlich arbeitenden Hunde mit ihren Schlitten zu begraben droht; eine Richtung festzuhalten ist nicht mehr möglich, die Luft scheint in einem einzigen, sinnebetäubenden Schneewirbel zu bestehen, die Kräfte ermatten in diesem fortwährenden Kampfe gegen die wildgewordenen Elemente, der trotzdem nur noch schrittweise ein Vorrücken ermöglicht – und dennoch liegt in einem ungeschwächten Vorwärts die einzige Aussicht auf Rettung; ein Schneesturm währt in ungeschwächter Kraft oft tagelang. Da hält der Indianer plötzlich seinen Gang an. „Ich weiß keine Richtung mehr!“ ruft er mit Anstrengung seinem kaum der Sinne noch mächtigen Begleiter zu; „die Hunde allein vermögen noch einen Weg zu finden; schlingt eine Leine an den Schlitten und dann mit ihnen!“ Der Weiße hat mehr errathen, als gehört, um was es sich handelt, und fast nur instinctmäßig folgt er dem Rathe; kaum findet sich aber der vorderste Leithund sich selbst überlassen, als er dem Sturm den Rücken dreht und so rasch, als es das Toben um ihn her gestattet, kräftig von seinen Nachfolgern unterstützt, mit dem Schlitten davon trabt; ihm nach eilt das andere Gespann, und von dem rückwärts stehenden Winde getrieben, folgen die Postläufer an der gefaßten Leine; ein eigenes Urtheil ist ihnen nicht mehr möglich, nur mechanisch thun die Beine ihre Schuldigkeit, Hören und Sehen hat in dem Brausen und den Schneewirbeln um sie her ein Ende genommen; aber sie fühlen nach langer Weile endlich, wie der Boden unter ihren Füßen Hindernisse bietet, sie fühlen an der Leine in ihrer Hand, wie der Schlitten Sprünge macht, die nur das zähe Hickoryholz auszuhalten vermag, und erkennen, daß sie sich auf dem gebrochenen, zu Klippen neu vereinigten Eise in der Ufernähe befinden müssen; die neuerwachte Hoffnung giebt ihnen neue Kraft, den Schwierigkeiten ihres Weges Rechenschaft zu tragen; noch sehen die geblendeten Augen nichts als halbdunkele Nacht um sich – da hält plötzlich der Schlitten, und zu gleicher Zeit scheint der Sturm in ihrer unmittelbaren Nähe nachzulassen. Nur mühsam aber und erst nach geraumer Weile nehmen die Augen die äußern Eindrücke wieder auf; vor sich erkennen sie endlich ein vom Sturme gepeitschtes Fichtengebüsch, in dessen Schutze die Hunde schnaufend, mit heraushängenden Zungen liegen, und die Männer wissen, daß ihr Leben für den Augenblick gerettet ist. Die treuen Thiere werden mit dem letzten Reste der Kraft ausgeschirrt, die Schlitten unter das dichte Nadeldach geschoben, und dann folgt eine Zeit der nothwendigsten Rast. Aber wie auch die Erschöpfung fast unbesieglich zum Schlafe drängt, sie muß überwunden werden, wenn nicht auf’s Neue der Tod mit sicherer Hand nach seinen kaum entronnenen Opfern greifen soll. Ein kleiner Raum innerhalb des Gebüsches wird von den jungen Fichtenstämmen gesäubert und mit den Zweigen derselben eine Art rings umlaufende Wand hergestellt, sowie ein dichtes Lager auf dem beschneiten Boden gebildet. Ein Feuer anzuzünden ist bei diesem Sturme unmöglich, und so werden die Hunde in das wohlverwahrte Versteck gerufen, um das Lager der Männer zu theilen und zur allgemeinen Erwärmung beizutragen. Bald beginnt es in dem geschützten, vom Sturme umtosten Raume behaglich zu werden, und Mensch wie Thier überläßt sich der nothwendigen Ruhe.

Aber fast drei Tage hat der Sturm gewährt, die Lebensmittel sind zum größten Theile aufgezehrt, ein drei Fuß tiefes Loch hat in das Eis des Sees gehauen werden müssen, um das nothwendige Wasser zu erlangen, ehe das sich aufklärende Wetter die Weiterreise erlaubt; erst als nach langem fruchtlosem Umherstreifen sich einige wilde Kaninchen als Jagdbeute gezeigt haben und damit der eingetretene Mangel ersetzt worden ist, wird der Weitermarsch aufgenommen.

Glücklich mögen nun trotz aller Gefahr die Postläufer sein, wenn der Schneesturm sie nur in dieser einfachen Gestalt überrascht, denn fast unausweichbar tritt ihnen der Tod entgegen, sobald eine milde Luft sich als Vorbote des Sturms einstellt. Dann beginnt sich plötzlich der See gegen die ihm aufgedrungene Eisfessel zu empören. Mit donnerähnlichem, weit über die Fläche hin hörbarem Krachen beginnt das Eis an den Ufern zu bersten und das Wasser in riesigen Spring- und Sturzwellen zu Tage zu lassen, allem Lebenden, das sich nicht bei Zeiten auf das feste Land gerettet, den Weg nach dem Ufer abschneidend. Immer weiter hinaus geräth die Eisdecke in Bewegung, den drängenden Wassern weichend; erst knallend und prasselnd in einzelne gewaltige Flächen zerreißend und dann in kleinere an einander zerschellende Stücke zerbröckelnd; mit der Schnelle des Vogels scheint nach dem ersten Signalschuß ein Theil des Sees es dem andern mitzutheilen, und nach Stunden ist die bis hierher unbewegliche todte Ebene ein wildes Chaos von Sturm, empörten Wogen und prasselnd gegeneinander schmetternden Eisschollen. Hier rettet den Postläufer nur die Nähe einer der wenigen Inseln, falls er diese noch vor gänzlichem Bruch des Eises erreichen kann; aber selbst wenn er das nackte Leben gerettet, ist er oft nicht im Stande, es sich auf dem unwirthlichen kleinen, oft von keinem lebenden Wesen bewohnten Terrain zu erhalten. Indessen gehen dem eintretenden Thauwetter stets so untrügliche Anzeichen voraus, daß der Indianer sich nie darin irren kann und fast stets noch Zeit behält, dem drohenden Untergange auszuweichen.