Die Hosen des Grafen von Erbach

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Die Hosen des Grafen von Erbach
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 304
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Hosen aus Menschenhaut
Blätter und Blüthen
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[304] Die Hosen des Grafen von Erbach. Was ein guter Nachbar werth ist, das habe ich vorigen Sommer so recht gefühlt; mein Anwesen grenzt unmittelbar an das eines Fabrikanten, der, obgleich er schon ein älterer Herr ist, doch mit mir gute Freundschaft hielt, und das ging so durch die ganze Familie durch. Unsere Frauen arbeiteten, unsere Kinder spielten zusammen. Wir hatten ein paar Latten aus dem Staket herausgenommen, so daß man unmittelbar von einem Garten in den andern konnte, und so ging’s nun den ganzen Tag hindurch hinüber, herüber.

Abends saßen wir nach gethaner Arbeit Alle in einem Kreis am Brunnen; da wurde in den schönen, warmen Mondnächten so manche Cigarre geraucht, so manche schwere und ernste Frage besprochen, über so viele heiteren Scherze gelacht. Wieder einmal war es Abend geworden und ich war just durch das Staket gekrochen und traf mit dem Nachbar zusammen, der gerade aus der Fabrik kam. Unsere Frauen saßen schon vorn am Brunnen und plauderten froh zusammen, eine von den erwachsenen Töchtern des Nachbars pflückte Rosen, die andere las, trotzdem es schon stark dämmerte, dennoch sehr eifrig in einem Blatte.

„Das heißt sich aber doch die Augen mit Gewalt ruiniren, Fräulein Lottchen, was lesen Sie denn da so Interessantes, daß Sie gar nicht davon loskommen können?“

Die junge Dame reichte mir mit einem tiefen Seufzer – die Gartenlaube.

„Der bairische Hiesel hat ihr’s angethan,“ brummte der Nachbar; „die Mädel sind wie toll auf die Erzählung und haben sich heute arg gestritten, wer die frisch angekommene Nummer zuerst haben solle.“

„Ich habe die Novelle auch gelesen und muß sagen, der Hermann Schmid ist ein ganzer Kerl und was er schreibt, hat Hand und Fuß,“ fuhr er behaglich fort, indem er sich in einen der eisernen Gartenstühle setzte; „mich interessirt die Geschichte aber noch besonders, weil sie von einem Wilddieb handelt, und für diese Herren habe ich eine ganz eigenthümliche Schwäche.“

„Weil er selbst genug gewildert hat und oft genug,“ fiel seine Frau ein.

„So ganz Unrecht hat meine Alte nicht, und wenn Sie mich auch noch so erstaunt ansehen. Sie wissen, ich bin drüben vom Odenwald her und unser kleines Nest liegt mitten in dem Wald. Rund umher prächtige Jagden; ich hatte selbst ein Revier gepachtet, und daß ich da allerdings zuweilen über meine Grenze ein wenig hinübergekommen bin, das will ich nicht leugnen, aber wildern kann man das doch nicht nennen und meine Nachbarn machten’s mir auch nicht besser. Nein, nein, mein Interesse hat einen ganz andern Grund. Wir sind als Kinder mit einer Art Popanz aufgewachsen und dieser Popanz hieß Setzer.“

Ich blickte verwundert auf.

„Sie werden den Namen schwerlich je gehört haben. Dieser Setzer war nur ein armer Teufel von Wilddieb, von dem man jetzt nicht mehr sprechen würde, wenn ihm nicht eine hochgräfliche Caprice eine Art von Unsterblichkeit, wenigstens für unser kleines Ländchen, gegeben hätte. Der Graf von Erbach hat sich nämlich von ihm ein Paar Hosen machen lassen.“

„Schneider und Wilderer, das kommt allerdings selten zusammen,“ fiel ich ein, „es müssen aber seltsame Hosen sein, die einen Schneider im Odenwald unsterblich machen.“

„Es scheint, ich habe mich nicht deutlich genug ausgedrückt,“ entgegnete der alte Herr behaglich rauchend, „ich hätte nicht sagen sollen, von ihm, sondern aus ihm, oder vielmehr aus seiner Haut.“

„Aus seiner Haut? Sie scherzen!“

„Nein, nein; er hat sich ein Paar Hosen aus seiner Haut machen lassen,“ nickte der alte Herr. „Erlauben Sie mir nur eine neue Cigarre anzustecken und die Geschichte ist bald erzählt.“

Und so that er; die Damen rückten näher hinzu. Nachdem sie sich sorgfältig erkundigt, ob die Geschichte auch für sie passe, und nachdem dies feierlich betheuert war, begann der alte Herr: „Im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts regierte in der damals noch reichsunmittelbaren Grafschaft Erbach ein gestrenger Herr, dessen Vornamen ich allerdings zur Zeit vergessen habe, der aber für denjenigen, der sich besonders dafür interessiren sollte, sehr leicht zu erfahren ist; er braucht nur in Michelstadt oder Erbach nach dem Grafen zu fragen, der die Wilddiebe schinden und sich aus ihrer Haut Hosen machen ließ, dann sagt’s ihm jedes Kind. Dieser gestrenge Graf Erbach war gar ein großer Jäger, und da ihn die Regierungssorgen seines kleinen Ländchens nicht eben sehr drückten, so war er den ganzen Tag im Forst und interessirte sich für die Berichte seiner Förster bedeutend mehr, als für die langweiligen Vorträge seiner Räthe. In diesen Berichten seiner Förster war nun eine stehende Rubrik, die den edlen Grafen furchtbar ärgerte, die Wilddieberei. Unter den mancherlei Namen derer, die als notorische Wilddiebe aufgeführt wurden, erschien der eines gewissen ‚Setzer‘ immer auf’s Neue, so daß der edle Landesvater zuletzt gerade über diesen Setzer, der sich merkwürdiger Weise nie erwischen ließ, toll und wild wurde und eines schönen Tages schwur, er wolle dem infamen Wilddieb, wenn er ihn erwische, das Fell über die Ohren ziehen und sich ein Paar feste Hosen daraus machen lassen.“

Das wurde nun natürlich dem Setzer gesteckt und der erboste sich über das landesväterliche Vorhaben so, daß er seinerseits, aber ganz still, bei sich den Schwur that: ‚Wenn er dem Grafen ’mal im Wald begegne, so solle ihn kein Teufel abhalten, er wolle es schnellen lassen und dem Herrn die Lust vertreiben, sich aus der Haut seiner Unterthanen Hosen machen zu lassen.‘

So standen die Sachen, da sieht der Graf eines schönen Tages im Forst einen Menschen, auf den er sofort anlegt, ihm zurufend: ‚Halt, steh oder ich schieße!‘ Das war nun der Setzer in eigner Person, und wie er den Grafen sah, heida, wie flog seine Büchse an die Backen. Da standen sich nun gegenüber, Aug’ in Aug’, der Landesvater und ein Wilddieb und es kam lediglich darauf an, wer zuerst den Finger am Drücker zucken ließ. Aber merkwürdig, keiner von Beiden zuckte mit dem Finger, sondern jeder that einen Schritt rückwärts und dann noch einen und so mehrere, bis sie einander aus den Augen waren. Der Setzer trollte seelenvergnügt heim, denn er glaubte Wunder wie brav gehandelt zu haben, daß er nicht geschossen, sondern den bösen Feind überwunden. Der Graf aber ärgerte sich ingrimmig. Er hätte gewiß geschossen, wenn der verfluchte Kerl nicht gar so schnell die Büchse an der Backe gehabt hätte. Er ließ den Setzer, der im gewöhnlichen Leben ein friedlicher Bauer und nur incognito Wildschütz war, aufgreifen und ihm wegen Versuch des Meuchelmords an seinem gestrengen Landesvater den hochnothpeinlichen Halsproceß machen. Der arme Teufel wurde wirklich hingerichtet; man schlug ihm bei der großen Linde in Michelstadt den Kopf ab.

Jetzt konnte der Graf nach Gefallen in seinen Forsten spazieren gehen, dem Setzer begegnete er nimmer, obwohl derselbe im Grabe keine Ruhe finden konnte, sintemalen er nie in ein Grab gekommen war. Der Graf hatte seinen Schwur nicht vergessen und der Scharfrichter bekam den Auftrag, dem armen Wilddieb die Haut säuberlich abzuziehen und sie nach Erbach auf’s Schloß zu liefern, und meine Großmutter, die damals Dienstmagd auf dem Schloß war, mußte dieselbige Haut zum Gerber nach Michelstadt tragen und hat oft noch erzählt, wie sie später erst dahinter gekommen sei, was sie eigentlich im Korbe gehabt, als sie zum Gerber gegangen. Der that aber seine Schuldigkeit, und der Erbacher Herr bekam ein Paar schöne, stattliche Hosen, die jedenfalls ihres Gleichen nicht hatten, nicht im heiligen römischen Reich und nicht in der ganzen Welt.

Es muß ihm aber doch nicht ganz wohl zu Muthe gewesen sein in seinen schönen weißledernen Hosen, denn er hat später aus dem Fell des armen Setzer Hirschfängerscheiden machen lassen und jedem seiner Jäger eine solche als gräfliches Cadeau verehrt. Diese Hirschfängerscheiden sind sehr dauerhaft und es mögen bei uns im Odenwalde noch manche davon am Leben und im Gebrauche sein.

Das ist jedoch nicht das einzige Unrecht, welches der arme Wilddieb nach seinem Tode erleiden mußte. Als ihm nämlich der Scharfrichter das Fell abzog, dachte er zugleich, daß er den armen Cadaver, der keinen Kopf und keine Haut mehr besaß, auch anständiger Weise nicht mehr begraben könne, und präparirte mit großem Geschick ein schönes Skelet aus den Ueberresten des Wilddiebes. Dieses Skelet existirt, glaub’ ich, gegenwärtig noch; wir haben uns wenigstens als Kinder ehrlich davor gefürchtet. Es war das Gerippe nach mannigfachen Schicksalen Eigenthum eines Chirurgen in unserer Nachbarschaft geworden, mit dessen Kindern ich täglich spielte. Am Ende eines langen Ganges stand in einem Winkel der schauerliche Knochenmann, zu dem wir uns nur in großer Gesellschaft hinwagten und zu dem es uns doch immer hinzog. O, wie ängstlich klopften uns die kleinen Kinderherzen schon bei dem Gedanken an den armen Setzer, und Alles, was sonst die Jugend fürchtet, alle Schauer-, Zauber- und Wundergeschichten bezogen wir immer und immer wieder auf das Skelet des Hingerichteten, aus dessen Haut sich der Graf hatte ein Paar Hosen machen lassen. So ging’s dem armen Setzer. Da ist das Schicksal des baierischen Hiesel’s doch golden dagegen, denn wenn sie den auch bei seinem Tode ein Bischen mehr gequält haben, er hat doch im Grab seine Ruhe gehabt.“