Die Hochquellen-Wasserleitung von Wien

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Titel: Die Hochquellen-Wasserleitung von Wien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 213–216
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Hochquellen-Wasserleitung von Wien.


Es unterliegt keinem Zweifel, daß Wien seit dem 24. October des vergangenen Jahres, dem Tage der Eröffnung seiner neuen Wasserleitung, unter allen Großstädten der Welt das beste Trinkwasser besitzt. Wir brauchen die Leser der Gartenlaube wohl nicht erst über die Nützlichkeit dieses unabweisbarsten Lebensbedürfnisses zu unterhalten, namentlich in dem Falle nicht, wo durch die permanente Anhäufung großer Menschenmassen und durch dichtes Beisammenwohnen die atmosphärische Luft verdorben wird. Erkannten doch schon die Culturvölker des Alterthums, wie z. B. die Römer, bei ihren bleibenden Ansiedlungen die Nothwendigkeit des Bezuges von gutem Trink- und Nutzwasser an, wofür die existirenden Ruinen ihrer Aquäducte noch heute ein sprechendes Zeugniß ablegen. Die Gebirgsquellen des Wiener Waldes und zwar auf der Ostseite desselben, auf denselben Terrains, auf denen sich die neue Wasserleitung hinzieht, waren bereits vor zweitausend Jahren zur Feste Vindobona geleitet, wie die in dem Zeitraum von 1859–65 aufgefundenen Reste römischer Wassercanäle beweisen. – Eine Commune von der Bedeutung, wie das jetzige Wien, von einer Einwohnerschaft von beinahe einer Million Seelen, beansprucht für den Hausverbrauch, zum Trinken, Kochen und Reinigen, für industriellen Bedarf und endlich für öffentliche Zwecke gewaltige Quantitäten Wassers, welche, im Hinblick auf die künftige Vermehrung der Bevölkerung, auch im gesteigerten Maße zuführungsfähig sein müssen.

Die ersten Schwierigkeiten, welche sich einem Unternehmen von solchem Umfange entgegenstellen, sind die in der Natur allenthalben vorkommenden Verunreinigungen der freien Gewässer. Es gilt dies sowohl in Bezug auf Bäche und Flüsse, wie auch auf Haus- und öffentliche Brunnen, da die Wasserreinheit der Letzteren in dem Grade gefährdet erscheint, wie sich in deren Umgebung die Unrathscanäle vermehren. – Chemische Untersuchungen, welche in dieser Richtung angestellt worden sind, ergaben bezüglich des Donauwassers bei Wien das überraschende Resultat, daß solches circa fünfmal mehr verunreinigt ist, als das Wasser der nächstgelegenen Alpenquellen.

Diese und ähnliche Untersuchungen führten denn auch zu dem nicht anzuzweifelnden Schlusse, daß Quellwasser im Allgemeinen selbst dem besten Flußwasser vorzuziehen sei, da das Letztere stets organische Substanzen mit sich zu führen pflegt.

Gleichzeitig wurde der Umstand constatirt, daß die Quellen in Wiens näherer und nächster Umgebung sich genau und ununterbrochen in dem Grade vermindern, wie die Baulichkeiten und die damit verbundene Bodenbenutzung überhand nehmen. Den circa 12000 Grundstücken Wiens stand, die Leistungen aller alten und neuen Wasserleitungen zusammengenommen, ein verfügbares Quantum von beiläufig 500000 Eimern pro Tag gegenüber, für den Verbrauch weder qualitativ noch quantitativ befriedigend, da jene Million Bewohner, ausreichend versorgt, einen Tagesbedarf von 1⅔ Million Eimer bedingen, wovon die Straßenbespritzung von 1,500000 Quadratklaftern allein 330000 Eimer täglich in Anspruch nimmt.

Selbstverständlich rief die für eine solche Riesenversorgung ausgeschriebene Concurrenz sehr auseinandergehende Projecte hervor. Zwei derselben wurden, als der Erfüllung der gestellten Aufgabe am meisten entsprechend, den eingehendsten Prüfungen unterzogen. Es war dies einerseits die Zuleitung der Königin der österreichischen Alpenquellen, des „Kaiserbrunnens“, aus dem Höllenthale vom Gebirgsstocke des 6600 Fuß hohen Schneebergs herab sammt den dazu gehörenden Seitenquellen, andererseits die Benutzung des unter dem Steinfelde bei Wiener Neustadt befindlichen unterirdischen Sees. Der Voranschlag für das erstere Project, die Zuleitung jener mächtigen Alpenquellen, welcher auf 16,034000 Gulden sich bezifferte, gewann nach langwierigen Debatten des Wiener Gemeinderaths die Oberhand, wenn schon die zweite Combination für die Heranschaffung größerer Wassermengen vom Steinfelde voraussichtlich um circa 6 Millionen Gulden billiger auszuführen gewesen wäre. Dreierlei Gründe dürften hierbei maßgebend gewesen sein. Zuerst das Gutachten der Gesellschaft der österreichischen Aerzte, welches der idealreinen Quelle des Kaiserbrunnens und Stixensteines in gesundheitlicher [214] Beziehung einen unbedingten Vorzug vor den möglicherweise doch verunreinigten Seegewässern des Neustädter Steinfeldes einräumte, ferner die chemische Zusammensetzung, der niedrige Temperaturgehalt des Ersteren und endlich das natürliche Gefälle derselben bis zum Benutzungsorte. Hätte man doch beim Bezuge des Wassers aus dem Neustädter Seebecken innerhalb des Weichbildes von Wien Dampfhebemaschinen bis zu 3000 Pferdekräften bedurft.

Es sei bei dieser Gelegenheit eines hochinteressanten geologischen Vorkommens, des unterirdischen Sees im Neustädter Plateau, gedacht. Dasselbe, im Osten vom Leitha-Gebirge, im Süden und Westen von den Alpen eingeschlossen, enthält auf einem Flächeninhalte von beiläufig dreißig Quadratmeilen bis zu einer Tiefe von dreißig und mehr Schuh wasserführende

Der Kaiserbrunnen am Schneeberge vor Anlegung der Wasserleitung.
Nach einer Skizze von Robert Zander.

Kiesschichten (Schotterbänke), welche bei dem Fallen von einem Pariser Zoll Regenmenge über 1100 Millionen Eimer Grundwasser ansammeln; eine Quantität, bedeutend genug, um alle Großstädte der Welt mit Wasser zu versehen.

Mit der definitiven Annahme des Hochquellenprojectes ging die Schenkung der Quellen an die Stadt Wien Hand in Hand. Der Kaiser von Oesterreich übergab, ohne eine Gegenleistung dafür zu beanspruchen, den prachtvollen „Kaiserbrunnenquell“ in das Eigenthum seiner Residenzstadt; während der Graf von Hoyos-Sprinzenstein diesem hochherzigen Beispiele folgte und die ihm gehörende, im Thale des Sirning-Baches, unter dem Schlosse Stixenstein hervorsprudelnde Quelle des gleichen Namens der Stadt Wien verehrte. Dagegen waren auf der 14,096 geographische Meilen betragenden Länge der Wasserleitung die Grunderwerbungen von circa 200000 Quadratklaftern Weingärten, sowie von circa 800000 Quadratklaftern Boden von Wäldern, Aeckern und dergleichen mehr mit nicht geringen Schwierigkeiten verknüpft. In den wasserreichen Thälern des Schneeberges, der gleich hohen Raxalpe und den dazu gehörigen Vorbergen galt es nunmehr die gemachten Detailstudien zur praktischen Ausführung zu bringen, und diese Aufgabe ist, wie wir im Nachstehenden zeigen, technisch keine kleine gewesen.

Unbestritten besitzt Wien jetzt auf dem europäische Continente die bedeutendste und vollkommenste Wasserleitung, welcher aus der Zahl ähnlicher Bauten aller Länder der Erde technisch höchstens diejenigen von Manchester, Glasgow und New-York zur Seite gestellt werden können. Jedenfalls bleibt die Leitung des Kaiserbrunnens nach Wien für alle Zeit ein großartiger Gedanke. – In den zerklüfteten Oberflächen des Schneeberges, die voll zahlreicher Schluchten und Mulden sind, läuft der darin angesammelte und zerschmolzene Schnee durch das Innere des Kalksteingebirges in zahlreichen Spalten ab und bildet jenen reichen Abfluß im Höllenthale, „Kaiserbrunnen“ genannt.

Zu jener Zeit, als diese Hauptquelle des Höllenthals in den Besitz der Residenzstadt überging, schwankte die Tagesergiebigkeit derselben zwischen einer halben und drei Viertel Million Eimer; diejenige des Stixensteines betrug 500000 bis 600000 Eimer; die Altaquelle zeigte eine Tagesdifferenz von 150000 bis 500000 Eimern. Um den größtmöglichen Wasserzufluß herbeizuführen, wurden durch Aussprengungen und Abmauerungen im Bergesinnern der beiden erstgenannten Quellen große Reservoirs, Wasserschlösser genannt, hergestellt. Bei Gelegenheit des Aussprengens im Innern des Kaiserbrunnens entdeckte man weitläufige Höhlengänge mit prachtvollen Stalaktiten angefüllt; auch traten fünf große Felsspalten zu Tage, aus denen die Quellen mächtig hervorsprudelten. Diese Arbeiten, von hundert Mann der österreichischen Genietruppe ausgeführt, boten bei dem enormen Wasserandrange keine geringen Schwierigkeiten dar, da die Soldaten monatelang in einem reißenden Wasser [215] von einer Temperatur von 5 Grad Réaumur arbeiten mußten. In Folge dieser Erweiterung des inneren Quellenzuflusses ist der Kaiserbrunnen auf eine durchschnittliche Tagesergiebigkeit von 1,400000 Eimern gebracht worden und somit allein schon im Stande, den Wasserbedarf der Großstadt zu decken.

Erwägt man hierbei, daß die sämmtlichen jetzt unbenutzten Zuflüsse des Höllenthales oberhalb des Kaiserbrunnens die annähernde Tagesquantität von einer und zwei Drittel Million Eimer ergeben und daß deren künftige Ausnutzung keine technischen Schwierigkeiten mehr bietet, so gelangt man zu der Ueberzeugung, daß der Wasserbedarf der österreichischen Hauptstadt auf Generationen hinaus gedeckt ist. Die einzuhaltende Richtung bedingte die Aufführung von vier Aquäducten mit einem Gesammtkostenaufwande von circa 1,600000 Gulden; hiervon ist der die

Das Wasserschloß des Kaiserbrunnens nach dem Bau der Hochquellenleitung.
Nach einer Skizze von Robert Zander.

Stadt Baden übersetzende der bedeutendste. Dreizehn Stollen (Wassertunnel) mit einer Totallänge von 4405 Klaftern (gleich einer und einem Zehntel geographischer Meile) führen die dem Höllenthale entnommene Wassersäule durch die Berge; sie sind theils in den festen Felsen gehauen, theils in Ziegeln mit Portlandcement ausgemauert. Zu diesen Schwierigkeiten kam innerhalb des Weichbildes der Stadt Wien noch die Uebersetzung des Donaucanals und des Wienflusses.

Das Gesammtgefälle der Leitung vom Abflusse des Kaiserbrunnens bis zum Nullpunkte des Donaucanals dürfte 1150 Fuß betragen. Der hierdurch bedingte ungeheure Wasserdruck wird durch drei gewaltige Reservoirs in der unmittelbaren Nähe Wiens, auf dem Rosenhügel nächst Speising, auf der Höhe der Schmelz und auf dem Wienerberge nächst der Spinnerin am Kreuze belegen, neutralisirt, und so kommt es, daß ein Wasserquantum selbst von zwei Millionen Eimern, für welches die Leitung hergestellt ist, innerhalb vierundzwanzig Stunden gefahrlos für die Nachbarschaft seinen Weg vom Hochgebirge herab zurücklegen kann. Bereits im ersten Baujahre 1870 wurden unter der Leitung des Bauunternehmers Gabrielli 2500 bis 3000 Arbeiter täglich verwendet, die sich in den folgenden Jahren, im Verhältnisse des Baufortschrittes, mehr als verdoppelten. Das für eine Stadt von der Größe Wiens erforderliche Röhrennetz ist begreiflicher Weise von ungeheurer Ausdehnung, waren doch schon mit Ende des Jahres 1871 bei 49,000 Currentklaftern oder 12¼ deutsche Meilen Wasserröhren im Betriebe, während die neu hinzutretenden Röhrenanlagen auf 138,839 Currentklaftern mit einem Kostenaufwande von 3,766,771 Gulden in Voranschlag gebracht sind. Die Hauptröhrenstränge, welche von den Reservoirs abzweigen, besitzen eine lichte Weite von 36 und 33 Wiener Zoll und verjüngen sich, dem natürlichen Bedarfe entsprechend, in vielfältigen Abstufungen bis zum kleinsten Caliber. Der im letzten Spätherbste in Wien am Schwarzenberg-Platze eröffnete Hochstrahlbrunnen gab dem gigantischen, in seinen Hauptgrundzügen glücklich beendeten Werke eine würdige Weihe; sein 8¼ Zoll im Durchmesser haltender Hochstrahl kann bis zu einer Höhe von 150 Fuß getrieben werden, während ihn 300 vierundzwanzig Fuß hoch springende Seitenfontainen in Form einer Glocke umgeben.

Sind wir recht unterrichtet, so wurden für dieses Riesenunternehmen bis jetzt 23,379,000 Gulden aus städtischen Mitteln verausgabt, jedoch dürften bis zu dessen gänzlicher Vollendung noch mehrere Millionen erforderlich sein. Der Unternehmer des Baues, Gabrielli, wurde für frühere Vollendung als die contractlich bedungene mit einer Extra-Prämie von einer Million Gulden belohnt.

Gewiß hat dieses in seiner Art einzig dastehende Werk seine Entstehung dem vereinten Zusammenwirken vieler einsichtsvollen und verdienstlichen Männer zu danken, die von der richtigen Ueberzeugung durchdrungen waren, daß eine Commune [216] keine heiligere Verpflichtung haben kann, als für die Gesundheit ihrer Angehörigen zu sorgen. Soll in dieser Beziehung einem Manne der Dank der Bevölkerung Wiens dargebracht werden, so gebührt dies unzweifelhaft dem hochverdienten Professor der Geologie Herrn Sueß; nicht minder haben sich die beiden technischen Chef-Leiter, die Herren Ober-Ingenieure Mihatsch und Junker, ein dauerndes, ehrenvolles Andenken dabei erworben.