Die Horstmann’sche Schwerkraftmaschine

Textdaten
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Titel: Die Horstmann’sche Schwerkraftmaschine
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aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 288–289
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[288] Die Horstmann’sche Schwerkraftmaschine. Der guten Stadt Merseburg, sonst nur berühmt durch ihr vortreffliches Schwarzbier und den unsterblichen Raben, droht seit einigen Wochen die ernste Gefahr, einen Weltruf zu bekommen.

Das von der Wissenschaft als unmöglich bezeichnete, schon von so viel tausend Erfindern vergeblich angestrebte Perpetuum mobile – in Merseburg sollte es, so sagt die Fama, im Jahre des Heils 1878 das Licht der Welt erblickt haben. Bei dem ersten Auftauchen dieser kühnen Behauptung fehlte es, wie begreiflich, nicht an Hohn und Spott. Man hielt die Sache entweder für einen Schwindel, oder doch für eine Selbsttäuschung [289] des Erfinders. Auch der Umstand, daß die Maschine, nachdem sie einige Tage dem Publicum sichtbar gewesen, in Folge einer Beschädigung zeitweilig unbrauchbar wurde, war nur geeignet die hauptsächlich durch den gewählten Namen eines Perpetuum mobile hervorgerufene ungünstige Ansicht über den Werth der Maschine zu bestätigen. Man sagte sich, daß jede Kraft, welche eine Maschine treibt, über kurz oder lang erneuert werden muß, daß die Uhr z. B. nur so lange gehen kann, wie die Gewichte nicht abgelaufen oder die Feder ihre Spannung nicht verloren hat, man sagte sich, daß die Reibung, die Abnutzung des Materials eine ewige Bewegung nicht gestatten, daß also auf Erden wenigstens ein Perpetuum mobile im eigentlichen Sinne des Wortes ein Unsinn und eine Unmöglichkeit sei.

Es ist wohl möglich, daß der Erfinder, Herr Horstmann, von diesen sehr wichtigen Ansichten der Gelehrten nichts gewußt hat, denn vor etwa vierzehn Tagen stellte er sein reparirtes und verbessertes Werk zum zweiten Male dem Publicum zur Besichtigung aus. Das Publicum kam, und Horstmann siegte, denn die Maschine bewegte sich, bewegte sich mit einer geradezu verzweifelten Regelmäßigkeit. Da gab es nichts von bewegender Dampf-, Gas-, Wasser-, Pferde- oder Menschenkraft, aber die Maschine bewegte sich. Da waren auch, wie eine genaue Untersuchung ergab, keine magnetischen, elektrischen oder chemischen Kräfte, und die Maschine bewegte sich doch.

Das Ding machte bei dem ersten Anblicke fast einen unheimlichen Eindruck, da wohl alle Besucher die Bewegung sahen, die wenigsten aber sofort die Ursache dieser Bewegung begreifen konnten. Ja hätte das Werk noch zu Anfang einen tüchtigen Stoß erhalten! Aber nichts von alledem. Ein Stellrad, welches mit einem Gewinde verbunden ist, wird gedreht, und die Maschine bewegt sich; die Achsen drehen sich, die schiefe Ebene rotirt, die Balanciers sausen. So arbeitet das Werk, sich selbst überlassen, mit der größten Regelmäßigkeit und ziemlicher Geschwindigkeit so lange, bis man das Stellrad wieder in seine alte Lage zurückdreht. Eine solche Leistung hatte Niemand erwartet. Das anfängliche Mißtrauen wich freudiger Ueberraschung und begeisterter Anerkennung. Hoch und Niedrig, Gebildete und Ungebildete, Techniker und Laien wallfahrteten alsbald zu den bescheidenen Räumen in der Vorstadt Neumarkt, wo das Wunder zu sehen war. Ob Perpetuum mobile oder nicht, ein Mobile war es sicher, welches in kurzer Zeit die Bevölkerung Merseburgs, ja selbst die Nachbarstädte mobil machte.

Leider erlaubt es die Rücksicht auf den § 2 des Patentgesetzes nicht, dem Publicum der „Gartenlaube“ eine genauere und durch Abbildung unterstützte Beschreibung der Horstmann’schen Maschine vorzuführen. Das Interesse des mittellosen Erfinders, die Befürchtung, ihn muthwillig um die Früchte seiner achtzehnjährigen angestrengten Arbeit zu bringen, zwingen uns zur Vorsicht. Nur soviel glauben wir verrathen zu dürfen, daß die treibende Kraft des Ganzen die Schwerkraft ist. Zwei ungleicharmige Hebel, die den obersten Theil der Maschine bilden ruhen auf Unterstützungspunkten, welche durch das vorhin erwähnte Gewinde verschiebbar sind, sodaß die Hebelarme der Kraft nach Belieben verlängert und verkürzt werden können. Die Hebelarme der Last sind auf besondere Weise mit einer senkrechten Welle verbunden. Soll das Werk sich in Bewegung setzen, so werden durch Drehung der Winde die Unterstützungspunkte der Hebel verschoben, somit die Hebelarme der Kraft verlängert, wodurch die Wirkung der daran hängenden Gewichte verstärkt, und folglich nach den gewöhnlichen Gesetzen des Hebels die an den kürzeren Hebelarmen sitzende senkrechte Welle gehoben wird. Sofort beginnt das Werk, das von dem Augenblicke an, wo die Unterstützungspunkte der Hebel hinreichend verschoben sind, sich selbst überlassen bleibt, sich zu bewegen. Werden aber die Unterstützungspunkte der Hebel nicht weiter verschoben, so müssen natürlich die Gewichte stets denselben Druck, also auch die gleiche Wirkung ausüben. Wie nun Horstmann diesen sich stets gleichbleibenden Zug der senkrechten Welle nach oben mit Hülfe zweier anderer Wellen, schiefer Ebene etc. in eine gleichmäßig-drehende Bewegung verwandelt, das ist eben vorläufig noch sein Geheimniß, welches wir, so lange die Erfindung nicht patentirt ist, nicht mittheilen dürfen. Nur so viel sei gesagt, daß das Mittel ein ebenso ingeniöses, als einfaches ist – das Ei des Columbus! –

Nach Angabe des Erfinders soll die Maschine, die gewöhnlich fünfundvierzig Umdrehungen in der Minute macht, in ihrem jetzigen Zustande zwei Pferdekräfte besitzen. Wir halten diese Angabe für zu hoch. Doch mögen das die Techniker entscheiden, mögen sie untersuchen wie sich das Werk für den Betrieb von Drehbänken, Dreschmaschinen, Göpelwerken etc. eignet, oder ob es gar die Dampfkraft völlig zu ersetzen vermag. Für uns genügt es, daß der Apparat, allein durch die Schwerkraft getrieben, geht, daß selbst in längeren Zeiträumen seine Geschwindigkeit sich nicht verringert.

Gewiß ist die von Herrn Horstmann – beiläufig gesagt, einem einfachen Schlossermeister – construirte Maschine noch mancher Vervollkommnung fähig; immerhin scheint sie auch nach dem Urtheile berufener Sachverständiger, wenn auch kein Perpetuum mobile im strengen Sinne des Wortes, für das Maschinenwesen von hervorragender Bedeutung zu sein.