Die Humboldt-Akademie in Berlin

Textdaten
<<< >>>
Autor: Unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Humboldt-Akademie in Berlin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 239
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[239] Die Humboldt-Akademie in Berlin. Wir haben schon häufig Gelegenheit gehabt, auf den gewissermaßen idealen Zug in der Physiognomie der deutschen Reichshauptstadt hinzuweisen, der sich in dem rastlosen Eifer bekundet, mit welchem von Behörden und Bürgerschaft die Verallgemeinerung der Bildung gefördert wird. Ein leuchtendes Beispiel dieser echt humanen Bestrebungen, welche zu der in jeder Großstadt ebenfalls hervortretenden Jagd nach materiellen Genüssen ein wohlthuendes Gegengewicht bilden, ist die erst vor wenigen Jahren gegründete und stetig aufblühende Humboldt-Akademie, welche in ihrer Anlage und Entwickelung einzig dasteht und recht eigentlich das Gepräge des universellen deutschen Geistes trägt.

In der Georgenstraße, ganz nahe dem Centralbahnhof der neuen Stadtbahn, erhebt sich ein stilvoller Rohziegelbau, die Dorotheenstädtische Realschule. Dorthin pilgert im Winterhalbjahr allabendlich eine Schaar von Herren und Damen aller Altersclassen, Stände und Lebensberufe, um den Vorträgen in der Humboldt-Akademie zu lauschen. Auf den nicht übermäßig bequemen Schulbänken sitzend, folgen sie mit hingebender Aufmerksamkeit den objectiven Darlegungen der Docenten. Nicht um einzelne Vorträge über dies und jenes begrenzte, interessante Thema handelt es sich hier, sondern um systematische Vortragscyklen, die ein Viertel- oder Halbjahr hindurch an denselben Wochenabenden eine ganze Disciplin, oder doch den größeren Abschnitt einer solchen, im Zusammenhange darstellen. Solchen zwanglosen Vorträgen Woche für Woche beizuwohnen, ohne den Sporn bevorstehender Prüfungen oder nutzbringender Zeugnisse, dazu kann nur ernster Wissenstrieb, nur innerer Drang nach Erkenntniß veranlassen. Und daß unter solchen Umständen die Humboldt-Akademie seit ihrer vor drei Jahren erfolgten Gründung bereits 4500 Hörer zählt, die sich auf 132 Vortragscyklen aus den verschiedensten Gebieten der Wissenschaft vertheilten, das ist ein gutes Zeichen zugleich für Berlin und die Akademie.

Eine solche Anstalt mußte mit innerer Notwendigkeit aus den Bildungsbestrebungen der Weltstadt hervorgehen. Jahr für Jahr werden zwar viele Hunderte von Einzelvorträgen in Berlin gehalten, die gewiß größentheils sehr aufklärend, sehr lehrreich sind, aber wegen ihrer Unvollständigkeit und Zersplitterung können sie den Weiterstrebenden nicht genügen. Wer von der Quelle der Wissenschaft nicht hin und wieder nippen, sondern mit vollen Zügen trinken wollte, der konnte bisher nur in Lehrbüchern oder an der Universität seinen Zweck erreichen, das Bücherstudium erscheint aber dem Geschäftsmanne meist zu trocken und abspannend; die Universität ist ihm schon durch die Tageszeit der Vorlesungen unzugänglich. Es lag also nahe, für die große Zahl Derer, die aus Gymnasium oder Realschule zu einem praktischen Lebensberufe übergehen, wie überhaupt für alle Wissensdurstigen systematische Vortragscyklen einzurichten, und gerade in Berlin fehlen die vollbefähigten Lehrkräfte nicht, um diese Cyklen, zu einer umfassenden Anstalt vereint, zu organisiren.

Dieser Gedanke wurde im Frühjahr 1878 von dem bekannten Reichstagsabgeordneten Dr. Max Hirsch auf Grund seiner langjährigen Thätigkeit als Leiter und Lehrer in Bildungsvereinen gefaßt und in einem „Plane zur Gründung einer Anstalt für populärwissenschaftliche Vortragscyklen“, welcher zugleich die Motive und die Vorschläge zur Verwirklichung enthielt, zunächst in engeren Kreisen von Freunden der Wissenschaft verbreitet.

Der Plan fand lebhaften Anklang, und trotz der großen Schwierigkeiten gelang es dem zu diesem Zwecke gewählten Curatorium schon am 13. Januar 1879 die Humboldt-Akademie – so war die Anstalt zum Andenken an die beiden, Natur- und Culturwissenschaft universell umfassenden und erleuchtenden Brüder genannt worden – zu eröffnen. Dank der Bereitwilligkeit einer großen Zahl von Docenten, worunter Professoren der Universität und der staatlichen Akademie, sowie der höheren Schulen, bot das Lehrprogramm neunzehn Vortragscyklen aus fast allen Wissensgebieten dar, welche größtentheils zahlreich, einige von hundert Hörern und darüber, bis zur letzten Stunde besucht wurden und lebhafte Anerkennung fanden.

Es war ein großer Erfolg. Die leitende Idee des Planes: systematischer Zusammenhang, Kürze und Uebersichtlichkeit durch Hervorhebung des Wesentlichen und möglichste Umfassung des gesammten Wissensbereichs – letzteres unseres Wissens bisher wohl nirgends in Europa von solcher Anstalt durchgeführt – hatte die Probe glänzend bestanden. Der kühne Gedanke, die genossenschaftliche Selbsthülfe auch auf die höhere wissenschaftliche Bildung anzuwenden und ohne Subvention von oben, ohne jede Ausschließlichkeit und Beeinflussung von Partei oder Richtung, eine freie Bürger-Akademie zu errichten und zu leiten, war verwirklicht.

Selbstverständlich fehlten auch die Gegner nicht, besonders in den Kreisen des exclusiven zünftigen Gelehrtenthums, welche eine Concurrenz gegen die Universität, eine Vorschule für hochmüthige Halbbildung befürchten zu müssen glaubten. Allein, wie Professor Steinthal, selbst eine wissenschaftliche Größe, in seiner Eröffnungsrede der ersten Generalversammlung hervorhob, konnte die Modephrase von Halbwissen nirgends weniger Anwendung finden, als bei der Humboldt-Akademie, deren Lehrplan vielmehr durch den ersten Hinweis auf die Methode, auf den gewaltigen Umfang und die unergründliche Tiefe der Wissenschaft zur Bescheidenheit führte. Und schon „im Plan“ war betont: „Nicht als Rivalin, sondern als bescheidene und nützliche Gehülfin der Universität wird unsere Anstalt eine verdienstvolle Stellung im deutschen und internationalen Bildungswesen einnehmen.“

Diese Stellung hat die Humboldt-Akademie errungen. Obgleich die immer heftigeren Parteikämpfe auf religiösem, wissenschaftlichem und politischem Gebiete die Aufmerksamkeit von der Pflege der objectiven Wissenschaft abgelenkt haben, erhält sich die Akademie nicht nur, sondern sie gewinnt immer größere und weitere Anerkennung.

Eine Reihe bedeutender Gesellschaften und Vereine hat sich dem Verein corporativ angeschlossen, und die städtischen Behörden haben ihre Lehrsäle bewilligt. Neben den modernen Sprachen und Literaturen bilden Astronomie, Physik und Chemie, politische und Kunstgeschichte, zumal der griechischen Plastik, Nationalökonomie, Rechtskunde, Versicherungs- und Eisenbahnwesen – die letzteren zum ersten Male in Deutschland durch die Humboldt-Akademie auf’s Katheder gebracht – die hauptsächlichen Gegenstände der Vorlesungen.

Daneben veranstaltet seit zwei Jahren der Wissenschaftliche Centralverein, um allen seinen Mitgliedern Anregung und Belehrung zu bieten und den Verkehr zwischen Lehrenden und Lernenden zu fördern, auch Einzelvorträge hervorragender Gelehrten und Schriftsteller. Weitere Veranstaltungen, wie die Errichtung einer wissenschaftlichen Bibliothek mit Zeitschriftenlesezimmer sind in Aussicht genommen, auch Verbindungen mit andern deutschen Städten angeknüpft, um Anschluß an diese wahrhaft idealen und nationalen Bestrebungen, die besonders der einer richtigeren Selbstverwaltung dienen werden, herbeizuführen.

Wachsenden Erfolg der guten Sache muß jeder Vaterlandsfreund wünschen und fördern; denn was der Plan zur Gründung der Humboldt-Akademie 1878 aussprach, das gilt noch heute in vollem Maße: „Immer lauter und schwerer werden die Klagen über das Einreißen eines flachen Realismus und damit zusammenhängend die Erweiterung der Kluft zwischen den Hochgebildeten und der übergroßen Masse, welche, allen Idealen entfremdet, nur dem Genusse und der äußeren Macht nachjagt. Dieser bedauerliche und gefahrdrohende Zustand beruht – abgesehen von den großen Schäden unseres Elementar- und Secundärunterrichts – wesentlich auf der schweren Zugänglichkeit der höheren, wahrhaft wissenschaftlichen Bildung für die große Masse, selbst derer, welche im Leben eine führende Rolle spielen.“